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Artikel 1836

Das Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG

Das Gesetzgebungsverfahren durchläuft mehrere Stadien. Nach der Systematik der Art. 76 ff. GG kann man von der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens (Einbringen von Gesetzesinitiativen in den Bundestag gem. Art. 76 I GG und Vorverfahren gem. Art. 76 II, III GG), dem Hauptverfahren (Beschlußfassung, Art. 77-79 GG) und dem Abschlußverfahren (Ausfertigung und Verkündung, Art. 82 GG) sprechen.
Klausurhinweis: Das Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG eignet sich hervorragend für Klausuren im Ersten Juristischen Staatsexamen. Insbesondere sind Verstöße gegen die Geschäftsordnungen zu würdigen. Fundierte Kenntnisse und ein geschultes Judiz sind daher unabdingbar. Im folgenden sollen alle gängigen Probleme aufgezeigt und in einer gutachtlichen Darstellungsweise verdeutlicht werden. Dazu zählen:
  • die Gesetzesinitiative durch einen einzelnen Abgeordneten
  • Einbringen der Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung direkt in den Bundestag, ohne sie gem. Art. 76 II S. 1 GG zuvor dem Bundesrat zuzuleiten
  • Einbringen der Gesetzesvorlage durch die Regierungsfraktion, um das Verfahren nach Art. 76 II S. 1 GG zu umgehen
  • Behandlung einer Gesetzesvorlage ohne Durchführung von drei Lesungen
  • Gesetzesbeschluß bei nur wenigen anwesenden Abgeordneten
  • Nichtbefolgen von Weisungen der Landesregierung
  • Uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat
  • Umdeutung einer verweigerten Zustimmung in einen Einspruch
  • Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen zu Zustimmungsgesetzen
  • Materielles Prüfungsrecht des Bundespräsidenten

I. Die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens

1. Das Initiativrecht (Art. 76 I GG)

a. Bundesregierung, Bundesrat, Mitte des Bundestages

Gesetzesvorlagen beim Bundestag werden gem. Art. 76 I GG ausschließlich durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. Eine Gesetzesinitiative des Volkes (vgl. Volksbegehren, Volksbefragung und Volksentscheid) kennt das Grundgesetz – anders als die Weimarer Reichsverfassung – nicht.
In der Staatspraxis stammen die meisten Gesetzesvorlagen von der Bundesregierung. Das ist nicht überraschend, und insbesondere kann es nicht etwa als Zeichen dafür angesehen werden, daß die Abgeordneten selbst zuwenig Gesetzesinitiative entwickeln oder sich von der Regierung alles vorschreiben lassen würden. Vielmehr ist es typisch für das parlamentarische Regierungssystem, welches das Grundgesetz vorschreibt. Denn danach wird der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt, d.h., nach der Bundestagswahl bildet sich hier eine Mehrheit entsprechend dem Wahlergebnis, die die Regierung stellt. Weil die Regierung aus der Mehrheit des Bundestages hervorgebracht wird, bleibt sie mit dieser politisch identisch, und deshalb ist es naheliegend, daß die Gesetzentwürfe, die diese Parlamentsmehrheit beschließen will, inhaltlich, technisch und redaktionell durch die Regierung und ihre Beamten erarbeitet und vorbereitet werden. Dies wird insbesondere klar, wenn man bedenkt, daß die zuständigen Fachminister durch ihre Sachverständigen und Ministerialbeamten den besseren Apparat haben, um Gesetze vorzubereiten. Darüber hinaus ist ein Referentenentwurf in einem Ministerium schon durch den Filter der Interessenverbände gelaufen, deren Einwirken durch die §§ 22 ff. GGO (Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien) ausdrücklich erlaubt ist. Die Arbeit des Bundestages bezieht sich dann vor allem darauf, welchen dieser Gesetzgebungsvorschläge letztlich zugestimmt werden soll und welchen nicht, und an welchen der Bundestag Änderungen anbringt.[1]
Allerdings kommt es nicht selten vor, daß die Bundesregierung die Gesetzesvorlage über die sie tragende(n) Fraktion(en) einbringen läßt. Das hat folgenden Grund: Gem. Art. 76 II S. 1 GG müssen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, bevor sie beim Bundestag eingebracht werden, zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme überreicht werden. Dieser hat dann sechs bzw. neun Wochen Zeit, dazu Stellung zu nehmen. Das ist stets mit Zeitverlust verbunden. Für Gesetzesvorlagen, die aus der Mitte des Bundestages stammen, gilt dieser „Umweg“ nicht. Um daher die Regelung des Art. 76 II S. 1 GG zu umgehen, kommen insbesondere zeitkritische Gesetzesvorlagen von den Regierungsfraktionen, also aus der Mitte des Bundestages. Verfassungsrechtlich ist diese Vorgehensweise bedenklich, ist aber gängige Staatspraxis, vgl. dazu unten 2 a bb.
Vorlagen der Bundesregierung müssen von der Bundesregierung als Kollegialorgan beschlossen werden (vgl. § 15 GO BReg). Auch Gesetzesvorlagen des Bundesrates setzen einen vorherigen Beschluß voraus (vgl. Art. 52 III S. 1 GG). Fraglich ist, was unter der „Mitte des Bundestages“ zu verstehen ist. Diese Frage wird insbesondere dann relevant, wenn die Gesetzesvorlage nur von einem einzelnen Bundestagsabgeordneten eingebracht wird.

b. Gesetzesinitiative durch einen einzelnen Abgeordneten

Die Frage, ob eine Gesetzesinitiative von einem einzelnen Bundestagsabgeordneten ausgehen kann, beantwortet die Verfassung nicht. Dort ist in Art. 76 I GG nur von der „Mitte des Bundestages“ die Rede. Auch aus dem natürlichen Sprachgebrauch des Begriffs „der Mitte“ folgt nicht die Festlegung auf eine Mindestzahl. Von Verfassungs wegen ist daher grundsätzlich jeder einzelne Bundestagsabgeordnete berechtigt, Gesetzesentwürfe einzubringen.[2] Etwas anderes statuiert die GO BT. Gem. § 76 GO BT müssen Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages (zu denen auch Gesetzesentwürfe gehören, vgl. § 75 I lit. a)) von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet werden. Ist das nicht der Fall, so stellt sich die Frage nach den Auswirkungen, die ein Verstoß gegen diese Regelung mit sich bringt. Diese Frage beantwortet Art. 82 GG: Danach werden die nach den Vorschriften dieses Grundgesetz zustande gekommenen Gesetze vom Bundespräsidenten ausgefertigt. Zu den Vorschriften dieses Grundgesetzes gehören eben nicht die Vorschriften der Geschäftsordnung. Es läßt sich daher sagen, daß Verstöße gegen die Geschäftsordnung grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit von Gesetzen führen. Allerdings ist unbestritten, daß ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung in Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit zur Folge haben kann. Für einen gleichzeitigen Verfassungsverstoß wird aber vorausgesetzt, daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung einen „verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen Verfassungsinhalt konkretisiert.[3]
Da das Grundgesetz die Mitte des Bundestages nicht definiert, die in der Geschäftsordnung etwa hätte wiederholt werden können, kommt es folglich darauf an, ob § 76 I GO BT einen wesentlichen Verfassungsinhalt konkretisiert. Dies ist zu bejahen. Durch das Erfordernis der Unterzeichnung einer Gesetzesvorlage eines Parlamentariers von einer Fraktion oder von 5 % der Mitglieder des Bundestages wird der Begriff der „Mitte des Bundestages“ konkretisiert.[4] Gesetzesvorlagen, die aus der Mitte des Bundestages stammen, müssen demnach also von einer Fraktion oder von 5 % der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet sein; anderenfalls ist an eine (mittelbare) Verfassungsverletzung zu denken.
Hierzu gilt wiederum eine Ausnahme: Wird eine aus der Mitte des Bundestages stammende Gesetzesvorlage nicht von der erforderlichen Zahl von Abgeordneten unterschrieben, ist ein gleichwohl beschlossenes Gesetz nicht nichtig. Denn durch die Beschlußfassung des Bundestages hat sich dieser die Vorlage mehrheitlich zu eigen gemacht, so daß der ursprüngliche Formmangel durch den Beschluß des Gesetzes „geheilt“ wird.
Klausurhinweis: Die obige Darstellung hat das Verhältnis von Regel-Ausnahme-Gegenausnahme gezeigt. Sie hat gezeigt, daß Verstöße gegen die Geschäftsordnung grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit von Gesetzen führen. Das belegt bereits der Wortlaut des Art. 82 GG: „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze“. Zu diesem Grundgesetz gehören eben nicht die Vorschriften der Geschäftsordnungen. Besteht also eine Gesetzesinitiative durch einen einzelnen Parlamentarier, so ist die Frage aufzuwerfen, ob diese Gesetzesinitiative „aus der Mitte“ des Bundestages eingebracht wurde. Sodann ist darzulegen, daß das Grundgesetz hierzu offen ist, § 76 I GO BT aber vorschriebt, daß Vorlagen von Mitgliedern des Bundestages (zu denen auch Gesetzesentwürfe gehören, vgl. § 75 I lit. a)) von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages unterzeichnet werden müssen. Schließlich ist darzulegen, daß die Vorschrift des § 76 GO BT eine verfassungsmäßige Konkretisierung des Art. 76 I GG darstellt, und daß somit eine Gesetzesvorlage eines einzelnen Abgeordneten von einer Fraktion oder von 5% der Mitglieder des Bundestages unterschrieben werden muß. Ist das nicht der Fall, ist so ist zwar an eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zu denken, aber dadurch, daß der Bundestag die Gesetzesinitiative weiterverfolgt, und sie sich somit zu eigen macht, der Verstoß gegen § 76 GO BT geheilt ist.

