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Ist der Angriff auf den Irak völkerrechtswidrig?
jurawelt-Redaktion, 24. März 2003



Ist der Angriff auf den Irak völkerrechtswidrig?


Der folgende Überblick enthält ein mögliches Prüfungsschema und stützt sich auf Ergebnisse der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion zur Rechtfertigung von Interventionen. Kurzstatements von Völkerrechtlern in den Medien auf beiden Seiten des Atlantiks wurden nur in Ansätzen berücksichtigt, weil sich neue Begründungsstränge daraus allenfalls vage ableiten lassen.

Bei dem militärischen Angriff auf den Irak handelt es sich um einen Verstoß gegen das Gewaltverbot in Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta. Zu prüfen ist, ob es Gründe gibt, die diesen Verstoß völkerrechtlich legitimieren.

1. Selbstverteidigung gem. Art. 51 S.1 UN-Charta: Dazu müssten die USA oder ein anderes Land (das bei der kollektiven Selbstverteidigung nicht notwendigerweise an der Kriegsallianz beteiligt sein muß) vom Irak mit Waffen angegriffen worden sein. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, einen solchen Angriff nachzuweisen. Insbesondere wurde der Argumentationsfaden, wonach es Verbindungen zwischen der irakischen Regierung und dem Terrornetzwerk El Qaida gebe, das für die Anschläge vom 11.09.2001 verantwortlich gemacht wird, auch von den USA selbst nur halbherzig verfolgt (für ein Selbstverteidigungsrecht der USA aber Meesen in: Handelsblatt, 24.03.2003, S. 5, der das Überleben des Staates USA durch den Irak und unbewiesene Verbindungen zum Internationalen Terrorismus gefährdet sieht).

2. Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat (diese Möglichkeit als solche bezweifelt für die Irak-Krise Reinhard Merkel in: DIE ZEIT, 13.03.2003, S. 41): Während von der politischen Führung der USA die Bedeutung der UNO-Organe zunehmend heruntergespielt wurde, hat vor allem der britische Premier-Minister Blair seine Rechtfertigung in entscheidenden Punkten auf die Resolution 1441 vom 8. November 2002 des Sicherheitsrates gestützt.

a) Dagegen spricht zunächst, dass es bis zuletzt weltweite diplomatische Bemühungen gab, eine weitere Sicherheitsrats-Resolution mit einer ausdrücklichen Interventionsermächtigung zustande zu bringen. Allerdings kann dies auch politischen Gründen geschuldet gewesen sein. Juristisch ergibt sich daraus kein zwingendes Argument gegen eine Ermächtigungswirkung der letzten Irak-Resolution (vgl. auch Kirgis in ASIL Insights vom 18.03.2003, www.asil.org/insights/insigh99.htm).

b) Damit kommt es auf den Inhalt der Resolution 1441 vom 8. November 2002 an (eine Kurzanalyse dazu findet sich in: DIE ZEIT, 20.03.2003, S. 6). Sie enthielt zunächst die Feststellung, der Irak habe seine Verpflichtungen aus den bisherigen Resolutionen, insbesondere seine Pflicht zur Abrüstung, in schwerwiegender Weise verletzt. Danach setzt sie das im Grunde immer noch gültige, durch den Kriegsbeginn auf Entscheidung der UNO hin aber unterbrochene Inspektorenregime ein. Falsche oder fehlende Angaben durch den Irak sollen als weitere gravierende Pflichtverletzungen behandelt und unmittelbar dem Sicherheitsrat zur Kenntnis gebracht werden. Im letzten Absatz schließlich betont die Resolution, der Rat habe den Irak wiederholt vor ernsten Konsequenzen gewarnt, wenn er seine Pflichten weiterhin verletze. Auf diese Formulierung sowie auf die Ankündigung von Beratungen im vorherigen Absatz (nur Beratungen seien noch erforderlich, aber kein zusätzlicher Beschluß mehr) könnten die Kriegsteilnehmer ihr Recht zur Intervention stützen. Dies ist freilich angreifbar, da etwa die angriffslegitimierende Resolution 678 vom 29. November 1990 die Alliierten von Kuwait noch ausdrücklich zur Anwendung aller notwendigen Mittel autorisiert hat. Mehr als eine Warnung enthält die Resolution 1441 vom 8. November 2002 nicht, hinzu kommt noch, daß sie im Falle einer Pflichtverletzung die sofortige Befassung des Sicherheitsrates mit der Sache vorsieht, von einer alternativen Konsequenz ist keine Rede. Damit ist diese Resolution sogar schwächer formuliert, als die Kosovo-Resolution 1199 vom 23. September 1998, die nach hM keine Legitimation für eine Intervention darstellte. Schließlich ist es auch außerordentlich umstritten, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt. Die aufwendige Inszenierung des amerikanischen Außenministers vor dem Sicherheitsrat hat die diesbezügliche Skepsis eher erhöht, denn ausgeräumt. Daher kann der Angriff nicht auf die Resolution 1441 gestützt werden.

c) Denkbar wäre ggf. eine nachträgliche Autorisierung durch den Sicherheitsrat. Eine solche wurde etwa im Anschluß an die Kosovo-Intervention von 1999 in einzelnen Resolutionen des Sicherheitsrates gesehen (so immer noch: Wolfrum in: SZ, 22.03.2003). In diesem Falle sieht jedoch inzwischen die Mehrheitsmeinung keine Stütze für die Intervention durch den Sicherheitsrat mehr, weder vorher noch nachträglich (vgl. Wodarz, "Gewaltverbot, Menschenrechtsschutz und Selbstbestimmungsrecht im Kosovo-Konflikt", Frankfurt a.M. u.a., 2001).

