|
|
Artikel 1836
|
|
Das Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG
Das Gesetzgebungsverfahren durchläuft mehrere Stadien. Nach der
Systematik der Art. 76 ff. GG kann man von der Einleitung des
Gesetzgebungsverfahrens (Einbringen von Gesetzesinitiativen in den Bundestag
gem. Art. 76 I GG und Vorverfahren gem. Art. 76 II, III GG), dem
Hauptverfahren (Beschlußfassung, Art. 77-79 GG) und dem
Abschlußverfahren (Ausfertigung und Verkündung, Art. 82 GG)
sprechen.
Klausurhinweis: Das Gesetzgebungsverfahren nach den
Art. 76 ff. GG eignet sich hervorragend für Klausuren im Ersten
Juristischen Staatsexamen. Insbesondere sind Verstöße gegen die
Geschäftsordnungen zu würdigen. Fundierte Kenntnisse und ein
geschultes Judiz sind daher unabdingbar. Im folgenden sollen alle gängigen
Probleme aufgezeigt und in einer gutachtlichen Darstellungsweise verdeutlicht
werden. Dazu zählen:
- die Gesetzesinitiative
durch einen einzelnen Abgeordneten
- Einbringen der
Gesetzesvorlage durch die Bundesregierung direkt in den Bundestag, ohne sie gem.
Art. 76 II S. 1 GG zuvor dem Bundesrat zuzuleiten
- Einbringen der
Gesetzesvorlage durch die Regierungsfraktion, um das Verfahren nach Art. 76 II
S. 1 GG zu umgehen
- Behandlung einer
Gesetzesvorlage ohne Durchführung von drei Lesungen
- Gesetzesbeschluß
bei nur wenigen anwesenden Abgeordneten
- Nichtbefolgen von
Weisungen der Landesregierung
- Uneinheitliche
Stimmabgabe im Bundesrat
- Umdeutung einer
verweigerten Zustimmung in einen Einspruch
- Zustimmungsbedürftigkeit
von Änderungsgesetzen zu Zustimmungsgesetzen
- Materielles
Prüfungsrecht des Bundespräsidenten
I. Die Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens
1. Das Initiativrecht (Art. 76 I GG)
a. Bundesregierung, Bundesrat, Mitte des Bundestages
Gesetzesvorlagen beim Bundestag werden gem. Art. 76 I GG
ausschließlich durch die Bundesregierung, aus der Mitte des
Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht. Eine
Gesetzesinitiative des Volkes (vgl. Volksbegehren, Volksbefragung und
Volksentscheid) kennt das Grundgesetz – anders als die Weimarer
Reichsverfassung – nicht.
In der Staatspraxis stammen die meisten Gesetzesvorlagen von
der Bundesregierung. Das ist nicht überraschend, und insbesondere kann es
nicht etwa als Zeichen dafür angesehen werden, daß die Abgeordneten
selbst zuwenig Gesetzesinitiative entwickeln oder sich von der Regierung alles
vorschreiben lassen würden. Vielmehr ist es typisch für das
parlamentarische Regierungssystem, welches das Grundgesetz vorschreibt. Denn
danach wird der Bundeskanzler vom Bundestag gewählt, d.h., nach der
Bundestagswahl bildet sich hier eine Mehrheit entsprechend dem Wahlergebnis, die
die Regierung stellt. Weil die Regierung aus der Mehrheit des Bundestages
hervorgebracht wird, bleibt sie mit dieser politisch identisch, und deshalb ist
es naheliegend, daß die Gesetzentwürfe, die diese Parlamentsmehrheit
beschließen will, inhaltlich, technisch und redaktionell durch die
Regierung und ihre Beamten erarbeitet und vorbereitet werden. Dies wird
insbesondere klar, wenn man bedenkt, daß die zuständigen Fachminister
durch ihre Sachverständigen und Ministerialbeamten den besseren Apparat
haben, um Gesetze vorzubereiten. Darüber hinaus ist ein Referentenentwurf
in einem Ministerium schon durch den Filter der Interessenverbände
gelaufen, deren Einwirken durch die §§ 22 ff. GGO (Gemeinsame
Geschäftsordnung der Bundesministerien) ausdrücklich erlaubt ist. Die
Arbeit des Bundestages bezieht sich dann vor allem darauf, welchen dieser
Gesetzgebungsvorschläge letztlich zugestimmt werden soll und welchen nicht,
und an welchen der Bundestag Änderungen
anbringt.[1]
Allerdings kommt es nicht selten vor, daß die
Bundesregierung die Gesetzesvorlage über die sie tragende(n) Fraktion(en)
einbringen läßt. Das hat folgenden Grund: Gem. Art. 76 II S. 1 GG
müssen Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, bevor sie beim Bundestag
eingebracht werden, zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme
überreicht werden. Dieser hat dann sechs bzw. neun Wochen Zeit, dazu
Stellung zu nehmen. Das ist stets mit Zeitverlust verbunden. Für
Gesetzesvorlagen, die aus der Mitte des Bundestages stammen, gilt dieser
„Umweg“ nicht. Um daher die Regelung des Art. 76 II S. 1 GG zu
umgehen, kommen insbesondere zeitkritische Gesetzesvorlagen von den
Regierungsfraktionen, also aus der Mitte des Bundestages. Verfassungsrechtlich
ist diese Vorgehensweise bedenklich, ist aber gängige Staatspraxis, vgl.
dazu unten 2 a bb.
Vorlagen der Bundesregierung müssen von der Bundesregierung als
Kollegialorgan beschlossen werden (vgl. § 15 GO BReg). Auch
Gesetzesvorlagen des Bundesrates setzen einen vorherigen Beschluß voraus
(vgl. Art. 52 III S. 1 GG). Fraglich ist, was unter der „ Mitte des
Bundestages“ zu verstehen ist. Diese Frage wird insbesondere dann
relevant, wenn die Gesetzesvorlage nur von einem einzelnen
Bundestagsabgeordneten eingebracht wird.