2. Das Vorverfahren (Art. 76 II, III GG)

a. Vorlagen der Bundesregierung (Art. 76 II GG)

Gem. Art. 76 II S. 1 GG sind Vorlagen der Bundesregierung, bevor sie beim Bundestag eingebracht werden, zunächst dem Bundesrat zuzuleiten, damit dieser eine Stellungnahme abgeben kann. Gibt der Bundesrat eine Stellungnahme ab, so ist dies für das weitere Gesetzgebungsverfahren nicht bindend (arg. e Art. 77 II, III GG). Der Sinn der Regelung besteht darin, daß der Bundestag bei seinen Beratungen bereits die Auffassung des Bundesrates kennt, und ggf. das Gesetz so beschließt, daß anschließend im Bundesrat keine größeren Konflikte entstehen. In der Fallbearbeitung können vor allem zwei Problemkreise relevant werden:
aa. Zunächst ist es möglich, daß die Bundesregierung die Gesetzesvorlage, ohne sie zuvor dem Bundesrat zuzuleiten, direkt beim Bundestag einbringt, damit dieser über die Vorlage beschließt. Beschließt der Bundestag dann das Gesetz, so stellt sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes.
Beispiel: Die Bundesregierung berät die Einbringung eines neuen Biotechnologiegesetzes. Da sie aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse keine Einwände des Bundesrates befürchtet, hält sie das Verfahren nach Art. 76 II S. 1 GG für überflüssig und bringt ihre Gesetzesvorlage direkt beim Bundestag ein. Dieser beschließt das Gesetz wie von der Bundesregierung vorgesehen.
Durch die Mißachtung der Vorschrift des Art. 76 II S. GG und der damit verbundenen Mißachtung des Mitwirkungsrechts des Bundesrates im Gesetzesinitiativverfahren könnte das Biotechnologiegesetz verfassungswidrig sein.
Unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen Art. 76 II S. 1 GG beachtlich ist und somit zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führt, wird unterschiedlich gesehen.
  • Nach überwiegender Auffassung ist ein Verstoß gegen Art. 76 II S. 1 GG beachtlich und das Gesetz verfassungswidrig, wenn die Vorschrift des Art. 76 S. 1 II GG eine materiell-rechtliche Vorschrift darstellt. Handelt es sich bei Art. 76 II S. 1 GG lediglich um eine Ordnungsvorschrift, so führt ein Verstoß hiergegen nicht notwendigerweise zur Nichtigkeit.[5]
Für das Vorliegen einer bloßen Ordnungsvorschrift spricht, daß Stellungnahmen des Bundesrates im Gesetzesinitiativverfahren nicht bindend sind.[6] Bindende Stellungnahmen kann der Bundesrat immer noch im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 77-79 GG abgeben. Dort ist ohnehin die Mitwirkung des Bundesrates zumindest bei Zustimmungsgesetzes konstitutiv. Andererseits spricht der Wortlaut des Art. 76 II S. 1 GG von einer Verpflichtung: „Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzuleiten“. Der Sinn dieser Regelung besteht darin, daß der Bundestag frühzeitig über die Auffassung des Bundesrates informiert ist, und daher das Gesetz bereits so gestalten kann, daß es den Bundesrat ohne große Einwände „passieren“ wird.
Vorliegend lassen die politischen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat keine Einwände desselben im späteren Gesetzgebungsverfahren befürchten. Gleichwohl ist der Wortlaut des Art. 76 II S. 1 GG eindeutig, wonach Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten sind. Unterbleibt diese Zuleitung, so ist ein gleichwohl vom Bundestag beschlossenes Gesetz nicht nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen (vgl. Art. 82 GG). Ist ein Gesetz nicht nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen, führt das zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.[7]
  • Teilweise wird nicht darauf abgestellt, ob Art. 76 II S. 1 GG eine materiell-rechtliche Vorschrift darstellt, sondern generell darauf, ob Verstöße gegen Verfahrensbestimmungen Rücksicht auf das Gebot der Rechtssicherheit evident waren.[8] Nur bei evidenten Verstößen gegen grundgesetzliche Verfahrensbestimmungen sei eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes anzunehmen. Vorliegend war das Umgehen des Bundesrates evident, so daß auch dieser Ansatz zur Verfassungswidrigkeit des Biotechnologiegesetzes führt. Eine Entscheidung, welcher Auffassung zu folgen ist, bedarf es somit nicht.
Ergebnis: Da es sich bei der Verfahrensvorschrift des Art. 76 II S. 2 GG zum einen nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift, sondern um eine materiell-rechtliche Verfassungsbestimmung handelt, und zum anderen der Fehler evident war, führt die Nichtbeachtung der Vorschrift des Art. 76 II S. 1 GG zur Verfassungswidrigkeit des Biotechnologiegesetzes.
Klausurhinweis: Es ist kaum eine Fallgestaltung denkbar, bei der die beiden dargestellten Ansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Daher sollte in der Fallbearbeitung das Problem wie oben dargestellt behandelt werden.
bb. In der zweiten Fallgestaltung bringt die Bundesregierung nicht selbst Gesetzesvorlagen ein, sondern läßt diese über die sie tragende(n) Bundestagsfraktion(en) beim Bundestag einbringen, um das Verfahren nach Art. 76 II S. 1 GG zu umgehen. Ob auch diese Fallgestaltung verfassungswidrig ist, soll folgendes Beispiel zeigen:
Beispiel: Da die Bundesregierung immer noch an der Verabschiedung des Biotechnologiegesetzes festhält, nun aber einsieht, daß sie die Gesetzesvorlage zunächst dem Bundesrat zuleiten muß, kommt sie auf folgende Idee: Die vorherige Zuleitung der Gesetzesvorlage an den Bundesrat ist nicht erforderlich, wenn die Gesetzesvorlage aus der Mitte des Bundestages kommt. Daher läßt sie die Vorlage zum Biotechnologiegesetz über die sie tragende Koalition beim Bundestag einbringen.
1. Verstoß gegen Art. 76 II S. 1 GG?
Auch hier liegt letztlich eine Umgehung der Regelung des Art. 76 II S. 1 GG vor. Da aber Gesetzesvorlagen ohne weiteres aus der Mitte des Bundestages beim Bundestag eingebracht werden können, ohne daß sie zunächst dem Bundesrat zuzuleiten wären, ist die Vorgehensweise der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gesetzesvorlage zum Biotechnologiegesetz als aus der Mitte des Bundestages stammend eingestuft werden kann. Dies ist vorliegend der Fall: Formal-juristisch stammt die Gesetzesvorlage von der Regierungskoalition, also aus der Mitte des Bundestages. Daß die eigentliche Initiative von der Bundesregierung ausging, ist unschädlich. Die Regierungskoalition hat sich die Gesetzesvorlage zu eigen gemacht. Diese Vorgehensweise entspricht der Staatspraxis.[9]
2. Verstoß gegen den Grundsatz der Organtreue?
Möglicherweise ergibt sich aber die Unzulässigkeit der Vorgehensweise aus dem Grundsatz der Organtreue. Dieser Grundsatz besagt, daß Staatsorgane untereinander zu rücksichtsvollem Umgang und einem Mindestmaß an Kooperation verpflichtet sind.[10] Gerade für den Fall, daß die Bundesregierung durch gezielte Umgehung der Vorschrift des Art. 76 II S. 1 GG das Mitwirkungsrecht des Bundesrates verkürzt, könnte sie gegen den Grundsatz der Organtreue verstoßen haben. Aber auch hier gilt, daß die Bundesregierung formal-juristisch korrekt gehandelt hat. Die sie stützende Regierungskoalition hat sich den Gesetzesentwurf zu eigen gemacht und beim Bundestag eingebracht. Daher kann auch hier im Ergebnis nichts anderes gelten.
3. Ergebnis
Insgesamt hat sich die Bundesregierung mit der Umgehung der Verfahrensvorschrift des Art. 76 II S. 1 GG nicht rechtsmißbräuchlich verhalten. Eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes kann somit nicht festgestellt werden.

b. Vorlagen des Bundesrates (Art. 76 III GG)

Gesetzesvorlagen des Bundesrates sind gem. Art. 76 III S. 1 GG dem Bundestag durch die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen zuzuleiten. Die Bundesregierung soll hierbei ihre Auffassung darlegen (Art. 76 III S. 2 GG). Das Modalverb „soll“ bedeutet, daß die Bundesregierung zwar im Regelfall, nicht aber in begründeten Ausnahmefällen hierzu verpflichtet ist.

