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Artikel 1839

Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts und deren Rechtsfolgen

1. Rechtmäßigkeit/Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts

Der Verwaltungsakt ist fehlerhaft (d.h. rechtswidrig), wenn er den Anforderungen nicht entspricht, die die Rechtsordnung an ihn stellt. Der Verwaltungsakt entspricht nicht den rechtlichen Anforderungen, wenn er erlassen wurde, obwohl die Behörde im konkreten Fall nicht zum Erlaß eines Verwaltungsaktes befugt war (ihr fehlte die Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsakts, die sog. Verwaltungsaktbefugnis). Des weiteren kann der Verwaltungsakt in formeller und materieller Hinsicht mit der Rechtsordnung kollidieren. Stellt sich nach der Prüfung des zu untersuchenden Verwaltungsaktes dessen Fehlerhaftigkeit heraus, so sind die differenzierten Rechtsfolgen (Fehlerfolgen) zu behandeln, die sich im Zusammenhang mit der Fehlerhaftigkeit ergeben. Zwar besitzt das formelle Recht in der deutschen Rechtsordnung nicht die Relevanz wie beispielsweise im US-amerikanischen Recht, wo ein ordnungsgemäßes Verfahren („due process“) die sachliche Richtigkeit einer Entscheidung indiziert.[1] Aber auch im deutschen Recht führen formelle Fehler zur Fehlerhaftigkeit und zur Regelfolge der Rechtswidrigkeit (nicht notwendigerweise der Nichtigkeit). Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund des Art. 20 III GG selbstverständlich, sondern ergibt sich auch aus § 59 II Nr. 2 VwVfG, wonach ein verwaltungsrechtlicher Vertrag, der statt des Erlasses eines Verwaltungsaktes geschlossen wird (subordinationsrechtlicher Vertrag, vgl. § 54 S. 2 VwVfG) nichtig ist, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt „nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers im Sinne des § 46 VwVfG rechtswidrig wäre“.
Weiteren Aufschluß über die Fehlerfolge ergibt die systematische Zusammenschau mit § 113 I S. 1 VwGO, der – wie seinem Wortlaut zu entnehmen ist – den Aufhebungsanspruch an die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes knüpft. Dieser Aufhebungsanspruch wird aber durch § 46 VwVfG bei solchen Verwaltungsakten ausgeschlossen, die lediglich an – nicht bereits gemäß § 45 VwVfG geheilten – Verfahrens- und Formfehlern bzw. an Mängeln der örtlichen Zuständigkeit leiden.[2]
Systematisch kann § 46 VwVfG zwar keine unmittelbare Einschränkung des § 113 I S. 1 VwGO bewirken, weil das Verwaltungsverfahrensrecht nicht das Verwaltungsprozeßrecht bestimmen kann. Dies ändert aber nichts daran, daß das Gericht bei Anwendbarkeit des § 46 VwVfG einen Aufhebungsanspruch zu verneinen hat. Daraus folgt, daß fehlerhafte Verwaltungsakte im Anwendungsbereich des § 46 VwVfG rechtswidrig bleiben, nur die Fehlerfolge modifiziert ist.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß ein Verwaltungsakt fehlerhaft ist, wenn er mit der Rechtsordnung kollidiert. Die Fehlerhaftigkeit führt – wie sich aus §§ 44, 43 III VwVfG ergibt – in der Regel aber nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Rechtswidrigkeit, die sich durch die Möglichkeit der Anfechtbarkeit und Aufhebbarkeit kennzeichnet. Der fehlerhafte Verwaltungsakt ist also wirksam, wenn er nicht nichtig ist. Die Nichtigkeit ergibt sich aus § 44 VwVfG.[3] Ob ein (formell) fehlerhafter Verwaltungsakt zur Rechtswidrigkeit führt, hängt davon ab, ob Heilungsvorschriften wie beispielsweise § 45 VwVfG greifen. Ist ein Verwaltungsakt geheilt, entfällt dessen Rechtswidrigkeit. Kommt eine Heilung nicht in Betracht, so ist die Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG zu beachten. Danach bleibt es zwar bei der (formellen) Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, jedoch ist diese unbeachtlich; es entfällt der gerichtliche Aufhebungsanspruch gemäß § 113 I S. 1 VwGO. Eine materielle Rechtswidrigkeit ist dagegen nicht der Heilung oder der Unbeachtlichkeit zugänglich. Der Aufhebungsanspruch gem. § 113 I S. 1 VwGO besteht allerdings grundsätzlich nur dann, wenn der rechtswidrige Verwaltungsakt den Kläger auch in seinen Rechten verletzt.
Es läßt sich folgendes feststellen:
  • Zulässig ist der Verwaltungsakt, wenn die Behörde befugt war, sich der Handlungsform Verwaltungsakt zu bedienen (siehe unten, a.)
  • Formell fehlerhaft ist der Verwaltungsakt, wenn er nicht von der örtlich, sachlich und instanziell zuständigen Behörde erlassen wurde sowie Verfahrens- und Formvorschriften mißachtet wurden bzw. Verstöße hiergegen nicht der Heilung zugänglich (§ 45 VwVfG) oder nicht unbeachtlich (§ 46 VwVfG) waren (siehe unten, b.).
  • Materiell fehlerhaft ist der Verwaltungsakt, wenn er mit der Rechtsgrundlage, die die Behörde zu seinem Erlaß ermächtigt, nicht vereinbar ist. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage nicht vorliegen oder das Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt wurde (siehe unten, c.).
  • Ist der Verwaltungsakt fehlerhaft, so ist er i.d.R. nicht nichtig, d.h. unwirksam, sondern lediglich anfechtbar und aufhebbar. Das eröffnet den Anwendungsbereich der Anfechtungsklage.

Um die nachfolgenden Ausführungen räumlich und strukturell besser einordnen zu können, sei zunächst ein Überblick über den möglichen Aufbau der Begründetheitsprüfung der Anfechtungsklage vorgestellt:

Aufbauschema der Begründetheitsprüfung einer Anfechtungsklage

  • Rechtsgrundlage für den Erlaß eines Verwaltungsaktes
  • Formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes
  • Zuständigkeit der handelnden Behörde
  • Ordnungsgemäßes Verfahren
  • Einhaltung der Formvorschriften
  • Materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes
  • Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage
  • Vereinbarkeit des Gesetzes mit Europäischem Gemeinschaftsrecht
  • Vereinbarkeit des Gesetzes mit nationalem Verfassungsrecht
  • Vereinbarkeit mit Grundrechten
  • Einhaltung der Bestimmtheitstrias des Art. 80 I S. 2 GG bei Zwischenschaltung von Rechtsverordnungen
  • Vereinbarkeit des Verwaltungsaktes mit der Rechtsgrundlage
  • Unbestimmte Rechtsbegriffe
  • Beurteilungsspielräume
  • Planerische Abwägungsentscheidungen
  • Ermessen
  • Kein Verstoß gegen sonstiges Recht
  • Maßgeblicher Zeitpunkt
  • Noch nicht vollzogener Verwaltungsakt
  • Dauerverwaltungsakte
  • Nachschieben von Gründen
  • Rechtsverletzung beim Kläger

a. Befugnis zum Erlaß eines Verwaltungsakts

aa. Im Grundsatz gilt, daß die Ermächtigung der Behörde zum hoheitlichen Tätigwerden die Befugnis zum Handeln durch Verwaltungsakt impliziert. Eine spezifische Ermächtigungsnorm ist also nicht erforderlich. Dem steht auch nicht der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 III GG) entgegen, da dieser sich nur auf den Inhalt der Maßnahme, nicht auf die Handlungsform bezieht.
Klausurhinweis: Da die Ermächtigung der Behörde, sich der Handlungsform Verwaltungsakt zu bedienen, sich aus der Befugnis zum hoheitlichen Handeln ableitet, ist es in der Fallbearbeitung entbehrlich zu prüfen, ob die Behörde im konkreten Fall durch Verwaltungsakt tätig werden durfte.
bb. Eine Ausnahme von der generellen Verwaltungsaktbefugnis ist aber dort zu machen, wo sich die Behörde auf die gleiche Stufe mit dem Bürger stellt. So kann die Behörde, wenn sie mit dem Bürger einen verwaltungsrechtlichen Vertrag (vgl. §§ 54 ff. VwVfG) schließt und sich somit auf eine Stufe der Gleichordnung begibt, Leistungsansprüche aus dem Vertrag konsequenterweise nicht durch Verwaltungsakt geltend machen und notfalls mit Hilfe der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen. Sie muß wie der Bürger vor dem Verwaltungsgericht Leistungsklage erheben und einen gerichtlichen Vollstreckungstitel erwirken.
Beispiel: Die Gemeinde G schließt mit dem Bauherrn B einen Vertrag, in dem sich B im Hinblick darauf, daß G durch eine entsprechende Bauleitplanung die Zulässigkeitsvoraussetzungen für sein Bauwerk schafft, zur Zahlung eines Geldbetrages verpflichtet. Bei dieser Zahlung handelt es sich um eine Beteiligung an den gemeindlichen Kosten für die aufgrund seines Bauwerkes erforderlich werdende Neuerrichtung bzw. Erweiterung öffentlicher Einrichtungen (Kindergärten, Schulen, Sportanlagen etc.). Es handelt sich um einen sog. städtebaulichen Folgekostenvertrag, § 11 I S. 2 Nr. 3 BauGB.[4] Weigert sich B, den Geldbetrag zu bezahlen, kann G keinen Leistungsbescheid erlassen. Sie hat aufgrund des verwaltungsrechtlichen Vertrags die Verwaltungsaktbefugnis verloren. Erhebt sie gleichwohl einen Leistungsbescheid, so ist dieser nichtig. Zur Durchsetzung des Anspruchs verbleibt ihr nur die Möglichkeit, Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben. Umgekehrt kann B bei Weigerung der G, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für sein Bauwerk zu schaffen, Verpflichtungsklage erheben, weil die Verpflichtung der G aus dem Vertrag darin bestand, einen Verwaltungsakt zu erlassen. Anspruchsgrundlage wäre dann die Verpflichtung aus dem Vertrag.
cc. Fraglich ist, ob sich die Behörde der Handlungsform Verwaltungsakt bedienen darf, wenn sie zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern will.
Beispiele: (1) Unternehmer U hat unter Verstoß gegen geltendes EG-Recht (Nichtbeachtung der Notifikationspflicht[5] gem. Art. 88 III EG) vom Bundesland S einen Subventionsbetrag i.H.v. DM 20.000.000,- erhalten. Die Kommission fordert S nunmehr auf, den geleisteten Betrag von U zurückzufordern. S nimmt den Subventionsbescheid zurück (vgl. § 48 VwVfG). Darüber hinaus erläßt sie einen Rückforderungsbescheid bezüglich der gezahlten Summe.[6] (2) Ein beamteter Lehrer erhält eine monatlich zu zahlende Fachleiterzulage, die durch einen rechtmäßig ergangenen Verwaltungsakt festgesetzt wurde. Nach der Beendigung der entsprechenden Tätigkeit wird der Zulagenbescheid wegen Unkenntnis der Behörde zunächst nicht aufgehoben und die Zulage weiterhin ausbezahlt. Als die Behörde von der Beendigung der Tätigkeit Kenntnis erlangt, erläßt sie einen Rückforderungsbescheid.
Die Rechtsprechung bejaht die Möglichkeit der Rückforderung durch Verwaltungsakt. Anders als bei einem Verhältnis der Gleichordnung, wie es z.B. bei einem Subventionsvertrag der Fall wäre, liege bei einer Subvention, die durch Verwaltungsakt gewährt wird, ein Verhältnis der Über- und Unterordnung vor. Daher sei die Verwaltung befugt, ihre Ansprüche durch Verwaltungsakt festzusetzen.[7] Nichts anderes gelte bei zuviel geleisteten Dienstbezügen, da das Beamtenrechtsverhältnis auch sonst durch Verwaltungsakt geregelt sei.[8]
Die frühere h.L. lehnte die Verwaltungsaktbefugnis unter Hinweis auf den Gesetzesvorbehalt ab. Die Verwaltung müsse eine Zahlungsaufforderung an den Betroffenen richten, und falls dieser nicht reagiere, Leistungsklage vor dem Verwaltungsgericht erheben.[9] Die h.L. unterschied also formell zwischen dem Rücknahmebescheid des ursprünglichen Bewilligungsbescheides und der Rückforderung der zuviel oder rechtswidrig erbrachten Leistung. Sie übersah aber, daß die Rücknahme nur der Rückforderung dient. Anderenfalls würde der Rücknahmebescheid keinen Sinn machen. Richtigerweise sind die Rücknahme der Bewilligung und die Rückforderung der erbrachten Leistung als materielle Einheit zu betrachten. Nicht ohne Grund werden beide in der Praxis regelmäßig miteinander verbunden oder es wird überhaupt nur ein Rückforderungsbescheid erlassen, der dann konkludent die gleichzeitige Rücknahme der Bewilligung enthält (s.o.). Dieser Streit ist durch die Einführung des § 49 a I S. 2 VwVfG obsolet geworden. Nach dieser Vorschrift sind zu erstattende Leistungen durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Es besteht ein Verwaltungsaktvorbehalt: Die Verwaltung muß die Handlungsform Verwaltungsakt verwenden. Zugleich besteht in § 49 a VwVfG eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung. Eines Rückgriffs auf den ungeschriebenen allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bedarf es nun nicht mehr.[10]
In den obigen Beispielen muß die Behörde nach § 49 a i.V.m. § 48 I, II, IV bzw. 49 VwVfG vorgehen. Da diese spezialgesetzliche Norm - wie auch die übrigen - auf die Vorschriften des BGB über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verweist, und diese Verweisung aufgrund der in den §§ 48 f. VwVfG bereits beschriebenen Voraussetzungen einer Erstattung eine Rechtsfolgenverweisung darstellt[11], müssen die Voraussetzungen der §§ 812 ff. nicht geprüft werden. Es kann sofort auf die in § 818 BGB normierte Rechtsfolge abgestellt werden.