b. Gesetzesinitiative durch einen einzelnen Abgeordneten
Die Frage, ob eine Gesetzesinitiative von einem einzelnen
Bundestagsabgeordneten ausgehen kann, beantwortet die Verfassung nicht. Dort ist
in Art. 76 I GG nur von der „Mitte des Bundestages“ die Rede. Auch
aus dem natürlichen Sprachgebrauch des Begriffs „der Mitte“
folgt nicht die Festlegung auf eine Mindestzahl. Von Verfassungs wegen ist daher
grundsätzlich jeder einzelne Bundestagsabgeordnete berechtigt,
Gesetzesentwürfe einzubringen. [2] Etwas
anderes statuiert die GO BT. Gem. § 76 GO BT müssen Vorlagen von
Mitgliedern des Bundestages (zu denen auch Gesetzesentwürfe gehören,
vgl. § 75 I lit. a)) von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der
Mitglieder des Bundestages unterzeichnet werden. Ist das nicht der Fall, so
stellt sich die Frage nach den Auswirkungen, die ein Verstoß gegen diese
Regelung mit sich bringt. Diese Frage beantwortet Art. 82 GG: Danach werden die
nach den Vorschriften dieses Grundgesetz zustande gekommenen Gesetze vom
Bundespräsidenten ausgefertigt. Zu den Vorschriften dieses
Grundgesetzes gehören eben nicht die Vorschriften der
Geschäftsordnung. Es läßt sich daher sagen, daß
Verstöße gegen die Geschäftsordnung grundsätzlich nicht
zur Nichtigkeit von Gesetzen führen. Allerdings ist unbestritten,
daß ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung in
Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit zur Folge haben kann.
Für einen gleichzeitigen Verfassungsverstoß wird aber vorausgesetzt,
daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung einen
„verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine
Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen
Verfassungsinhalt konkretisiert. [3]
Da das Grundgesetz die Mitte des Bundestages nicht definiert, die in der
Geschäftsordnung etwa hätte wiederholt werden können, kommt es
folglich darauf an, ob § 76 I GO BT einen wesentlichen Verfassungsinhalt
konkretisiert. Dies ist zu bejahen. Durch das Erfordernis der Unterzeichnung
einer Gesetzesvorlage eines Parlamentariers von einer Fraktion oder von 5 % der
Mitglieder des Bundestages wird der Begriff der „Mitte des
Bundestages“ konkretisiert. [4]
Gesetzesvorlagen, die aus der Mitte des Bundestages stammen, müssen demnach
also von einer Fraktion oder von 5 % der Mitglieder des Bundestages
unterzeichnet sein; anderenfalls ist an eine (mittelbare) Verfassungsverletzung
zu denken.
Hierzu gilt wiederum eine Ausnahme: Wird eine aus der Mitte des Bundestages
stammende Gesetzesvorlage nicht von der erforderlichen Zahl von Abgeordneten
unterschrieben, ist ein gleichwohl beschlossenes Gesetz nicht nichtig. Denn
durch die Beschlußfassung des Bundestages hat sich dieser die Vorlage
mehrheitlich zu eigen gemacht, so daß der ursprüngliche Formmangel
durch den Beschluß des Gesetzes „geheilt“ wird.
Klausurhinweis: Die obige Darstellung hat das
Verhältnis von Regel-Ausnahme-Gegenausnahme gezeigt. Sie hat gezeigt,
daß Verstöße gegen die Geschäftsordnung grundsätzlich
nicht zur Nichtigkeit von Gesetzen führen. Das belegt bereits der Wortlaut
des Art. 82 GG: „Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes
zustande gekommenen Gesetze“. Zu diesem Grundgesetz gehören
eben nicht die Vorschriften der Geschäftsordnungen. Besteht also eine
Gesetzesinitiative durch einen einzelnen Parlamentarier, so ist die Frage
aufzuwerfen, ob diese Gesetzesinitiative „aus der Mitte“ des
Bundestages eingebracht wurde. Sodann ist darzulegen, daß das Grundgesetz
hierzu offen ist, § 76 I GO BT aber vorschriebt, daß Vorlagen von
Mitgliedern des Bundestages (zu denen auch Gesetzesentwürfe gehören,
vgl. § 75 I lit. a)) von einer Fraktion oder von fünf vom Hundert der
Mitglieder des Bundestages unterzeichnet werden müssen. Schließlich
ist darzulegen, daß die Vorschrift des § 76 GO BT eine
verfassungsmäßige Konkretisierung des Art. 76 I GG darstellt, und
daß somit eine Gesetzesvorlage eines einzelnen Abgeordneten von einer
Fraktion oder von 5% der Mitglieder des Bundestages unterschrieben werden
muß. Ist das nicht der Fall, ist so ist zwar an eine Verfassungswidrigkeit
des Gesetzes zu denken, aber dadurch, daß der Bundestag die
Gesetzesinitiative weiterverfolgt, und sie sich somit zu eigen macht, der
Verstoß gegen § 76 GO BT geheilt ist.
2. Das Vorverfahren (Art. 76 II, III GG)
a. Vorlagen der Bundesregierung (Art. 76 II GG)
Gem. Art. 76 II S. 1 GG sind Vorlagen der Bundesregierung, bevor sie beim
Bundestag eingebracht werden, zunächst dem Bundesrat zuzuleiten, damit
dieser eine Stellungnahme abgeben kann. Gibt der Bundesrat eine Stellungnahme
ab, so ist dies für das weitere Gesetzgebungsverfahren nicht bindend (arg.
e Art. 77 II, III GG). Der Sinn der Regelung besteht darin, daß der
Bundestag bei seinen Beratungen bereits die Auffassung des Bundesrates kennt,
und ggf. das Gesetz so beschließt, daß anschließend im
Bundesrat keine größeren Konflikte entstehen. In der
Fallbearbeitung können vor allem zwei Problemkreise relevant werden:
aa. Zunächst ist es möglich, daß die
Bundesregierung die Gesetzesvorlage, ohne sie zuvor dem Bundesrat zuzuleiten,
direkt beim Bundestag einbringt, damit dieser über die Vorlage
beschließt. Beschließt der Bundestag dann das Gesetz, so stellt sich
die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes.
Beispiel: Die Bundesregierung berät die
Einbringung eines neuen Biotechnologiegesetzes. Da sie aufgrund der politischen
Mehrheitsverhältnisse keine Einwände des Bundesrates befürchtet,
hält sie das Verfahren nach Art. 76 II S. 1 GG für
überflüssig und bringt ihre Gesetzesvorlage direkt beim Bundestag ein.
Dieser beschließt das Gesetz wie von der Bundesregierung
vorgesehen.
Durch die Mißachtung der Vorschrift des Art. 76 II S.
GG und der damit verbundenen Mißachtung des Mitwirkungsrechts des
Bundesrates im Gesetzesinitiativverfahren könnte das Biotechnologiegesetz
verfassungswidrig sein.
Unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen Art.
76 II S. 1 GG beachtlich ist und somit zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes
führt, wird unterschiedlich gesehen.
- Nach
überwiegender Auffassung ist ein Verstoß gegen Art. 76 II S. 1
GG beachtlich und das Gesetz verfassungswidrig, wenn die Vorschrift des Art. 76
S. 1 II GG eine materiell-rechtliche Vorschrift darstellt. Handelt es
sich bei Art. 76 II S. 1 GG lediglich um eine Ordnungsvorschrift, so führt
ein Verstoß hiergegen nicht notwendigerweise zur
Nichtigkeit.[5]
Für das Vorliegen einer bloßen Ordnungsvorschrift
spricht, daß Stellungnahmen des Bundesrates im Gesetzesinitiativverfahren
nicht bindend sind.[6]
Bindende Stellungnahmen kann der Bundesrat immer noch im eigentlichen
Gesetzgebungsverfahren nach Art. 77-79 GG abgeben. Dort ist ohnehin die
Mitwirkung des Bundesrates zumindest bei Zustimmungsgesetzes konstitutiv.
Andererseits spricht der Wortlaut des Art. 76 II S. 1 GG von einer
Verpflichtung: „Gesetzesvorlagen der Bundesregierung sind
zunächst dem Bundesrat zuzuleiten“. Der Sinn dieser Regelung besteht
darin, daß der Bundestag frühzeitig über die Auffassung des
Bundesrates informiert ist, und daher das Gesetz bereits so gestalten kann,
daß es den Bundesrat ohne große Einwände
„passieren“ wird.
Vorliegend lassen die politischen Mehrheitsverhältnisse
im Bundesrat keine Einwände desselben im späteren
Gesetzgebungsverfahren befürchten. Gleichwohl ist der Wortlaut des Art. 76
II S. 1 GG eindeutig, wonach Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zunächst
dem Bundesrat zuzuleiten sind. Unterbleibt diese Zuleitung, so ist ein
gleichwohl vom Bundestag beschlossenes Gesetz nicht nach den Vorschriften
dieses Grundgesetzes zustande gekommen (vgl. Art. 82 GG). Ist ein Gesetz
nicht nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommen,
führt das zur Verfassungswidrigkeit des
Gesetzes.[7]
- Teilweise wird nicht
darauf abgestellt, ob Art. 76 II S. 1 GG eine materiell-rechtliche Vorschrift
darstellt, sondern generell darauf, ob Verstöße gegen
Verfahrensbestimmungen Rücksicht auf das Gebot der Rechtssicherheit
evident waren.[8]
Nur bei evidenten Verstößen gegen grundgesetzliche
Verfahrensbestimmungen sei eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes anzunehmen.
Vorliegend war das Umgehen des Bundesrates evident, so daß auch dieser
Ansatz zur Verfassungswidrigkeit des Biotechnologiegesetzes führt. Eine
Entscheidung, welcher Auffassung zu folgen ist, bedarf es somit nicht.
Ergebnis: Da es sich bei der Verfahrensvorschrift des
Art. 76 II S. 2 GG zum einen nicht um eine bloße Ordnungsvorschrift,
sondern um eine materiell-rechtliche Verfassungsbestimmung handelt, und zum
anderen der Fehler evident war, führt die Nichtbeachtung der Vorschrift des
Art. 76 II S. 1 GG zur Verfassungswidrigkeit des Biotechnologiegesetzes.
Klausurhinweis: Es ist kaum eine Fallgestaltung
denkbar, bei der die beiden dargestellten Ansätze zu unterschiedlichen
Ergebnissen kommen. Daher sollte in der Fallbearbeitung das Problem wie oben
dargestellt behandelt werden.
bb. In der zweiten Fallgestaltung bringt die
Bundesregierung nicht selbst Gesetzesvorlagen ein, sondern läßt
diese über die sie tragende(n) Bundestagsfraktion(en) beim Bundestag
einbringen, um das Verfahren nach Art. 76 II S. 1 GG zu umgehen. Ob auch
diese Fallgestaltung verfassungswidrig ist, soll folgendes Beispiel
zeigen:
Beispiel: Da die Bundesregierung immer noch an der
Verabschiedung des Biotechnologiegesetzes festhält, nun aber einsieht,
daß sie die Gesetzesvorlage zunächst dem Bundesrat zuleiten
muß, kommt sie auf folgende Idee: Die vorherige Zuleitung der
Gesetzesvorlage an den Bundesrat ist nicht erforderlich, wenn die
Gesetzesvorlage aus der Mitte des Bundestages kommt. Daher läßt sie
die Vorlage zum Biotechnologiegesetz über die sie tragende Koalition beim
Bundestag einbringen.
1. Verstoß gegen Art. 76 II S. 1
GG?
Auch hier liegt letztlich eine Umgehung der Regelung des
Art. 76 II S. 1 GG vor. Da aber Gesetzesvorlagen ohne weiteres aus der Mitte des
Bundestages beim Bundestag eingebracht werden können, ohne daß sie
zunächst dem Bundesrat zuzuleiten wären, ist die Vorgehensweise der
Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die
Gesetzesvorlage zum Biotechnologiegesetz als aus der Mitte des Bundestages
stammend eingestuft werden kann. Dies ist vorliegend der Fall: Formal-juristisch
stammt die Gesetzesvorlage von der Regierungskoalition, also aus der Mitte des
Bundestages. Daß die eigentliche Initiative von der Bundesregierung
ausging, ist unschädlich. Die Regierungskoalition hat sich die
Gesetzesvorlage zu eigen gemacht. Diese Vorgehensweise entspricht der
Staatspraxis.[9]
2. Verstoß gegen den Grundsatz der
Organtreue?
Möglicherweise ergibt sich aber die Unzulässigkeit
der Vorgehensweise aus dem Grundsatz der Organtreue. Dieser Grundsatz besagt,
daß Staatsorgane untereinander zu rücksichtsvollem Umgang und einem
Mindestmaß an Kooperation verpflichtet
sind.[10] Gerade für
den Fall, daß die Bundesregierung durch gezielte Umgehung der Vorschrift
des Art. 76 II S. 1 GG das Mitwirkungsrecht des Bundesrates verkürzt,
könnte sie gegen den Grundsatz der Organtreue verstoßen haben. Aber
auch hier gilt, daß die Bundesregierung formal-juristisch korrekt
gehandelt hat. Die sie stützende Regierungskoalition hat sich den
Gesetzesentwurf zu eigen gemacht und beim Bundestag eingebracht. Daher kann auch
hier im Ergebnis nichts anderes gelten.