II. Das Hauptverfahren

Ist die Gesetzesinitiative nach den o.g. Grundsätzen beim Bundestag eingebracht worden, so muß der Bundestag sich mit ihr befassen. Er muß darüber beraten und Beschluß fassen.[11]

1. Der Gesetzgebungsbeschluß des Bundestages

a. Die Gesetzesberatungen nach §§ 78 ff. GO BT

Im Bundestag wird über die Gesetzesvorlage grundsätzlich in drei Lesungen beraten, §§ 78 ff. GO BT („Beratungen“). In der ersten Lesung findet eine allgemeine Aussprache i.d.R. nicht statt. Vielmehr werden die Gesetzesvorlagen durch Beschluß an die zuständigen Ausschüsse überwiesen (§ 80 GO BT). Die zweite Lesung findet nach Abschluß der Ausschußberatungen und aufgrund der Empfehlung der beteiligten Ausschüsse statt. Die zweite Lesung dient der Detailberatung der Ausschußberichte. In ihr findet also die eigentliche demokratische Willensbildung des Plenums statt. Es können auch noch Änderungen des Gesetzesentwurfs beantragt werden (§ 82 GO BT). Sofern keine Änderungen des Gesetzesentwurfs beschlossen wurden, folgt die dritte Lesung (§ 84 S. 1 lit. a) GO BT), im übrigen am zweiten Tag nach Verteilung der Drucksachen mit den beschlossenen Änderungen (§ 84 S. 1 lit. b) GO BT). Die dritte Lesung dient der Vorbereitung der Schlußabstimmung nach § 86 GO BT. Diese Schlußabstimmung bedeutet – sofern der Bundestag der Gesetzesvorlage zustimmt – den Gesetzesbeschluß nach Art. 77 I S. 1 GG. Für diesen Gesetzesbeschluß genügt im Regelfall die Mehrheit der abgegeben Stimmen (Art. 42 II GG). Eine qualifizierte Mehrheit ist nur bei Verfassungsänderungen (2/3 Mehrheit) und sonst im Grundgesetz vorgesehenen Fällen erforderlich, vgl. dazu Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht S. 159 ff..
In der Fallbearbeitung stellen sich regelmäßig zwei Problemkreise: Zum einen hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, ohne es zuvor in drei Lesungen beraten zu haben (unten, b.). Zum anderen waren bei dem Gesetzesbeschluß nur so wenige Mitglieder im Bundestag anwesend, daß die Beschlußfähigkeit angezweifelt wird (unten, c.).

b. Gesetzesbeschluß ohne Durchführung von drei Beratungen

aa. Eine Beratung von Gesetzesentwürfen in drei Lesungen fordert die Verfassung nicht ausdrücklich. Vielmehr überläßt sie die Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens insoweit der autonomen Satzungsgewalt des Bundestages (vgl. Art. 40 I S. 2 G). Beschießt der Bundestag daher ein Gesetz, ohne drei Lesungen eingehalten zu haben, so ist fraglich, ob überhaupt ein Verfassungsverstoß vorliegen kann. Allerdings ist – wie bereits gesagt – unbestritten, daß bestimmte Verstöße gegen die Geschäftsordnung in Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge haben können. Für einen Verfassungsverstoß wird aber vorausgesetzt, daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung einen „verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen Verfassungsinhalt konkretisiert.[12] Da das Grundgesetz die Zahl der Lesungen nicht vorschreibt, die in der Geschäftsordnung etwa hätten wiederholt werden können, kommt es folglich darauf an, ob die §§ 78 ff. GO BT einen wesentlichen Verfassungsinhalt konkretisieren. Dies ist zu verneinen. Zwar wird durch die Zahl der vorgeschriebenen Lesungen die Parlamentsarbeit wesentlich bestimmt. Das Erfordernis von drei Lesungen gehört jedoch nicht zu den unabdingbaren Grundsätzen demokratischer rechtsstaatlicher Ordnung.[13] Daher führt ein Verstoß gegen die §§ 78 ff. GO BT nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.
bb. Eine andere Frage ist es, ob ein Verstoß gegen die §§ 78 ff. GO BT ein Verstoß gegen die GO BT selbst bedeutet. Aber auch ein Verstoß gegen die GO BT selbst liegt nicht vor, wenn die Abweichung von der betreffenden Bestimmung der Geschäftsordnung durch 2/3 der anwesenden Mitglieder beschlossen wird und das Grundgesetz dem nicht entgegensteht (§ 126 GO BT).
Beispiel: Der Bundestag behandelt eine Gesetzesnovelle zum Gentechnikgesetz. Da breiter Konsens über die künftige Gesetzesfassung besteht, beschließt der Bundestag mit 300 von 450 anwesenden Abgeordneten das Gesetz in nur einer Lesung zu verabschieden. Nach dem das Gesetz auf diese Weise verabschiedet wurde, macht der oppositionelle Abgeordnete A geltend, daß Gesetz sei nicht rechtmäßig beschlossen worden. Zu Recht?
Nach den oben gemachten Ausführungen liegt ein Verfassungsverstoß nicht vor, da die Zahl von drei Lesungen von Verfassungs wegen nicht gefordert wird. Die Verabschiedung des Gesetzes nach nur einer Lesung widerspricht aber § 78 I S. 1 GO BT. Gleichwohl liegt auch ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung nicht vor, wenn die Abweichung von der betreffenden Bestimmung der Geschäftsordnung durch 2/3 der anwesenden Mitglieder beschlossen wurde und das Grundgesetz dem nicht entgegensteht (§ 126 GO BT). Da vorliegend 300 von 450 anwesenden Abgeordneten für die Verfahrensverkürzung stimmten, kann auch ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung nicht festgestellt werden.
Klausurhinweis: In einer Staatsorganisationsrechtsklausur, welche die Gesetzgebung nach Art. 76 ff. GG zum Gegenstand hat, kommt es nicht selten vor, daß gegen Vorschriften der GO BT (insbesondere über die Zahl der Beratungen, § 78 ff. GO BT) verstoßen worden ist. Bei der Frage, ob das zu untersuchende Gesetz deswegen verfassungswidrig ist, muß das Problem erörtert werden, ob Verstöße gegen die GO BT zur formellen Verfassungswidrigkeit von Gesetzen führen. Da die Zahl der erforderlichen Beratungen nicht im Grundgesetz vorgeschrieben ist, das Zustandekommen von Bundesgesetzen sich aber nach den Art. 70 ff. GG richtet, kann ein Verstoß gegen §§ 78 ff. GO BT auch nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen. Selbstverständlich kann ein Verstoß gegen die GO BT vorliegen, der aber keinen Einfluß auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes hat.
Für die Fallbearbeitung empfiehlt sich folgende Vorgehensweise: Hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, ohne zuvor drei Lesungen durchgeführt zu haben, muß die Frage aufgeworfen werden, ob das Gesetz überhaupt wirksam zustande gekommen ist. Das Grundgesetz selbst enthält keine Vorschriften darüber, ob und wie oft Gesetzesvorlagen zu beraten sind, bevor darüber Beschluß gefaßt wird. Vielmehr verlangt das Grundgesetz gem. Art. 82 GG lediglich, daß das Gesetz den Vorschriften dieses Grundgesetzes entspricht. Zu diesen Vorschriften des Grundgesetzes gehören eben nicht die Vorschriften der GO BT. Verstöße gegen die §§ 78 ff. GO BT führen also nicht zur Verfassungswidrigkeit von Gesetzen. Ein Verfassungsverstoß kann demnach nicht festgestellt werden. Sodann ist auf die Frage einzugehen, ob wenigstens ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung selbst vorliegt. Hier sind die Vorschriften der §§ 78 ff. GO BT zu benennen, wonach drei Lesungen vorgeschrieben sind. Der Bundestag kann aber von dieser Regelung abweichen, wenn dies durch 2/3 der anwesenden Mitglieder beschlossen wird und das Grundgesetz dem nicht entgegensteht (§ 126 GO BT). Sodann ist darzulegen, ob die erforderliche Zahl von Abgeordneten anwesend war und die Abweichung von den §§ 78 ff. GO BT beschlossen hat. Ist dies der Fall, verstößt das Gesetz auch nicht gegen die Geschäftsordnung. Aber auch wenn die Abweichung von den §§ 78 ff. GO BT nicht durch 2/3 Mehrheit festgestellt werden konnte, ist das Gesetz nicht unwirksam, denn wie bereits erwähnt, ist die Zahl der erforderlichen Gesetzesberatungen nicht im Grundgesetz vorgeschrieben.[14]