b. Die formelle Rechtmäßigkeit

Der Verwaltungsakt ist formell fehlerhaft, wenn er nicht von der örtlich, sachlich und instanziell zuständigen Behörde erlassen wurde sowie Verfahrens- und Formvorschriften mißachtet wurden bzw. Verstöße hiergegen nicht der Heilung zugänglich waren (§ 45 VwVfG).
Klausurhinweis: Die formelle Rechtmäßigkeit ist nur zu prüfen, wenn der Sachverhalt Anlaß dazu bietet. Ansonsten gilt es lediglich festzustellen, daß der Sachverhalt in formeller Hinsicht keine Anhaltspunkte für eine Rechtmäßigkeitsprüfung bietet. So darf z.B. nicht angenommen werden, ein Verfahrensfehler sei passiert, nur weil der Sachverhalt die Vornahme der gebotenen Handlung nicht erwähnt. Dieser Grundsatz gilt insbesondere für das examensrelevante allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht (vgl. Schmidt/Seidel, BesVerwR, S. 194 ff.). Dort wird die sachliche Zuständigkeit im Rahmen der Eröffnung des Aufgabenbereichs (Allzuständigkeit der Polizei) geprüft. Die örtliche Zuständigkeit ist deshalb unerheblich, weil die Vollzugsbeamten der Polizei im gesamten Gebiet des jeweiligen Bundeslandes befugt sind (über das Gebiet hinaus nur aufgrund eines entsprechenden Staatsvertrages). Auch Verfahren und Form bereiten keine Schwierigkeiten: Die Anhörung des Betroffenen ist wegen regelmäßig vorliegender Gefahr im Verzug entbehrlich (vgl. § 13 I Nr. 2 i.V.m. § 28 II Nr. 1 VwVfG). Polizeiliche Verwaltungsakte können mündlich oder in anderer Weise erlassen werden (vgl. § 37 II S. 1 VwVfG) und bedürfen keiner Begründung (vgl. § 39 I S. 1 VwVfG). Ist in diesem Zusammenhang die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft, so hat dies nur die Verlängerung der Rechtsbehelfsfristen auf ein Jahr zur Folge (§ 58 II VwGO).
Aus diesen Überlegungen folgt, daß Ausführungen zur formellen Rechtmäßigkeit in einer Polizeirechtsklausur (aber auch nur dort!) meist fehl am Platz sind und daher unterbleiben sollten. Vielmehr genügt meist die Feststellung, daß die Polizei im institutionellen Sinn gehandelt hat (vgl. z.B. §§ 1, 2 BremPolG).
Außerhalb des Polizei- und Ordnungsrechts liegt das Erfordernis, die Zuständigkeit der handelnden Behörde und die ordnungsgemäße Einhaltung von Verfahrens- und Formvorschriften (kurz: ZVF) zu prüfen, unter der oben genannten Voraussetzung näher:
aa. Zuständigkeit
Zu prüfen ist die sachliche, örtliche und instanzielle Zuständigkeit der handelnden Behörde. Klausurrelevant ist oft nur die sachliche Zuständigkeit, da die örtliche und instanzielle Zuständigkeit eine Angelegenheit der (in einer Klausur regelmäßig nicht bekannten) Verwaltungsorganisation ist. Ausgangspunkt ist, daß die Durchführung der (Bundes-)Gesetze, d.h. die Regelung der Verwaltung, grundsätzlich eine Angelegenheit der Länder ist (vgl. Art. 83 ff. GG). Dann ist es auch Aufgabe der Länder, die Behördeneinrichtung zu regeln (vgl. bereits S. 3 ff.). Soweit erforderlich, muß die entsprechende Zuweisungsnorm in den Ausführungsgesetzen zu den Bundesgesetzen gefunden werden. Die Landesgesetze enthalten i.d.R. selbst Bestimmungen über die Behördenzuständigkeit.
Beispiel: Die §§ 65-82 BremPolG bestimmen die Polizeibehörden und deren Zuständigkeiten im Rahmen von Gefahrenabwehrmaßnahmen.
a.) Örtliche Zuständigkeit
Sofern spezialgesetzliche Regelungen fehlen, bestimmen die VwVfGe der Länder (bzw. § 3 VwVfG des Bundes) die örtliche Zuständigkeit. Ein Verstoß gegen § 3 I Nr. 1 VwVfG führt nach § 44 II Nr. 3 VwVfG immer zur Nichtigkeit. §§ 45, 46 VwVfG sind nicht anwendbar.
b.) Sachliche/funktionell-instanzielle Zuständigkeit
Welche Behörde sachlich (z.B. Gewerbeordnungsbehörde oder IHK) oder funktionell-instanziell (z.B. Gewerbebehörde, Gewerbeaufsichtsbehörde, Handwerkskammer oder Handwerksinnung, untere oder mittlere Verwaltungsbehörde) zuständig ist, entscheidet sich nach den Vorschriften des der Rechtsgrundlage zugrundeliegenden Normengefüges.
Beispiel: Nach § 63 I S. 1 AuslG sind die Ausländerbehörden sachlich zuständig. Wer Ausländerbehörde ist, bestimmt sich nach den Ausführungsgesetzen zum AuslG. So sind gemäß Art. 1 BayAuslAusfG, § 1 I AVAuslG Ausländerbehörde die Kreisverwaltungsbehörden.
Klausurhinweis: An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, wie sinnvoll es ist, bei der Begründetheit der Klage / des Widerspruchs zunächst die Rechtsgrundlage für den Erlaß des zu untersuchenden Verwaltungsaktes zu benennen, da sich die Zuständigkeit der Behörde nicht selten aus der Rechtsgrundlage ergibt. Im Rahmen der Prüfung der sachlich/funktionell-instanziellen Zuständigkeit ist dann zunächst die Verbandskompetenz zu klären, also die Frage zu beantworten, welchem Verband (Bund, Land, Gemeinde) die Verwaltungsaufgabe zugewiesen ist. Ausgangspunkt ist die bereits erwähnte Regelung der Art. 83 ff. GG, wonach grundsätzlich die Länder die (Bundes-)Gesetze (als eigene Angelegenheiten) ausführen. In den Bundesgesetzen ist daher regelmäßig nur die Funktionsbezeichnung der zuständigen Behörde enthalten. Die Länder regeln dann die Einrichtungen der Behörden (Art. 84 I GG). Sie bestimmen, welche Behörde im Verwaltungsaufbau tatsächlich zuständig ist.
Ist die Verbandskompetenz geklärt, muß die Organkompetenz untersucht, d.h. festgestellt werden, welcher Behörde des Verbandes die Aufgabe zugewiesen ist. (vgl. z.B. § 16 Bremisches Ausführungsgesetz zum Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen, wonach der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung sachlich zuständig ist).
Verstöße gegen die sachliche/funktionell-instanzielle Zuständigkeit führen grundsätzlich zur (formellen) Rechtswidrigkeit. Auch hier ist § 45 VwVfG nicht anwendbar. Eine Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG kann nicht erfolgen, da dessen Wortlaut sich ausdrücklich nicht auf „sachlich“ bezieht. Ob im Einzelfall sogar eine Nichtigkeit nach § 44 VwVfG vorliegt, ist im Rahmen der Auslegung dieser Vorschrift zu ermitteln.
aa.) Sonderproblem reformatio in peius
Unter einer reformatio in peius (Verböserung) versteht man das Abändern der Entscheidung der Erstbehörde zuungunsten des Widerspruchsführers durch die Widerspruchsbehörde. Problematisch ist nicht nur die Zulässigkeit einer reformatio in peius im Widerspruchsverfahren, sondern, daß selbst wenn man von deren Zulässigkeit ausgeht, sich die Frage nach der instanziellen Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde stellt. Da die Problematik der reformatio in peius die gesamte Klausurprüfung durchzieht, ist eine sinnvolle klausuraufbauorientierte Darstellung nur im inhaltlichen Kontext gewährleistet. Daher sei auf die Ausführungen bei Schmidt/Seidel, VerwProzR, S. 158 ff. verwiesen.
bb.) Beispiele von zuständigen Widerspruchsbehörden
Im Normalfall ist Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, § 79 I Nr. 1 VwGO. Hier muß die Zuständigkeit derjenigen Behörde untersucht werden, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat (Ausgangsbehörde, s.o.). Gegenstand der Anfechtungsklage kann aber auch ausschließlich der Widerspruchsbescheid sein, wenn und soweit dieser eine erstmalige Beschwer enthält (§ 79 I Nr. 2 VwGO) oder wenn er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält (§ 79 II S. 1 VwGO). Hier muß die Zuständigkeit derjenigen Behörde untersucht werden, die den Widerspruchsbescheid erlassen hat (Widerspruchsbehörde). Die Zuständigkeit der Widerspruchsbehörde ergibt sich aus § 73 I VwGO i.V.m. den für den Behördenaufbau sonst maßgeblichen organisationsrechtlichen Vorschriften des Bundes- bzw. Landesrechts. Im Zweifel ist es die im hierarchischen Behördenaufbau übergeordnete Behörde.[12]
  • Wurde der ursprüngliche Verwaltungsakt von einem Kollegium (Gemeinderat, Lehrerrat etc.) erlassen, so muß dieses, auch wenn für den Widerspruchsbescheid dieselbe Behörde zuständig ist, und sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt, grundsätzlich auch über den Widerspruch entscheiden, nicht etwa der Bürgermeister oder der Vorstand der Schule (es sei denn, das Kollegium war für den Erlaß des ursprünglichen Verwaltungsaktes nicht zuständig).
  • In Prüfungsentscheidungen muß hinsichtlich der Leistungsbewertung wegen des hier bestehenden Beurteilungsspielraumes wiederum der Prüfungsausschuß entscheiden, auch wenn kraft Gesetzes der Erlaß des Widerspruchsbescheides dem Präsidenten obliegt.
  • Wurde der Verwaltungsakt von einem Beliehenen erlassen, so ist dieser, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt, auch für den Widerspruchsbescheid zuständig (str.). So ist beispielsweise bei der Versagung der TÜV-Plakette nach § 29 StVZO durch den TÜV-Sachverständigen dieser selbst für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig. Nach der Gegenauffassung wäre dies der Leiter der technischen Prüfstelle, welcher der Sachverständige angehört.
  • War die Behörde, die den mit dem Widerspruch angegriffenen Verwaltungsakt erlassen hat (= Ausgangsbehörde), nicht zuständig, so ist - da eine inkorrekte Verwaltungsentscheidung vorliegt - für die Entscheidung über den Widerspruch außer der formell übergeordneten Behörde auch die Behörde zuständig, die zuständig wäre, wenn die richtige Ausgangsbehörde entschieden hätte.
Während die nur „formell“ zuständige Widerspruchsbehörde nur den fehlerhaften Verwaltungsakt aufheben kann, weil ihr eine weitergehende Zuständigkeit in der Sache fehlt, kann letztere auch zur Sache entscheiden, z.B. den angegriffenen Verwaltungsakt abändern usw. War der Widerspruch jedoch an die erstere Behörde gerichtet, so kann diese die Sache an die letztere weiterleiten, muß dies jedoch nicht, sondern kann auch den fehlerhaften Verwaltungsakt aufheben. Eine Unbeachtlichkeit, wie es § 46 VwVfG vorsieht, ist jedenfalls ausgeschlossen.
Klausurhinweis: Falls im Sachverhalt nicht von „zuständiger Behörde“ gesprochen wird, sondern die handelnde Widerspruchsbehörde benannt ist, ist wegen möglicherweise enthaltener Fehler eine Prüfung ihrer Zuständigkeit angezeigt.
bb. Verfahren
Die Verfahrensregeln des Allgemeinen Verwaltungsverfahrens enthalten die §§ 9 - 30 VwVfG sowie spezialgesetzliche Regelungen. Verfahrens- und Mitwirkungsvorschriften stellen beispielsweise dar:
  • Beteiligung von Beteiligten und Drittbetroffenen (§§ 13 ff. VwVfG, § 10 BImSchG)
  • Beteiligung der Öffentlichkeit (§ 10 BImSchG)
  • Öffentliche Ausschreibung (§ 10 III GüKG, Art. 15 IVU-Richtlinie)
  • Anhörung der Beteiligten (§ 28 VwVfG, § 14 PBefG)
  • Keine Befangenheit des handelnden Amtswalters (§ 21 VwVfG)
  • Mitwirkung anderer Behörden (§ 35 IV, § 14 PBefG, § 102 b IV GüKG)
  • Mitwirkung von EG-Stellen (Art. 87 ff. EG, § 16 III GenTG)
  • Umweltverträglichkeitsprüfung (nach dem UVPG und der IVU-Richtlinie)
  • Abmahnung vor Untersagung (§ 25 I S. 2 PBefG) oder Androhung vor Widerruf (§ 12 II Nr. 3 WHG)
Von Klausurrelevanz ist vor allem § 28 VwVfG (Anhörung Beteiligter, § 13 VwVfG).
a.) Grundsatz der Anhörung des Betroffenen, § 28 I VwVfG
Nach § 28 I VwVfG erfordert jedes Verwaltungsverfahren eine Anhörung u.a. des Betroffenen. Sinn der Anhörung ist die Parteiöffentlichkeit des Verfahrens und das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Behörde. Darüber hinaus ist die Anhörung eine Folge des Rechtsstaatsprinzips und der Menschenwürde, die es verbietet, den Menschen zu einem Objekt staatlichen Handelns zu machen. Sie ist aber auch ein wichtiges Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts gem. § 24 VwVfG. Dies gilt insbesondere für Ermessensentscheidungen, da eine ordnungsgemäße Ermessensausübung die Kenntnis aller relevanten Umstände erfordert. Eine nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführte, nach § 28 I VwVfG aber erforderliche Anhörung führt somit nicht nur zur formellen Rechtswidrigkeit, sondern kann auch wegen eines Ermessensfehlers zur materiellen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes führen.
Aber nicht nur in einer Anfechtungssituation, sondern auch bei der Versagung einer Begünstigung (Verpflichtungssituation) kann nach dem herrschenden Schrifttum eine Anhörung notwendig sein, wenn diese Versagung einer Belastung gleichkommt, also wie ein „eingreifender“ Verwaltungsakt (§ 28 I VwVfG) wirkt. Dem hält die Rechtsprechung entgegen, daß der Antragsteller bereits vor der Versagung, und zwar durch die Antragstellung, Gelegenheit hatte, sich zur Sachlage zu äußern. Damit sei der ratio legis des § 28 VwVfG Genüge getan.[13]
