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"Grundsätze und Bedeutung des Rechtsbegriffs 'Treu und Glauben' und der Sittenwidrigkeit" von Gunter Pirntke
HD f. Rechtswissenschaft Gunter Pirntke, http://www.pirntke.net

Grundsätze und Bedeutung des Rechtsbegriffs "Treu und Glauben" und der Sittenwidrigkeit


Einleitung

Das heutige Zivilrecht beruht im wesentlichen auf drei Wurzeln. Eine Wurzel bildet neben dem römische Recht und der christliche Ethik, das germanische Recht. Dieses entstand als Stammesrecht und blieb im wesentlichen Gewohnheitsrecht, wurde also nicht schriftlich festgehalten (kodifiziert). Das Recht hatte einen konkreten, volkstümlichen Ausdruck. Es schätzte die alt überlieferten Formen, betonte den Gemeinschaftsgeist und war dementsprechend durch einen starken Vertrauensschutz geprägt. Letzteres Merkmal hat z.B. über § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) Eingang in das bestehende Recht gefunden.

Das Zweites Buch (§§ 241 - 853) des BGB wird als Recht der Schuldverhältnisse (Schuldrecht) bezeichnet. Geregelt sind die Rechte und Pflichten, die in einem Schuldverhältnis bestehen. Schuldverhältnisse können durch Vertrag oder Gesetz begründet werden. Die Definition des Schuldverhältnisses findet sich in § 241. Der erste Teil des Zweiten Buches (Abschnitte 1 - 7) wird als Allgemeines Schuldrecht bezeichnet. Der Begriff taucht im Gesetz offiziell nicht auf. Dieser Teil enthält allgemeine Regelungen, die für alle vertraglichen oder gesetzlichen Schuldverhältnisse gelten. Derjenige, der etwas verlangen kann, wird als Gläubiger bezeichnet. Wer etwas schuldet, wird als Schuldner bezeichnet (§ 241).

1. Was verstehen wir unter Treu und Glauben?

Viele Formulierungen und Begriffe sind mehrdeutig, so dass ihre Bedeutung und damit der Inhalt von Willenserklärungen erst durch Auslegung zu ermitteln ist. Wer etwa Birnen kaufen will, kann damit Glühlampen oder Früchte meinen. Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille des Erklärenden zu ermitteln, der nicht notwendig dem Wortlaut entsprechen muss. Diese Vorschrift wird auch auf die Auslegung von Verträgen angewandt; umgekehrt wird die Vorschrift des § 157 BGB nicht nur für die Auslegung von Verträgen, sondern auch von (einseitigen) Willenserklärungen herangezogen. Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern. Die Auslegungsregel ist eine Auffangvorschrift für ansonsten unklare Situationen. Sie normiert das Gewohnheitsrecht als Teil des bürgerlichen Rechts. So wurden etwa Formfehler bei der Übertragung von Grundstücken, die die Übertragung unwirksam machen (wegen fehlender notarieller Beurkundung) aufgrund dieser Vorschrift „geheilt„, weil die Vertragsteilnehmer schon seit langer Zeit auf den (unbewusst) unwirksam übertragenen Grundstücken leben und der Wille auf eine Fortsetzung dieses Zustandes erkenntlich ist.

Treu und Glauben gilt als derallgemeiner Rechtsgrundsatz, nach dem im Rechtsleben gegenseitiges Vertrauen geschützt, aber auch vorausgesetzt wird und seine Verletzung u. U. zum Rechtsverlust führt. Besonders schreiben §§ 157 und 242 BGB vor, dass Verträge so auszulegen bzw. Schuldverhältnisse so zu erfüllen sind, wie Treu und Glauben es erfordern. Wegen Verletzung von Treu und Glauben ist auch eine Rückwirkung von Gesetzen verboten.

Kommen wir erst einmal zu den Wortinterpretationen:

Die Wortverbindung „Treu und Glauben„ soll den in der Gemeinschaft herrschenden sozialethischen Wertvorstellungen Eingang in das Recht verschaffen. Sie verpflichtet zur billigen Rücksichtnahme auf die schutzwürdigen Interessen des anderen Teils sowie zu einem redlichen und sozialen Verhalten. Treu und Glauben umfasst auch den Gedanken des Vertrauensschutzes. Die Verkehrssitte als tatsächliche Übung in den beteiligten Kreisen gibt Anhaltspunkte für das, was Treu und Glauben entspricht (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage; Rdnr. 3 zu § 242).Was unter Verkehrssitte bzw. guter Sitte zu verstehen ist, ist strittig und sicherlich abhängig vom Zeitgeist. Wir wollen später versuchen, dieses zu interpretieren.

Der Grundsatz von Treu und Glauben sagt aus, dass nach § 242 ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Wenn die Bestimmung sich ihrem Wortlaut nach nur an den Schuldner wendet und dessen Leistungspflicht näher bestimmt, so ist damit ihr Anwendungsbereich keineswegs erschöpft.

Rechtsprechung und Wissenschaft haben vielmehr aus § 242 in Verbindung mit §§ 133, 157, 826 den allgemeinen Rechtsgedanken entwickelt, dass jeder in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln, d.h. auf die berechtigten Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen hat; dies gilt also nicht nur für den Schuldner, sondern auch für den Gläubiger.

Der Grundsatz von Treu und Glauben ist eine Generalklausel; er beherrscht das ganze Rechtsleben und gewinnt über das Schuldrecht hinaus überall dort Bedeutung, wo zwischen mehreren Personen eine rechtliche Sonderverbindung besteht.

Der § 242 ist keine Billigkeitsklausel, die dem Richter gestattet, sich über gesetzliche Wertungen hinwegzusetzen, um zu einem von ihm als billig empfundenen Ergebnis zu gelangen; dies würde der Rechtssicherheit zuwider laufen, da richterliche Entscheidungen nicht mehr vorhersehbar wären. Aus der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG folgt aber eine Verpflichtung der Zivilgerichte zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind. An die Stelle der unbilligen Regelung tritt auf Grund richterlicher Vertragsgestaltung die sachlich angemessene Regelung. Ebensowenig handelt es sich bei § 242 um eine allgemeine Ermächtigung zu einer richterlichen Rechtsfortbildung aus Billigkeitsgründen, da dies in erster Linie dem Gesetzgeber obliegt und § 242 selbst nicht konkret genug ist.

Der Grundsatz von Treu und Glauben dient deshalb keinesfalls dazu, selbständig neue Rechtsinstitute zu schaffen; seine Aufgabe besteht vielmehr darin, bereits vorhandene Rechtssätze oder Rechtsbeziehungen nach ihrem Sinn und Zweck näher auszuformen oder die Grenzen einer formal gegebenen Rechtsstellung aufzuzeigen.

