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Artikel 10668
RA Dr. Alexander Walter
07.11.2005

Interdisziplinäre Aufbereitung

Eine Rezension zu:

Alexander P.F. Ehlers

Medizinisches Gutachten im Prozess

Anwaltliche Strategie und Taktik beim Umgang mit Sachverständigen

3. Auflage

C.H. Beck, München 2005, 158 Seiten, 38,- €
ISBN 3-406-51780-3

http://www.beck.de


Juristische Verfahren können häufig nur unter Zuhilfenahme eines medizinischen Sachverständigen entschieden werden. So besteht in zivil-, straf- und sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig die Notwendigkeit medizinischer Begutachtung. Auch wenn die medizinischen Gutachten stets einer richterlichen Kontrolle unterworfen sind, der Sachverständige also die richterliche Überzeugungsbildung nicht übernehmen kann, steht und fällt der Prozessausgang oftmals mit der Begutachtung durch den Sachverständigen. Je überlegener die Fachkenntnis des Sachverständigen, desto mehr wird die selbstständige Stellung des entscheidenden Richters gefährdet. Häufig neigen Richter zur kritiklosen Übernahme gutachtlicher Stellungnahmen, obwohl der Tatrichter auch in schwierigen Fachfragen zu einem eigenen Urteil verpflichtet ist. Dieser Bedeutung haben sämtliche Beteiligte – Richter, Staats- und Rechtsanwälte und nicht zuletzt Gutachter – Rechnung zu tragen. Dies gilt um so mehr, als die aus der Juristerei bekannte Meinungsvielfalt auch der medizinischen Wissenschaft nicht fremd ist. So führt denn auch Höffler in dem anzuzeigenden Werk mit Blick auf den Beleg der gutachtlichen Ausführungen durch Literaturzitate aus, dass es angesichts der umfangreichen medizinischen Literatur wenig gibt, was man nicht durch eine Literaturangabe untermauern könnte, bis hin zu den unsinnigsten Behauptungen (Rdnr. 327). An anderer Stelle findet man die Aussage, dass zur Zeit nur etwa 10 bis 20 % aller medizinischen Verfahren überhaupt wissenschaftlich abgesichert sind (Oehler, Zahnmedizinischer Standard in der Rechtsprechung, 2003, S. 17). Der Diskurs zwischen Juristen und Medizinern erlangt vor diesem Hintergrund besondere Bedeutung, zumal Missverständnisse aufgrund der unterschiedlichen Denkweisen und nicht zuletzt Fachsprachen allzu leicht entstehen können: Mediziner unterliegen falschen rechtlichen Bewertungen oder legen ihre Ausführungen in für medizinische Laien nicht nachvollziehbarer Weise dar; Juristen hinterfragen medizinische Zusammenhänge nicht oder treten dem Sachverständige nicht auf Augenhöhe entgegen. Der Ansatz des von dem Münchener Rechtsanwalt und Arzt Alexander Ehlers herausgegebenen Werkes, die Thematik durch ein interdisziplinäres Autorenteam von Juristen und Medizinern zu beleuchten, ist daher verdienstvoll.

Das Werk lässt sich in zwei größere Komplexe aufteilen. Im ersten Komplex behandeln Juristen die Problembereiche des medizinischen Gutachtens im Zivil-, Straf- und Sozialgerichtsprozess. Gelungen erscheinen insbesondere die Ausführungen zu denen unterschiedlichen Anforderungen an den Kausalitätsbeweis im Straf- und Sozialgerichtsprozess. Insgesamt ist die Vermittlung der Bedeutung von Rechtsbegriffen, die in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlichen Inhalt aufweisen, gegenüber den Sachverständigen in der Praxis immer wieder von Bedeutung, worauf einige der Autoren auch hinweisen. Sicherlich ist von einem Werk dieses Umfangs keine allumfassende Darstellung zu erwarten. Gleichwohl hätte die Problematik der Auswirkungen der in ihrer Zahl und Bedeutung immer mehr zunehmenden ärztlichen Leitlinien und Richtlinien für die medizinische Begutachtung zumindest angerissen werden sollen, zumal der Herausgeber die "Leitliniendiskussion" in seinem Vorwort selbst – ohne einen Bezug zur medizinischen Begutachtung herzustellen – anspricht. Im arzthaftungsrechtlichen Schrifttum wird eine Auseinandersetzung mit bestehenden Leitlinien vermehrt gefordert und einzelne Gerichte haben in Beweisbeschlüssen in Arzthaftungsverfahren bereits die Sachverständigen aufgefordert, einschlägige ärztliche Leitlinien bei ihrer Begutachtung zu berücksichtigen.

Im zweiten Komplex beleuchten Mediziner die Begutachtung aus Sicht der konservativen und operativen Medizin. Die in diesen Ausführungen enthaltenen Hinweise zur Bewertung der Qualität von Gutachten und Kompetenz von Gutachtern sind für den Juristen von besonderem Wert. Dies gilt umso mehr, da die Autoren dies an Beispielsfällen der medizinischen Praxis verdeutlichen und sich nicht auf eine rein medizinisch-theoretische Abhandlung beschränken.

Auch wenn die einzelnen Kapitel jeweils sehr lesenswert sind, vermisst man doch mitunter die Abstimmung der einzelnen Beiträge – die teilweise wie eigenständige Aufsätze erscheinen – aufeinander. Während etwa – wie oben geschildert – die Problematik des Kausalitätsbegriffes und -beweises im Straf- und Sozialgerichtsprozess ausführlich behandelt wird, fehlt hierzu im zivilrechtlichen Teil eine eingehende Betrachtung. Die Fragen der Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen eines Sachverständigen sowie der Entschädigung des Sachverständigen wären besser in einem eigenständigen Kapitel aufgehoben, sind dies doch keine reinen zivilprozessualen, sondern vielmehr rechtsgebietsübergreifende Fragen. Dies ist jedoch Geschmacksfrage. Jedenfalls werden beide in den letzten Jahren von Gesetzesänderungen betroffenen Bereiche mit Blick auf die alte und neue Rechtslage betrachtet. Missverständlich ist in jedem Fall der Untertitel des Werkes; Tipps für anwaltliche Strategien und Taktiken beim Umgang mit medizinischen Sachverständigen werden nicht gegeben. Auch findet sich keine speziell auf die anwaltlichen Bedürfnisse ausgerichtete Bearbeitung der Problemkreise. Vielmehr sind sämtliche angesprochenen Fragen für Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Versicherungsjuristen, Ärzte oder Gutachter gleichermaßen bedeutsam.

Gesamteindruck:
Auch wenn – sicherlich auch im Interesse der Übersichtlichkeit – nicht sämtliche Problemfragen der Thematik in dem Werk aufgearbeitet werden, bietet die interdisziplinäre Zusammenarbeit Einblicke in die unterschiedlichen Sichtweisen und vielfältige Erkenntnisse für den Umgang mit Sachverständigen und die Qualitätsbewertung ihrer Begutachtung. Wer regelmäßig mit medizinischen Begutachtungen in rechtlichen Auseinandersetzungen beschäftigt ist, wird an dem Erwerb des Buches nicht vorbeikommen.

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