Stellungnahme: Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Rechtsprechung dem methodischen Einwand ausgesetzt, daß der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung nicht alle erdenklichen (späteren) Entscheidungsgründe der Behörde in Betracht ziehen, sein Antrag sich also nicht entsprechend auf alle Entscheidungsgründe beziehen kann. Daher muß ihm für den Fall, daß sich die Begründung der Behörde auf andere Tatsachen stützt als er in seinem ursprünglichen Antrag hervorgebracht hat, die Gelegenheit eingeräumt werden, eine entsprechende Stellungnahme in Form einer Anhörung abgeben zu können.
b.) Entfallen oder Unterbleiben der Anhörung nach § 28 II, III VwVfG
Unter den Voraussetzungen des § 28 II und III VwVfG ist eine Anhörung entbehrlich bzw. es ist von ihr abzusehen. Bei der Prüfung der Ausnahmetatbestände des § 28 II Nr. 2 - 5 VwVfG sind enge Maßstäbe anzulegen, da der Anspruch auf rechtliches Gehör zu den Grundsätzen eines Rechtsstaates zählt (s.o.). Sollte die Verwaltung von § 28 II VwVfG keinen Gebrauch machen, so liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Der Verwaltungsakt ist schon aus diesem Grunde fehlerhaft. Typischer Klausurfall ist die Entbehrlichkeit einer Anhörung nach § 28 II Nr. 1 VwVfG bei Gefahr im Verzug oder Nr. 4 i.V.m. § 35 S. 2 Alt. 3 VwVfG bei Verkehrszeichen.
Klausurhinweis: Ist die Anhörung eines Beteiligten (§ 13 VwVfG) unterblieben, ist in einer Klausur zunächst zu prüfen, ob die Anhörung nicht nach § 28 II VwVfG entfallen konnte, bzw. nach § 28 III VwVfG zu unterbleiben hatte. Erst wenn deren Voraussetzungen nicht vorliegen, kommt eine Prüfung der Heilungsvorschrift des § 45 I Nr. 3 VwVfG und der Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG in Betracht, da nur das Fehlen einer „erforderlichen“ Anhörung zu einem Verfahrensfehler führt.
c.) Heilung der unterbliebenen Anhörung gemäß § 45 I Nr. 3 VwVfG
aa.) Die Fehlerfolge des unter Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften zustande gekommenen Verwaltungsaktes ist stets die formelle Rechtswidrigkeit.[14] Das kann auch aus § 59 II S. 2 VwVfG geschlossen werden: „...ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nicht nur wegen eines Verfahrens- oder Formfehlers ... rechtswidrig wäre“. Zu beachten ist aber die Regelung des § 45 VwVfG, wonach bestimmte formelle Fehler des Verwaltungsaktes durch Nachholung der versäumten Handlung geheilt werden können. Ist die gem. § 28 I VwVfG erforderliche Anhörung unterblieben und kein Grund ersichtlich, daß sie gem. § 28 II, III VwVfG entbehrlich war bzw. zu unterbleiben hatte, kann der Fehler nach § 45 I Nr. 3 VwVfG dadurch geheilt werden, daß die Anhörung während des Vorverfahrens oder sogar noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (§ 45 II VwVfG, siehe sogleich) erfolgt. Der Grund hierfür besteht darin, daß durch die Begründung des Ausgangsverwaltungsaktes dem Betroffenen die maßgeblichen Tatsachen bekannt sind und ihm durch die Rechtsbehelfsbelehrung eine Äußerungsmöglichkeit gegeben wurde.
Allerdings tritt die Heilung im Falle des Widerspruchsverfahrens nicht mit der bloßen Einlegung des Widerspruchs ein, da dieser nicht begründet werden muß, sondern erst dann, wenn der Sinn der Anhörung, nämlich eine Entscheidung unter Berücksichtigung der Äußerung der Beteiligten, noch in vollem Maße erreicht werden kann. Das ist dann der Fall, wenn die nachgeholte Anhörung zu der unterlassenen qualitativ gleichwertig ist.
So ist die nachträgliche Anhörung zu der unterlassenen qualitativ nicht gleichwertig, wenn der Verwaltungsakt schon vollzogen ist. Hier kann der Zweck der Anhörung nicht mehr erfüllt werden. Im Verlauf einer Fortsetzungsfeststellungsklage kann ein Verfahrensfehler also nicht mehr geheilt werden. Des weiteren ist die nachträgliche Anhörung nicht gleichwertig, wenn das Gesetz sie zwingend vor Erlaß des Verwaltungsakts vorschreibt und bei Nachholung der Schutzzweck der Verfahrensnorm unterlaufen würde. Gleiches gilt bei Abwägungsentscheidungen, wenn die gerechte Abwägung die Einbringung von Belangen während des Abwägungsvorgangs fordert, oder wenn die Behörde einen Beurteilungsspielraum hat. Hier liegen der Verwaltungsentscheidung Umstände zugrunde, die gerade zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen müssen und nachträglich nicht reproduziert werden können.[15] In diesem Sinne muß auch § 75 I a VwVfG ausgelegt werden. Nach dieser Vorschrift führen Abwägungsfehler dann zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder der Plangenehmigung, wenn „sie nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden können“. Behoben werden können Abwägungsfehler aber nur dann, wenn die Entscheidung noch nicht feststeht und der nachgeholten Verfahrenshandlung (Anhörung) noch ein Gewicht zukommt. Zuletzt ist eine heilend wirkende nachträgliche Anhörung nicht möglich, wenn die Entscheidungskompetenz der Widerspruchsbehörde hinter derjenigen der Ausgangsbehörde zurückbleibt (z.B. dann, wenn die Widerspruchsbehörde nur Rechtsaufsicht gegenüber der Ausgangsbehörde hat).[16]
bb.) Die Heilungsvorschrift des § 45 I VwVfG hat auch eine zeitliche Dimension: Die Neufassung des § 45 II VwVfG[17] erlaubt es, bestimmte Verfahrenshandlungen - z.B. Anhörung eines Beteiligten oder Mitwirkung einer anderen Behörde - die unter Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften unterblieben sind, noch bis zum Abschluß des Verwaltungsgerichtsverfahrens mit heilender Wirkung nachzuholen (s.o.). Zuvor war dies nur bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens möglich.
Auch nach der Neufassung des § 45 VwVfG kommt es darauf an, den Verfahrensfehler so früh wie möglich auszuräumen. Deshalb ist die Heilung bereits im Widerspruchsverfahren vorzunehmen. Da bis zum Abschluß des Abhilfeverfahrens (§ 72 VwGO) die Ausgangsbehörde zuständig ist, ist zunächst diese daher verpflichtet, den Verfahrensfehler auszuräumen. Hilft die Ausgangsbehörde dem Widerspruch nicht ab, gibt den Vorgang somit an die nächsthöhere Behörde (Widerspruchsbehörde) ab, so muß diese den Verfahrensfehler ausräumen. Die Heilung durch die Widerspruchsbehörde kommt allerdings nur dann in Frage, wenn diese zur vollen Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit befugt ist. Ist das nicht der Fall (wie bei Selbstverwaltungsangelegenheiten der Ausgangsbehörde, wo lediglich eine Rechtsaufsicht besteht), kann eine Heilung zunächst nur im Abhilfeverfahren der Ausgangsbehörde erfolgen. Stellt die Widerspruchsbehörde einen Verfahrensfehler fest, so setzt sie die Entscheidung aus und gibt sie den ganzen Vorgang zurück an die Ausgangsbehörde. Wurde der Verfahrensfehler während des Widerspruchsverfahren geheilt, so entfällt die (formelle) Rechtswidrigkeit. Der Verwaltungsakt darf wegen dieses geheilten Fehlers nicht mehr aufgehoben werden.
Kommt es zum Verwaltungsgerichtsverfahren, so ist zu beachten, daß die Heilung keinesfalls durch das Verwaltungsgericht erfolgt, sondern durch die Behörde während des Gerichtsverfahrens. Eine Heilung von Verwaltungsverfahrensfehlern durch das Gericht wäre auch schon mit dem Gewaltenteilungsprinzip nicht vereinbar. Außerdem kommen in den überwiegenden Fällen die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder zur Anwendung. Der Bundesgesetzgeber (die VwGO ist ein Bundesgesetz) ist nicht befugt, Heilungsvorschriften über das Landesverfahrensrecht zu erlassen. Die Nachholung der Verfahrenshandlung während des Gerichtsverfahrens soll durch § 45 II VwGO daher lediglich „bis zum Abschluß des gerichtlichen Verfahrens“[18] ermöglicht werden. Selbstverständlich kommen wie im Verwaltungsverfahren nur Heilungsgründe des § 45 I VwVfG in Betracht. Der dort enumerativ genannte Katalog ist abschließend.
Auch bei der Heilung während des Verwaltungsprozesses ist zu beachten, daß nur die Behörde tätig werden kann, die die volle Entscheidungskompetenz über die betreffende Frage des Streitgegenstands hat. So kann bei Ermessensverwaltungsakten in Selbsverwaltungsangelegenheiten der Ausgangsbehörde nur diese – und nicht die Widerspruchsbehörde – den betreffenden Verfahrensfehler heilen, da die Überprüfungsfunktion Widerspruchsbehörde hinter der der Ausgangsbehörde zurückbleibt, da sie hier nur Rechtsaufsicht, keine Fachaufsicht hat.
d.) Besorgnis der Befangenheit, § 21 VwVfG
Des weiteren ist ein Verwaltungsakt nur dann formell rechtmäßig, wenn dem handelnden Amtswalter nicht die Besorgnis der Befangenheit trifft. Besorgnis der Befangenheit verlangt einen gegenständlichen, vernünftigen Grund, der die Beteiligten von ihrem Standpunkt aus befürchten läßt, daß der Amtswalter nicht unparteiisch sachlich, also mit der gebotenen Distanz, Unbefangenheit und Objektivität entscheidet, sondern sich von persönlichen Vorurteilen oder sonstigen sachfremden Erwägungen leiten läßt.[19]
Beispiel: Wenn persönliche Animositäten zwischen dem Amtswalter und dem Bürger, demgegenüber ein belastender Verwaltungsakt erlassen werden soll, bestehen, liegt die Besorgnis der Befangenheit vor. Der Verwaltungsakt wäre formell rechtswidrig. Eine Heilung nach § 45 VwVfG käme nicht in Betracht, da ein Verstoß gegen § 21 VwVfG nicht vom Katalog des § 45 VwVfG umfaßt ist. Ob der Fehler nach § 46 VwVfG unbeachtlich wäre, hinge davon ab, ob in der Sache keine andere Entscheidung hätte ergehen können (tatsächliche Alternativlosigkeit). Dies kann erst nach entsprechender Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes beantwortet werden.
e.) Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern nach § 46 VwVfG
aa.) § 46 VwVfG betrifft den Aufhebungsanspruch eines nicht nach § 45 VwVfG geheilten oder heilbaren Verfahrens- oder Formfehlers. Danach bleibt trotz formeller Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes die Anfechtungsklage unbegründet (aber zulässig), wenn der betreffende Verfahrens- oder Formfehler die Entscheidung in der Sache tatsächlich nicht beeinflußt hat (tatsächliche Alternativlosigkeit). § 46 VwVfG dient damit der Prozeßökonomie: Materiell rechtmäßige Verwaltungsentscheidungen sollen nicht wegen eines unbeachtlichen formellen Fehlers aufgehoben werden. Denn hier könnte die Behörde unter Beachtung von Form, Verfahren und örtlicher Zuständigkeit sofort einen neuen Verwaltungsakt gleichen Inhalts erlassen.
bb.) Die in § 46 VwVfG geforderte „Offensichtlichkeit“ liegt vor, wenn die fehlende Kausalität klar erkennbar ist, gleichsam „ins Auge springt“[20]. Anders als in dem neuen § 75 I a VwVfG[21] bezieht sich die Offensichtlichkeit in § 46 VwVfG nicht auf das Vorliegen eines Mangels bei dem Entscheidungsfindungsprozeß der Behörde, sondern auf die Kausalität des Fehlers für die Sachentscheidung. Bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten ist die „Offensichtlichkeit“ der Einflußlosigkeit des Fehlers daher unproblematisch. Im Rahmen von Ermessensentscheidungen bedarf es in der Regel einer gesonderten Prüfung. Tiefgründige und u.U. zeitintensive Forschungen, ob ein Verfahrens- oder Formfehler die Ermessensentscheidung der Behörde beeinflußt hat, kommen dabei zwar nicht in Betracht. Allerdings reicht die bloße – einer vernünftigen Betrachtung entgegenstehende – Behauptung der Behörde, sie hätte in jedem Falle wie geschehen entschieden, nicht aus, um die Aufhebung des Verwaltungsaktes abzuwenden. Vielmehr muß das Gericht – und damit der Klausurbearbeiter – diese Frage prüfen. Tatsächliche Alternativlosigkeit liegt nur dann vor, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, daß sich ein Fehler schon „rechnerisch“ nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann. Die Beweislast trägt auf jeden Fall die Behörde