d) Zuletzt enthalten auch frühere Irak-Resolutionen keine Ermächtigungsgrundlage, die sich für den Angriffskrieg der USA und ihrer Verbündeten heranziehen ließe (vgl. zum Ganzen aus der Tagespresse: Ulrich in SZ, 19.03.2003, S. 5; Zumach in: taz, 19.3.2003, S. 5). Soweit etwa der nicht vollständig erfüllte Auftrag der Res. 678 vom 29. November 1990 geltend gemacht wird, entsteht ein kaum aufzuklärender Widerspruch zur Resolution 1441 vom 8. November 2002, die in Fortführung des Ziels früherer Resolutionen eben nicht zur Gewaltanwendung ermächtigt. Und ein Bruch der Waffenstillstandsresolution 687 vom 3. April 1991, worauf u.a. das von der US-Regierung häufig angeführte Argument der mangelnden Bereitschaft des Irak zur Abrüstung abzielte, scheitert an einem akuten Beweisproblem, da die Waffeninspektionen dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte ergeben haben, und angesichts des klaren Inhalts der Res. 1441 vom 8. November 2002 eine neue Resolution hinsichtlich einer Intervention erforderlich gewesen wäre.

3. Präventive Selbstverteidigung: Die von der amerikanischen Sicherheitsdoktrin neu eingeführte Politik der Präventionskriege kann ebenfalls nicht als Grundlage für die Intervention dienen. Zwar ist die Möglichkeit vorbeugender Verteidigungshandlungen im Völkerrecht nicht völlig ausgeschlossen, sie wurde namentlich im Fall "Caroline" relevant (vgl. The Caroline (exchange of diplomatic notes between Great Britain and the United States, 1842), 2 J. Moore, Digest of International Law 409, 412 (1906)) und vom Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg bestätigt (vgl. Kirgis, Pre-emptive Action to Forestall Terrorism, in: ASIL Insights, June 2002, online unter: www.asil.org/insights/insigh88.htm). Auch Israel hat sich vereinzelt auf dieses Instrument berufen (vgl. Schiedermair in: sueddeutsche.de, 06.03.2003). Jedoch sind die Voraussetzungen sehr eng, erforderlich ist eine gegenwärtige weit überwiegende Notwendigkeit, die keine Wahl der Mittel zulässt und keinen Aufschub duldet. Diese Voraussetzungen sind im Irak-Fall in keiner Weise belegt, und Argumente für einen Gewohnheitsrechtswandel sind spärlich (siehe Kirgis, aaO., der diesen Argumentationsweg zwar einschlägt, schließlich jedoch ohne nähere Begründung nicht weiterverfolgt, ausführlicher Nolte in: Handelsblatt, 24.03.2003, S. 5). Damit ergibt sich auch aus präventiver Selbstverteidigung kein Rechtfertigungsgrund (ebenso mit ausführlicher Begründung etwa Murswiek in: SZ, 20.03.2003, S. 2).

4. Notstand: Dieser Rechtfertigungsgrund basiert auf Völkergewohnheitsrecht, er findet sich insbesondere in Art. 25 Draft Articles on State Responsibility (online unter: www.un.org/law/ilc/texts/State_responsibility/responsibilityfra.htm). Gegen seine Anwendung auf den vorliegenden Konflikt sprechen jedoch zahlreiche Gründe. Zum einen enthält schon das Recht der Staatenverantwortlichkeit einen Ausschluß der Gewaltanwendung im Sinne der UN-Charta, Art. 19, 50 Abs. 1 (a) Draft Articles on State Responsibility. Ersterer Artikel bezeichnet den Angriffskrieg sogar als "Internationales Verbrechen". Zudem geht dem Völkergewohnheitsrecht das Konventionsrecht in Form der UN-Charta vor, so dass ein Verstoß gegen das Gewaltverbot in Art. 51 S. 1 UN-Charta nicht aufgrund Notstand zu rechtfertigen wäre. Zuletzt stellt das Gewaltverbot anerkanntermaßen ius cogens dar, es kann damit nicht durch andere Gewohnheitsrechtssätze suspendiert werden (vgl. zum Ganzen eingehend Tomuschat, EuGRZ 2001, 539).

5. Humanitäre Intervention: Die Kriterien für dieses überaus umstrittene Instrument sind noch sehr unklar. Der Sicherheitsrat hat solche Interventionen teilweise autorisiert, etwa in Somalia sowie nach einer Mindermeinung im Kosovo-Konflikt. Die vorliegende Krise findet ihre Wurzel jedoch nur sehr bedingt in den humanitären Katastrophen, die sich im Irak abgespielt haben. Denn diese hatten längst begonnen, als viele der heutigen Gegner des Regimes mit diesem noch beste wirtschaftliche und politische Beziehungen pflegten. Auch beim dem Krieg von 1991 spielten humanitäre Aspekte eine untergeordnete Rolle. In der entscheidenden Resolution 678 wurden sie nicht einmal erwähnt, dies geschah erst wieder am Rande und ohne gesonderte Konsequenzen in der Resolution 688 wegen der Behandlung einzelner Volksgruppen, insbesondere der Kurden, durch das Regime in Bagdad. Nicht vergessen werden sollte darüber hinaus, daß die humanitären Krisen der letzten Jahre in nicht geringem Ausmaß dem Sanktionsregime geschuldet waren, das 1991 über den Irak verhängt worden ist. Auch dieser Rechtfertigungsgrund scheidet daher aus.

Ergebnis: Der Verstoß gegen das Gewaltverbot durch den Angriff auf den Irak ist nicht gerechtfertigt und daher völkerrechtswidrig.

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