c. Gesetzesbeschluß bei nur wenigen anwesenden Abgeordneten

Wie bereits mehrfach ausgeführt, genügt für den Gesetzesbeschluß nach Art. 77 I S. 1 GG im Regelfall die Mehrheit der abgegeben Stimmen (Art. 42 II GG).[15] Selbstverständlich setzt ein Gesetzesbeschluß die Beschlußfähigkeit des Bundestages voraus. Ein Problem stellt sich also dann, wenn so wenige Parlamentsabgeordnete anwesend sind, daß die Beschlußfähigkeit des Bundestages bezweifelt werden muß.
Beispiel: Der Bundestag beschließt ein Gesetz, wonach bestimmte Biotechnologien der behördlichen Genehmigung bedürfen. Bei der Beschlußfassung waren nur 60 Abgeordnete anwesend. Biotechnologiekonzern B ist der Auffassung, das Gesetz sei wegen Beschlußunfähigkeit des Bundestages nicht wirksam zustande gekommen und geht weiterhin von der Genehmigungsfreiheit seiner Tätigkeit aus. Zu Recht?
Ebensowenig wie das Grundgesetz die Zahl der Gesetzesberatungen vorschreibt, enthält es Regelungen über die Beschlußfähigkeit. Daß der Bundestag bei der Beschlußfassung aber beschlußfähig sein muß, liegt in der Natur der Sache. Das Grundgesetz überläßt diese Frage der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages (vgl. Art. 40 I S. 2 GG). Dieser hat die Beschlußfähigkeit in § 45 GO BT geregelt. Danach ist der Bundestag beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist (§ 45 I GO BT). Da die Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des Bundestages aber nicht der Staatspraxis entspricht, sieht die GO BT vor, daß der Bundestag solange beschlußfähig ist, bis die Beschlußfähigkeit bezweifelt und die Beschlußunfähigkeit festgestellt wurde (§ 45 II GO BT). Die Bezweifelung der Beschlußfähigkeit muß von einer Fraktion oder von anwesenden 5 % der Mitglieder des Bundestages ausgehen. Mit dieser Regelung wird die Beschlußfähigkeit also fingiert, obwohl sie tatsächlich nicht besteht.[16]
Im vorliegenden Beispiel ist die Beschlußfähigkeit nicht bezweifelt worden. Daher war der Bundestag gem. § 45 I, II GO BT grundsätzlich als beschlußfähig anzusehen.
Schwierigkeiten bestehen aber dort, wo noch nicht einmal so viele Abgeordnete anwesend sind, daß die Beschlußfähigkeit bezweifelt und die Beschlußunfähigkeit festgestellt werden kann. Hier wird man trotz fehlender Feststellung der Beschlußunfähigkeit davon ausgehen müssen, daß der Bundestag nicht beschlußfähig ist. Denn sind nur so wenige Abgeordnete anwesend, daß noch nicht einmal die Beschlußunfähigkeit festgestellt werden kann, wäre es mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie (Art. 20 II, 38 I GG) kaum vereinbar, wenn der Bundestag in diesem Zustand Gesetz beschließen könnte.[17]
Zum vorliegenden Beispiel: Wenn man von einer gesetzlichen Mitgliederzahl von 669 (656 + 13 Überhangmandate[18]) ausgeht, hätten mindestens 34 Abgeordnete anwesend sein müssen. Das war der Fall. Vorliegend waren 60 Mitglieder anwesend. Da auch niemand die Beschlußfähigkeit angezweifelt hat, war der Bundestag beschlußfähig. Das Gesetz ist daher nicht wegen Beschlußunfähigkeit verfassungswidrig.
Klausurhinweis: Daß der Bundestag im beschlußunfähigen Zustand einen Gesetzesbeschluß gefaßt hat, die Beschlußunfähigkeit aber nicht durch Abstimmung positiv festgestellt wurde, ist ein sehr beliebtes Klausurthema. Bei der zu behandelnden Frage, ob der zu prüfende Beschluß formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, muß zunächst die Beschlußfähigkeit des Bundestages geprüft werden. Gem. § 45 I GO BT ist der Bundestag beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Ist also nicht mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages anwesend, so ist der Bundestag nicht beschlußfähig. Damit ist der fragliche Beschluß aber (noch) nicht formell rechtswidrig, denn die Beschlußunfähig liegt nicht automatisch vor. Diese muß vielmehr positiv festgestellt werden (§ 45 II und III GO BT). Bis zu der positiven Feststellung der Beschlußunfähigkeit sind Beschlüsse trotz materiellen Vorliegens der Beschlußunfähigkeit zumindest formell rechtmäßig.
Zur Feststellung der Beschlußunfähigkeit ist aber eine Fraktion oder 5 % der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages erforderlich (§ 45 II S. 1 GO BT). Wird selbst diese Mindestzahl nicht erreicht, wird man davon ausgehen müssen, daß der Bundestag keinesfalls beschlußfähig ist, auch wenn seine Beschlußunfähigkeit nicht positiv festgestellt wurde. Würde man hier eine Beschlußfähigkeit annehmen, wäre dies mit dem Prinzip der repräsentativen Demokratie (Art. 20 II GG) kaum vereinbar.

2. Die Mitwirkung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren

Die Mitwirkung des Bundesrates bei der Gesetzgebung des Bundes ist ein entscheidendes Kriterium für das Funktionieren des Bundesstaates. Der Grad der Mitwirkung bemißt sich nach der Art des Gesetzes, d.h. danach, ob es sich um ein Einspruchsgesetz oder um ein Zustimmungsgesetz handelt.