cc.) Konnte in der Sache keine andere Entscheidung ergehen, hängt der Erfolg der Klage maßgeblich von der Anwendbarkeit des § 46 VwVfG ab. Diese Vorschrift steht gemäß § 1 VwVfG unter dem Anwendungsvorbehalt „inhaltsgleicher oder entgegenstehender“ Bestimmungen in anderen bundesrechtlichen Rechtsvorschriften. So gehen dem § 46 VwVfG Rechtsvorschriften vor, die ausdrücklich (so z.B. § 17 FernStrG) oder nach ihrer ratio die Fehlerfolgen abschließend regeln und in diesem Sinne weitere Unerheblichkeitsgründe vorsehen oder umgekehrt absolute Aufhebungsgründe anerkennen. § 46 VwVfG findet also keine Anwendung, wenn eine spezialgesetzliche absolute Verfahrensvorschrift greift.
Als Vorschriften, die nach ihrem offensichtlichen Sinn und Zweck die Anwendung des § 46 VwVfG ausschließen, kommen etwa die Vorschriften über die Mitwirkungsrechte anerkannter Naturschutzverbände in naturschutzrelevanten Planfeststellungsverfahren (vgl. § 29 I S. 1 Nr. 4 BNatSchG) sowie die Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung in Planfeststellungsverfahren gemäß § 73 VwVfG (und entsprechenden Vorschriften) sowie in ähnlich ausgestalteten komplexen, durch Gesetz vorgeschriebenen Verfahren (z.B. in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren nach §§ 10, 19 BImSchG) in Betracht.
Insbesondere ist die Anwendung von § 46 VwVfG bei Vorschriften ausgeschlossen, die – wie die §§ 13 II S. 2, 67 f., 72 und 73 VwVfG und entsprechende Bestimmungen anderer Gesetze – nach ihrem offensichtlichen Sinn und Zweck für ein rechtsstaatlich geordnetes Verfahren wesentlich sind. Nicht anwendbar ist § 46 VwVfG auch bei personenbezogenen Entscheidungen sowie bei komplexen Abwägungs-, Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen (s.o.), weil hier die „Offensichtlichkeit“ des Ergebnisses gerade nicht vorliegt. Im Gegenteil muß widerlegbar davon ausgegangen werden, daß ein Fehler im Verfahren die Entscheidung beeinflußt hat.
Absolute Wirkung i.S. eines Ausschlusses von § 46 VwVfG haben wegen des Erfordernisses effektiver, einheitlicher Wirkung des EU-Rechts in allen Mitgliedstaaten (effet utile) auch die Verfahrensvorschriften nach EU-Recht (bspw. Art. 88 EGV) und die entsprechenden deutschen Vorschriften, soweit sie der Umsetzung von EU-Recht, insbesondere von Richtlinien, dienen und insoweit an die Vorgaben des EU-Rechts gebunden sind.[22]
dd.) Zusammenfassung: Nach dem bisher Gesagten bleibt die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes durch die Regelung des § 46 VwVfG unberührt. Lediglich die Folgen des Verfahrens- oder Formfehlers werden modifiziert: Es entfällt der in § 113 I S. 1 VwGO formulierte Aufhebungsanspruch. Die Klage ist in einem solchen Fall unbegründet. Als Form- und Verfahrensfehler, die nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein können, kommen neben den in § 45 I VwVfG genannten auch beispielsweise folgende in Betracht:
  • Fehlende örtliche (nicht aber sachliche, vgl. den Gegenschluß aus § 44 III Nr. 1 VwVfG) Zuständigkeit der handelnden Behörde mit Ausnahme des (klausurunbedeutenden) § 44 III Nr. 1 i.V.m. § 44 II Nr. 3 i.V.m. § 3 I Nr. 1 VwVfG.
  • Unterbliebene (aber erforderliche) Mitwirkung Dritter, § 13 VwVfG.
  • Fehlende (aber erforderliche) Anhörung eines Beteiligten.
  • Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit des handelnden Amtswalters, § 21 VwVfG.
Klausurhinweis: Sowohl nach § 87 I S. 2 Nr. 7 VwGO als auch nach § 94 S. 2 VwGO hat der Vorsitzende oder der Berichterstatter die Behörde auf mögliche Verfahrensfehler hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Heilung nach § 45 VwVfG zu geben. Ein solcher Hinweis setzt aber eine vorherige eingehende Prüfung voraus. Das Gericht muß also die Frage klären, ob es „offensichtlich“ ist, daß die Verletzung des Verfahrensrechts die Entscheidung in der Sache tatsächlich nicht beeinflußt hat. Denn wenn es offensichtlich ist, daß der formelle Fehler die Verwaltungsentscheidung nicht beeinflußt hat, bleibt es bei der Unbeachtlichkeit des Formfehlers. Eine Heilung nach § 45 VwVfG ist nicht erforderlich. Deshalb geht auch in der Klausur die Prüfung des § 46 VwVfG der des § 45 VwVfG vor! Das bedeutet, daß an dieser Stelle der Fallbearbeitung die vollständige materielle Begründetheitsprüfung des Verwaltungsaktes, wie sie auch im übrigen durchzuführen wäre (Vereinbarkeit mit der Rechtsgrundlage, Beachtung der Verhältnismäßigkeit, fehlerfreie Ermessensbetätigung), erfolgen muß. Nur wenn die Voraussetzungen des § 46 VwVfG nicht vorliegen, ist § 45 VwVfG zu prüfen.
Schließlich ist zu beachten, daß die §§ 45, 46 VwVfG nur für Fehler im Verwaltungsverfahren nach § 9 VwVfG angewendet werden dürfen. Für Fehler im Normsetzungsverfahren (Rechtsverordnungen, Satzungen) sind sie unanwendbar. Hier gilt grundsätzlich, daß auch ein formeller Fehler zur Nichtigkeit, und damit zur Begründetheit der Klage/des Normenkontrollverfahrens (§ 47 VwGO) führt. Allerdings sind auch hier besondere Heilungs-/Unbeachtlichkeitsvorschriften zu beachten. So sind bei einer bauplanungsrechtlichen Satzung (Bebauungsplan) die §§ 214 ff. BauGB zu beachten.
cc. Form
a.) Form i.e.S.
Es gilt der allgemeine Grundsatz der Formfreiheit, §§ 10, 37 II VwVfG. Daher sind Formfehler relativ selten. Zu beachten sind jedoch spezialgesetzliche Regelungen wie etwa das Schriftformerfordernis bei Erteilung einer Baugenehmigung (z.B. § 74 III BremLBO) oder einer Anlagengenehmigung (§ 10 VI BImSchG), oder die Erlaubnisurkunde in § 3 GastG. Weitere Formerfordernisse enthalten auch § 37 I, III und IV VwVfG selbst.
b.) Begründungserfordernis
Gem. § 39 I VwVfG sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe im Bescheid mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Dabei muß die Begründung den ermittelten Sachverhalt und dessen rechtlichen Bewertung enthalten. Eine bloße Angabe der Rechtsgrundlage für das fragliche Verwaltungshandeln genügt dem Begründungserfordernis nicht. In diesem Fall ist von einem Fehlen der Begründung auszugehen.
Das Begründungserfordernis findet grundsätzlich für alle schriftlich erlassenen oder schriftlich bestätigten Verwaltungsentscheidungen Anwendung (§ 39 I VwVfG, § 73 III VwGO. Aus formeller Sicht ist nur wichtig, daß eine Begründung existiert. Die Richtigkeit der Begründung, insbesondere, wenn die Behörde bei einer Ermessensentscheidung wesentliche Gründe außer Betracht gelassen hat, ist eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit. Fehlt die erforderliche Begründung, ist der Verwaltungsakt bereits formell rechtswidrig. Soweit die Begründung den Rechtsschutzsuchenden in seinen Rechten verletzt, besteht ein Aufhebungsanspruch (vgl. § 113 I S. 1 VwGO). Zu beachten ist die gesetzlich angeordnete Entbehrlichkeit nach § 39 II VwVfG. Typischer Klausurfall ist die Entbehrlichkeit einer Begründung bei Verkehrszeichen gem. Nr. 5 dieser Vorschrift. Zur möglichen Heilung und zur Unbeachtlichkeit siehe sogleich.
c.) Heilung der fehlenden Begründung nach § 45 I Nr. 2 VwVfG
Die zur Heilung von Anhörungsfehlern gemachten Ausführungen gelten entsprechend auch für die Begründungsfehler. Insoweit sei auf die obigen Ausführungen verwiesen. Im folgenden wird daher nur noch auf die begründungsspezifischen Besonderheiten eingegangen.
Nach h.M. kann die Nachholung der erforderlichen Begründung sowohl von der Ausgangsbehörde als auch von der Widerspruchsbehörde erfolgen. Die Heilung nach § 45 I Nr. 2 VwVfG beschränkt sich aber auf formelle Begründungsfehler. Das Nachholen einer Begründung kann – wie die Anhörung – bis zum Abschluß des Verwaltungsgerichtsverfahrens mit heilender Wirkung erfolgen (§ 45 II VwVfG).
Klausurhinweis: Von der Heilung nach § 45 I Nr. 2 VwVfG abzugrenzen ist das Nachschieben von Gründen. Dort geht es um die Frage, ob die Behörde im späteren Verwaltungsgerichtsverfahren weitere Gründe für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nachschieben darf, weil sie befürchtet, die bisherigen genügten nicht, um den Prozeß zu gewinnen. Dies ist richtigerweise ein Problem der materiellen Rechtmäßigkeit, darf also nicht in der formellen Rechtmäßigkeit geprüft werden. Vgl. dazu die Ausführungen im Verwaltungsprozeßrecht auf S. 122 f.. Allerdings kann ein kurzer Hinweis auf die erkannte Problematik angemessen sein: „Bei der Frage der Zulässigkeit des Nachschiebens von Gründen handelt es sich um ein Problem der materiellen Rechtmäßigkeit“.
d.) Unbeachtlichkeit von Formfehlern nach § 46 VwVfG
Die obigen Ausführungen zur Unbeachtlichkeit einer fehlenden Anhörung gelten sinngemäß auch für Formfehler. Falls der Formfehler (wie auch der Verfahrensfehler) nicht nach § 45 VwVfG geheilt wird und der Verwaltungsakt aus diesem Grund rechtswidrig ist, muß immer noch die Unbeachtlichkeitsregel des § 46 VwVfG berücksichtigt werden. Vgl. dazu 2. Verfahren.
Klausurhinweis: Insgesamt ist zu beachten, daß im Hinblick auf § 44 VwVfG nur weniger schwerwiegende Verfahrens- oder Formfehler über § 46 VwVfG zur Unbeachtlichkeit führen können. Da § 46 VwVfG von einer materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes ausgeht, und diese noch nicht geprüft wurde, ist der Prüfungsstandort der Vorschrift unklar. Könnte ein Fall des § 46 VwVfG vorliegen, sollte dies an dieser Stelle der Fallbearbeitung festgestellt werden und sodann die materielle Rechtmäßigkeitsprüfung durchgeführt werden, um die Offensichtlichkeit des Formfehlers festzustellen. Gegebenenfalls ist der Fehler beachtlich und die Klage demzufolge begründet! Zu beachten ist aber, daß es nur verhältnismäßig wenige Klausuren gibt, in denen die formellen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes wirklich erheblich werden. Demgemäß sollten (wie bereits dargelegt) die Darstellungen über Form und Verfahren - von Ausnahmefällen abgesehen - kurz gehalten werden.
e.) Fehlende Rechtsbehelfsbelehrung
Auf diesen Prüfungspunkt ist an dieser Stelle der Klausur nicht weiter einzugehen, wenn die damit zusammenhängende Fristproblematik mit der hier vertretenen Auffassung bereits in der Zulässigkeitsprüfung (Frist) behandelt wurde. Vgl. daher im Verwaltungsprozeßrecht S. 64 und 73.
f.) Hinreichende Bestimmtheit
Ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des § 37 I VwVfG ist nicht nur ein bloßer Formfehler, sondern macht den Verwaltungsakt auch materiell rechtswidrig, wenn nicht sogar nichtig (so bei einem Verstoß gegen § 37 III VwVfG i.V.m. § 44 II Nr. 1 VwVfG). Die an den Bestimmtheitsgrundsatz zu stellenden Anforderungen lassen sich folgendermaßen gliedern:
  • Bestimmtheit hinsichtlich der handelnden Behörde (§ 37 III VwVfG i.V.m. § 44 II Nr. 1 VwVfG).
Beispiel: Die Bauerlaubnis, die (beispielsweise gemäß § 74 BremLBO[23]) schriftlich zu erteilen ist, enthält keine Angaben und dementsprechend keine Unterschrift des Behördenleiters bzw. seines Vertreters oder Beauftragten. Gemäß § 37 III VwVfG ist sie rechtswidrig. Würde darüber hinaus die erlassende Behörde nicht erkennbar sein, wäre die Bauerlaubnis gemäß § 44 II Nr. 1 VwVfG sogar nichtig.
  • Bestimmtheit hinsichtlich des Adressaten (wobei an Allgemeinverfügungen abgeschwächte Anforderungen zu stellen sind).
Beispiel: Der an eine Wohngemeinschaft gerichtete Verwaltungsakt mit der Angabe „Herrn Friedrich X sowie Partnerinnen und Partner“ genügt den Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes grundsätzlich nicht. Wird aber ein Verwaltungsakt, der an die einzelnen Gesellschafter einer GbR zu richten ist, an die GbR als solche gerichtet, führt dies nicht zur Unbestimmtheit des Bescheids, wenn sich aus den gesamten Umständen ersehen läßt, wer von dem Verwaltungsakt betroffen sein soll.[24]
  • Bestimmtheit hinsichtlich des Verwaltungsaktcharakters
Beispiel: Aus einem behördlichen Schreiben, durch das der Betroffene zur Entrichtung eines Geldbetrages aufgefordert wird, muß klar hervorgehen, ob es sich um eine bloße Zahlungsaufforderung oder um einen Leistungsbescheid (Verwaltungsakt) handelt. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde.[25]
  • Bestimmtheit hinsichtlich des Regelungsgehaltes (Hauptfall)
Beispiel: Ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt, „geeignete Maßnahmen zu ergreifen, daß der Nachbar nicht in seiner Nachtruhe gestört wird“, ist mangels hinreichender inhaltlicher Bestimmtheit rechtswidrig. Gut vertretbar ist es auch, sogar eine Nichtigkeit anzunehmen.