3. Ergebnis
Insgesamt hat sich die Bundesregierung mit der Umgehung der
Verfahrensvorschrift des Art. 76 II S. 1 GG nicht rechtsmißbräuchlich
verhalten. Eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzes kann somit nicht festgestellt
werden.
b. Vorlagen des Bundesrates (Art. 76 III GG)
Gesetzesvorlagen des Bundesrates sind gem. Art. 76 III S. 1 GG dem
Bundestag durch die Bundesregierung innerhalb von sechs Wochen zuzuleiten. Die
Bundesregierung soll hierbei ihre Auffassung darlegen (Art. 76 III S. 2 GG). Das
Modalverb „soll“ bedeutet, daß die Bundesregierung zwar im
Regelfall, nicht aber in begründeten Ausnahmefällen hierzu
verpflichtet ist.
II. Das Hauptverfahren
Ist die Gesetzesinitiative nach den o.g. Grundsätzen beim Bundestag
eingebracht worden, so muß der Bundestag sich mit ihr befassen. Er
muß darüber beraten und Beschluß
fassen. [11]
1. Der Gesetzgebungsbeschluß des Bundestages
a. Die Gesetzesberatungen nach §§ 78 ff. GO BT
Im Bundestag wird über die Gesetzesvorlage grundsätzlich in
drei Lesungen beraten, §§ 78 ff. GO BT
(„Beratungen“). In der ersten Lesung findet eine allgemeine
Aussprache i.d.R. nicht statt. Vielmehr werden die Gesetzesvorlagen durch
Beschluß an die zuständigen Ausschüsse überwiesen (§
80 GO BT). Die zweite Lesung findet nach Abschluß der
Ausschußberatungen und aufgrund der Empfehlung der beteiligten
Ausschüsse statt. Die zweite Lesung dient der Detailberatung der
Ausschußberichte. In ihr findet also die eigentliche demokratische
Willensbildung des Plenums statt. Es können auch noch Änderungen des
Gesetzesentwurfs beantragt werden (§ 82 GO BT). Sofern keine
Änderungen des Gesetzesentwurfs beschlossen wurden, folgt die dritte
Lesung (§ 84 S. 1 lit. a) GO BT), im übrigen am zweiten Tag nach
Verteilung der Drucksachen mit den beschlossenen Änderungen (§ 84 S. 1
lit. b) GO BT). Die dritte Lesung dient der Vorbereitung der
Schlußabstimmung nach § 86 GO BT. Diese Schlußabstimmung
bedeutet – sofern der Bundestag der Gesetzesvorlage zustimmt – den
Gesetzesbeschluß nach Art. 77 I S. 1 GG. Für diesen
Gesetzesbeschluß genügt im Regelfall die Mehrheit der abgegeben
Stimmen (Art. 42 II GG). Eine qualifizierte Mehrheit ist nur bei
Verfassungsänderungen (2/3 Mehrheit) und sonst im Grundgesetz vorgesehenen
Fällen erforderlich, vgl. dazu Schmidt/Seidel,
Staatsorganisationsrecht S. 159 ff..
In der Fallbearbeitung stellen sich regelmäßig zwei
Problemkreise: Zum einen hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, ohne es zuvor
in drei Lesungen beraten zu haben (unten, b.). Zum anderen waren bei dem
Gesetzesbeschluß nur so wenige Mitglieder im Bundestag anwesend, daß
die Beschlußfähigkeit angezweifelt wird (unten, c.).
b. Gesetzesbeschluß ohne Durchführung von drei Beratungen
aa. Eine Beratung von Gesetzesentwürfen in drei Lesungen
fordert die Verfassung nicht ausdrücklich. Vielmehr
überläßt sie die Ordnung des Gesetzgebungsverfahrens insoweit
der autonomen Satzungsgewalt des Bundestages (vgl. Art. 40 I S. 2 G).
Beschießt der Bundestag daher ein Gesetz, ohne drei Lesungen eingehalten
zu haben, so ist fraglich, ob überhaupt ein Verfassungsverstoß
vorliegen kann. Allerdings ist – wie bereits gesagt – unbestritten,
daß bestimmte Verstöße gegen die Geschäftsordnung in
Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Folge haben
können. Für einen Verfassungsverstoß wird aber vorausgesetzt,
daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung einen
„verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine
Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen
Verfassungsinhalt konkretisiert. [12] Da das
Grundgesetz die Zahl der Lesungen nicht vorschreibt, die in der
Geschäftsordnung etwa hätten wiederholt werden können, kommt es
folglich darauf an, ob die §§ 78 ff. GO BT einen wesentlichen
Verfassungsinhalt konkretisieren. Dies ist zu verneinen. Zwar wird durch die
Zahl der vorgeschriebenen Lesungen die Parlamentsarbeit wesentlich bestimmt. Das
Erfordernis von drei Lesungen gehört jedoch nicht zu den unabdingbaren
Grundsätzen demokratischer rechtsstaatlicher
Ordnung. [13] Daher führt ein
Verstoß gegen die §§ 78 ff. GO BT nicht zur
Verfassungswidrigkeit des Gesetzes.
bb. Eine andere Frage ist es, ob ein Verstoß gegen die
§§ 78 ff. GO BT ein Verstoß gegen die GO BT selbst bedeutet.
Aber auch ein Verstoß gegen die GO BT selbst liegt nicht vor, wenn die
Abweichung von der betreffenden Bestimmung der Geschäftsordnung durch 2/3
der anwesenden Mitglieder beschlossen wird und das Grundgesetz dem nicht
entgegensteht (§ 126 GO BT).
Beispiel: Der Bundestag behandelt eine
Gesetzesnovelle zum Gentechnikgesetz. Da breiter Konsens über die
künftige Gesetzesfassung besteht, beschließt der Bundestag mit 300
von 450 anwesenden Abgeordneten das Gesetz in nur einer Lesung zu verabschieden.
Nach dem das Gesetz auf diese Weise verabschiedet wurde, macht der
oppositionelle Abgeordnete A geltend, daß Gesetz sei nicht
rechtmäßig beschlossen worden. Zu Recht?
