Hinweis:
Dieses Skript behandelt den 14. Abschnitt des StGB ("Beleidigung"), soweit er zum Pflichtstoff der Ersten juristischen Staatsprüfung in Mecklenburg-Vorpommern gehört. Es ist die
Kurzfassung, die in der Vorlesung ausgegeben worden ist. Diese Kurzfassung soll Ihnen dazu dienen, sich die Grundlagen zu erarbeiten. Dabei sollen Sie zunächst selber über die Fälle nachdenken.
Zu diesem Skript gibt es eine
Langfassung auf der
Seite meines Lehrstuhls an der Universität Rostock, und zwar unter "Strafrechtliche Texte". Dort finden Sie zahlreiche Ergänzungen, vor allem die Lösungen zu den Fällen. Die Langfassung dient so der Lernkontrolle und Vertiefung.
I. Beleidigung (§ 185)
1. Das Tatobjekt
Klar ist, dass
jeder Mensch als Tatobjekt tauglich ist.
Fall 1:
Der Krankenhausseelsorger Pastor P besucht die unverheiratete
Mutter M des Neugeborenen K und meint, bei diesem „Kind der
Sünde“ wundere er sich nicht, dass es hässlich sei „wie
ein Affe“.
Eine im Examen beliebte Frage
ist die, ob
Personengemeinschaften als solche beleidigt werden
können.
Fall 2:
Zur Pflege sportlich-geselliger Beziehungen haben sich acht
Ehepaare zum Kegelclub „In die Vollen“ zusammengeschlossen. Herr M,
der sich mit seiner Frau vergeblich um Aufnahme bemüht hat, beschimpft den
Club mit den Worten: „Das ist doch eine ganz primitive, als Kegelclub
getarnte Säuferbande.“
2. Das Beleidigen
Beleidigung ist die Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung.
a)§§Man muss hier genau wie bei anderen Delikten zwischen
dem
Rechtsgut „Ehre“ und seinem Träger
unterscheiden.
Fall 3:
Die Kneipenwirtin K verweigert dem ihr unbekannten Gast G
hartnäckig das bestellte Bier, weil sie weiß, dass er mit dem eigenen
Wagen nach Hause fahren will. Obwohl G im Grunde Ks Fürsorge und
Standfestigkeit anerkennt, ärgert er sich und spuckt ihr ins
Gesicht.
Geht es demnach auch bei § 185 um die Verletzung eines
spezifischen Rechtsgutes, dann muss man dieses auch
eingrenzen.
Das heißt: Die Missachtung des Rechtes auf Ehre ist streng zu
unterscheiden von der Missachtung anderer
Rechte.
Fall 4:
Der Einbrecher T steigt durch ein Fenster in die Wohnung des O und
entwendet Sachen. O stellt später Strafantrag, u.§a. wegen Beleidigung
mit der Begründung, er sehe sich durch ein dermaßen
unverschämtes Verhalten missachtet und gedemütigt.
Fall 5:
Der
Gefängniswärter W spritzt den Gefangenen G mit einem kräftigen
und eiskalten Wasserstrahl minutenlang ab, um ihm klar zu machen, wie wenig er
im Gefängnis wert sei.
Fall 6:
T nutzt das Gedränge in der Disco und grabscht der O überraschend
mit beiden Händen an den Busen.
Lehrreich: BGHSt 36, 145 (147 ff.).
b)§§Die Ehre ist (wie jedes Rechtsgut) nur geschützt,
soweit man sie hat. Soweit jemand keine Achtung verdient, hat er auch keinen
Anspruch darauf, in Ehren gehalten zu werden. Geschützt ist also nur der
verdiente Ehranspruch (s. z.§B. Wessels/Hettinger, BT
1
24, Rn 513).
Fall 7:
A weiß von B, dass er Kinder für Pornofilme missbraucht.
Er ruft ihn an und sagt u.§a.: „Sie Kinderschänder, ich
verabscheue Sie zutiefst!“
Beachten Sie aber die Grenze, die §§192 (Beleidigung trotz
Wahrheitsbeweises) zieht!
c)§§Problematisch und umstritten ist, was für die
Kundgabe zu verlangen ist. Ich empfehle, mit der h.§M.
(Lackner/Kühl
23, §§185 Rn§7;
Tröndle/Fischer
50, § 185 Rn§5; Wessels/Hettinger,
BT§1
24, Rn 487) ganz konsequent danach zu fragen, ob
irgendjemand die Äußerung
gerade als Missachtung verstanden
hat.
Fall 8:
Der Russlandaussiedler R hat eine Wohnung in Rostock gemietet. Im
selben Haus wohnt D, der sich über den Einzug ärgert. Er schreibt R
einen Brief mit hässlichen Beschimpfungen. R kann deutsche Texte noch nicht
lesen.
a) Er wirft den Brief weg.
b) Er lässt ihn sich ein paar Tage später
übersetzen.
Fall 9:
Der chinesische Gastprofessor C macht sich den Spaß, eine Studentin der
Universität Rostock mit lächelnder Miene auf chinesisch als mieses
Flittchen zu bezeichnen, das es gewiss mit jedem treibe.
d)§§Keine
Beleidigung ohne
konkretes Opfer: Es muss immer erkennbar sein, wer der
Missachtete ist.