c. Die materielle Rechtmäßigkeit

Der (belastende) Verwaltungsakt ist nur dann materiell rechtmäßig, wenn er sich auf eine gesetzliche Grundlage stützen läßt. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage vorliegen und das Ermessen fehlerfrei ausgeübt bzw. nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen wurde. Darüber hinaus darf die Rechtsgrundlage nicht ihrerseits gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es bietet sich folgende Prüfungsreihenfolge an:
aa. Vorhandensein einer rechtmäßigen Rechtsgrundlage
bb. Übereinstimmung des Verwaltungsaktes mit der Rechtsgrundlage
  1. Fehlerfreie Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen
  2. Einhaltung von Beurteilungsspielräumen
  3. Fehlerfreie planerische Abwägungsentscheidungen
  4. Einhaltung von Ermessensspielräumen; kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
aa. Vorhandensein einer rechtmäßigen Rechtsgrundlage
a.) Der Verwaltungsakt muß sich auf eine gesetzliche Rechtsgrundlage stützen lassen, soweit er in die Rechte Betroffener eingreift (sog. Vorbehalt des Gesetzes). Einschlägige spezielle Rechtsgrundlagen für den Erlaß eines Verwaltungsaktes können sich aus einem förmlichen Gesetz, aber auch aus einer Rechtsverordnung oder Satzung ergeben. Die größte Schwierigkeit bereitet das Auffinden der einschlägigen Rechtsgrundlage. Diese ist
  • nach dem betroffenen Personenkreis und/oder
  • dem betroffenen Sachgebiet aufzusuchen.[26]
Beispiel: Zur Haltbarmachung verschiedener Gemüsesorten wird von einem Industriebetrieb eine nicht zugelassene ultraviolette und ionisierende Bestrahlung angewandt. Die zuständige Landesbehörde beabsichtigt, gegen diese Art der Lebensmittelkonservierung vorzugehen.
Bei der Frage, nach welcher Rechtsgrundlage die Behörde eingreifen kann, wird das LMBG in Betracht zu ziehen sein (betroffenes Sachgebiet). Nach einem kurzen Blick in die Inhaltsübersicht ist § 13 als einschlägig zu erkennen. Diese Norm verbietet die Behandlung mit nicht zugelassenen ultravioletten und ionisierenden Strahlen. Allerdings ermächtigt sie nicht zum Erlaß von Verfügungen. Dafür ist eine Befugnisnorm erforderlich. Nur sie wird dem Vorbehalt des Gesetzes gerecht. Soweit es um Lebensmittelüberwachungsmaßnahmen geht, sind die §§ 40-46 LMBG einschlägig; im übrigen ist subsidiär auf die polizeiliche Befugnisgeneralklausel[27] zurückzugreifen.
b.) Die spezialgesetzlichen Rechtsgrundlagen sind also in den die jeweils betreffende Rechtsmaterie regelnden Normkomplexen (bereichsspezifisches Normgefüge) enthalten. Aufgrund der Regelungsdichte des öffentlichen Rechts ist aber davon abzuraten, möglichst viele Rechts- oder Anspruchsgrundlagen auswendig zu lernen. Die Beherrschung der oben dargestellten Systematik ist daher nicht zu unterschätzen. Im folgenden sollen deswegen nur einige Rechtsgrundlagen exemplarisch dargestellt werden. Allerdings handelt es sich hierbei um sehr häufige Klausurfälle:
  • § 15 I VersG für das Verbot oder die Auflösung von öffentlichen Versammlungen im Freien.[28]
  • § 13 VersG für polizeiliche Auflösungen von öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen.
  • § 5 VersG für das Verbot von öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen.
  • § 15 I / II, III GastG für die Rücknahme und den Widerruf der Gaststättenerlaubnis.[29]
  • § 13 HandwO für das Löschen aus der Handwerksrolle.
  • § 18 i.V.m. § 17 BJagdG für die Ungültigkeitserklärung des Jagdscheines.
  • § 8 WaffG für die Versagung einer Erlaubnis, Schußwaffen zu vertreiben.
  • § 29 GewO für das Betreten der Geschäftsräume während der üblichen Geschäftszeiten, um dort Prüfungen und Besichtigungen vorzunehmen, sich die geschäftlichen Unterlagen vorlegen zu lassen und diese einzusehen.[30]
  • § 35 I GewO für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit oder für die Verhinderung der Ausübung eines Gewerbes durch Schließung der Geschäfts- bzw. Büroräume oder anderer geeigneter Maßnahmen.[31]
  • §§ 48 ff. VwVfG für die Aufhebung rechtswidriger und rechtmäßiger Verwaltungsakte, soweit – wie etwa im Baurecht – keine Sondervorschriften vorhanden sind.
  • § 49 a VwVfG i.V.m. § 49 VwVfG für die Erstattung und die Verzinsung von Zuwendungen.
  • §§ 11, 12 BBG i.V.m. §§ 48 ff. VwVfG für die Nichtigkeit bzw. Rücknahme der Beamtenernennung.[32]
  • § 52 II BeamtVG i.V.m. §§ 48 ff. VwVfG für die Rückforderung von Versorgungsbezügen.
  • § 8 ProdSG für die Anordnung gegenüber Herstellern, Händlern oder Dritten, daß alle, die einer von einem Produkt ausgehenden Gefahr ausgesetzt sein können, rechtzeitig in geeigneter Form, insbesondere durch den Hersteller, auf diese Gefahr hingewiesen werden.
  • Sowie landesrechtliche Vorschriften.
c.) Insbesondere im Polizei- und Ordnungsrecht kann auch eine Rechtsverordnung, die aufgrund einer Ermächtigung im Landespolizeigesetz (z.B. § 48 ff. BremPolG) erlassen wurde, als Rechtsgrundlage für den Erlaß von Verfügungen (Verwaltungsakte) fungieren. Sollte sich in einem solchen Falle herausstellen, daß die Rechtsverordnung rechtswidrig und somit nichtig ist, so ist auch der darauf basierende Verwaltungsakt (mangels wirksamer Rechtsgrundlage) rechtswidrig.[33]
Darüber hinaus kann auch eine Satzung die Rechtsgrundlage für den Erlaß von Verwaltungsakten bilden. Auch hier gilt die Folge, daß wenn die Satzung rechtswidrig und in Ermangelung einer Heilungsmöglichkeit nichtig ist, auch der darauf basierende Verwaltungsakt rechtswidrig sein muß (Vorbehalt des Gesetzes).
d.) In Ermangelung einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage ist auf die allgemeinen Institute zurückzugreifen. Dabei muß beachtet werden, daß eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage in ihrem Anwendungsbereich nicht einschlägig sein darf. Grundsätzlich ist es untersagt, bei nur Nichtvorliegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen auf die allgemeinen Institute zurückzugreifen. Dies zu tun wäre nicht nur systemwidrig, sondern würde vielmehr die Gefahr der Umgehung der engeren Tatbestandsvoraussetzungen der Spezialgesetze in sich bergen, die in ihrem engeren Anwendungsbereich grundsätzlich eine abschließende Regelung darstellen. Nur wenn nach entsprechender Auslegung[34] das einschlägige Spezialgesetz den Sachverhalt nicht abschließend regelt, kann subsidiär auf die allgemeinen Institute zurückgegriffen werden.
Beispiele: (1) Nach § 52 II BeamtVG hat der Versorgungsempfänger die zuviel erhaltenen Versorgungsbezüge nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) zu erstatten. Eine Rücknahmeregelung des Leistungsbescheides oder gar ein Bestandsschutz wegen Vertrauens seitens des Versorgungsempfängers ist von dieser Vorschrift nicht umfaßt. Aus der Notwendigkeit der Berücksichtigung dieser Umstände sind zusätzlich die Einschränkungen des § 48 II-IV VwVfG zu beachten.
(2) Im Polizei- und Ordnungsrecht greifen z.B. bei fehlender Anwendbarkeit des VersG oder des WassG die Rechtsinstitute des jeweiligen Landespolizeigesetzes. So kommen zunächst die dort normierten Standardmaßnahmen in Betracht, und wenn der Sachverhalt nicht in deren Regelungsbereich fällt oder sie den Sachverhalt nicht abschließend regeln, die Befugnisgeneralklausel.
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung könnte die Prüfung wie folgt eingeleitet werden: „Die ... (konkrete Einzelmaßnahme) ordnet an, daß ... (deren Inhalt). Es handelt sich somit um einen belastenden Verwaltungsakt. Dieser ist ein Instrument der Eingriffsverwaltung. Eingriffe in Freiheit und Eigentum bedürfen wegen der rechtsstaatlichen Bindung der Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage. Es gilt der sogenannte Vorbehalt des Gesetzes, Art. 20 III GG. Die ... (konkrete Maßnahme) bedarf daher einer Rechtsgrundlage. In Betracht kommt § ...“.
Gedanklich muß sodann die Normenhierarchie rezipiert werden: Europäisches Gemeinschaftsrecht, Bundesverfassungsrecht, allgemeine Regeln des Völkerrechts, Bundesparlamentsgesetze, Bundesadministrativrecht (untergesetzliches staatliches Recht wie Rechtsverordnungen oder nichtstaatliches, autonomes Recht wie Satzungen), Landesverfassungsrecht, Landesparlamentsgesetze, sonstiges untergesetzliches Landesrecht.[35]