Nach den oben gemachten Ausführungen liegt ein
Verfassungsverstoß nicht vor, da die Zahl von drei Lesungen von
Verfassungs wegen nicht gefordert wird. Die Verabschiedung des Gesetzes nach nur
einer Lesung widerspricht aber § 78 I S. 1 GO BT. Gleichwohl liegt auch ein
Verstoß gegen die Geschäftsordnung nicht vor, wenn die Abweichung von
der betreffenden Bestimmung der Geschäftsordnung durch 2/3 der anwesenden
Mitglieder beschlossen wurde und das Grundgesetz dem nicht entgegensteht (§
126 GO BT). Da vorliegend 300 von 450 anwesenden Abgeordneten für die
Verfahrensverkürzung stimmten, kann auch ein Verstoß gegen die
Geschäftsordnung nicht festgestellt werden.
Klausurhinweis: In einer
Staatsorganisationsrechtsklausur, welche die Gesetzgebung nach Art. 76 ff. GG
zum Gegenstand hat, kommt es nicht selten vor, daß gegen Vorschriften der
GO BT (insbesondere über die Zahl der Beratungen, § 78 ff. GO BT)
verstoßen worden ist. Bei der Frage, ob das zu untersuchende Gesetz
deswegen verfassungswidrig ist, muß das Problem erörtert werden, ob
Verstöße gegen die GO BT zur formellen Verfassungswidrigkeit von
Gesetzen führen. Da die Zahl der erforderlichen Beratungen nicht im
Grundgesetz vorgeschrieben ist, das Zustandekommen von Bundesgesetzen sich aber
nach den Art. 70 ff. GG richtet, kann ein Verstoß gegen §§ 78
ff. GO BT auch nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes
führen. Selbstverständlich kann ein Verstoß gegen die GO BT
vorliegen, der aber keinen Einfluß auf die Verfassungsmäßigkeit
des Gesetzes hat.
Für die Fallbearbeitung empfiehlt sich folgende
Vorgehensweise: Hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, ohne zuvor drei
Lesungen durchgeführt zu haben, muß die Frage aufgeworfen werden, ob
das Gesetz überhaupt wirksam zustande gekommen ist. Das Grundgesetz selbst
enthält keine Vorschriften darüber, ob und wie oft Gesetzesvorlagen zu
beraten sind, bevor darüber Beschluß gefaßt wird. Vielmehr
verlangt das Grundgesetz gem. Art. 82 GG lediglich, daß das Gesetz den
Vorschriften dieses Grundgesetzes entspricht. Zu diesen Vorschriften des
Grundgesetzes gehören eben nicht die Vorschriften der GO BT.
Verstöße gegen die §§ 78 ff. GO BT führen also
nicht zur Verfassungswidrigkeit von Gesetzen. Ein Verfassungsverstoß
kann demnach nicht festgestellt werden. Sodann ist auf die Frage einzugehen, ob
wenigstens ein Verstoß gegen die Geschäftsordnung selbst vorliegt.
Hier sind die Vorschriften der §§ 78 ff. GO BT zu benennen, wonach
drei Lesungen vorgeschrieben sind. Der Bundestag kann aber von dieser Regelung
abweichen, wenn dies durch 2/3 der anwesenden Mitglieder beschlossen wird und
das Grundgesetz dem nicht entgegensteht (§ 126 GO BT). Sodann ist
darzulegen, ob die erforderliche Zahl von Abgeordneten anwesend war und die
Abweichung von den §§ 78 ff. GO BT beschlossen hat. Ist dies der Fall,
verstößt das Gesetz auch nicht gegen die Geschäftsordnung. Aber
auch wenn die Abweichung von den §§ 78 ff. GO BT nicht durch 2/3
Mehrheit festgestellt werden konnte, ist das Gesetz nicht unwirksam, denn wie
bereits erwähnt, ist die Zahl der erforderlichen Gesetzesberatungen nicht
im Grundgesetz
vorgeschrieben.[14]
c. Gesetzesbeschluß bei nur wenigen anwesenden Abgeordneten
Wie bereits mehrfach ausgeführt, genügt für den
Gesetzesbeschluß nach Art. 77 I S. 1 GG im Regelfall die Mehrheit der
abgegeben Stimmen (Art. 42 II GG). [15]
Selbstverständlich setzt ein Gesetzesbeschluß die
Beschlußfähigkeit des Bundestages voraus. Ein Problem stellt sich
also dann, wenn so wenige Parlamentsabgeordnete anwesend sind, daß die
Beschlußfähigkeit des Bundestages bezweifelt werden muß.
Beispiel: Der Bundestag beschließt ein Gesetz,
wonach bestimmte Biotechnologien der behördlichen Genehmigung
bedürfen. Bei der Beschlußfassung waren nur 60 Abgeordnete anwesend.
Biotechnologiekonzern B ist der Auffassung, das Gesetz sei wegen
Beschlußunfähigkeit des Bundestages nicht wirksam zustande gekommen
und geht weiterhin von der Genehmigungsfreiheit seiner Tätigkeit aus. Zu
Recht?
Ebensowenig wie das Grundgesetz die Zahl der Gesetzesberatungen
vorschreibt, enthält es Regelungen über die
Beschlußfähigkeit. Daß der Bundestag bei der
Beschlußfassung aber beschlußfähig sein muß, liegt in der
Natur der Sache. Das Grundgesetz überläßt diese Frage der
Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages (vgl. Art. 40 I S. 2 GG). Dieser
hat die Beschlußfähigkeit in § 45 GO BT geregelt. Danach ist der
Bundestag beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner
Mitglieder anwesend ist (§ 45 I GO BT). Da die Anwesenheit der Hälfte
der Mitglieder des Bundestages aber nicht der Staatspraxis entspricht, sieht die
GO BT vor, daß der Bundestag solange beschlußfähig ist, bis die
Beschlußfähigkeit bezweifelt und die
Beschluß unfähigkeit festgestellt wurde (§ 45 II GO BT).
Die Bezweifelung der Beschlußfähigkeit muß von einer Fraktion
oder von anwesenden 5 % der Mitglieder des Bundestages ausgehen. Mit dieser
Regelung wird die Beschlußfähigkeit also fingiert, obwohl sie
tatsächlich nicht besteht. [16]
Im vorliegenden Beispiel ist die
Beschlußfähigkeit nicht bezweifelt worden. Daher war der Bundestag
gem. § 45 I, II GO BT grundsätzlich als beschlußfähig
anzusehen.