Fall 10 (BGHSt 36, 83, 87):
A
veröffentlicht ein Flugblatt, in dem er „den Soldatenberuf mit der
Tätigkeit von KZ-Aufsehern, Henkern und Folterknechten
vergleicht“.
Fall 11:
Demonstrant D schreibt einen Leserbrief, in dem es heißt:
„Die Polizisten bei dem Einsatz letzten Mittwoch gegen unsere Demo waren
alle brutale Schläger.“
e)§§Die Beleidigung kann durch
ehrmissachtende
Werturteile und (streng sachliche)
Behauptung ehrenrühriger
Tatsachen geschehen.
Fall 12:
Professor P hält seiner Sekretärin S – objektiv zu
Unrecht – vor, sie habe die von ihm verfassten Lösungshinweise zu
einer Examensklausur einigen Kandidaten offenbart.
Fall 13:
Wie Fall 12, aber P stellt seine
Behauptung in Abwesenheit der S im Gespräch mit dem Assistenten A auf.
Dabei hält er für möglich, der S Unrecht zu tun.
f)§§Üblicherweise
verneint man eine strafbare Beleidigung bei „
ehrverletzenden
Äußerungen über (nichtanwesende) Dritte
in besonders
engen Lebensbereichen“ dann, wenn sie „Ausdruck des besonderen
Vertrauens sind und nicht die begründete Möglichkeit der Weitergabe
besteht“ (S/S-Lenckner
26, Vor §§185 Rn§9). Die
Begründung, die genauere Eingrenzung und selbst die Einordnung im
Deliktsaufbau sind umstritten.
II. Üble Nachrede (§§186)
1. Tatsache, welche einen anderen verächtlich zu machen oder in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist
a)§§„
Tatsachen“ sind nach der
gängigen Definition
vergangene und gegenwärtige Geschehnisse und
Zustände der Außenwelt und des menschlichen Innenlebens
(S/S-Lenckner
26, §§186 Rn§3;
Tröndle/Fischer
50, §§186 Rn§2; Wessels/Hettinger,
BT§1
24, Rn§492).
b)§§Die Tatsache muss den anderen
„
verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung
herabzuwürdigen geeignet“
sein.
Fall 14:
Um seine Konkurrenten A, B, C und D bei der Beförderung
auszustechen, erzählt T wahrheitswidrig herum,
a) A sei manisch-depressiv,
b) B sei Alkoholiker,
c) C sei homosexuell und
d) D sei zuckerkrank.
2. Behaupten oder Verbreiten
a)§
aa)§§Üblicherweise versteht man unter
Behaupten „eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr
hinstellen“ (Lackner/Kühl
23, §§186 Rn 5). Kein
Behaupten sei es dagegen, „wenn der fragliche Sachverhalt nur als
möglich dargestellt wird“ (S/S-Lenckner
26, §§186
Rn 7). Die h.§A. hält sich aber (zu Recht) praktisch nicht an die
eigene Definition.
Fall 15:
T lebt in einer Wohngemeinschaft zusammen mit X, Y und Z. Er
vermisst einen 100-DM-Schein und sagt zu seinem Kommilitonen K,
a) er halte für möglich, dass X ihn bestohlen habe.
b) er sei von der Möglichkeit überzeugt, dass X ihn bestohlen
habe.
c) er sei überzeugt, dass entweder X, Y oder Z ihn bestohlen habe.
In Wahrheit hat ein auswärtiger Besucher den Geldschein gestohlen.
Fall 16:
Rechtsanwalt R erklärte in einer Verfassungsbeschwerde gegen
ein Urteil, „zumindest rein theoretisch sei eine Bestechlichkeit der
Richter nicht völlig auszuschließen, ohne dass allerdings konkrete
Anhaltspunkte vorlägen. Diese Verdächtigung wiederholte er mehrfach,
um sie dann jeweils wieder abzuschwächen und in Frage zu stellen, jedoch
mit dem Hinweis, seine Ausführungen so ernst aufzufassen, wie sie
tatsächlich gemeint seien.“
Fall 17:
Professor P äußert im Hörsaal die
Überzeugung, es sei mit Sicherheit ein Student der RUB gewesen, der ihm
seinen Medicus gestohlen habe.
bb)§§Man
verlangt für die Vollendung des § 186 wie bei § 185, dass
„die Äußerung zur
Kenntnis eines Dritten gelangt
ist“ (S/S-Lenckner
26, §§186 Rn§17).
b)§
aa)§§
Verbreiten wird definiert als
„die Mitteilung einer ehrenrührigen Tatsache als Gegenstand fremden
Wissens und fremder Überzeugung durch Weitergabe von – wirklichen
oder angeblichen – Tatsachenbehauptungen anderer, die sich der Täter
nicht selbst zu Eigen macht und für deren Richtigkeit er daher auch nicht
eintritt“ (S/S-Lenckner
26, §§186 Rn 8). Auch diese
Definition sollten Sie aber nicht zu wörtlich
nehmen.