e.) Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage führt zwar regelmäßig, aber nicht notwendig zur Rechtswidrigkeit der Einzelmaßnahme. So ist das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage unschädlich, wenn anderenfalls eine noch verfassungsfernere Rechtslage entstünde.
Beispiel[36]:
A war vor dem Zivilgericht auf Unterlassung anonymer Anrufe verklagt worden. Die antragsgemäße Verurteilung stützte sich entscheidend auf Ferngesprächsdaten, die die Telekom mittels Zählervergleichseinrichtungen und Fangschaltungen auf Veranlassung der Klägerin des Ausgangsverfahrens ermittelt hatte. A fühlte sich durch die Verwertung der Ferngesprächsdaten zu Beweiszwecken in seinen Grundrechten verletzt. Gegen die letzinstanzliche Entscheidung erhebt A nun Verfassungsbeschwerde. Wird diese begründet sein?
Lösungsgesichtspunkte:
Die Verfassungsbeschwerde wird begründet sein, wenn die Verwertung der Ferngesprächsdaten den A in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. In Betracht kommt eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses, Art. 10 I GG.
I. Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses
Art. 10 I GG schützt die Privatsphäre, indem er die Vertraulichkeit der Kommunikation im Fernmeldeverkehr garantiert, und zwar die Vertraulichkeit des Kommunikationsinhalts wie auch des Kommunikationsvorgangs.[37] Diese Vertraulichkeit ist durch die Angewiesenheit auf Vermittler – die Telekom – besonders gefährdet. Das Grundrecht schützt aber nicht nur vor Eingriffen durch staatliche Stellen selbst, sondern auch durch die Telekom. Allerdings ist die Übermittlung ohne ein Minimum an Erfassung kommunikationsrelevanter Daten nicht denkbar. Deshalb vertrat die früher h.M., daß betriebliche Erfordernisse der Post, insbesondere Maßnahmen zur Sicherung des ordnungsgemäßen Gebrauchs der Fernmeldeeinrichtungen, die Reichweite des Grundrechtsschutzes gleichsam „von innen“ heraus begrenzen. Man spricht insofern von „betriebsbedingten Schranken“. Das BVerfG hat dieser Auffassung nunmehr eine Absage erteilt, indem es klarstellt, daß der Schutzbereich eines Grundrechts allein nach dem Schutzbedürfnis des Bürgers zu bestimmen sei.
Eingriffsorientierte Gesichtspunkte – wie hier die Bedürfnisse der Telekom – hätten dagegen bei der Definition des Schutzbereichs keinen Platz. Die Notwendigkeit der Abwehr von Grundrechtsmißbräuchen könne zwar ein rechtfertigender Grund für Grundrechtsbeschränkungen sein, nicht aber bereits für eine begrenzende Schutzbereichsauslegung. Damit genießen alle der Telekom zur Übermittlung anvertrauten Kommunikationsvorgänge, -träger und -inhalte den Schutz des Art. 10 I GG.
II. Eingriff in den Schutzbereich
Geht man nicht von einer Schutzbereichsbegrenzung aus, stellt die Erfassung der Gesprächsdaten durch die Telekom mittels Zählereinrichtungen bzw. Fangschaltungen einen Eingriff dar.
III. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Dieser Eingriff könnte durch Einwilligung bzw. Grundrechtsverzicht gerechtfertigt sein. Der Grundrechtsschutz aus Art. 10 I GG ist verzichtbar. Allerdings hat A weder generell durch Begründung des Fernsprechverhältnisses noch im konkreten Fall, da er ihm gar nicht bekannt war, in die Erfassung eingewilligt. Es könnte aber in der Veranlassung der Gesprächsbeobachtung durch die Belästigte ein Verzicht auch mit Wirkung für den A liegen. Da es vorliegend allerdings um den Grundrechtsschutz gerade des A geht – dessen mißbräuchliches Verhalten noch nicht feststeht – sowie die Möglichkeit der unzulässigen Verwertung der gesammelten Daten besteht, ist jede staatliche Einschaltung, die nicht mit Einverständnis beider Kommunikationspartner erfolgt, ein Grundrechtseingriff. Er bedarf zu seiner Rechtfertigung eines Parlamentsgesetzes. Vorliegend ist ein solches nicht ersichtlich. Der Eingriff könnte daher schon deshalb rechtswidrig sein.
Das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage ist jedoch unschädlich, wenn andernfalls eine noch verfassungsfernere Rechtslage entstünde.[38] Denn während für die Gesprächsbeobachtung „nur“ die gesetzliche Grundlage fehlt, deren verfassungsgemäße Schaffung jedoch möglich, der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis also materiell zulässig ist, stünden die Opfer von anonymen Anrufen bei sofortigem Verbot von Gesprächsbeobachtungen schutzlos; der materielle Grundrechtsschutz für ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht wie auch etwa für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit entfiele.
IV. Ergebnis
Folgt man der Auffassung des BVerfG, so wird die Verfassungsbeschwerde des A unbegründet sein. Zu beachten ist jedoch, daß der Gesetzgeber in einem solchen Fall gehalten ist, unverzüglich die erforderliche Gesetzeslage zu schaffen. Für eine Übergangszeit darf die bestehende Rechtslage hingenommen werden. Allerdings darf bis zur Schaffung des erforderlichen Gesetzes in das Grundrecht nur insoweit eingegriffen werden, wie es zum Schutz der genannten Rechtsgüter unerläßlich ist[39] Man spricht insoweit von einer Appell-entscheidung des BVerfG.
f.) Schließlich muß die Rechtsgrundlage ihrerseits mit höherrangigem Recht vereinbar sein. Ist sie das nicht, so kann folgerichtig auch nicht der Verwaltungsakt rechtmäßig sein.
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung genügt es daher nicht, lediglich die Vereinbarkeit des Verwaltungsakts mit seiner Rechtsgrundlage zu prüfen. Dem Vorbehalt des Gesetzes ist nur dann Genüge getan, wenn auch die Rechtsgrundlage rechtmäßig ist. Im Zweifel ist auch deren Rechtmäßigkeit zu prüfen
bb. Übereinstimmung mit der Rechtsgrundlage
Der Verwaltungsakt stimmt mit der Rechtsgrundlage überein, wenn – soweit vorhanden – unbestimmte Rechtsbegriffe richtig ausgelegt, Beurteilungsspielräume sowie planerische Abwägungsentscheidungen eingehalten wurden. Schließlich müssen Ermessensspielräume eingehalten und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.
a.) Unbestimmte Rechtsbegriffe
Der Gesetzgeber kann nicht alle erdenklichen Lebenssachverhalte antizipiert in den Normen aufnehmen. Dafür bieten sie zu viele Besonderheiten und Verschiedenartigkeiten. Daher muß der Wortlaut einer Norm - freilich unter Beachtung des Bestimmtheitsgrundsatzes - ein bestimmtes Maß an Abstraktheit aufweisen. Darüber hinaus muß es der Verwaltung möglich sein, auch auf atypische, unvorhersehbare Situationen zu reagieren. Aus diesem Grund enthalten Normen nicht selten generalklauselartige Formulierungen, sog. unbestimmte Rechtsbegriffe.
Unbestimmte Rechtsbegriffe sind Gesetzesbegriffe, die auf der Tatbestandsseite einer Norm stehen und bei der Rechtsanwendung des einschlägigen Tatbestandes im Einzelfall einer Auslegung bedürfen.
Beispiele: Unzuverlässigkeit in § 35 I GewO; Ungeeignetheit in § 3 StVG i.V.m. §§ 3, 11 III FeV; öffentliche Sicherheit in § 10 I S. 1 BremPolG (Befugnisgeneralklausel); öffentliches Interesse in § 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO; Gemeinwohl in Art. 14 III S. 1 GG; öffentliche Belange in § 35 II BauGB; geeignete Form in § 8 ProdSG etc..
Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe ist grundsätzlich gerichtlich voll überprüfbar, da es sich um Rechtsanwendung handelt und derartige Akte wegen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV S. 1 GG einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein müssen. Außerdem kann es keine Bandbreite möglicher Entscheidungen geben: Entweder ist z.B. der Straßenverkehrsteilnehmer gem. § 3 StVG i.V.m. §§ 3, 11 III FeV ungeeignet oder er ist es nicht. Daraus folgt die gerichtliche Überprüfbarkeit im konkreten Fall.
b.) Beurteilungsspielräume
Eine Ausnahme von dem Postulat der vollen richterlichen Überprüfung ist dort zu machen, wo die richterliche Kontrolle aufgrund atypischer Sachumstände außergewöhnlichen Schwierigkeiten begegnet und einem besonders prädestinierten Entscheidungsträger eine spezifische Sachkompetenz zukommt.[40] Eine besondere Bedeutung kommt dabei sog. „prognostischen Entscheidungen“ zu. Dies sind Entscheidungen, bei denen die Subsumtion unter einen unbestimmten Rechtsbegriff von zukunftsgerichteten komplexen Wertungen und/oder von komplexen Diagnosen abhängt.[41]
Voraussetzung für die Anerkennung eines solchen gerichtlich nicht weiter überprüfbaren Beurteilungsspielraums ist aber eine entsprechende gesetzliche Ermächtigung, d.h. die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen, die durch Auslegung zu einem Beurteilungsspielraum führen.[42] Die gerichtliche Überprüfbarkeit beschränkt sich dann darauf, ob der anzuwendende Begriff verkannt oder der gesetzliche Rahmen, der dem Gesetzesanwender eingeräumt wurde, überschritten wurde oder ob dieser von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Maßstäbe außer acht gelassen oder sachfremde Erwägungen angestellt hat.[43] Bei prognostischen Entscheidungen kommt die gerichtliche Prüfungsmöglichkeit hinzu, ob der Rechtsanwender den möglichen Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung erkennbar verfehlt hat.[44] Da die Dogmatik um die Beurteilungsspielräume ein komplexes Gebilde darstellt, sei auf die ausführliche Darstellung bei Schmidt/Seidel, AllgVerwR, S. 266 ff. verwiesen.
c.) Einhaltung von Ermessensspielräumen; kein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
aa.) Ermessen
Um der Vielgestaltigkeit und Dynamik der Lebenssachverhalte gerecht zu werden, räumt der Gesetzgeber der Verwaltung Handlungsspielräume nicht nur auf der Tatbestandsseite ein (unbestimmte Rechtsbegriffe, planerische Abwägungsentscheidungen), sondern auch auf der Rechtsfolgeseite. Hier handelt es sich um Verwaltungsermessen.
Ermessen ist ein der Verwaltung auf der Rechtsfolgeseite einer Norm hinsichtlich des „ob“ (Entschließungsermessen) und/oder des „wie“ (Auswahlermessen) eingeräumter Entscheidungsspielraum, der gerichtlich beschränkt (im Rahmen des § 114 VwGO) überprüfbar ist.
Die ratio des Ermessens liegt in der Freistellung der Wahl der Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestandes, um die Verwaltung in die Lage zu versetzen, von unnötigen Eingriffen abzusehen und somit dem Übermaßverbot Rechnung zu tragen. Das Ermessen stellt somit die Verknüpfung von Tatbestand und Rechtsfolge dar.
Beachtet die Behörde die Ermessensbindung nicht, so ist der Verwaltungsakt ermessensfehlerhaft und rechtswidrig.
bb.) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genießt Verfassungsrang und gilt für alle staatlichen Maßnahmen. Deshalb verwundert es nicht, daß er nur gelegentlich positivrechtlich normiert ist. Er besagt, daß die Freiheit des einzelnen nur soweit eingeschränkt werden darf, als es im Interesse des Gemeinwohls unabdingbar ist.[45] Es gilt somit das Gebot des geringstmöglichen Eingriffs („nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“). Die Maßnahme muß geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Geeignet ist eine staatliche Maßnahme immer dann, wenn mit ihrer Hilfe das angestrebte Ziel gefördert werden kann. Vorliegend ...“.
An dieser Stelle erfolgt die Subsumtion und i.d.R. die Feststellung, daß die konkrete behördliche Maßnahme zwecktauglich, also geeignet war.
Beispiel: Wenn die zuständige Verwaltungsbehörde die Erhöhung eines Abgaskamins um 10 Meter anordnet, um in der Nachbarschaft Geruchsbelästigungen zu verhindern, ist diese Anordnung nur dann geeignet, wenn die Geruchsbelästigungen durch die Erhöhung des Kamins überhaupt verhindert werden können.
War die Maßnahme geeignet, muß sie des weiteren erforderlich gewesen sein.
Erforderlich ist eine staatliche Maßnahme, wenn es kein milderes Mittel gibt, welches den gleichen Erfolg mit der gleichen Sicherheit und einem vergleichbaren Aufwand herbeiführen würde (Prinzip des sog. Interventionsminimums).[46]
Beispiel: Die Anordnung, den Abgaskamin um 10 Meter zu erhöhen, um die Geruchsbelästigung gegenüber den Nachbarn zu verhindern, ist nur dann erforderlich, wenn eine Erhöhung von beispielsweise 5 Metern oder die Installation eines Filters nicht ausreicht.
Klausurhinweis: Es gilt das Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs. Klausurtechnisch kann an dieser Stelle hervorragend die Fähigkeit zu juristischer Argumentation und Rhetorik demonstriert werden. Es können Argumente hervorgebracht werden, welche Nachteile die zu prüfende Maßnahme für den Betroffenen hat, und wie diese Maßnahme beispielsweise eingeschränkt werden könnte, damit der Zweck (hier die Erforderlichkeit) trotzdem erreicht wird. Anschließend können Maßnahmenalternativen herangezogen werden, die ebenso geeignet sind, aber weniger intensiv in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreifen (vgl. dazu exemplarisch den Abschlußfall auf S. 13 ff. zur Angestelltenkammer). Wird im Ergebnis festgestellt, daß die betreffende Maßnahme erforderlich war, muß zuletzt die Verhältnismäßigkeit i.e.S. (Angemessenheit) dieser Maßnahme geprüft werden:
Zuletzt muß die Maßnahme auch angemessen sein.
Angemessen ist eine staatliche Maßnahme, wenn das mit ihr verfolgte Ziel in seiner Wertigkeit nicht außer Verhältnis zur Intensität des Eingriffes steht (Zumutbarkeit der Maßnahme = Übermaßverbot).[47]
Zu beachten ist, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht schon bei einem geringen Übergewicht des Nachteils gegenüber dem Erfolg der Maßnahme verletzt ist. Beachtlich ist nur ein erkennbares Mißverhältnis von einigem Gewicht. Daher ist dieser Abwägungsprozeß anhand der Umstände des konkreten Falles mitunter sehr schwierig.
Beispiel: Die Anordnung bezüglich der Erhöhung des Abgaskamins verstößt nur dann nicht gegen das Übermaßverbot, wenn der Kostenaufwand nicht in einem groben Mißverhältnis zum Erfolg, nämlich zur Verhinderung der Geruchsbelästigung steht. Freilich ist die Wertigkeit der Geruchsbelästigung (Art. 2 II S. 1 GG) nicht unterzubewerten.
Insbesondere im examensrelevanten Polizeirecht hat die Abwägung das bedrohte Schutzgut einerseits, die Schwere des drohenden Schadens (Umfang, Gewicht, Ausmaß des Nachteils für den Betroffenen, finanzielle Folgen, Zerstörung von Werten) andererseits sowie die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu berücksichtigen, da im objektiv-rechtlichen Polizei- und Ordnungsrecht die Haftung verschuldensunabhängig ist. Darüber hinaus ist das Austauschmittel zu beachten: Wenn zur Gefahrenabwehr mehrere Mittel in Betracht kommen, genügt es, daß eines davon bestimmt wird. Dem Betroffenen ist auf Antrag jedoch zu gestatten, ein anderes wirksames Mittel anzuwenden, sofern die Allgemeinheit dadurch nicht stärker beeinträchtigt wird[48].
Klausurhinweis: Eine Abwägung ist durchgängig von (subjektiven) Wertungen beeinflußt. Deshalb empfiehlt es sich bei erheblichen Bedenken über die Akzeptanz der vertretenen Meinung, die fragliche Maßnahme erneut daraufhin zu prüfen, ob sie nicht eher an der Erforderlichkeit scheitert. Im übrigen muß in einer Klausur, um dogmatisch korrekt vorzugehen, die Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich eines angefochtenen Verwaltungsaktes im Rahmen der Ermessensüberschreitung erfolgen.[49] Denn wählt die Behörde eine Rechtsfolge, die nicht von der Norm vorgesehen ist, verstößt sie damit gleichzeitig (wegen Ermessensüberschreitung) gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Fehler steckt hier im Ergebnis der Ermessensbetätigung.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit

a. Grundsatz

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes sind des weiteren zeitliche Aspekte zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist nach h.M.[50] maßgeblicher Zeitpunkt, auf den in einer Anfechtungssituation bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, derjenige der letzten Behördenentscheidung.[51] Da der Verwaltungsakt seine abschließende Gestalt erst mit dem Widerspruchsbescheid erhält und die Widerspruchsbehörde im Moment des Bescheids die zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage zugrunde zu legen hat, das Verwaltungsverfahren der Ausgangs- und Widerspruchsbehörde aus verwaltungsprozessualer Sicht also als Einheit anzusehen ist, ist die letzte Behördenentscheidung i.d.R. der Erlaß des Widerspruchsbescheides.[52] Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen des Verwaltungsaktes, die zwischen dessen Erlaß und dem Widerspruchsbescheid eintreten, sind deshalb von der Widerspruchsbehörde grundsätzlich zu berücksichtigen.[53] Später eingetretene Veränderungen der Sach- und Rechtslage sind nur dann von Bedeutung, wenn sich aus dem materiellen Recht ausnahmsweise etwas anderes ergibt (so etwa bei Gesetzesänderung mit Rückwirkung).

b. Ausnahmen

aa. Noch nicht vollzogener Verwaltungsakt
Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn der Verwaltungsakt bis zum Zeitpunkt der Überprüfung noch nicht vollzogen wurde, die Sach- und Rechtslage sich aber zwischenzeitlich geändert hat.
Beispiel[54]: B ist Halter eines aus dem Vereinigten Königreich stammenden Galloway-Rindes. Die zuständige Veterinärbehörde ordnet durch Verfügung die Tötung des Tieres an, gestützt auf § 18 i.V.m. § 24 Tierseuchengesetz. Das Rind sei aus Schottland eingeführt worden. Aufgrund des vermehrten Auftretens von BSE könne nicht ausgeschlossen werden, daß auch das in Frage stehende Rind infiziert sei. Ebensowenig könne eine Übertragung auf den Menschen ausgeschlossen werden. B versichert glaubhaft, das Tier sei nicht zum Verzehr bestimmt und würde keinesfalls in den Nahrungskreislauf gelangen. Unter Zugrundelegung dieser Sachlage ändert sich die Interessenlage der Tötung (vgl. § 18 Tierseuchengesetz: Verkehrsinteressen), also ein Umstand, der die Zulässigkeit der Anordnung trug. Fraglich ist aber, ob auf den nachträglichen Zeitpunkt abgestellt werden kann.
Zwar wird nach überwiegender Auffassung in Fällen dieser Art der ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakt nicht rechtswidrig, wohl aber dessen weitere Aufrechterhaltung. Ist der Rechtsstreit prozessual zu prüfen, so legt das Gericht bei seiner Entscheidung in diesem Fall die veränderte Sach- und Rechtslage zugrunde. Das ist folgerichtig, da sonst der vollzogene (Grund-) Verwaltungsakt sofort wieder rückgängig gemacht werden müßte (vgl. § 113 I S. 2 VwGO). Mißlich wird dies insbesondere dann, wenn die Rückgängigmachung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist.
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung sollte die Entscheidung, ob eine Aufhebung ex nunc oder ex tunc bzw. ob sie ganz oder nur teilweise erfolgt, von einer Würdigung der im zu prüfenden Fall betroffenen Interessen abhängig gemacht werden. Diese Entscheidung sollte der Prüfung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage nicht etwa vorangestellt, sondern in diese integriert werden. So bietet es sich im obigen BSE-Fall an, zunächst die ursprüngliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu prüfen. Bei deren Bejahung ist in einem zweiten Schritt auf die geänderten Umstände einzugehen und darzulegen, daß eine tatbestandliche Voraussetzung weggefallen ist. Sodann ist zu diskutieren, wie sich die Änderung der Sach- und Rechtslage auswirkt.
bb. Zwischenzeitlich legalisierter Sachverhalt
Sehr umstritten ist die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt auch im Fall des baunachbarrechtlichen Widerspruchs. Nach der Rechtsprechung des BVerwG[55] gilt, daß wenn eine rechtswidrig erteilte Baugenehmigung durch einen Dritten angefochten wird, die Rechtslage (etwa durch Änderung des Bebauungsplans) sich aber bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Gerichtsverhandlung ändert, so daß das Vorhaben nunmehr rechtmäßig wird, die Klage als unbegründet abzuweisen ist, da der in Art. 14 GG wurzelnde Genehmigungsanspruch den Ausschlag dafür gibt, daß die Änderung der Rechtslage zu berücksichtigen ist. War die ursprüngliche Baugenehmigung dagegen rechtmäßig, und ändert sich die Rechtslage nachträglich zuungunsten des Bauherrn, so genieße das Bauvorhaben wegen der bereits eingeräumten Rechtsposition Bestandsschutz.
Diese Auffassung ist in der Literatur auf heftige Kritik gestoßen.[56] Auch der Widerspruchsführer mache Rechte geltend, deren Voraussetzungen sich noch zwischen Erlaß des Verwaltungsaktes und des Widerspruchsbescheides ändern können. Im übrigen sei die „Risikoverteilung“ bei Drittwidersprüchen und Drittklagen insgesamt dadurch gekennzeichnet, daß ein Begünstigter die ihm eingeräumte Rechtsposition in vollem Umfang erst mit der Unanfechtbarkeit der Entscheidung erlange (vgl. § 50 VwVfG, § 80 VwGO). Auch beim Nachbarwiderspruch gelte daher der Grundsatz der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids.[57]
Klausurhinweis: Eine in der Fallbearbeitung häufig verlangte Problemdarstellung besteht darin, daß die Behörde eine Bauabrißverfügung in bezug auf ein dem aktuellen Bebauungsplan nicht entsprechendes, seinerzeit aber im Einklang mit den bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Vorschriften errichtetes Gebäude erläßt. Die Rechtsgrundlage für eine Bauabrißverfügung ist den Landesbauordnungen zu entnehmen.[58] Zu problematisieren ist aber, ob bei der Beurteilung der Illegalität des Baus auf die damalige oder die heutige Rechtsordnung abzustellen ist. Hier machen es der Vertrauensschutz und der Bestandsschutz erforderlich, daß eine Beseitigungsverfügung nicht ergehen darf. Die Landesbauordnungen haben dies positivrechtlich geregelt, indem die Vorschriften über die Baubeseitigung verlangen, daß die Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde. Eine Beseitigungsverfügung ist also nur dann zulässig, wenn die materielle Illegalität bei der Errichtung des Baus vorlag, nicht jedoch, wenn sie später eintrat.
cc. Verwaltungsakte mit Dauerwirkung
Verwaltungsakte mit Dauerwirkung sind Verwaltungsakte, die sich nicht in einem einmaligen Gebot oder Verbot erschöpfen, sondern über einen bestimmten Zeitraum Rechtswirkungen entfalten (etwa Verkehrszeichen, Gewerbegenehmigung, Bewilligung eines monatlichen Stipendiums etc.). Bei der Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt kommt es auf die Betrachtungsweise an: Aus verfahrensrechtlicher Sicht ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes maßgebend. Aus materiellrechtlicher Sicht gilt etwas anderes: Wurde der Dauerverwaltungsakt ursprünglich rechtmäßig erlassen, stimmt er aber im Nachhinein infolge einer geänderten Sach- und Rechtslage nicht mehr mit geltendem Recht überein, so muß die Frage aufgeworfen werden, ob seine Aufrechterhaltung rechtswidrig wäre und er deshalb aufgehoben werden müßte.
Wegen der in die Zukunft reichenden Regelung ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Gerichtsverhandlung abzustellen, da sich der Verwaltungsakt gewissermaßen stets erneuert. Daher muß berücksichtigt werden, ob er zum jeweiligen neuen Zeitpunkt noch hätte rechtmäßig ergehen können. Von praktischer Bedeutung ist dies für die Frage, ob eine Aufhebungverfügung der Behörde sich nach den Rücknahme- oder den Widerrufsregeln (vgl. §§ 48, 49 VwVfG) bestimmt und damit eine Aufhebung mit Wirkung auch für die Vergangenheit (ex tunc) oder nur für die Zukunft (ex nunc) erfolgen kann. Da Dauerverwaltungsakte ihre Rechtswirkungen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt entfalten, sondern dies auf einen längeren Zeitraum erstrecken, muß auch ihre Vereinbarkeit mit den ihnen zugrundeliegenden Rechtssätzen für die Zeitdauer der Wirkung unverändert Bestand haben. Daher scheint eine Rücknahme beispielsweise nach § 48 VwVfG mit ex nunc-Wirkung angebracht, soweit nicht die Regeln über den Widerruf, d.h. nach spezialgesetzlichen Vorschriften ggf. i.V.m. §§ 49, 49 a VwVfG einen Widerruf auch ex tunc zulassen.[59] Zum Sonderfall der Gewerbeuntersagung gem. § 35 GewO vgl. die Ausführungen bei Schmidt/Seidel, BesVerwR, S. 8.

3. Rechtsfolge der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts

In einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland ist im Zweifel anzunehmen, daß ein rechtswidriger Staatsakt nichtig, d.h. rechtsunwirksam ist. Dies trifft insbesondere für formelle Gesetze und Rechtsverordnungen zu. Allerdings kann der formelle Gesetzgeber auch Ausnahmen zulassen. So hat er bei bestimmten rechtswidrigen baurechtlichen Satzungen (d.h. bei Bebauungsplänen gem. § 10 BauGB) eine differenzierte Fehlerfolge festgelegt. Bestimmte (in erster Linie formelle) Fehler sind der Heilung zugänglich bzw. unbeachtlich, vgl. §§ 214 f. BauGB. Eine vergleichbare differenzierte Fehlerfolge besteht auch bei den Verwaltungsakten. Aus § 43 I, III VwVfG ergibt sich, daß ein rechtswidriger Verwaltungsakt im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich wirksam ist. Auch bestimmt § 45 VwVfG, daß bestimmte formelle Fehler heilbar sind. Nach § 46 VwVfG sind bestimmte formelle Fehler unbeachtlich. Der rechtswidrige Verwaltungsakt entfaltet also grundsätzlich Rechtswirkungen und ist von jedermann zu beachten. Dieser rechtswidrige Zustand muß aber nicht geduldet werden. Der Verwaltungsakt kann angefochten werden, und zwar durch Einlegung eines Widerspruchs bzw. Erhebung einer Anfechtungsklage. Diese Rechtsbehelfe haben grundsätzlich zur Folge, daß der Verwaltungsakt vorerst nicht vollzogen werden darf (sog. aufschiebende Wirkung, vgl. § 80 I VwGO). Es besteht eine Vollzugshemmung, bis der Verwaltungsakt entweder von der Verwaltung oder von dem Verwaltungsgericht (§ 113 I S. 1 VwGO) aufgehoben wird. Leidet der Verwaltungsakt jedoch an einem offensichtlichen und besonders schwerwiegenden Fehler, so ist er gem. § 44 VwVfG von Anfang an nichtig, d.h. rechtsunwirksam.
Daraus ergeben sich folgende Grundsätze:
  • Der offensichtlich und schwerwiegend rechtswidrige Verwaltungsakt ist nichtig (§ 44 VwVfG). Er entfaltet keinerlei Rechtswirkungen.
  • Im übrigen ist der rechtswidrige Verwaltungsakt wirksam (§ 43 I, III VwVfG). Er ist aber anfechtbar und aufhebbar.
  • Bestimmte Verfahrensfehler sind heilbar (§ 45 VwVfG). Ist eine Heilung erfolgt, ist die Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG nichtig machen, unbeachtlich.
  • Bestimmte Verfahrensfehler sind unbeachtlich, wenn der betreffende Verfahrensfehler offensichtlich die Entscheidung in der Sache nicht beeinflußt hat (§ 46 VwVfG).
  • Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden (§ 48 VwVfG).
  • Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann ggf. in einen rechtmäßigen Verwaltungsakt umgedeutet werden (§ 47 VwVfG).
  • Ein offenbar unrichtiger Verwaltungsakt kann jederzeit und ohne weiteres berichtigt werden (§ 42 VwVfG).
  • Eine fehlende oder unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung berührt die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nicht. Sie führt aber zur Verlängerung der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat (§§ 70, 74, 58 I VwGO) auf ein Jahr (§ 58 II VwGO).