Um bei der Anwendung des § 242 nicht zu vorschnellen Billigkeitsurteilen zu gelangen, muss zunächst geprüft werden, ob nicht die spezialgesetzlichen Regelungen nach ihrem Sinn und Zweck eine sachgerechte Lösung im konkreten Fall ermöglichen; nur wenn sich ausnahmsweise herausstellt, dass die Anwendung des Gesetzes wegen der Besonderheiten des konkreten Falles den einen oder den anderen Teil in einer offenbar unbilligen, dem Sinn des Rechtsverhältnis widersprechenden Weise benachteiligt, kann als ultima ratio über § 242 ein Interessenausgleich herbeigeführt werden.

2. Das Schuldverhältnis

§ 242 enthält keine Regel dafür, was im Einzelfall Treu und Glauben entspricht. Wichtige Anhaltspunkte bieten aber hierbei gesetzliche Interessenbewertungen, die in anderen Normen ihren Ausdruck gefunden haben, insbesondere die Wertentscheidungen des Grundgesetzes sind hier von Bedeutung und haben eine Einbruchstelle in das BGB gefunden.Eine weitere Hilfe bei der Ausfüllung bietet die Verkehrssitte, auf die § 242 ausdrücklich verweist; hierunter ist die im Verkehr tatsächlich herrschende Übung zu verstehen, nach der in großen Zahl gleichartiger Fälle verfahren wird; wichtigstes Beispiel bilden die Handelsbräuche der Kaufleute. Um willkürliche Zufallsergebnisse zu vermeiden, erfordert die Anwendung von § 242 stets eine eingehende Begründung, die die Abwägung der gegenseitigen Interessen erkennen lässt und nach ganz h.M. ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben von Amts wegen zu berücksichtigen; es handele sich um eine Einwendung, nicht um eine Einrede.

Das Schuldverhältnis ist ein Rechtsverhältnis, durch das eine Person (Gläubiger) von einer anderen Person (Schuldner) ein Tun oder Unterlassen fordern kann (§241 BGB). Schuldverhältnisse sind der Hauptgegenstand des 2. Buches des BGB. Das Schuldverhältnis kann insbesondere auch zu besonderer Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teiles verpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB), was eine lex specialis zur allgemeinen Auslegungsregel des § 157 BGB ist.

Bekanntlich kommen Schuldverhältnissezustande durch
  • Rechtsgeschäft: d.h., durch übereinstimmende, rechtzeitig abgegebene und nicht nichtige Willenserklärungen, die eine Rechtsfolge entfalten (§§ 241; § 311 Abs. 1 BGB) und durch
  • Gesetz: das betrifft etwa Fälle wie den Schadensersatz (§ 823 BGB), der ein Schuldverhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten erzeugt, ohne dass diese beiden zuvor Willenserklärungen ausgetauscht hätten.

Der erst durch die Schuldrechtsreform 2002 eingefügte § 311 Abs. 2 BGB normiert, dass ein Schuldverhältnis auch ohne Vertrag durch
  • die Aufnahme von Vertragsverhandlungen,
  • die Anbahnung eines Vertrages,
  • ähnliche geschäftliche Kontakte
entstehen kann. Diese Vorschrift über das sog. vorvertragliche Schuldverhältnis nimmt die alte culpa in contrahendo Regelung, die seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung gegolten hat, nunmehr endlich in das Gesetz auf. Inhalt eines solchen vorvertraglichen Schuldverhältnisses kann insbesondere auch die Rücksichtnahme i.S.d. § 241 Abs. 2 sein.

3. Richterrechtliche Korrektur bei untragbaren Ergebnissen

Ausnahmsweise kann gegen Treu und Glauben verstoßen, wer die Erfüllung der übernommenen Verpflichtung unter Berufung auf die Nichtigkeit des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts wegen eines Formverstoßes verweigert. Eine Pflicht zur Erfüllung formnichtiger Verträge kommt aber nur in Betracht, wenn die gesetzlich vorgesehene Nichtigkeitsfolge für eine der Parteien nicht nur eine Härte bedeuten würde, sondern für sie existenzgefährdend oder schlechterdings untragbar wäre. Nur wenn die Berufung auf die Formnichtigkeit als eine besonders schwerwiegende Treuepflichtverletzung zu beurteilen ist, muss sich der Erklärungsgegner am Vertrag festhalten lassen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sich eine Partei auf die Formnichtigkeit eines Vertrages beruft, nachdem sie selbst daraus bereits seit längerer Zeit Vorteile gezogen hat.

Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wird abgeleitet, dass der Vertrag an die geänderten Verhältnisse anzupassen ist (Neuverhandlungspflicht) oder durch außerordentliche Kündigung ganz beendet werden kann. Das kommt aber nur in Betracht, wenn es zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin nicht zu vereinbarender und damit der benachteiligten Vertragspartei nicht zumutbarer Folgen unabweislich erscheint. Die beiderseitigen Verpflichtungen müssen durch die Störung in ein grobes Missverhältnis geraten. Man unterscheidet Äquivalenzstörungen und Zweckvereitelungen.

Die richterliche Inhaltskontrolle von Verträgen bildet eine Schranke für Vereinbarungen, die als Missbrauch der wirtschaftlichen Überlegenheit einer Vertragspartei zu beurteilen sind, den Grundsätzen der Billigkeit widersprechen (§ 315 BGB) bzw. mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zu vereinbaren sind. Vor allem durch die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen soll erreicht werden, dass die vom dispositiven Gesetzesrecht abweichenden Regelungen niemandem aufgezwungen werden können, wenn sie als inhaltlich unangemessen und unausgewogen beurteilt werden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass der Verwender von AGB der wirtschaftlich Überlegene ist und daher kein angemessener Interessenausgleich gewährleistet ist, wenn er die von ihm aufgestellten Regelungen durchsetzt.

Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen erfordert der Schutz des Erklärungsempfängers im Hinblick auf Treu und Glauben, dass diese nach dem Empfängerhorizont ausgelegt werden. Abzustellen ist also auf die Bedeutung, die der Empfänger aus seiner Sicht unter Berücksichtigung der Verkehrssitte den Worten oder Handlungen des Erklärenden beilegen musste. Ein übereinstimmender Wille der Vertragspartner ist allerdings auch dann maßgeblich, wenn er in der Erklärung keinen Ausdruck gefunden hat (falsa demonstratio). Wenn sich also feststellen lässt, was die Parteien tatsächlich gewollt haben, kann die Vertragsauslegung auch einen vom Wortlaut und üblichen Wortsinn abweichenden Vertragsinhalt ergeben. Grundsätzlich sind aber Erklärungen so auszulegen, wie sie aus der Sicht des Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu verstehen sind. Ein versteckter Einigungsmangel liegt nur vor, wenn durch Auslegung der beiderseitigen Erklärungen nicht zu ermitteln ist, was die Parteien gewollt haben oder wenn die Auslegung ergibt, dass sie sich gar nicht geeinigt haben. Bezieht sich der Einigungsmangel auf wesentliche Elemente des beabsichtigten Vertrages, so ist er noch nicht zustande gekommen. Wäre der Vertrag dagegen auch ohne den ungeklärten Teil geschlossen worden, so gilt das übereinstimmend Vereinbarte (§ 155 BGB).