a. Einspruchs- und Zustimmungsgesetze

Ein Einspruchsgesetz ist ein Gesetz, das auch ohne Mitwirkung des Bundesrates zustande kommt. Demgegenüber ist bei einem Zustimmungsgesetz der Zustimmungsakt konstitutiv. Grundsätzlich sind Gesetze Einspruchsgesetze.
Ein Zustimmungsgesetz liegt nur dann vor, wenn das Grundgesetz von einer „Zustimmung des Bundesrates“ spricht (Enumerationsprinzip). Das sind Fälle, in denen die Länderinteressen nachhaltig berührt werden.[19] Das betrifft die Bereiche Verfassung, Finanzen und Verwaltung.
Das Grundgesetz nennt Art. 16 a II S. 2, III S. 1; Art. 23 I S. 2, VII; Art. 29 VII; Art. 74 II; Art. 74 a; Art. 79 II; Art. 84 I, V S. 1 u. 2; Art. 85 I; Art. 87 III S. 2; Art. 87 b I S. 3 u. 4 u. II S. 1 u. 2; Art. 87 c; Art. 87 d II; Art. 87 e V; Art. 87 f I; Art. 91a II; Art. 96 V; Art. 104 a III S. 3, IV S. 2, V S. 2; Art. 105 III; Art. 106 III-VI; Art. 106 a S. 2; Art. 107 I S. 2 u. 4; Art. 108 II; IV S. 1, V; Art. 109 III u. IV; Art. 115 c I, III; Art. Art. 115 k III S. 2; Art. 115 l; Art. 120a I S. 1; Art. 134 IV; Art. 135 V; Art. 135 a (Verweis auf Art. 134 IV und 135 V); Art. 143 a III S. 3 und Art. 143 b II S. 3. Bei allen übrigen Gesetzen handelt es sich um Einspruchsgesetze.
Ein Gesetz ist auch dann voll zustimmungspflichtig, wenn nur Teile desselben die Zustimmungspflichtigkeit auslösen.[20] Das wird insbesondere beim erstmaligen Erlaß eines Gesetzes relevant. Hier kann oft nicht zwischen zustimmungsbedürftigen Teilen und solchen, die nicht der Zustimmungspflicht unterfallen, unterschieden werden. Abzustellen ist vielmehr auf das Gesetz als Einheit. Bei fehlender Zustimmung führt dies zur Nichtigkeit des ganzen Gesetzes, auch wenn nur Teile desselben von der Zustimmungspflicht betroffen waren. Etwas anderes gilt hinsichtlich späterer Änderungen von Zustimmungsgesetzen. Zustimmungsbedürftig sind Änderungsgesetze zu Zustimmungsgesetzen nach der h.M. nur dann, wenn das Änderungsgesetz selbst zustimmungsbedürftige Teile enthält, wenn es Vorschriften ändert, die die Zustimmungsbedürftigkeit des zu ändernden Zustimmungsgesetzes ausgelöst haben, oder wenn es dazu führt, daß die zustimmungsbedürftigen Vorschriften eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erhalten.[21] Vgl. dazu im einzelnen unten S. 307 f.. Nicht zustimmungsbedürftig ist die Aufhebung eines Zustimmungsgesetzes.[22]
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung ist die Einordnung des fraglichen Gesetzes oft von entscheidender Bedeutung, da ein Einspruchsgesetz bereits dann zustande kommt, wenn der Bundesrat entweder keinen Einspruch einlegt oder den Einspruch nicht fristgerecht einlegt oder er vom Bundestag überstimmt wird. Ein Zustimmungsgesetz kommt demgegenüber auf jeden Fall nur dann zustande, wenn der Bundesrat ausdrücklich zustimmt. Bleibt der Bundesrat also untätig bzw. läßt die in Art. 77 GG genannte Drei-Wochen-Frist verstreichen, ohne Einspruch einzulegen, kommt das fragliche Gesetz nur dann zustande, wenn es sich bei diesem um ein Einspruchsgesetz handelt. In der Fallbearbeitung muß daher geprüft werden, ob es sich bei dem fraglichen Gesetz um ein Einspruchs- oder um ein Zustimmungsgesetz handelt. Wie bereits gesagt, sind Zustimmungsgesetze nur die im Grundgesetz ausdrücklich so bezeichneten Gesetze („Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates“). Das betrifft drei Fallgruppen: Verfassung, Finanzen und Verwaltung. Alle übrigen Gesetz sind Einspruchsgesetze.
Die praktisch bedeutsamste Vorschrift, die eine Zustimmungsbedürftigkeit anordnet, ist Art. 84 I GG. Danach sind Gesetze zustimmungsbedürftig, soweit sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln.
Die Vorschrift des Art. 84 I GG verleiht dem Bund das Recht, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder (und ausnahmsweise auch der Kommunen) zu regeln. Da aber die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder aufgrund des Bundesstaatsprinzips und der Staatsqualität der Länder eigentlich Sache der Länder ist, führt das Recht des Bundes, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder zu regeln, zu einem Übergriff des Bundes in die Länderzuständigkeit. Dieser Übergriff soll wenigstens durch die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung ausgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Regelung des Art. 84 I GG wie folgt Stellung genommen: „Das Zustimmungserfordernis des Art. 84 I GG soll die Grundentscheidung der Verfassung, wonach die Länder die umfassende Verwaltungszuständigkeit haben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt (Art. 30 GG), zugunsten des föderativen Staatsaufbaus mit absichern und verhindern, daß insoweit Verschiebungen im bundesstaatlichen Gefüge im Wege der einfachen Gesetzgebung über Bedenken des Bundesstaates hinweg herbeigeführt werden können“.[23]
Im einzelnen gilt: „Einrichtung der Behörden“ umfaßt die Errichtung (d.h. die Gründung) und Einrichtung (d.h. Ausgestaltung, innere Organisation) der Behörden. Das beinhaltet auch die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen. Behörden in diesem Sinne sind alle amtlichen Stellen (des Landes und der Kommunen).[24] Unter „Regelung des Verwaltungsverfahrens“ sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesetzliche Bestimmungen zu verstehen, „die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde im Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf regeln“[25]. Verkürzt kann man sagen, daß zum Verwaltungsverfahren alle Vorschriften gehören, die das „wie“ des Gesetzesvollzugs regeln.
Beispiele[26]: Vorschriften, welche die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder regeln, sind: Vorschriften über die Beweiserhebung und die Sachverhaltsermittlung, Form- und Fristvorschriften, Datenschutzregelungen, Antragserfordernisse, sofern es sich nicht um eine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung handelt, Offenbarungs- und Verwertungsverbote, Schweigepflichten für Amtswalter, Vorschriften über Verwaltungsgebühren, Vorschriften, die den Behörden Kontrollbefugnisse einräumen.
Klausurhinweis: Da das Bundesverfassungsgericht den Begriff des Verwaltungsverfahrens weit auslegt, ist im Zweifel von einer Regelung des Verwaltungsverfahrens und somit von einem Zustimmungsgesetz auszugehen.
aa. Gesetzgebungsverfahren bei Einspruchsgesetzen
Will der Bundesrat gegen ein Gesetz Einspruch einlegen, so muß er zunächst den Vermittlungsausschuß anrufen (Art. 77 III i.V.m. II GG). Dies muß innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Eingang des Gesetzesbeschlusses geschehen (Art. 77 II S. 1 GG), anderenfalls kommt das Gesetz zustande. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses erfolgt durch Mehrheitsbeschluß, d.h. mit mindestens 35 Stimmen (vgl. Art. 52 III S. 1 GG).
Der Vermittlungsausschuß wird aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates gebildet (Art. 77 II GG). Er soll in Fällen unterschiedlicher Meinungen zwischen Bundestag und Bundesrat über eine Gesetzesvorlage eine Fassung finden, der beide Körperschaften zustimmen können. Dabei besteht kein imperatives Mandat, auch nicht für die Mitglieder des Bundesrates (Art. 77 II S. 3 GG), weil anderenfalls die Ausarbeitung eines Kompromisses nicht möglich wäre. Zu beachten ist aber, daß sich der ausgearbeitete Kompromiß in einem rechtlichen Zusammenhang mit der bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetzesmaterie befinden muß.[27]
Für die Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens sind sodann zwei Konstellationen zu unterscheiden:
  • Schlägt der Vermittlungsausschuß die Bestätigung des Gesetzesentwurfs zu oder hat er das Vermittlungsverfahren ohne Vermittlungsvorschlag beendet, dann kann der Bundesrat innerhalb von zwei Wochen über den Einspruch entscheiden (vgl. Art. 77 III S. 1 GG). Zum Fristbeginn vgl. Art. 77 III S. 2 GG.
  • Schlägt der Vermittlungsausschuß dagegen eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so hat der Bundestag erneut Beschluß zu fassen (Art. 77 II S. 5 GG); hierauf erfolgt eine erneute Behandlung im Bundesrat (gleichgültig, ob der Bundestag das Gesetz geändert hat oder nicht). Nun kann der Bundesrat innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen (Art. 77 III S. 1 GG). Zum Fristbeginn vgl. Art. 77 III S. 2 GG.
In beiden Konstellationen gilt: Legt der Bundesrat innerhalb der Zwei-Wochen-Frist keinen Einspruch ein, so ist das Gesetz zustande gekommen (Art. 78 Var. 3 GG). Das gleiche gilt, wenn der Bundesrat seinen Einspruch zurücknimmt (Art. 78 Var. 4 GG).
Legt der Bundesrat dagegen fristgemäß Einspruch ein, so kann dieser vom Bundestag überstimmt werden. Je nach der Mehrheit, mit der der Einspruch vom Bundesrat beschlossen wurde, ist für die Zurückweisung des Einspruchs durch den Bundestag eine unterschiedliche Mehrheit erforderlich:
  • Hat der Bundesrat über den Einspruch mit einfacher Mehrheit (d.h. mit der Mehrheit seiner Stimmen, Art. 52 III S. 1 GG) beschlossen, so kann der Bundestag den Einspruch durch Beschluß der Mehrheit seiner Mitglieder (d.h. mit der absoluten Mehrheit)[28] zurückweisen, Art. 77 IV S. 1 GG.
  • Hat der Bundesrat dagegen den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 seiner Stimmen beschlossen, so bedarf sie Zurückweisung durch den Bundestag einer 2/3 Mehrheit (der abgegebenen Stimmen), mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages (d.h. der absoluten Mehrheit), Art. 77 IV S. 2 GG.[29]
Beispiel: Der Bundestag besteht aus 669 Abgeordneten (656 reguläre + 13 Überhangmandate), der Bundesrat hat 69 Stimmen. Bei dem Beschluß über die Zurückweisung des Einspruchs sind im Bundestag 400 Abgeordnete anwesend.
Hat der Bundesrat nun mit 35 Stimmen Einspruch eingelegt, bedarf die Zurückweisung des Einspruchs 335 Stimmen seitens des Bundestages.
Hat der Bundesrat dagegen mit 46 Stimmen Einspruch eingelegt, so bedarf die Zurückweisung an sich nur 267 Stimmen (2/3 Mehrheit), wegen der Regelung des Art. 77 IV S. 2 GG aber mindestens die Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. Das sind 335.
Weist der Bundestag den Einspruch mit der erforderlichen Mehrheit zurück, so kommt das Gesetz zustande. Anderenfalls ist das Gesetzesvorhaben gescheitert.
bb. Gesetzgebungsverfahren bei Zustimmungsgesetzen
Ist das Gesetz zustimmungsbedürftig, kommt es nur dann zustande, wenn der Bundesrat zustimmt (Art. 78 Var. 1 GG). Die Anrufung des Vermittlungsausschusses ist, wie Art. 77 II a GG feststellt, nicht erforderlich. Der Bundesrat hat lediglich in angemessener Frist darüber Beschluß zu fassen, ob er dem Gesetz zustimmt oder nicht (Art. 77 II a GG). Verweigert der Bundesrat die Zustimmung, ist das Gesetzesvorhaben zunächst gescheitert. Das gleiche gilt, wenn der Bundesrat untätig bleibt.