Schwierigkeiten bestehen aber dort, wo noch nicht einmal so viele
Abgeordnete anwesend sind, daß die Beschlußfähigkeit bezweifelt
und die Beschlußunfähigkeit festgestellt werden kann. Hier wird man
trotz fehlender Feststellung der Beschlußunfähigkeit davon ausgehen
müssen, daß der Bundestag nicht beschlußfähig ist. Denn
sind nur so wenige Abgeordnete anwesend, daß noch nicht einmal die
Beschluß unfähigkeit festgestellt werden kann, wäre es mit
dem Prinzip der repräsentativen Demokratie (Art. 20 II, 38 I GG) kaum
vereinbar, wenn der Bundestag in diesem Zustand Gesetz beschließen
könnte. [17]
Zum vorliegenden Beispiel: Wenn man von einer
gesetzlichen Mitgliederzahl von 669 (656 + 13
Überhangmandate[18])
ausgeht, hätten mindestens 34 Abgeordnete anwesend sein müssen. Das
war der Fall. Vorliegend waren 60 Mitglieder anwesend. Da auch niemand die
Beschlußfähigkeit angezweifelt hat, war der Bundestag
beschlußfähig. Das Gesetz ist daher nicht wegen
Beschlußunfähigkeit verfassungswidrig.
Klausurhinweis: Daß der Bundestag im
beschlußunfähigen Zustand einen Gesetzesbeschluß gefaßt
hat, die Beschlußunfähigkeit aber nicht durch Abstimmung positiv
festgestellt wurde, ist ein sehr beliebtes Klausurthema. Bei der zu behandelnden
Frage, ob der zu prüfende Beschluß formell ordnungsgemäß
zustande gekommen ist, muß zunächst die Beschlußfähigkeit
des Bundestages geprüft werden. Gem. § 45 I GO BT ist der Bundestag
beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im
Sitzungssaal anwesend ist. Ist also nicht mehr als die Hälfte der
Mitglieder des Bundestages anwesend, so ist der Bundestag nicht
beschlußfähig. Damit ist der fragliche Beschluß aber (noch)
nicht formell rechtswidrig, denn die Beschlußunfähig liegt nicht
automatisch vor. Diese muß vielmehr positiv festgestellt werden (§ 45
II und III GO BT). Bis zu der positiven Feststellung der
Beschlußunfähigkeit sind Beschlüsse trotz materiellen Vorliegens
der Beschlußunfähigkeit zumindest formell rechtmäßig.
Zur Feststellung der Beschlußunfähigkeit ist aber
eine Fraktion oder 5 % der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages
erforderlich (§ 45 II S. 1 GO BT). Wird selbst diese Mindestzahl nicht
erreicht, wird man davon ausgehen müssen, daß der Bundestag
keinesfalls beschlußfähig ist, auch wenn seine
Beschlußunfähigkeit nicht positiv festgestellt wurde. Würde man
hier eine Beschlußfähigkeit annehmen, wäre dies mit dem Prinzip
der repräsentativen Demokratie (Art. 20 II GG) kaum
vereinbar.
2. Die Mitwirkung des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren
Die Mitwirkung des Bundesrates bei der Gesetzgebung des Bundes ist ein
entscheidendes Kriterium für das Funktionieren des Bundesstaates. Der Grad
der Mitwirkung bemißt sich nach der Art des Gesetzes, d.h. danach, ob es
sich um ein Einspruchsgesetz oder um ein Zustimmungsgesetz handelt.
a. Einspruchs- und Zustimmungsgesetze
Ein Einspruchsgesetz ist ein Gesetz, das auch ohne Mitwirkung des
Bundesrates zustande kommt. Demgegenüber ist bei einem Zustimmungsgesetz
der Zustimmungsakt konstitutiv. Grundsätzlich sind Gesetze
Einspruchsgesetze.
Ein Zustimmungsgesetz liegt nur dann vor, wenn das Grundgesetz von
einer „Zustimmung des Bundesrates“ spricht (Enumerationsprinzip).
Das sind Fälle, in denen die Länderinteressen nachhaltig berührt
werden. [19] Das betrifft die Bereiche
Verfassung, Finanzen und Verwaltung.
Das Grundgesetz nennt Art. 16 a II S. 2, III S. 1; Art. 23 I
S. 2, VII; Art. 29 VII; Art. 74 II; Art. 74 a; Art. 79 II; Art. 84 I, V S. 1 u.
2; Art. 85 I; Art. 87 III S. 2; Art. 87 b I S. 3 u. 4 u. II S. 1 u. 2; Art. 87
c; Art. 87 d II; Art. 87 e V; Art. 87 f I; Art. 91a II; Art. 96 V; Art. 104 a
III S. 3, IV S. 2, V S. 2; Art. 105 III; Art. 106 III-VI; Art. 106 a S. 2; Art.
107 I S. 2 u. 4; Art. 108 II; IV S. 1, V; Art. 109 III u. IV; Art. 115 c I, III;
Art. Art. 115 k III S. 2; Art. 115 l; Art. 120a I S. 1; Art. 134 IV; Art. 135 V;
Art. 135 a (Verweis auf Art. 134 IV und 135 V); Art. 143 a III S. 3 und Art. 143
b II S. 3. Bei allen übrigen Gesetzen handelt es sich um Einspruchsgesetze.
Ein Gesetz ist auch dann voll zustimmungspflichtig, wenn nur Teile
desselben die Zustimmungspflichtigkeit
auslösen. [20] Das wird insbesondere beim
erstmaligen Erlaß eines Gesetzes relevant. Hier kann oft nicht zwischen
zustimmungsbedürftigen Teilen und solchen, die nicht der Zustimmungspflicht
unterfallen, unterschieden werden. Abzustellen ist vielmehr auf das Gesetz als
Einheit. Bei fehlender Zustimmung führt dies zur Nichtigkeit des ganzen
Gesetzes, auch wenn nur Teile desselben von der Zustimmungspflicht betroffen
waren. Etwas anderes gilt hinsichtlich späterer Änderungen von
Zustimmungsgesetzen. Zustimmungsbedürftig sind Änderungsgesetze zu
Zustimmungsgesetzen nach der h.M. nur dann, wenn das Änderungsgesetz selbst
zustimmungsbedürftige Teile enthält, wenn es Vorschriften ändert,
die die Zustimmungsbedürftigkeit des zu ändernden Zustimmungsgesetzes
ausgelöst haben, oder wenn es dazu führt, daß die
zustimmungsbedürftigen Vorschriften eine wesentlich andere Bedeutung und
Tragweite erhalten. [21] Vgl. dazu im einzelnen
unten S. 307 f.. Nicht zustimmungsbedürftig ist die Aufhebung eines
Zustimmungsgesetzes. [22]
Klausurhinweis: In der Fallbearbeitung ist die
Einordnung des fraglichen Gesetzes oft von entscheidender Bedeutung, da ein
Einspruchsgesetz bereits dann zustande kommt, wenn der Bundesrat entweder keinen
Einspruch einlegt oder den Einspruch nicht fristgerecht einlegt oder er vom
Bundestag überstimmt wird. Ein Zustimmungsgesetz kommt demgegenüber
auf jeden Fall nur dann zustande, wenn der Bundesrat ausdrücklich zustimmt.