Wenn sich also feststellen lässt, was die Parteien tatsächlich gewollt haben, kann die Vertragsauslegung auch einen vom Wortlaut und üblichen Wortsinn abweichenden Vertragsinhalt ergeben. Grundsätzlich sind aber Erklärungen so auszulegen, wie sie aus der Sicht des Erklärungsempfängers nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu verstehen sind. Ein versteckter Einigungsmangel liegt nur vor, wenn durch Auslegung der beiderseitigen Erklärungen nicht zu ermitteln ist, was die Parteien gewollt haben oder wenn die Auslegung ergibt, dass sie sich gar nicht geeinigt haben. Bezieht sich der Einigungsmangel auf wesentliche Elemente des beabsichtigten Vertrages, so ist er noch nicht zustande gekommen. Wäre der Vertrag dagegen auch ohne den ungeklärten Teil geschlossen worden, so gilt das übereinstimmend Vereinbarte (§ 155 BGB).

Die Grundsätze über eine ausschließlich am Parteiwillen ausgerichtete Ermittlung des für den Erklärungsempfänger erkennbaren subjektiven Parteiwillens führen allerdings dann zu unangemessenen Ergebnissen, wenn die getroffene Vereinbarung auch für am Vertragsschluss nicht beteiligte Dritte Wirkungen entfalten soll oder wenn die Vertragsklauseln einseitig vorformuliert worden sind. Beispiele für Verträge mit Wirkungen für Dritte sind Gesellschaftsverträge oder Vereinssatzungen, bei denen von einem später Beitretenden nicht erwartet werden kann, dass er eine vom normalen Sprachgebrauch abweichende Formulierung ebenso versteht, wie die ursprünglichen Vertragsparteien. Für vorformulierte Klauseln, auf deren Wortlaut der Vertragspartner keinen Einfluss nehmen kann, sieht das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungenbesondere Auslegungsgrundsätze vor.

Bei Erklärungen, die für außenstehende, am ursprünglichen Zustandekommen eines Vertrages nicht beteiligte Dritte Bedeutung erlangen oder die einseitig vorformuliert und nicht verhandelbar sind, bestimmt sich der Inhalt einer getroffenen Vereinbarung daher nur nach der Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Beteiligten oder eines Angehörigen des gerade angesprochenen Personenkreises. Bei einer derartigen normativen oder objektiven Auslegung bleiben also alle Umstände außer Betracht, die nur einzelnen Beteiligten bekannt oder erkennbar waren. Bei der Ermittlung des Inhalts derartiger Erklärungen sind außer dem Wortlaut nur diejenigen Umstände zu berücksichtigten, die entweder für jedermann oder jedenfalls für den angesprochenen Personenkreis bekannt oder erkennbar sind.

Die Auslegung eines Vertrages führt dann nicht zu einer sinnvollen Entscheidung, wenn die Parteien über bedeutsame Fragen keine Vereinbarungen getroffen haben. Sehr häufig werden bei Abschluss eines Vertrages nicht alle denkbaren Komplikationen bedacht und auch nicht alle regelungsbedürftigen Einzelheiten geregelt. Eine Lücke in der vertraglichen Regelung kann entweder von Anfang an bestehen oder sich erst nachträglich ergeben. Wenn dann eine dispositive gesetzliche Bestimmung über die Rechtsfolgen fehlt, finden die Grundsätze über die ergänzende Vertragsauslegung Anwendung, die allerdings eher zur Vertragsergänzung durch Lückenfüllung als zur Vertragsauslegung führt. Der lückenhafte Vertrag wird um eine Regelung ergänzt, wie sie die Parteien hätten treffen müssen, wenn sie den Streitpunkt bedacht und dabei das Gebot von Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte beachtet hätten. Allerdings kann durch ergänzende Vertragsauslegung nie eine Regelung zum Inhalt des Vertrages gemacht werden, die dem tatsächlichen Willen der Vertragsparteien widerspricht.

Verpflichtungen zur nachträglichen Vertragsergänzung werden häufig in Form von salvatorischen Klauseln begründet. Damit soll die im Gesetz vorgesehene Gesamtnichtigkeit als Rechtsfolge fehlerhafter oder unvollständiger vertraglicher Vereinbarungen modifiziert werden. Nach § 139 BGB ist ein Rechtsgeschäft insgesamt nichtig, wenn ein Teil davon nichtig ist und wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Diese gesetzliche Regelung kann vertraglich abbedungen und in ihr Gegenteil verkehrt werden, um einen rechtlich fehlerhaften oder unvollständigen Vertrag möglichst aufrechtzuerhalten. Dann besteht auch ein lückenhaftes oder teilweise unwirksames Rechtsgeschäft fort, sofern die Auslegung ergibt, dass sein verbliebener, regelmäßig ergänzungsbedürftiger Teil nach dem Willen der Parteien Bestand haben soll. Salvatorische Klauseln verkehren aber lediglich die gesetzliche Vermutung, nach der Teilnichtigkeit zur Gesamtnichtigkeit führt, in ihr Gegenteil. Sie schließen also nicht aus, dass die Nichtigkeit einer bedeutsamen Vertragsklausel zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages führt.

Kann der von den Parteien angestrebte Erfolg mit den von ihnen gewählten rechtlichen Mitteln nicht verwirklicht werden, dann kommt eine Umdeutung zur Durchsetzung ihres mutmaßlichen Willens in Betracht. § 140 BGB nennt diese Rechtsfolge zwar nur für den Fall der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts; es handelt sich dabei aber um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz. Allerdings muss das durch die Umdeutung erreichte Ergebnis und das neue Rechtsgeschäft von den Parteien als Minus gegenüber der getroffenen Vereinbarung auch gewollt sein.

4. Einzelne Anwendungsfälle

Um bei der Handhabung der Generalklausel der §§ 242 BGB und 9 AGBG eine gewisse Rechtssicherheit zu erreichen, ist versucht worden, Fallgruppen zu bilden; die dabei entwickelten Regelungen bieten jedoch immer nur einen gewissen Anhaltspunkt.

a) Bestimmung nach Art und Weise der Leistung

Nach seinem unmittelbaren Anwendungsbereich ist § 242 dafür maßgebend, wie eine vertragliche oder gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen ist. Auch ohne eine besondere gesetzliche Regelung kann es dem Schuldner nach Treu und Glauben verwehrt sein, seine Leistung zu einer bestimmten Zeit oder an einem bestimmten Ort zu erbringen.