Verweigert der Bundesrat die Zustimmung, können (anders als bei Einspruchsgesetzen) auch der Bundestag und die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß anrufen (Art. 77 II S. 4 i.V.m. S. 1 GG). Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch diese beiden Staatsorgane gilt grundsätzlich keine Ausschlußfrist.[30] Jedoch muß der Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses aus Gründen der Rechtsklarheit innerhalb einer angemessenen Frist nach Verweigerung der Zustimmung erfolgen. Ruft dagegen der Bundesrat den Vermittlungsausschuß an, so ist fraglich, innerhalb welcher Frist dies geschehen muß. Legt man die Vorschrift des Art. 77 II S. 1 GG zugrunde, so gilt die Ausschlußfrist von drei Wochen.[31] Stellt man sich dagegen auf den Standpunkt, daß sich die Vorschrift des Art. 77 II S. 1 GG lediglich auf Einspruchsgesetze, nicht auf Zustimmungsgesetze bezieht, so gilt die Drei-Wochen-Frist nicht.[32]
Wird der Vermittlungsausschuß angerufen (gleichgültig von welchem Organ), sind – wie bei Einspruchsgesetzen – auch hier für die Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens sodann zwei Konstellationen zu unterscheiden:
  • Schlägt der Vermittlungsausschuß die Bestätigung des Gesetzesentwurfs zu oder hat er das Vermittlungsverfahren ohne Vermittlungsvorschlag beendet, dann hat der Bundesrat innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu entscheiden (vgl. Art. 77 II a GG).
  • Schlägt der Vermittlungsausschuß dagegen eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so hat der Bundestag erneut Beschluß zu fassen (Art. 77 II S. 5 GG); hierauf erfolgt eine erneute Behandlung im Bundesrat (gleichgültig, ob der Bundestag das Gesetz geändert hat oder nicht). Nun hat der Bundesrat innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu entscheiden (Art. 77 II a GG).
Verweigert der Bundesrat nach dann immer noch die Zustimmung, ist das Gesetzesvorhaben endgültig gescheitert. Stimmet er indes zu, ist das Gesetz zustande gekommen.
Beispiel: Das Steuerreformgesetz 2000 war aufgrund seines finanzverfassungsrechtlich relevanten Inhalts zustimmungspflichtig. Da sich der Bundesrat ursprünglich weigerte, seine Zustimmung zu erteilen, konnte die Steuerreform zunächst nicht ergehen. Um gleichwohl die Steuerreform (in modifizierter Form) herbeizuführen, rief die Bundesregierung gem. Art. 77 II S. 4 GG den Vermittlungsausschuß an. In diesem Verfahren kam es zu keinem Kompromiß. Darauf hin hatte der Bundesrat innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu entscheiden (vgl. Art. 77 II a GG). Als sich der Bundesrat am 14.7.2000 mit 41 zu 28 Stimmen entschloß, dieser Steuerreform zuzustimmen, konnte die Steuerreform ergehen.
cc. Umdeutung einer verweigerten Zustimmung als Einspruch
Ist die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes unklar, wird der Bundesrat vorsorglich bzw. hilfsweise Einspruch einlegen, damit, falls es sich doch um ein Einspruchsgesetz handeln sollte, er noch fristgerecht Einspruch eingelegt und somit das Zustandekommen des Gesetzes verhindert hat. Darüber hinaus erzwingt er dadurch eine erneute Beschlußfassung durch den Bundestag (Art. 77 IV GG).[33] Fraglich ist, wie es sich verhält, wenn der Bundesrat von einem Zustimmungsgesetz ausgeht, es sich tatsächlich aber um ein Einspruchsgesetz handelt, und der Bundesrat nicht vorsorglich Einspruch einlegt. Teilweise wird vertreten, der Beschluß des Bundesrates über die Zustimmungsverweigerung könne möglicherweise als Einspruch zu deuten sein. Nach der h.M. dürfte dies aber dem Grundsatz der Formstrenge widersprechen und abzulehnen sein.
Beispiel: Nachdem das Biotechnologiegesetz vom Bundestag beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet wurde, ist dieser der Auffassung, es handele sich um ein Zustimmungsgesetz. Da er mit dem Inhalt der Regelung nicht einverstanden ist, verweigert er (innerhalb der Frist des Art. 77 II GG) durch Beschluß die Zustimmung. Einen Einspruch legt er nicht ein.
Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei dem Biotechnologiegesetz lediglich um ein Einspruchsgesetz handelt, hätte der Bundesrat Einspruch einlegen müssen. Ausdrücklich hat der Bundesrat keinen Einspruch eingelegt, da er von einem Zustimmungserfordernis ausgegangen ist. Er hat auch nicht vorsorglich oder hilfsweise Einspruch eingelegt. Möglicherweise kann aber der Beschluß über die Zustimmungsverweigerung als Einspruch umgedeutet werden. Teilwiese wird eine Umdeutung zugelassen.[34] Die herrschende Auffassung folgt dem jedoch nicht. Es sei unzulässig, aus der nicht kompetenzgerechten Zustimmungsverweigerung auf einen kompetenzgerechten Einspruch zu schließen, da der Bundesrat nach § 30 I GO BR zur Formstrenge verpflichtet sei und nur eindeutig einzuordnende Beschlüsse fassen könne. Bei Streit über die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes sei der Bundesrat zudem nicht auf die Alternative der Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung verwiesen, sondern ausnahmsweise berechtigt, einen Hilfsantrag in Form eines vorsorglichen Einspruchs zu stellen.[35]
Fraglich ist, welcher Auffassung zu folgen ist. Jedenfalls überzeugt das Argument der Formstrenge nicht, da sich dieses lediglich aus der GO BR ergibt und im Grundgesetz keine Stütze findet. Auch sonst ist in der Rechtsordnung eine Umdeutung allgemein anerkannt. Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei dem Einspruch um ein „minus“ der verweigerten Zustimmung handelt, sprechen keine verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte dagegen, die Verweigerung der Zustimmung als Einspruch umzudeuten.[36]
Im Ergebnis kann daher der Beschluß des Bundesrates über die Verweigerung der Zustimmung als Einspruch umgedeutet werden.
Bei Unklarheit über die Zustimmungsbedürftigkeit kann auch der Bundestag einen unkonventionellen Weg einschlagen. Er kann von einem Einspruchsgesetz ausgehen und nach verstrichener Einspruchsfrist das Gesetz (über die Bundesregierung) dem Bundespräsidenten zwecks Ausfertigung vorlegen. Dieser wird dann prüfen, ob es sich um ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz handelt. Kommt der Bundespräsident zu dem Ergebnis, es handele sich um ein Einspruchsgesetz, so wird er das Gesetz verkünden. Geht er indes von der Zustimmungsbedürftigkeit aus, so wird er sich weigern, das Gesetz auszufertigen.
Klausurhinweis: Die Entscheidung des Bundespräsidenten kann dann im Wege eines Organstreitverfahrens überprüft werden. In diesem Verfahren wird dann das BVerfG inzident die Frage klären, ob es sich um ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz handelt.
Aber auch nachdem das Gesetz zustande gekommen ist, kann es (nachträglich) im Wege einer abstrakten Normenkontrolle darauf überprüft werden, ob es sich um ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz handelt. Dieses Verfahren wird insbesondere eine Landesregierung in Erwägung ziehen, die von der Zustimmungsbedürftigkeit eines als Einspruchsgesetz behandelten Gesetzes ausgeht.[37]
dd. Nichtbefolgung von Weisungen der Landesregierung
Weisungen der Landesregierung gelten nur im Innenverhältnis, d.h. nur im Verhältnis zwischen der Landesregierung und ihren Mitgliedern im Bundesrat. Hält sich das betreffende Mitglied nicht an die Weisungen seiner ihn entsendenden Landesregierung und stimmt gegen die Weisung, so ist die Abstimmung dennoch gültig.[38] Das betreffende Mitglied riskiert lediglich die Abberufung aus dem Bundesrat (Art. 51 I S. 1 GG).
ee. Uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat
Gem. Art. 51 III S. 2 GG müssen die Stimmen stets einheitlich abgegeben werden. Ein Verstoß gegen dieses Erfordernis wird unterschiedlich behandelt. Teilweise wird vertreten, daß dann die Stimme des „Stimmführers“ (also i.d.R. die des Ministerpräsidenten) entscheidet.[39] Das hat zur Konsequenz, daß die anderen, abweichenden Stimmen zwar mitgezählt werden, aber im Sinne der Stimme des Stimmführers, so daß letztlich eine Einheitlichkeit der Stimmen fingiert wird. Nach einer anderen Auffassung ist die Bundesratsabstimmung insgesamt unwirksam und muß wiederholt werden.[40] Nach der h.M. führt die unterschiedliche Stimmabgabe lediglich zur Ungültigkeit aller Stimmen des Landes.[41] Vorzugswürdig scheint die Auffassung der h.M., da die Vorrangigkeit der Stimme des „Stimmführers“ keine Stütze im Grundgesetz findet. Dort ist nur von „Einheitlichkeit“ der Stimmabgabe die Rede. Auch für die Annahme einer Unwirksamkeit der gesamten Abstimmung des Bundesrates finden sich im Grundgesetz keine Anhaltspunkte. Folgt man daher der h.M., so führt die Ungültigkeit aller Stimmen des betreffenden Bundeslandes dazu, daß die Entscheidung des Bundesrates insgesamt wirksam ist, aber lediglich aus den Stimmen der übrigen Bundesländer hervorgeht. Relevant wird dies dann, wenn dadurch bei der Abstimmung keine absolute Mehrheit erreicht wird. Gem. Art. 52 III S. 1 GG faßt der Bundesrat seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen. Damit ist die absolute Mehrheit gemeint. Ungültige Stimmen wirken also genauso wie Stimmenthaltungen im Ergebnis wie Nein-Stimmen. Kommt es also vor, daß die Stimmen eines Bundeslandes ungültig sind, ändert das nicht an dem Erfordernis, daß mindestens 35 Ja-Stimmen vorhanden sein müssen, damit der Bundesrat einen bestimmten Beschluß fassen kann.
Beispiel: Das neue Energiewirtschaftsgesetz (Sartorius Nr. 830) sieht in § 17 die Zustimmung des Bundesrates vor. Die Länder Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Berlin, Brandenburg, Thüringen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland geben ihre Stimmen einheitlich mit Ja ab. Damit bestehen insgesamt 36 Ja-Stimmen, was zur Zustimmung des Bundesrates zur Rechtsverordnung des Wirtschaftsministers führt. Bestünde nun der Umstand, daß beispielsweise ein von der Regierung des Landes Bremen entsandtes Mitglied abweichend von den anderen von der Regierung des Landes Bremen entsandten Mitgliedern abstimmt, so verlöre das Land Bremen (folgt man der o.g. h.M.) sämtliche Stimmen. Die Zahl der abgegebenen Ja-Stimmen verringerte sich somit um 3 auf 33. Die erforderliche Mehrheit wäre nicht gegeben. Zugleich wäre der Bundesrat beschlußunfähig.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die unterschiedliche Stimmabgabe nach h.M. zur Ungültigkeit aller Stimmen des Landes führt. Der Bundesratsbeschluß bleibt davon jedoch unberührt (sofern die absolute Mehrheit dennoch erreicht wird) und stützt sich auf die Stimmen der übrigen Bundesländer.
Klausurhinweis: In der Klausur kann sich der Bearbeiter mit der Situation konfrontiert sehen, daß ein Mitglied entgegen der Weisung der Landesregierung stimmt, die übrigen Mitglieder sich aber an die Weisung halten (Kumulation der o.g. Problematiken). Hier ist in einem ersten Schritt herauszuarbeiten, daß die Verletzung des Weisungsrechts nicht zur Ungültigkeit der Stimme führt. Sodann ist darzulegen, daß die Stimmabgabe einheitlich erfolgen muß und daß eine unterschiedliche Stimmabgabe zur Ungültigkeit aller Stimmen des Landes führt. Der Bundesrat ist in diesem Fall nur dann beschlußfähig, wenn die Zahl der übrigen Ja-Stimmen mindestens 35 beträgt.

b. Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen

Besonderes problematisch ist die Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen zu Zustimmungsgesetzen. Als Ausgangspunkt soll folgende Überlegung gelten: Ein Zustimmungsgesetz liegt bereits dann, vor, wenn auch nur einzelne Teile des Gesetzes die Zustimmungspflicht auslösen.[42] Denn das Gesetz ist als gesetzgeberische Einheit zu betrachten. Wird nun dieses Zustimmungsgesetz nachträglich durch ein Änderungsgesetz geändert, stellt sich die Frage auch nach der Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes. Es sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
  • In der ersten Konstellationen werden Passagen des Gesetzes geändert, die die Zustimmungspflicht ausgelöst haben. Hier ist zwangsläufig auch das Änderungsgesetz (als Ganzes) zustimmungspflichtig.[43]
  • In der zweiten Konstellationen werden Passagen des Gesetzes geändert, die nicht die Zustimmungspflicht ausgelöst haben. Hier ist die Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes fraglich. Für die Zustimmungspflicht spricht, daß der Bundesrat mit der Zustimmung zum ursprünglichen Gesetz Verantwortung übernommen hat und nun auch über die Änderung, gleich welcher Art, mitbestimmen soll.[44] Gegen die Zustimmungspflicht spricht, daß jedes Gesetz, somit auch ein Änderungsgesetz, für sich betrachtet den verfahrensmäßigen Voraussetzungen entsprechen muß. Betrifft demnach ein Änderungsgesetz nur Passagen des zu ändernden Gesetzes, die ihrerseits zuvor die Zustimmungsbedürftigkeit nicht ausgelöst haben, bedarf es grundsätzlich nicht der Zustimmung durch den Bundesrat.[45] Etwas anderes gilt aber dann, wenn das Änderungsgesetz dazu führt, daß das ursprüngliche Gesetz gerade durch das Änderungsgesetz eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfährt, wenn also das Änderungsgesetz eine „Systemverschiebung“ des ursprünglichen Gesetzes bewirkt.[46]
Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß ein Änderungsgesetz zu einem Zustimmungsgesetz nur dann zustimmungspflichtig ist, wenn es
  • selbst neue Vorschriften enthält, die eine Zustimmungsbedürftigkeit auslösen,
  • es Passagen ändert, die die Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst haben,
  • oder wenn es dazu führt, daß das ursprüngliche Gesetz eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erhält („Systemverschiebung“ des ursprünglichen Gesetzes).

3. Das Zustandekommen von Bundesgesetzen (Art. 78 GG)

Wegen der auf den ersten Blick als kompliziert empfundenen Regelung des Art. 77 GG stellt Art. 78 GG noch einmal die Fälle zusammen, unter denen ein Gesetz zustande kommt.
Danach kommen Einspruchsgesetze zustande, wenn
  • der Bundesrat nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen den Vermittlungsausschuß anruft (Art. 78 Var. 2, Art. 77 III S. 1, II GG).
  • der Bundesrat den Vermittlungsausschuß anruft, dieser das Vermittlungsverfahren abgeschlossen hat und der Bundesrat nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen Einspruch einlegt (Art. 78 Var. 3, Art. 77 III S. 1 GG).
  • der Bundesrat seinen Einspruch zurücknimmt (Art. 78 Var. 4 GG).
  • der Bundesrat nach Abschluß des Vermittlungsverfahrens zwar Einspruch einlegt, dieser aber vom Bundestag erfolgreich zurückgewiesen wird (Art. 78 Var. 5, Art. 77 IV GG).
Demgegenüber kommen Zustimmungsgesetze nur dann zustande, wenn der Bundesrat ausdrücklich zustimmt (Art. 78 Var. 1 GG).
Endgültig nicht zustande gekommen sind Gesetzesvorlagen, bei denen
  • bei der Schlußabstimmung des Bundestages (Art. 77 I S. 1 GG) nicht die erforderliche Mehrheit erreicht wurde.
  • der Vorschlag des Vermittlungsausschusses auf Aufhebung des Gesetzesbeschlusses durch den Bundestag von diesem angenommen wurde.
  • bei Zustimmungsgesetzen die Zustimmung durch den Bundesrat (ggf. nach Abschluß des Vermittlungsverfahrens) nicht erteilt wurde.
  • bei Einspruchsgesetzen die Zurückweisung durch den Bundestag (Art. 77 IV GG) gescheitert ist.

III. Das Abschlußverfahren

Sofern ein Gesetz nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen ist, wird es vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung (vgl. Art. 58 GG) ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet (vgl. Art. 82 I S. 1 GG). Ausfertigen von Gesetzen bedeutet, daß der Bundespräsident die Urschrift des Gesetzes herstellt, indem er die Gesetzesurkunde mit seinem vollen Namen unterzeichnet.[47] Dabei darf er keine inhaltlichen Änderungen vornehmen. Das ist selbstverständlich, immerhin ist es Aufgabe des Gesetzgebers, dem Gesetzeswortlaut eine bestimmte Fassung zu geben. Lediglich Druckfehler oder offensichtliche Unrichtigkeiten dürfen berichtigt werden.[48] Zum formellen und materiellen Prüfungsrecht des Bundespräsidenten vgl. Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 208.
Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem 14. Tag nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben ist (Art. 82 II GG).

IV. Folgen eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften

1. Verstöße gegen die Geschäftsordnung

Verstößt ein Gesetzgebungsorgan gegen seine Geschäftsordnung (Beispiel: Der Bundestag beschließt ein Gesetz im beschlußunfähigen Zustand, § 45 I GO BT, oder beschließt ein Gesetz, ohne zuvor drei Lesungen abgehalten zu haben, §§ 78 ff. GO BT) so ist fraglich, ob das Gesetz gleichwohl wirksam zustande gekommen ist. Verstöße gegen die Geschäftsordnung führen grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes. Das belegt bereits der Wortlaut des Art. 82 GG: „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze“.[49] Zu diesem Grundgesetz gehören eben nicht die Vorschriften der Geschäftsordnung. Allerdings ist unbestritten, daß bestimmte Verstöße gegen die Geschäftsordnung in Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge haben kann. Für einen Verfassungsverstoß wird aber vorausgesetzt, daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung einen „verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen Verfassungsinhalt konkretisiert.[50] Ob das der Fall ist, wurde im Rahmen der Darstellung der einzelnen Problemkreise behandelt.

2. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes

Verstößt ein Gesetzgebungsorgan gegen Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes, so ist zu differenzieren: Verstöße gegen wesentliche Verfahrensvorschriften führen zur Unwirksamkeit des Gesetzes.
Beispiel: Wesentliche Verfahrensvorschrift ist die Regelung des Art. 76 II S. 1 GG, wonach eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung zunächst dem Bundesrat zuzuleiten ist. Unterbleibt diese Zuleitung, so ist ein gleichwohl vom Bundestag beschlossenes Gesetz nicht nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen (vgl. Art. 82 GG). Ist ein Gesetz nicht nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen, führt das zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.[51] Vgl. dazu und zu der Konstellation, daß die Bundesregierung ihre Gesetzesvorlage über den Bundestag bei diesem einbringen läßt, um die vorherige Zuleitung an den Bundesrat zu umgehen, ausführlich oben S. 295.
Demgegenüber führen Verstöße gegen bloße Ordnungsvorschriften nicht zur Verfassungswidrigkeit von Gesetzen.
Beispiel: Bloße Ordnungsvorschrift ist etwa die Fristbestimmung des Art. 77 I S. 2 GG.

C. Verfassungsändernde Gesetze

I. Verfassungsänderndes Gesetzgebungsverfahren

Art. 79 GG ermöglicht die Änderung des Grundgesetzes und zeigt zugleich die Schranken der Änderung auf. Erforderlich ist zunächst ein förmliches Bundesgesetz, für das das normale Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG gilt. Allerdings ist Zweidrittelmehrheit erforderlich: Dem verfassungsändernden Gesetz müssen zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates zustimmen (Art. 79 II GG). Weitere Voraussetzung ist, daß das verfassungsändernde Gesetz den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.
Mit dieser zuletzt genannten Vorgabe sollen Verfassungsdurchbrechungen, wie sie in der Weimarer Republik üblich waren, verhindert werden. Verfassungsdurchbrechungen sind Verfassungsänderungen, die zwar mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen wurden, nicht aber den Verfassungstext ausdrücklich ändern oder ergänzen. Dadurch kann es vorkommen, daß mehrere Verfassungsurkunden nebeneinander bestehen, was nicht gerade zur Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit beiträgt. Zur Ausnahme bei bestimmten völkerrechtlichen Verträgen vgl. Art. 79 I S. 2 GG.