Bleibt der Bundesrat also untätig bzw. läßt die in Art. 77 GG
genannte Drei-Wochen-Frist verstreichen, ohne Einspruch einzulegen, kommt das
fragliche Gesetz nur dann zustande, wenn es sich bei diesem um ein
Einspruchsgesetz handelt. In der Fallbearbeitung muß daher geprüft
werden, ob es sich bei dem fraglichen Gesetz um ein Einspruchs- oder um ein
Zustimmungsgesetz handelt. Wie bereits gesagt, sind Zustimmungsgesetze nur die
im Grundgesetz ausdrücklich so bezeichneten Gesetze („Bundesgesetz
mit Zustimmung des Bundesrates“). Das betrifft drei Fallgruppen:
Verfassung, Finanzen und Verwaltung. Alle übrigen
Gesetz sind Einspruchsgesetze.
Die praktisch bedeutsamste Vorschrift, die eine
Zustimmungsbedürftigkeit anordnet, ist Art. 84 I GG. Danach sind
Gesetze zustimmungsbedürftig, soweit sie die Einrichtung der
Behörden und das Verwaltungsverfahren regeln.
Die Vorschrift des Art. 84 I GG verleiht dem Bund das Recht,
die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder
(und ausnahmsweise auch der Kommunen) zu regeln. Da aber die Einrichtung der
Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder aufgrund des
Bundesstaatsprinzips und der Staatsqualität der Länder eigentlich
Sache der Länder ist, führt das Recht des Bundes, die Einrichtung der
Behörden und das Verwaltungsverfahren der Länder zu regeln, zu einem
Übergriff des Bundes in die Länderzuständigkeit. Dieser
Übergriff soll wenigstens durch die Mitwirkung der Länder bei der
Gesetzgebung ausgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der
Regelung des Art. 84 I GG wie folgt Stellung genommen: „Das
Zustimmungserfordernis des Art. 84 I GG soll die Grundentscheidung der
Verfassung, wonach die Länder die umfassende Verwaltungszuständigkeit
haben, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt
(Art. 30 GG), zugunsten des föderativen Staatsaufbaus mit absichern und
verhindern, daß insoweit Verschiebungen im bundesstaatlichen Gefüge
im Wege der einfachen Gesetzgebung über Bedenken des Bundesstaates hinweg
herbeigeführt werden
können“.[23]
Im einzelnen gilt: „Einrichtung der
Behörden“ umfaßt die Errichtung (d.h. die Gründung)
und Einrichtung (d.h. Ausgestaltung, innere Organisation) der Behörden. Das
beinhaltet auch die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen. Behörden
in diesem Sinne sind alle amtlichen Stellen (des Landes und der
Kommunen).[24] Unter
„Regelung des Verwaltungsverfahrens“ sind nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesetzliche Bestimmungen zu
verstehen, „die die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde im Blick
auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich
ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art
der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und
Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge in
ihrem Ablauf
regeln“[25].
Verkürzt kann man sagen, daß zum Verwaltungsverfahren alle
Vorschriften gehören, die das „wie“ des Gesetzesvollzugs
regeln.
Beispiele[26]:
Vorschriften, welche die Einrichtung der Behörden und das
Verwaltungsverfahren der Länder regeln, sind: Vorschriften über die
Beweiserhebung und die Sachverhaltsermittlung, Form- und Fristvorschriften,
Datenschutzregelungen, Antragserfordernisse, sofern es sich nicht um eine
materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung handelt, Offenbarungs- und
Verwertungsverbote, Schweigepflichten für Amtswalter, Vorschriften
über Verwaltungsgebühren, Vorschriften, die den Behörden
Kontrollbefugnisse einräumen.
Klausurhinweis: Da das Bundesverfassungsgericht den
Begriff des Verwaltungsverfahrens weit auslegt, ist im Zweifel von einer
Regelung des Verwaltungsverfahrens und somit von einem Zustimmungsgesetz
auszugehen.
aa. Gesetzgebungsverfahren bei Einspruchsgesetzen
Will der Bundesrat gegen ein Gesetz Einspruch einlegen, so muß er
zunächst den Vermittlungsausschuß anrufen (Art. 77 III i.V.m.
II GG). Dies muß innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Eingang des
Gesetzesbeschlusses geschehen (Art. 77 II S. 1 GG), anderenfalls kommt das
Gesetz zustande. Die Anrufung des Vermittlungsausschusses erfolgt durch
Mehrheitsbeschluß, d.h. mit mindestens 35 Stimmen (vgl. Art. 52 III S. 1
GG).
Der Vermittlungsausschuß wird aus Mitgliedern des
Bundestages und des Bundesrates gebildet (Art. 77 II GG). Er soll in Fällen
unterschiedlicher Meinungen zwischen Bundestag und Bundesrat über eine
Gesetzesvorlage eine Fassung finden, der beide Körperschaften zustimmen
können. Dabei besteht kein imperatives Mandat, auch nicht für die
Mitglieder des Bundesrates (Art. 77 II S. 3 GG), weil anderenfalls die
Ausarbeitung eines Kompromisses nicht möglich wäre. Zu beachten ist
aber, daß sich der ausgearbeitete Kompromiß in einem rechtlichen
Zusammenhang mit der bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetzesmaterie
befinden muß.[27]
Für die Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens sind sodann zwei
Konstellationen zu unterscheiden:
- Schlägt der
Vermittlungsausschuß die Bestätigung des Gesetzesentwurfs zu oder hat
er das Vermittlungsverfahren ohne Vermittlungsvorschlag beendet, dann kann der
Bundesrat innerhalb von zwei Wochen über den Einspruch entscheiden (vgl.
Art. 77 III S. 1 GG). Zum Fristbeginn vgl. Art. 77 III S. 2 GG.