b) Begründung vertraglicher Nebenpflichten

Der Grundsatz von Treu und Glauben wirkt sich auch bei der Auslegung aus (vgl. § 157). Bei lückenhafter Vertragsgestaltung ist darauf abzustellen, wie die Parteien bei billiger und vernünftiger Berücksichtigung aller Umstände, vor allem der beiderseitigen Interessen, den offen gebliebenen Punkt geregelt haben würden; bei der Ausfüllung dieser Vertragslücke bildet der Grundsatz von Treu und Glauben den wichtigsten Maßstab. Im Rahmen vertraglicher Beziehungen sind die Parteien nach Treu und Glauben gehalten, eine sinnvolle Durchführung des Vertrages zu ermöglichen und den anderen Teil vor vermeidbaren Schädigungen zu bewahren; die ergänzende Auslegung führt meist zur Begründung vertraglicher Nebenpflichten; zu nennen sind hier vor allem Obhuts-, Erhaltungs-, Auskunfts- oder Anzeigepflichten. Auch nach der Beendigung eines Schuldverhältnisses können sich aus § 242 nachwirkende Pflichten ergeben; es handelt sich um vertragliche Nebenpflichten, die darauf gerichtet sind, nach Erfüllung der Hauptpflichten eine Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen. Unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben hat die Rechtsprechung bereits für die Zeit der Vertragsverhandlungen des Bestehen bestimmter Sorgfalts- und Aufklärungspflichten angenommen, deren schuldhafte Verletzung eine Schadensersatzpflicht auslöst. Auch bestehen Verhaltenspflichten aus Treu und Glauben für die Zeit nach Vertragsbeendigung bzw. -erfüllung; es handelt sich um innerhalb des Vertragsverhältnisses begründete Pflichten, die erst dann aktuell werden, wenn dessen Hauptleistungspflichten abgewickelt sind.

c) Abänderung der vertraglichen Leistungspflicht

Auf § 242 beruht auch die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage, die entwickelt wurde, um bestehende Vertragsverhältnisse den einschneidenden Veränderungen der Inflationszeit anzupassen. Nach dieser soll beim Fehlen oder späteren Wegfall bestimmter für den Abschluss oder die Durchführung des Vertrages grundlegender Umstände, die aber nicht Vertragsinhalt geworden sind, der Vertrag angepasst oder, wenn das nicht möglich ist, aufgelöst werden. Als Geschäftsgrundlage wird ein Umstand angesehen, den mindestens eine Partei bei Vertragsschluss als für den Vertragsschluss wesentlich vorausgesetzt wurde und auf dessen Berücksichtigung sich die andere Partei redlicherweise hätte einlassen müssen. Ob der Vertrag abgeändert wird oder dem Benachteiligten ein Recht zur Vertragsauflösung (Kündigung oder Rücktritt) zusteht, hängt davon ab, was die Parteien nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte vereinbart haben.

d) Begründung einer Leistungspflicht durch Erwirkung

Grundsätzlich setzt § 242 ein Schuldverhältnis voraus und dient nicht zur Begründung eines Schuldverhältnisses. Die Rechtsprechung hat aber in Sonderfällen auch die Entstehung einer Leistungspflicht und mit ihr eines Schuldverhältnisses auf § 242 gestützt. Vornehmlich fallen Fälle der Erwirkung darunter, die das positive Gegenstück zur Verwirkung darstellen: hat jemand einem anderen über längere Zeit hinweg Leistung erbracht, zu denen er rechtlich nicht verpflichtet war, so kann er bei dem Empfänger den Eindruck erweckt haben, er könne mit diesen Leistungen auch in Zukunft rechnen. Dabei ist jedoch sorgfältig zu prüfen, wie weit der andere auf die Leistung vertrauen durfte, was der Leistende getan hat, diese Vertrauen zu erwecken, wie schwerwiegend die Folgen eines Wegfalls sind.

e) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung

Aus § 242 ergibt sich über die §§ 226, 826 hinaus der allgemeine Grundsatz, dass jede gegen Treu und Glauben verstoßende Rechtsausübung unzulässig ist. Die Rechtsprechung hat auch hier Fallgruppen gebildet:

ea) die Ausübung des Rechts ist unredlich und damit unzulässig, wenn mit ihm nicht die durch Vertrag oder Gesetz geschützten Interessen verwirklicht werden, sondern das Recht zweckwidrig verwendet wird;

eb) der Berechtigte darf nicht ein Recht geltend machen, wenn er sich dadurch mit seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen würde (venire contra factum proprium).

Ein Sonderfall des widersprüchlichen Verhaltens ist die Verwirkung; ein Recht ist dann verwirkt, d.h. es kann - ohne verjährt zu sein - nicht mehr geltend gemacht werden, wenn es der Berechtigte über längere Zeit nicht geltend gemacht hat und sich die jetzige Geltendmachung für den Gegner als unzumutbar erweist; ein längerer Zeitablauf allein macht die Rechtsausübung an sich noch nicht unzulässig; ein Verstoß gegen Treu und Glauben wird jedoch dann zu bejahen sein, wenn der Gegner aus dem Verhalten des Berechtigten schließen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr ausüben werde, und er sich tatsächlich darauf eingestellt hat. Der Gläubiger verstößt alsogegenTreuundGlauben,wenn er eine Leistung zurückfordert die er dem Schuldner aus anderem Grund alsbald wieder zurückzuerstatten hätte.

5. Verkehrssitte und „gute Sitte„

Das Grundgesetz gewährt denBürgern Deutschland zahlreiche Freiheitsrechte, insbesondere auch die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob, mit wem und zu welchen Konditionen Rechtsgeschäfte vorgenommen und auf welchen Feldern berufliche Aktivitäten entfaltet werden sollen, gewährleistet. Kraft der verfassungsrechtlich – durch Artikel 2 Abs. 1 GG gewährleisteten – Privatautonomie können prinzipiell Verträge jeglichen Inhalts abgeschlossen werden (§ 311 BGB). Gewerbliche Betätigungen stehen unter dem Schutz der Gewerbefreiheit (Artikel 12 Abs. 1 GG, § 1 Gewerbeordnung). Diese Freiheiten bedürfen jedoch eines Korrektivs, um einen Missbrauch zu verhindern. Dieser Notwendigkeit trägt die Rechtsordnung insbesondere dadurch Rechnung,dass sie die Ausübung der Freiheitsrechte unter den Vorbehalt der „guten Sitten„ oder - wie es im Artikel 2 Abs. 1 GG heißt - des „Sittengesetzes„ stellt. Mit dem (un-)bestimmten Rechtsbegriff der „guten Sitten„ nimmt der Gesetzgeber auf einen Maßstab Bezug, der seine Wurzeln in der allgemeinen Sozialmoral hat. Nach einer gängigen Formel in der Rechtsprechung wird ein Rechtsgeschäft als sittenwidrig eingestuft, wenn es gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden„ verstößt. Der BGH bewertet z. B. ein Wettbewerbsverhalten unter Übernahme dieses Maßstabs als sittenwidrig, wenn es dem Anstandsgefühl der beteiligten Verkehrskreise widerspricht und von der Allgemeinheit missbilligt und für untragbar angesehen wird (NJW 1995, S. 2486: Vertrieb von Likörflaschen mit sexuell anzüglichen Motiven – „Busengrapscher/ Schlüpferstürmer„).