II. Materielle Schranken für Verfassungsänderungen

Neben diesen genannten formalen Schranken sind einer Verfassungsänderung auch materielle Grenzen gesetzt. So ist eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig (sog. Ewigkeitsgarantie“).[52] Verfassungsändernde Gesetze, die gegen Art. 79 III GG verstoßen, sind nichtig.[53]
1. Zunächst ist eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder berührt werden, unzulässig.
Gliederung des Bundes in Länder bedeutet nicht die Bestandsgarantie eines einzelnen Bundeslandes. Entscheidend ist nur, daß überhaupt Bundesländer bestehen. Wieviele Bundesländer besteht müssen, wird unterschiedlich gesehen. Teilweise werden zwei für erforderlich gehalten[54], teilweise mindestens drei[55], teilweise aber noch mehr[56]. Darüber hinaus muß den bestehenden Ländern ein Mindestmaß an Eigenständigkeit verbleiben. Dazu gehört ein „Kernbestand eigener Aufgaben und eigenständige Aufgabenerfüllung“[57].
2. Des weiteren ist die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung von jeglicher Verfassungsänderung ausgenommen.
Grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung bedeutet, daß die Länder von der Bundesgesetzgebung, die die föderative Struktur der Bundesrepublik berührt, nicht ausgeschlossen werden dürfen. Eine Bestandsgarantie des Bundesrates ist aus dieser Vorschrift nicht abzuleiten. Allerdings bedarf es stets eines föderativen Organs und eines entsprechend ausgestalteten Verfahrens, das die Möglichkeit eröffnet, den Willen der Länder in die Bundesgesetzgebung effektiv einzubringen.[58]
3. Schließlich sind Änderungen des Grundgesetzes unzulässig, die die in den Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berühren.
Ein in Art. 1 GG niedergelegter Grundsatz ist vor allem die Achtung der Menschenwürde. Diese ist oberstes Leitprinzip der Verfassung und jeglicher Disposition entzogen.[59] Ebenso sind die grundlegenden Elemente des Rechts- und Sozialstaatsprinzips sowie der Grundsatz der Rechtsgleichheit und des Willkürverbots unantastbar.[60] Auch ist ein Mindestbestand an Grundrechten[61] in den Bereichen personaler Autonomie, demokratischer Willensbildung und justizstaatlicher Garantien gewährleistet.[62] Zwar wird durch die Formulierung „in den Artikel 1 und 20“ nicht generell Bezug auf die einzelnen Grundrechte genommen. Da aber Art. 1 III GG den Gesetzgeber an die Grundrechte bindet, sind die Grundrechte indirekt einbezogen. Unabänderlich ist aber nur der jeweilige Kernbereich, der den Menschenwürdegehalt widerspiegelt.
Die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze betreffen die republikanische Staatsform, den Bundesstaat, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip, vgl. dazu im einzelnen das 3. Kapitel. Eine Verfassungsänderung, die diese Grundsätze berührt, ist unzulässig.
Diese Grundsätze dürfen nicht „berührt“ werden. Grundsätze werden als „Grundsätze“ von vornherein nicht „berührt“, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden.[63] Damit nimmt das Bundesverfassungsgericht ein „Berühren“ lediglich bei prinzipieller Preisgabe an.[64]
4. Selbstverständlich ist eine Änderung des Art. 79 III GG ausgeschlossen. Der Gesetzgeber darf nicht die Schranken, die er ja gerade zu wahren hat, aufheben.[65] Würde man eine Abschaffung des Art. 79 III GG zulassen, bedürfte es wiederum einer anderen Vorschrift, die den Bestand des Art. 79 III GG garantiert. Die Bestandsgarantie des Art. 79 III GG umfaßt daher nicht nur die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG, sondern auch Art. 79 III GG selbst.[66]

[1] Vgl. die homepage des Deutschen Bundestages unter www.bundestag.de, download am 15.07.2000.
[2] BVerfGE 1, 144, 153; Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159; Conradt, JuS 2000, L 52, 55.
[3] Vgl. Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159; Conradt, JuS 2000, L 52, 54.
[4] Diese Regelung wird allgemein als verfassungsgemäß betrachtet, da sie von der Geschäftsordnungsautonomie umfaßt, und diese durch Art. 40 I S. 2 GG garantiert ist, vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 2; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 552; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rn 31; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 178.
[5] Vgl. BVerfGE 44, 308, 313.
[6] Vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 6; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rn 41.
[7] Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 553. Für Rechtswidrigkeit auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 5.
[8] Vgl. BVerfGE 91, 148, 175.
[9] Vgl. die homepage des Deutschen Bundestages unter www.bundestag.de, download am 15.07.2000 sowie Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 178; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 554 und Stern, StaatsR II, § 37 III 4b.
[10] Stern, StaatsR I, § 4 III 8 c.
[11] BVerfGE 1, 144, 153; 2, 143, 173.
[12] Vgl. Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159.
[13] BVerfGE 1, 144, 153; 29, 221, 234; Conradt, JuS 2000, L 52, 53, 55.
[14] Vgl. aber das sogleich dargestellte Problem, bei dem so wenige Abgeordnete anwesend ist, daß die Beschlußfähigkeit des Bundestages bezweifelt werden muß.
[15] Zu beachten ist, daß auch Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen gelten.
[16] Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung in E 44, 308, 320 (Beschlußfähigkeit des Bundestages) für verfassungsgemäß gehalten. Vgl. dazu auch Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 161.
[17] A.A. vertretbar, etwa mit dem Argument, daß die wesentliche parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen stattfindet und zur Abstimmung nur noch Vertreter der Parteien entsendet werden (vgl. dazu BVerfGE 44, 308, 315).
[18] Vgl. dazu Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 51.
[19] BVerfGE 37, 363, 381.
[20] BVerfGE 55, 274, 326; Schmidt, JuS 1999, 861 ff.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 11.
[21] BVerfGE 37, 363, 382 f.; 48, 127, 180; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 5.
[22] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 5.
[23] BVerfGE 75, 108, 150 unter Verweis auf BVerfGE 55, 274, 318 ff..
[24] Vgl. BVerfGE 10, 20, 48; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 84 Rn 3; Schmidt, JuS 1999, 861, 863.
[25] BVerfGE 55, 274, 320 f.; Schmidt, JuS 1999, 861, 863.
[26] Vgl. die Nachweise bei Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 84 Rdnr. 5.
[27] BVerfGE 72, 175, 187; 78, 249, 271.
[28] Über den Begriff der Mehrheit siehe Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 159 ff..
[29] Zu beachten ist, daß auch Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen gelten.
[30] Wie hier Hömig, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 77 Rn 8 und Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 26 und die Staatspraxis (vgl. BR-Drs. 791/75 i.V.m. BR-Drs. 182/75); a.A. Stern, StaatsR II, § 37 III 7 b) α: 3-Wochen-Frist.
[31] So Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 25; Jekewitz, in: Alternativkommentar, Art. 77 Rn 19; Lücke, in: Sachs, GG, Art. 77 Rn 9.
[32] So Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn 10; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 10.
[33] Vgl. dazu BVerfGE 37, 363, 396; Stern, StaatsR II, § 37 III 7 c, S. 630.
[34] So Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 558.
[35] Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 38 u. 40; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 10; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn 8; BVerfGE 37, 363, 396.
[36] Vgl. Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 162 f..
[37] Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 558.
[38] Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 51 Rn 6.
[39] So Stern, StaatsR II, § 27 III 2a, b, S. 137; Blumenwitz, in: Bonner Kommentar, Art. 51 Rn 29.
[40] Klein, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 51, Anm. III 4b.
[41] Vgl. nur Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 280; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 419; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 51 Rn 6; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 51 Rn 27.
[42] BVerfGE 55, 274, 326; Schmidt, JuS 1999, 861 ff.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 11.
[43] Ganz h.M., vgl. nur BVerfGE 37, 363, 382 f.; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 304; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 423; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 12.
[44] Für eine generelle Zustimmungsbedürftigkeit die abw.M. BVerfGE 37, 401, 406; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 77 Rn 10; Lücke, in: Sachs, GG Art. 77 Rn 16.
[45] Gegen eine generelle Zustimmungsbedürftigkeit die h.M., vgl. nur BVerfGE 37, 363, 382; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 304; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 423; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 5.
[46] BVerfGE 37, 363, 382 f.; 48, 127, 180 f.; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 306; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 424; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 5; kritisch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn 22.
[47] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 82 Rn 2; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 82 Rn 9; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rn 19; Ramsauer, in: Alternativkommentar, Art. 82 Rn 11.
[48] BVerfGE 48, 1, 18; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 82 Rn 2; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rn 19.
[49] Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 552.
[50] Vgl. Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159.
[51] Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 553; für Rechtswidrigkeit auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 5.
[52] Diese aufgezählten Einrichtungen und Normen sind abschließend, BVerfGE 94, 12, 34.
[53] BVerfGE 30, 1, 24.
[54] Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn 34.
[55] Evers, in: Bonner Kommentar, Art. 79 Rn 212; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn 30.
[56] Isensee, in: HdbStR IV 671; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn 41.
[57] BVerfGE 87, 181, 196 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 8; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn 42.
[58] Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn 44.
[59] Vgl. BVerfGE 32, 98, 108; 50, 166, 175; 54, 341, 357.
[60] BVerfGE 84, 90, 121; 94, 12, 34; 95, 48, 62.
[61] Zu Art. 14 GG vgl. BVerfGE 84, 90 ff..
[62] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 10.
[63] BVerfGE 30, 1, 24; wiederholt in BVerfGE 84, 90, 121; 94, 12, 34.
[64] Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 7; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn 39.
[65] Vgl. Hesse, VerfR, Rn 707; Stern, StaatsR I, § 4 II 24; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 903; Ridder, Alternativkommentar, Art. 79 Rn 29; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 13.
[66] Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 903.

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