[1] Zu beachten ist aber die Ausnahme z.B. bei Gemeinderatsbeschlüssen, die unter Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes (= zwingendes Verfahrensrecht, nicht bloßes Ordnungsrecht) zustande gekommen und daher nichtig sind (vgl. Stober, Kommunalrecht, § 15 II 5 d).
[2] Zur Heilungsmöglichkeit formell fehlerhafter Verwaltungsakte siehe Schmidt/Seidel, AllgVerwR S. 91 und S. 96, zur Unbeachtlichkeit S. 93 und 96.
[3] Vgl. hierzu näher Schnapp/Cordewener, Welche Rechtsfolgen hat die Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsakts?, in: JuS 1999, 39, 40 f..
[4] Zu den städtebaulichen Verträgen vgl. § 11 BauGB sowie BVerwGE 42, 331; 90, 310. Zu beachten ist, daß die Gemeinde sich nicht verpflichten darf, einen Bebauungsplan bestimmten Inhalts zu erlassen (vgl. § 11 I S. 2 Nr. 1 a.E. BauGB sowie BVerwG DVBl. 1980, 686, 688; DÖV 1981, 878).
[5] Zur Notifikationspflicht und der damit verbundenen Problematik vgl. unten S. 128 ff. und im Besonderen Verwaltungsrecht S. 55 ff..
[6] Zu beachten ist, daß in der Praxis die Gemeinde nur einen Rückforderungsbescheid erläßt. In diesem Rückforderungsbescheid liegt gleichzeitig und konkludent der Aufhebungsbescheid.
[7] BVerwGE 20, 295, 297 f.; 40, 85, 89.
[8] BVerwGE 71, 354, 357 f.; 27, 245.
[9] Rupp, DVBl. 1963, 577 ff.; Renck, JuS 1965, 129 ff.; Achterberg, VerwR, § 20 Rdnr. 81 ff.; Bethge/Detterbeck, JuS 1991, 227 f..
[10] Zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch vgl. Schmidt/Seidel, VerwProzR, S. 202 ff..
[11] Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 49a Rdnr. 12.
[12] Zum Behördenaufbau vgl. Schmidt/Seidel, AllgVerwR, S. 3 ff..
[13] Vgl. zum Streitstand Kopp, VwVfG, § 28 Rdnrn. 9 ff..
[14] In Extremfällen kann sogar die Nichtigkeit gem. § 44 VwVfG vorliegen. Im Normalfall ist der Verwaltungsakt wegen Verstoßes gegen eine Verfahrens- oder Formvorschrift aber nur rechtswidrig und aufhebbar (§ 43 VwVfG).
[15] Vgl. Hufen, JuS 1999, 313, 316.
[16] Zur Rechtsnatur und zur Unterscheidung zwischen Fachaufsicht und Rechtsaufsicht vgl. Schmidt/Seidel, AllgVerwR, S. 12 ff..
[17] § 45 VwVfG wurde neugefaßt im Rahmen des Genehmigungsverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 12.09.1996 (BGBl. I, S. 1354).
[18] Umstritten ist, ob aufgrund dieses Wortlautes eine Heilung auch im Verlauf des Revisionsverfahrens stattfinden kann. Wenn man berücksichtigt, daß in der Revision nur eine Rechtskontrolle stattfindet, und das Revisionsgericht an Tatsachenfragen gebunden ist, kann sich dementsprechend eine Heilung während des Revisionsverfahren nur auf rechtliche, nicht auf tatsächliche Aspekte beziehen. Vgl. hierzu näher Hufen, JuS 1999, 313, 317 f..
[19] Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl. 1998, § 21 Rdnr. 10.
[20] Schmitz/Wessendorf, NVwZ 1996, 955, 958.
[21] Danach sind Mängel erheblich, wenn „sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluß gewesen sind“.
[22] Hufen, VerwProzR, § 25 Rdnr. 13; teilweise a.A. Papier, Direkte Wirkung von Richtlinien der EG im Umwelt- und Technikrecht, in: DVBl. 1993, 809, 814, wonach § 46 VwVfG den EG-Richtlinien vorgeht. Diese Auffassung scheint aber mit Blick auf die neue Rechtsprechung des EuGH (NVwZ 1998, 45 ff.) nunmehr fraglich.
[23] Vgl. BaWü: §§ 58 f. LBO; Bay: Art. 72 LBO; Berl: § 62 LBO; Bbg: § 74 LBO; Hamb: §§ 69 f. LBO; Hess: § 70 LBO; MV: § 72 LBO; Nds: §§ 75, 78 LBO; NRW: § 75 LBO; RhlPf: §§ 68, 74 LBO; Saar: § 70 LBO; Sachs: § 70 LBO; LSA: § 74 LBO; SchHolst: § 78 LBO; Thür: § 70 LBO.
[24] VG Gera NVwZ 1999, 100, 101.
[25] BVerwGE 41, 305, 306.
[26] Für die Rechts- bzw. Anspruchsgrundlage bei den Leistungsklagen gilt entsprechendes.
[27] Vgl. Bund: § 14 BGSG; Bay: Art. 11 I PAG; Berl: § 17 I ASOG; Bran: § 3 VGPolG; Brem: § 10 I PolG; Hamb: § 3 I SOG; Hess: § 11 SOG; MeckVor: § 13 SOG; Nds: § 11 GefAG; NW: § 8 I PolG; RhlPfl: § 9 I POG; Saarl: § 8 I PolG; Sachs: § 3 I PolG; SachsAnh: § 13 SOG; SchlHolst: §§ 174, 176 LVwG; Thür: § 12 I PAG.
[28] Vgl. näher im Besonderen Verwaltungsrecht S. 199 ff.
[29] Die insoweit die allgemeineren §§ 48 ff. VwVfG ausschließen (§ 15 II, III GastG: Widerruf), bzw. nur modifizieren (§ 15 I GastG: Rücknahme).
[30] Vgl. näher im Besonderen Verwaltungsrecht S. 12 f. und 27.
[31] Vgl. näher im Besonderen Verwaltungsrecht S. 3 und 23.
[32] In diesem Fall werden die §§ 48 ff. VwVfG nur in Bereichen ausgeschlossen, in denen die §§ 11, 12 BBG eine abschließende Regelung darstellen. Im übrigen bleibt es bei der Anwendung der §§ 48 ff. VwVfG.
[33] Zur Wiederholung sei darauf hingewiesen, daß nach der herrschenden Nichtigkeitstheorie Rechtssätze nichtig sind, wenn sie rechtswidrig sind. Rechtswidrige (nicht nichtige, vgl. § 44 VwVfG) Verwaltungsakte sind jedoch nur anfechtbar und aufhebbar; darüber hinaus genießen sie nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen Bestandsschutz.
[34] Zu den Auslegungsmethoden vgl. S. 257 ff..
[35] Verwaltungsvorschriften genügen dem Gesetzesvorbehalt nicht, weil sie - streng der Rechtsquellenlehre folgend – grundsätzlich nur Innenrecht darstellen und sich im Grundsatz ausschließlich an nachgeordnete Behörden und Beamte richten. Im Bereich des eingeschränkten Gesetzesvorbehalts (Leistungsverwaltung) können sie jedoch bei der Subventionsvergabe eine Rolle spielen.
[36] Nach BVerfG NJW 1992, 1875 ff. (Vereinbarkeit von Fangschaltungen mit dem Fernmeldegeheimnis).
[37] BVerfGE 67, 157, 172 (Überwachung des Brief- und Telefonverkehrs).
[38] Vgl. dazu BVerfGE 33, 1, 12 (Strafgefangener).
[39] Vgl. BVerfG a.a.O., S. 13.
[40] Vgl. BVerwGE 79, 208, 213; Maurer, AllgVerwR, § 7 Rdnrn. 31 ff.; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 33 II 1.
[41] Vgl. Bachof, JZ 1955, 97 (100 f.); Ule, Unbestimmte Rechtsbegriffe, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, S. 309 ff.; ders., VerwProzR, § 2 (S. 10 u. 23 f.); Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 Rdnrn. 14 ff.; BVerwGE 62, 330, 340; Tettinger, DVBl. 1982, 421 ff.; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 33 II 1; ders., Handbuch, § 55 II (S. 727 ff.).
[42] Vgl. dazu Maurer, AllgVerwR, § 7 Rdnrn. 31 u. 33.
[43] BVerfGE 84, 34, 45 f.; BVerwGE 8, 272, 273 ff.; 79, 208, 213 ff.; 82, 295, 299 ff.; 72, 300, 316 f.; 81, 185, 190 ff.; BVerwG NVwZ 1998, 738; vgl. auch ausführlich Maurer, AllgVerwR, § 7 Rdnrn. 37-44; Ossenbühl, Richterliche Kontrolle von Prognoseentscheidungen, in: Menger-FS, S. 731 (745).
[44] BVerwGE 64, 238, 242; Gramlich, Begründetheit wirtschaftsverwaltungsrechtlicher- und umweltrechtlicher Klagen, in: Stober, Rechtsschutz, § 6 II; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 33 II 1.
[45] BVerfGE 19, 343, 348; 69, 135.
[46] Eine Gefahrenabwehrmaßnahme ist nur dann erforderlich, wenn sie von mehreren möglichen und gleich geeigneten Mitteln dasjenige ist, das den einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. Dieses Prinzip des sog. Interventionsminimums fragt danach, ob im konkreten Fall nicht eine zur Gefahrenabwehr gleich wirksame Maßnahme in Betracht kommt, die weniger belastend wirkt.
[47] Es muß eine Abwägung stattfinden zwischen der Intensität des Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Rechtsgut und der Wertigkeit des verfolgten Zwecks der Maßnahme.
[48] Bund: § 3 II MEPolG; Bay: Art. 5 II PAG; BW: § 3 II PolG; Berl: § 12 II ASOG; Bran: § 5 II PolG, § 16 II OBG; Brem: § 4 II PolG; Hamb: § 4 III SOG; Hess: § 5 II SOG; MeckVor: §§ 13, 14 II SOG; NRW: § 3 II PolG, § 3 II OBG; Nds: 5 II GefAG; RhlPfl: § 3 II PolG; Saarl: § 3 II PolG; Sachs: § 3 II PolG; Sachs-Anh: § 6 II SOG; SchlHolst: § 174 II LVwG; Thür: § 5 II OBG.
[49] Teilweise wird auch vertreten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufbautechnisch nach dem Ermessen zu prüfen. Diese Vorgehensweise ist abzulehnen, denn überschreitet die Verwaltung das ihr eingeräumte Ermessen, so verstößt sie zugleich gegen Grundrechte, gegen allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts und/oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für eine separate Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist somit kein Raum mehr. Insbesondere ist eine „freischwebende“ Verhältnismäßigkeitsprüfung abzulehnen.
[50] BVerwGE 82, 260, 261; Hufen, VerwProzR, § 34 Rdnrn. 8 ff.; Schnapp/Henkenötter, JuS 1998, 624, 625; a.A. neuerdings BVerwGE 97, 79, 81 f. wonach stets die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich seien.
[51] Im Gegensatz dazu steht die Verpflichtungsklage, bei der nach einer Faustformel des BVerwG auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Prozeßverhandlung abzustellen ist. Das gilt auch dann, wenn der geltend gemachte Anspruch im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch durchsetzbar gewesen war, im Zeitpunkt der letzten mündlichen Gerichtsverhandlung eine Erfüllung durch die Behörde aber ausscheidet, weil sie aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, dem Begehren nachzukommen. Dem Kläger bleibt dann nur noch ein Schadenersatzanspruch (z.B. aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder aus enteignungsgleichem Eingriff) bzw. die Klageumstellung auf eine (Verpflichtungs-) Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 I S. 4 VwGO. Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme zu machen, wenn eine behördliche Ermessensentscheidung überprüft wird. Hier ist Beurteilungszeitpunkt die letzte Behördenentscheidung.
[52] Etwas anderes gilt nur, wenn die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens gem. § 68 I S. 2 VwGO entbehrlich war. Dann ist die letzte Behördenentscheidung der Grundverwaltungsakt.
[53] BVerwGE 49, 197, 198.
[54] Angelehnt an VGH Mannheim NVwZ 1997, 405 f..
[55] BVerwG DÖV 1970, 136, 137; DVBl. 1978, 614.
[56] Hufen, VerwProzR, § 7 Rdnr. 12.
[57] Zu beachten ist, daß dies nicht im Immissionsschutzrecht gilt, vgl. § 17 BImSchG.
[58] Vgl. BaWü: § 65 LBO; Bay: Art. 82 LBO; Berl: § 70 LBO; Bbg: § 82 LBO; Brem: § 82 LBO; Hamb: § 76 LBO; Hess: § 78 LBO; MV: § 80 LBO; Nds: § 89 LBO; NRW: § 61 LBO, § 14 OBG; RhlPf: §§ 78, 78 a LBO; Saar: § 88 LBO; Sachs: §§ 77, 77 a LBO; LSA: § 81 LBO; SchHolst: § 86 LBO; Thür: § 77 LBO.
[59] Vgl. dazu Maurer, AllgVerwR, § 10 Rdnr. 3.

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