Zum Begriff der Sittenwidrigkeit nehmen wir eine Anleihe aus § 138 BGB auf. Danach ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. In der Regel ist dann das ganze Rechtsgeschäft nichtig. In Ausnahmefällen, wenn anzunehmen ist, dass die Parteien das Geschäft auch ohne den sittenwidrigen Teil abgeschlossen hätten, kann das Rechtsgeschäft aufrecht erhalten werden. Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn sein Inhalt mit grundlegenden Werten der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar ist. In diesem Fall kommt es auf eine Würdigung der Begleitumstände grundsätzlich nicht an. Unerheblich ist insbesondere, ob die Parteien das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit hatten und ob sie die Tatsachen kannten, die das Rechtsgeschäft sittenwidrig machen (BGH 94, 272).

Die Sittenwidrigkeit kann sich aus dem Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts ergeben, d.h. aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zwecks des Geschäfts ergeben. Zu berücksichtigen ist hier nicht nur der objektive Gehalt des Geschäfts, sondern auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, sowie die Absicht und Motive der Parteien. Es genügt wenn der Handelnde die Tatsache kennt, aus der sich die Sittenwidrigkeit ergibt. Zu dem objektiven Sittenverstoß muss also ein persönliches Verhalten hinzukommen, das dem Beteiligten zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage; Rdnr. 8 zu § 138).

Zu beachten ist, dass grundsätzlich nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig ist. Das Verfügungsgeschäft hingegen ist wertneutral, da es nur auf die Veränderung der Güterzuordnung abzielt, und daher nicht nichtig. In solchen Fällen muss das Geleistete dann über das Bereicherungsrecht zurückgefordert werden.

Eine Ausnahme besteht bei Sicherungsübereignung und Globalzession, wo auch das Verfügungsgeschäft sittenwidrig sein kann, nämlich dann, wenn ein Vertragspartner wirtschaftlich geknebelt wird oder wenn sich der Zessionar leichtfertig über die Belange von Geschäftspartnern des Zedenten hinwegsetzt.

a) Objektiver Sittenverstoß

Ein Sittenverstoß liegt vor, wenn das Rechtsgeschäft gegen das Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet:

aa) sittenwidriges Verhalten gegenüber dem Geschäftspartner

Schutzzweck des § 138 ist, dass er den Schwächeren vor wirtschaftlicher und intellektueller Übermacht schützen will.
In diese Fallgruppe fallen daher Knebelungsverträge, Verträge mit übermäßiger Freiheitsbeschränkung und Verträge, die unter Ausnutzung wirtschaftlicher Übermacht zustande gekommen sind.
Bei Ratenkreditverträgen ist eine Sittenwidrigkeit in der Regel dann anzunehmen, wenn der vereinbarte Zins doppelt so hoch ist, wie marktüblich. Bei Überschreiten des Zinssatzes um 200 % wird der subjektive Tatbestand unwiderleglich vermutet. Sittenwidrigkeit ist auch gegeben, wenn eine ausweglose Lage des Einen ausgenutzt wird.

ab) sittenwidriges Verhalten gegenüber der Allgemeinheit

Hierunter fallen gemeinschaftswidrige Rechtsgeschäft; Rechtsgeschäfte, die gegen die allgemeine Ehe- und Familienordnung verstoßen; Rechtsgeschäfte, die Bindungen über den sexuellen Intimbereich einer Person beinhalten; standeswidrige Rechtsgeschäfte.
Früher nahm man § 138 auch bei Mätressentestamenten an, bei denen nahe Angehörige zugunsten einer Geliebten zurückgesetzt wurden. Heute wird dies nur dann angenommen, wenn die letztwillige Zuwendung nichts anderes war, als ein Entgelt für die geschlechtliche Hingabe.

ac) sittenwidriges Verhalten gegenüber einem Dritten

Ein Sittenverstoß kann sich auch daraus ergeben, dass bestehende oder künftige Rechte Dritter beeinträchtigt werden.

b) Subjektive Kenntnis des Handelnden

Der Handelnde muss von den Umständen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt kennen oder grob fahrlässig nicht kennen. Das Wissen von Vertretern wird dem Geschäftsherren über § 166 I zugerechnet. In der Praxis wird die Kenntnis bei Vorliegen des objektiven Sittenverstoßes vermutet.

c) Weitere Begriffe des § 138

ca) Wucher

Als Prototyp für Sittenwidrigkeit erwähnt § 138 Abs. 2 BGB das Wuchergeschäft. Nichtig ist hiernach ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für Leistung Vermögensvorteile versprechen oder sich gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur vereinbarten Leistung stehen. Wenn ein solches auffälliges Missverhältnis vorliegt, lässt sich nicht allgemein entscheiden, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung des Einzelfalls.
Bei Zinsen ebenso wie bei marktgängigen Leistungen ist etwa auf das Verhältnis des Vertrags- zum Marktpreis abzustellen. Die Wuchergrenze liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ungefähr beim Zweifachen des Marktzinses (BGH, NJW-RR 1989, S. 1068). Beispielsweise wurde in einer Zinsphase von 8,6 % ein Zinssatz von 18,62 % als wucherisch bewertet (BGH, NJW-RR 1990, S. 1199). Unter dieses Verdikt fiel des Weiteren eine Provision von 50 000 DM für die Vermittlung eines Kredits von 450 000 DM (LG Aachen, NJW-RR 1987, S. 741). Als subjektive Voraussetzung für den Tatbestand des Wuchers gehört, dass der Wucherer die beim anderen Teil bestehende Schwächesituation (s. Pkt. cb – ce) ausgebeutet hat.

cb) Zwangslage

Von einer Zwangslage spricht man, wenn durch wirtschaftliches Bedrängnis, i.d.R. ein erhebliches Kreditbedürfnis – oder aus sonstigen Gründen für den Betroffenen ein zwingendes Bedürfnis nach einer Geld oder Sachleistung besteht. Es genügt für das Voraussetzen einer Zwangslage, dass dem Betroffenen schwere Nachteile drohen (BGH NJW 94, 1276).

cc)Unerfahrenheit

Unerfahrenheit kennzeichnet ein Mangel an Lebens- und Geschäftserfahrungen, was insbesondere bei Jugendlichen gegeben sein dürfte. Aber auch bei Alten, geistig Beschränkten und Aussiedlern. Dieses hat der BGH (NJW 1994 S. 1475) auch bei Bürgern der neuen Bundesländer für anwendbar gehalten, was sich aber vorwiegend auf Rechtsgeschäfte unmittelbar nach der „Wende„ bezogen hat.

cd) Mangelndes Urteilsvermögen

Ein mangelndes Urteilsvermögen ist gegeben, wenn der Betroffene nicht in der Lage ist, die beiderseitigen Leistungen richtig zu bewerten und die Vor- und Nachteile des Rechtsgeschäfts gegeneinander abzuwägen (etwa als Folge von Verstandsschwäche). Entscheidend ist hier, ob der Betroffene im konkreten Fall zu einer vernünftigen Beurteilung in der Lage ist. Eine allgemeine Schwäche des Urteilsvermögens ist weder erforderlich noch ausreichend (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage; Rdnr. 71 zu § 138).

ce) Erhebliche Willensschwäche

Eine erhebliche Willensschwäche ist gegeben, wenn der Betroffene zwar Inhalt und Folgen des Geschäfts durchschaut, sich aber wegen einer verminderten psychischen Widerstandsfähigkeit nicht sachgerecht zu verhalten vermag. Erfasst werden im wesentlichen die Fälle, in denen die Rechtsprechung das Merkmal „Leichtsinn„ bejaht (z. B. Alkohol- und Drogenabhängigkeit). Sie ist aber auszuschließen bei „Verführungen„ z. B. durch die Werbung (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 59. Auflage; Rdnr. 73 zu § 138).