Fall 18:
Der bettlägerige A hat in einem „offenen Brief“
an seinen Nachbarn schwere und unwahre Vorwürfe zu Papier gebracht. Zu
Weiterem unfähig, lässt er seinen Freund F den Brief lesen und bittet
ihn, den Brief zu vervielfältigen und an bestimmte Nachbarn zu schicken. F
tut das.
bb)§§
Umstritten ist die Frage, ob man Tatsachen
auch durch das
Schaffen ehrenrühriger Sachlagen
(„kompromittierende Tatsachenmanipulationen“)
„verbreiten“ kann.
Fall 19:
A feiert seine Beförderung zum Abteilungsleiter. B, der sich
auch beworben hatte, hegt tiefen Groll und will A kompromittieren. Er legt
heimlich einen Kinderporno in As Videorecorder. Als er später unter dem
Vorwand, eine Tennisübertragung zu suchen, den Apparat einschaltet,
läuft der Pornostreifen und die Gäste gewinnen einen für A
äußerst peinlichen Eindruck.
cc)§§Der Täter muss die Tatsache „
in
Beziehung auf einen anderen“ behaupten oder verbreiten.
Fall 20:
Die Grundschullehrerin L sagt im Lehrerzimmer: „Die kleine
Sophie hat den ganzen Rücken voll mit blauen Striemen.“ Sie
weiß, dass ihre Kollegen den starken Verdacht schöpfen werden,
Sophies Vater habe sein Kind misshandelt.
3. „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist“
Die Nichterweislichkeit der Wahrheit ist kein Tatbestandsmerkmal, sondern
eine
objektive Bedingung der Strafbarkeit. Sachlich das Gleiche bedeutet
es, wenn man – umgekehrt – die Erweislichkeit der Wahrheit als
Strafausschließungsgrund bezeichnet. Vorsatz hinsichtlich der
Nichterweislichkeit braucht der Täter also nicht zu haben. – Beachten
Sie die Beweisregel in §§190!
III. Verleumdung (§§187)
§§187 ist laut JAPO kein Pflichtstoff. Die
Vorschrift lässt sich aber in einer Fallbearbeitung nicht von § 186
trennen.
Beachten Sie, dass nach §§187 auch das
Behaupten oder Verbreiten einer Tatsache in Beziehung auf einen anderen strafbar
sein kann, „welche ... dessen Kredit zu gefährden geeignet
ist“! In den beiden anderen Alternativen (Ehrenrührigkeit) ist die
Verleumdung eine qualifizierte üble Nachrede: Sie verlangt zusätzlich
im objektiven Tatbestand (über die Nichterweislichkeit der Wahrheit hinaus
sogar) die Unwahrheit der Tatsache (wobei §§190 zu beachten ist) und
im subjektiven, dass der Täter wider besseres Wissen
handelt.
IV. Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§§189)
§§189 ist laut JAPO kein
Pflichtstoff. – Die Verunglimpfung des Andenkens kann geschehen durch
Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung, setzt aber eine besonders
schwere Ehrkränkung voraus (S/S-Lenckner
26, §§189 Rn
2; SKStGB-Rudolphi
1996, §§189 Rn§3) oder jedenfalls
eine „erheblichere Ehrenkränkung“ (BGHSt 12,
366).
V. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§§193)
Die h.§M. sieht in §§193 einen Rechtfertigungsgrund für
tadelnde Urteile usw., bei denen die besonderen Strafbarkeitsvoraussetzungen
nicht vorliegen (s. nur BVerfGE 12, 125; BGHSt 18, 184;
S/S-Lenckner
26, §§193 Rn§1;
SKStGB-Rudolphi
1996, §§193 Rn§1).
Tadelnde Urteile über wissenschaftliche,
künstlerische oder gewerbliche Leistungen
Äußerungen, welche zur Ausführung
oder Verteidigung von Rechten gemacht werden
Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten
gegen ihre Untergebenen
Dienstliche Anzeigen oder Urteile von Seiten
eines Beamten
Äußerungen, welche zur Wahrnehmung
berechtigter Interessen gemacht werden
Fast schon eine
Auffangklausel. Hier nennt das Gesetz abstrakt den Grund, der bei allen in
§§193 genannten Äußerungen zum Erlaubtsein der
Äußerung führt, nämlich das Vorhandensein eines
überwiegenden Interesses, das für die Äußerung
streitet.
Ähnliche Fälle
Der
Prüfungsgang bei §§193 ist ähnlich wie der in
§§34:
1. Es muss ein berechtigtes Interesse (nicht unbedingt eines des
Täters selber) vorliegen.
2. Die Äußerung muss zur Wahrnehmung des Interesses geeignet und
erforderlich sein.
3. Das wahrgenommene Interesse muss das Interesse des Opfers am Ehrschutz
überwiegen (Interessenabwägung).
VI. Strafantrag (§§194)
§ 194 regelt die Verfolgbarkeit der
Beleidigungsdelikte (§§§185§ff.) in höchst
differenzierter Weise. Lesen!