Auch andere Umstände können zur Sittenwidrigkeit führen, insbesondere bei Ausnutzen des mangelnden Urteilsvermögens der Kunden für eine Gesamtbetrachtung.Beispiel dazu waren oftmals Time-Sharing-Verträge. Zu den Standardproblemen im Bereich des § 138 aber zählen nach wie vor die Sittenwidrigkeit bei wirtschaftlich überforderten Bürgen (vgl. Prof. Dr. J. Vahle „Die guten Sitten als Schranke im Wirtschafts- und Rechtsverkehr„, Verlag Neue Wirtschaftsbriefe Herne/Berlin, Nr. 3/2003.) Damit soll sich unser nächster Punkt beschäftigen.

d) Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft

Bis 1993 wurden durch die Banken eine bei Vergabe von Krediten geübte Absicherungspraxis dahingehend ausgeübt, auch nicht berufstätige und/oder mehr oder weniger vermögenslose Angehörige als Bürger mitzuverpflichten. Dieses war als nicht sittenwidrig anzusehen. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 trat eine Trendwende ein und Bürgschaften wurden verstärkt als sittenwidrig eingestuft.

Grundsätzlich bleibt es einem Volljährigen aufgrund der Vertragsfreiheit als Teil der Privatautonomie unbenommen, auch risikoreiche Verträge abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die die Bürgen schlechthin überfordern oder die nur unter besonders günstigen Bedingungen, notfalls unter Inanspruchnahme des pfändungsfreien Einkommens, erbracht werden können. Der Grundsatz der Privatautonomie gilt jedoch nicht grenzenlos, sondern eingeschränkt durch die Generalklausel der §§ 138 und 242 BGB (vgl. BverfG WM 93, 2199; WM 94, 1837). Unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze führen die vorerwähnten Tatbestandsmerkmale zur Sittenwidrigkeit.

Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts

      1. Die eingegangene Verpflichtung muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners bei weiten übersteigen. Dies bedeutet, dass die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden oder zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse keineswegs ausreichen, um wenigstens einen nennenswerten Teil der eingegangenen Verpflichtungen tilgen zu können (BGH WM 95, 900).
      Dabei ist eine Zukunftsprognose aufzustellen, die bei realistischer Betrachtungsweise alle Umstände berücksichtigt, die für eine Kreditentscheidung der Bank von Bedeutung sein können, insbesondere die Höhe der eingegangenen Verpflichtung, die Ausbildung, Fähigkeit und familiäre Situation des Schuldners sowie die Umstände, die Anhaltspunkte für eine finanzielle Besserstellung ergeben (z. B. eine zu erwartende Erbschaft), BGH WM 92, 2129).
      Einzubeziehen ist auch das zu erwartende Einkommen des Schuldners, da seine Zahlungen den Bürgen gem. § 767 Abs. 1 BGB vorrangig entlasten und hier eine Wirtschafts- und Risikogemeinschaft bilden (BGH WM 96, 522 m. w. N.).
      Zu berücksichtigen ist ferner, dass nunmehr, was die Dauer der Belastung angeht, nicht mehr auf das Ende der Erwerbstätigkeit, sondern auf das Lebensende abgestellt wird, aus der Erwägung heraus, dass sich auch im Rentenalter daraus Einkünfte erzielt und Vermögen gebildet werden können (vgl. BverfG WM 94, 1837).

      2. Der Bürge muss die Verpflichtung ohne eigenes Interesse oder wenigstens ohne überwiegendes Eigeninteresse eingegangen sein, d. h. die Haftungsübernahme darf für ihn keinen eigenen wirtschaftlichen Sinn haben (vgl. BGH WM 94, 1726).
      Entscheidend ist dabei, ob der Kredit der alleinigen Verfügung des Schuldners unterliegen soll oder ob auch der Bürge bzw. beide gemeinsam über die Verwendung entscheiden oder zumindest der Bürge aus dieser Verwendung selbst unmittelbare Vorteile zieht, so etwa wenn er Miteigentümer einer mit dem Kredit finanzierten Immobilie wird (siehe BGH WM 92, 2130).

      3. Die finanzielle Überbelastung des Bürgen muss das Ergebnis eines „strukturellen Ungleichgewichts„ sein. Eine solche strukturelle Unterlegenheit des Bankkunden (gestörte Vertragsparität) ist dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles vorliegen, die das Verhalten der Bank verwerflich und somit sittenwidrig erscheinen lassen.
      Dafür reicht nicht, dass der Bürge eine Verpflichtung übernimmt, die er nicht voll erfüllen kann, vielmehr setzt das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit weitere besondere erschwerende Umstände voraus., vgl. BGH WM 96, 519 ff. (521); BGH WM 92, 2129 ff. (2130); BVerfG WM 94, 1837 bis 1839).
      Diese besonderen Umstände werden z. B. dann angenommen, wenn der Bankkunde mit der Forderung nach einer Bürgschaftserklärung überrumpelt wird, die Bank die Verpflichtung bagatellisiert bzw. als reine Formsache bezeichnet oder wenn der Hauptschuldner, wie von der Bank gebilligt, seine persönlichen und familiären Beziehungen zum Verpflichteten ausnutzt und diesen unter seelischen Druck setzt, damit er die belastende Verpflichtung übernimmt. Die Bank muss die Umstände, die zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft führen, bei Vertragsabschluss kennen, zumindest müssen sich ihr diese Umstände aufgedrängt haben (BGH WM 95,900).
      Unterlässt die Bank entgegen banküblicher Gepflogenheiten die Überprüfung der Werthaltigkeit der Bürgschaft, so ist daraus zu schließen, dass ihr entweder die finanziellen Verhältnisse des Bürgen ohnehin bekannt waren oder sie sich der Erkenntnis, welchen geringen Wert die Sicherheit bietet, bewusst verschlossen hat (BGH WM 95, 238).

Unter Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ergibt sich für den konkreten Fall eindeutig die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft, wobei auf diese vom höchsten Gericht der Bundesrepublik Deutschland aufgestellten Grundsätze einzugehen ist.
      1. Der Familie steht somit als sichere Quelle nur ein Einkommen des Bürgen zur Verfügung, von denen der Ehegatte bzw. die Eltern erheblich zu unterstützen sind, da hier der Vorrang gegenüber dem Sozialhilfeanspruch gegeben ist.
      Bei der zur Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzustellenden Prognose ist davon auszugehen, dass kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt für eine Beschäftigung anderer Familienangehörigen, die ggf. Arbeitslosenhilfe bezieht, bestehen.
      Der Hauptschuldner wird in absehbarer Zeit wegen seiner hohen Verschuldung nicht leistungsfähig sein. Der zu bürgende müsste also allein von seinen Einkommen Tilgungsleistung vornehmen und Verzugszinsen bedienen. Allein an Verzugszinsen wäre die Pfändungsfreigrenze des § 850 c ZPO bereits bei Bürgschaftsabschluss gegeben gewesen. Das Einkommen des Bürgen in den nächsten 15 Jahren wird deshalb auch unter der Pfändungsfreigrenze liegen (zugestandenes Existenzminimum sukzessiv Unterhaltsverpflichtungen). Er wäre deshalb nie in der Lage, zur Rückführung der bis dato entstandenen Zinsen beizutragen. Die Prognose muss zeigen, dass der Bürge – bezogen auf das Lebenseinkommen – keine nennenswerten Tilgungsleistungen erbringen kann und konnte.

      2. Die Verbindlichkeiten wurden ohne ein überwiegendes Eigeninteresse eingegangen. D. h., Grund war weder ein kostspieliges Hobby noch andere Extravaganzen des Kreditaufnehmers bzw. des Bürgen.
      Über die Verwendung des Kredits entschied allein der Kreditnehmer, der als Geschäftsführer auch die unternehmerischen Entscheidungen traf. Wenn man hier die Höhe der Hauptschuld und des Bürgenrisikos sowie die mangelnde Fähigkeit zur Leistung des Bürgen in Beziehungen setzt zu dem aus der Kreditgewährung gezogenen Nutzen, muss jedenfalls ein überwiegendes Eigeninteresse des Bürgen verneint werden.

      3. Die finanzielle Überforderung des Bürgen muss auch das Ergebnis eines strukturellen Ungleichgewichts zwischen Bank und Bürgen darstellen. Durch das Handeln des kreditbetreuenden Mitarbeiters der Bank sollte in mehrfacher Hinsicht gegen das Prinzip der Vertragsfreiheit in zu missbilligender Art und Weise verstoßen, wobei die Bank sich deren Wissen und Verschulden nach §§ 166 Abs. 1 bzw. 278 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müssen:
      a) Bei der Unterzeichnung der Bürgschaft blieb keine echte Wahlmöglichkeit, da von der Entscheidung des Bürgen die Gründung des Unternehmens, dessen Fortbestand und damit auch seine Existenzgrundlage abhing. Der Bürge, der ohne Eigenkapital und Sicherheiten Versprechen der Bank anerkennen sollte, sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit seiner Familie, damit die Hereinnahme weniger werterhaltender Kreditsicherheiten (hier die Bürgschaft) nachvollziehen musste, hat die Vertragsparität weitgehend gestört.
      b) Die seelische Zwangssituation wurde durch das Kreditinstitut dadurch ausgenutzt, dass in rücksichtsloser Weise mittelbar durch den Kreditaufnehmer der Bürge zur Unterschriftsleistung veranlasst wurde. Das zeigt sich in der Unterschriftsleistung für die Bürgschaftserklärung ohne jegliche Beratung (ggf. noch außerhalb der Bankräume). Diese Verfahrensweise ist bei Banken sogar üblich. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Ehegatten (bzw. Verwandte in der ersten Linie) ihre finanziellen Angelegenheiten partnerschaftlich miteinander regeln, ohne Druck aufeinander auszuüben. Doch kann der Fall indes anders liegen: Der Kreditnehmer stand vor der Wahl, sich in das Heer der Arbeitslosen einzureihen oder sich auf Grund seiner Ausbildung selbständig zu machen.

      4. Diese Wahl wäre zwingend, nachdem seine bisherige Arbeitsstelle „rationalisie-rend verschwand„. Zur Rechtfertigung des Engagements musste sich der Kreditnehmer somit Sicherheiten herbeischaffen. Die Bank bedienten sich somit des Kreditsuchenden, dem sie die Existenzgefährdung vor Augen hielte und ihn drängte auf die Unterschrift des Bürgen hinzuwirken. Da sich der Familienangehörige diesen Anliegen nicht entziehen würde, und zwar aus ehelicher oder familiärer) Verbundenheit, liegt auf der Hand.
      Damit wird bewusst die erhebliche Gefahr einer Bürgschaft heruntergespielt, wobei der Bürge selbst Keinen Einblick in das übernommene Risiko hatte, da er im Regelfall keine kaufmännische Vorbildung besitzt und der Kreditnehmer die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen traf.
      Es muss davon ausgegangen werden, dass die Bank die Umstände, die die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft begründen, kannte. Zumindest müssen sich diese Umstände aufgedrängt haben. Die entsprechende Kenntnis, wie es mit Eigenkapital steht, muss zumindest der Bearbeiter kennen und die Bank muss sich die entsprechende Kenntnis ihres Mitarbeiters nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen.
      Anhand der vorgenannten Grundsätze hat in einem Musterprozess mit rechtskräftigen Urteil das Landgericht Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 10 O 4734/95 in einem ähnlich gelagerten Fall zu Gunsten des Bürgen entschieden und die Sittenwidrigkeit solcher Bürgschaftserklärungen eindeutig bejaht. Das bedeutet also, unter Anwendung von § 242 i.V.m. § 138 BGB sind solche Bürgschaften in der Regel sittenwidrig und deshalb nichtig. (vgl. Gunter Pirntke: Das Recht auf Sozialhilfe, Expert-Verlag 2002)
      Die Folge ist natürlich auch, dass ein weiterer Faktor für die mangelnde Kreditvergabe durch die Banken hinzukommt.
      Sittenwidrig können Verträge auch dann sein, wenn sie die wirtschaftliche Freiheit eines Vertragspartners so sehr beschränken, dass dieser die freie Selbstbestimmung verliert (BGHZ 44 S. 158). Man spricht hier von sogenannten Knebelungsverträgen. Das können z. B. Verträge mit überhöhter Laufzeit sein. Hier würde dann auch noch das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen greifen. Wie ist das mit Dienstverträgen des Arbeitsrechts? Dazu der nächste Punkt.


6. Kündigung eines homosexuellen Arbeitnehmers während der Probezeit

Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Im Rahmen einer solchen, einerseits die Grundrechte der Vertragsfreiheit (Kündigungsfreiheit) und andererseits die Rechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit konkretisierenden Generalklausel sind diese Rechte gegeneinander abzuwägen. Insofern ist es rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitgeber unter Ausnutzung der Privatautonomie dem Arbeitnehmer nur wegen seines persönlichen (Sexual-) Verhaltens innerhalb der Probezeit kündigt. Zum Sachverhalt:

Die Beklagte stellte den Kläger am 1. Februar 1991 als Außendienstmitarbeiter für Verbandsstoffe und Watte ein. Im Arbeitsvertrag war eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart, während der das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden konnte. Mit Schreiben vom 21. März 1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. April 1991 und stellte den Kläger von der Arbeit frei.

Der Kläger behauptet, die Kündigung sei allein wegen seiner homosexuellen Neigung ausgesprochen worden. Sein Arbeitskollege, Herr W , habe ihn vor Ausspruch der Kündigung gefragt, ob er homosexuell sei. Dies habe er wahrheitsgemäß bejaht.

Nachdem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht die Klage verworfen haben, legte der betroffene Kläger Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.

In Fortführung der Rechtsprechung hält der BAG-Senat auch eine Probezeitkündigung für treuwidrig, die bei bestätigten guten Leistungen nur wegen der Homosexualität des Arbeitnehmers ausgesprochen wird.

Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass der Grundsatz von Treu und Glauben eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung bildet. Das gilt auch für die mittels einer Kündigung ausgeübte Gestaltungsmacht, die - das ist dem gesamten Kündigungsrecht eigen - einer richterlichen Rechtskontrolle unterliegt Bei der Konkretisierung einer solchen Generalklausel wie des Grundsatzes von Treu und Glauben sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 7, 198, 204 f.; 42, 143, 148; Beschluss vom 19. Oktober 1993 - 1 BvR 567/89 u. 1044/89 - BB 1994, 16, 20 f.), die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie, das Recht auf Achtung der Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu berücksichtigen. Indem § 242 BGB ganz allgemein auf die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben verweist, wird von den Gerichten eine Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen verlangt, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden; bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift sind die Grundrechte als "Richtlinien" zu beachten (BVerfGE 7, 198, 206).

Daraus folgt zunächst, dass es Verkehrssitte sowie Treu und Glauben nicht widerspricht, wenn die Beklagte als Gläubiger der vom Kläger geschuldeten Arbeitsleistung innerhalb der Probezeit von dem ihr durch den Grundsatz der Privatautonomie eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch macht. Die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen ist ein Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Privatautonomie als "Selbstbestimmung des einzelnen im Rechtsleben" (BVerfG vom 19. Oktober 1993, aaO, m. w. N.). Die Privatautonomie ist jedoch notwendigerweise begrenzt. Ihrer Ausübung stehen die Rechte gleichrangiger Grundrechtsträger gegenüber. Der Betroffene hat seinerseits ein Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, Art. 2 Abs. 1 GG. Dieses Grundrecht umfasst auch die Freiheit, die Privatsphäre im Bereich des Geschlechtslebens nach eigener Entscheidung zu gestalten (BVerfGE 60, 123, 146 m. w. N.). Zwar berührt die Kündigung nicht unmittelbar das Recht des Klägers, einen gleichgeschlechtlichen Partner zu wählen und mit diesem in einer eheähnlichen Gemeinschaft zu leben. Die Kündigung entzieht ihm jedoch bei ungleichen Bedingungen im Verhältnis zu einem heterosexuell orientierten Arbeitnehmer, dem die Beklagte bei erfolgreicher Zusammenarbeit in der Probezeit nicht gekündigt hätte, nur um deswillen die ökonomische Basis und beeinträchtigt damit auch die Möglichkeit der selbst gewählten Lebensführung, weil er homosexuell veranlagt ist. So wie das Landesarbeitsgericht den Sachverhalt als zutreffend unterstellt, nämlich dem Kläger sei nur wegen seiner Homosexualität gekündigt worden, und der Kläger dies dahin ergänzt, obwohl er die in ihn gesetzten beruflichen Erwartungen erfüllt habe, läuft dies auf eine Disziplinierung seines Geschlechtsverhaltens hinaus. Auf der Grundlage des vom Landesarbeitsgerichts unterstellten Sachverhalts (... nur erfolgt ist, weil ...) ist auch ausgeschlossen, dass es andere Motivationen oder überhaupt kein beschreibbares Kündigungsmotiv der Beklagten gab. Bei dieser Sachlage können eventuell berechtigte Bedürfnisse der Beklagten - etwa wegen Auswirkungen des klägerischen Lebenswandels auf die Zusammenarbeit der Mitarbeiter, den Betriebsfrieden, Kundenbeziehungen etc - nicht angenommen werden. Die Beklagte hat sich bisher auf etwas derartiges auch nicht berufen. Die Verpflichtungen des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber enden grundsätzlich dort, wo sein privater Bereich beginnt. Die Gestaltung des privaten Lebensbereiches steht außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und wird durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, als sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und dort zu Störungen führt. Berührt außerdienstliches Verhalten den arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht, so ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, seine Missbilligung über ihm bekannt gewordene Umstände aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Ausspruch einer Kündigung zu äußern. Dies gilt umso mehr, als diese Umstände dem Intimbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind. Der Arbeitgeber ist durch den Arbeitsvertrag nicht zum Sittenwächter über die in seinem Betrieb tätigen Arbeitnehmer berufen (LAG Düsseldorf vom 24. Februar 1969, DB 1969, 667, 668). Vorliegend muss - mangels Sachverhaltsaufklärung durch Arbeits- und Landesarbeitsgericht - zugunsten des Klägers weiter unterstellt werden, dass die Beklagte den Kläger durch einen Mitarbeiter "ausgehorcht" hat und unter Ausnutzung der so gewonnenen Erkenntnisse sich auf die Kündigungsfreiheit berief. Dies stellt eine Missachtung der Persönlichkeit des Klägers dar - auch der betreffende Mitarbeiter soll sich als "benutzt" bezeichnet haben - und enthält damit die treuwidrige Ausnutzung einer Rechtsposition - mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 19. Oktober 1993, eine Durchsetzung des "Rechts des Stärkeren". Dieses Gebrauchmachen von Privatautonomie stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar. Allerdings ist die Vorschrift des § 242 BGB neben § 1 KSchGnur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen können, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt.

Nichts anderes gilt für die Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden würde (ständige Rechtsprechung; vgl. BAG Urteil vom 21. März 1980 - 7 AZR 314/78 - AP Nr. 1 zu § 17 SchwbG; BAGE 44, 201, 209 = AP Nr. 29 zu § 102 BetrVG 1972; BAGE 61, 151 = AP Nr. 46 zu § 138 BGB). Typische Tatbestände der treuwidrigen Kündigung sind insbesondere widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, Ausspruch der Kündigung in verletzender Form oder zur Unzeit (BAGE 28, 176, 184 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit; Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 174/83 - AP Nr. 88 zu § 626 BGB). (vgl.: BAG 23. 6. 1994 - 2 AZR 617/93, BAGE 77, 128 = NZA 1994, 1080).

Fassen wir zusammen: Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung nach der genannten Rechtsprechung als unzulässig angesehen wird. Welche Anforderungen sich aus Treu und Glauben ergeben, lässt sich dabei nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles entscheiden.

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