- Schlägt der
Vermittlungsausschuß dagegen eine Änderung des Gesetzesbeschlusses
vor, so hat der Bundestag erneut Beschluß zu fassen (Art. 77 II S. 5 GG);
hierauf erfolgt eine erneute Behandlung im Bundesrat (gleichgültig, ob der
Bundestag das Gesetz geändert hat oder nicht). Nun kann der Bundesrat
innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen (Art. 77 III S. 1 GG). Zum
Fristbeginn vgl. Art. 77 III S. 2 GG.
In beiden Konstellationen gilt: Legt der Bundesrat innerhalb der
Zwei-Wochen-Frist keinen Einspruch ein, so ist das Gesetz zustande gekommen
(Art. 78 Var. 3 GG). Das gleiche gilt, wenn der Bundesrat seinen Einspruch
zurücknimmt (Art. 78 Var. 4 GG).
Legt der Bundesrat dagegen fristgemäß Einspruch ein, so kann
dieser vom Bundestag überstimmt werden. Je nach der Mehrheit, mit der der
Einspruch vom Bundesrat beschlossen wurde, ist für die Zurückweisung
des Einspruchs durch den Bundestag eine unterschiedliche Mehrheit erforderlich:
- Hat der Bundesrat
über den Einspruch mit einfacher Mehrheit (d.h. mit der Mehrheit seiner
Stimmen, Art. 52 III S. 1 GG) beschlossen, so kann der Bundestag den Einspruch
durch Beschluß der Mehrheit seiner Mitglieder (d.h. mit der absoluten
Mehrheit)[28]
zurückweisen, Art. 77 IV S. 1 GG.
- Hat der Bundesrat
dagegen den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 seiner Stimmen
beschlossen, so bedarf sie Zurückweisung durch den Bundestag einer 2/3
Mehrheit (der abgegebenen Stimmen), mindestens der Mehrheit der Mitglieder des
Bundestages (d.h. der absoluten Mehrheit), Art. 77 IV S. 2
GG.[29]
Beispiel: Der Bundestag besteht aus 669 Abgeordneten
(656 reguläre + 13 Überhangmandate), der Bundesrat hat 69 Stimmen. Bei
dem Beschluß über die Zurückweisung des Einspruchs sind im
Bundestag 400 Abgeordnete anwesend.
Hat der Bundesrat nun mit 35 Stimmen Einspruch eingelegt,
bedarf die Zurückweisung des Einspruchs 335 Stimmen seitens des
Bundestages.
Hat der Bundesrat dagegen mit 46 Stimmen Einspruch
eingelegt, so bedarf die Zurückweisung an sich nur 267 Stimmen (2/3
Mehrheit), wegen der Regelung des Art. 77 IV S. 2 GG aber mindestens die
Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl. Das sind 335.
Weist der Bundestag den Einspruch mit der erforderlichen Mehrheit
zurück, so kommt das Gesetz zustande. Anderenfalls ist das Gesetzesvorhaben
gescheitert.
bb. Gesetzgebungsverfahren bei Zustimmungsgesetzen
Ist das Gesetz zustimmungsbedürftig, kommt es nur dann zustande, wenn
der Bundesrat zustimmt (Art. 78 Var. 1 GG). Die Anrufung des
Vermittlungsausschusses ist, wie Art. 77 II a GG feststellt, nicht erforderlich.
Der Bundesrat hat lediglich in angemessener Frist darüber Beschluß zu
fassen, ob er dem Gesetz zustimmt oder nicht (Art. 77 II a GG). Verweigert der
Bundesrat die Zustimmung, ist das Gesetzesvorhaben zunächst gescheitert.
Das gleiche gilt, wenn der Bundesrat untätig bleibt.
Verweigert der Bundesrat die Zustimmung, können (anders
als bei Einspruchsgesetzen) auch der Bundestag und die Bundesregierung den
Vermittlungsausschuß anrufen (Art. 77 II S. 4 i.V.m. S. 1 GG). Für
die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch diese beiden Staatsorgane gilt
grundsätzlich keine
Ausschlußfrist.[30]
Jedoch muß der Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses aus
Gründen der Rechtsklarheit innerhalb einer angemessenen Frist nach
Verweigerung der Zustimmung erfolgen. Ruft dagegen der Bundesrat den
Vermittlungsausschuß an, so ist fraglich, innerhalb welcher Frist dies
geschehen muß. Legt man die Vorschrift des Art. 77 II S. 1 GG zugrunde, so
gilt die Ausschlußfrist von drei
Wochen.[31] Stellt man
sich dagegen auf den Standpunkt, daß sich die Vorschrift des Art. 77 II S.
1 GG lediglich auf Einspruchsgesetze, nicht auf Zustimmungsgesetze bezieht, so
gilt die Drei-Wochen-Frist
nicht.[32]
Wird der Vermittlungsausschuß angerufen
(gleichgültig von welchem Organ), sind – wie bei Einspruchsgesetzen
– auch hier für die Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens sodann
zwei Konstellationen zu unterscheiden:
- Schlägt der
Vermittlungsausschuß die Bestätigung des Gesetzesentwurfs zu oder hat
er das Vermittlungsverfahren ohne Vermittlungsvorschlag beendet, dann hat der
Bundesrat innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu
entscheiden (vgl. Art. 77 II a GG).
- Schlägt der
Vermittlungsausschuß dagegen eine Änderung des Gesetzesbeschlusses
vor, so hat der Bundestag erneut Beschluß zu fassen (Art. 77 II S. 5 GG);
hierauf erfolgt eine erneute Behandlung im Bundesrat (gleichgültig, ob der
Bundestag das Gesetz geändert hat oder nicht). Nun hat der Bundesrat
innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu entscheiden (Art.
77 II a GG).
Verweigert der Bundesrat nach dann immer noch die
Zustimmung, ist das Gesetzesvorhaben endgültig gescheitert. Stimmet er
indes zu, ist das Gesetz zustande gekommen.
Beispiel: Das Steuerreformgesetz 2000 war aufgrund
seines finanzverfassungsrechtlich relevanten Inhalts zustimmungspflichtig. Da
sich der Bundesrat ursprünglich weigerte, seine Zustimmung zu erteilen,
konnte die Steuerreform zunächst nicht ergehen. Um gleichwohl die
Steuerreform (in modifizierter Form) herbeizuführen, rief die
Bundesregierung gem. Art. 77 II S. 4 GG den Vermittlungsausschuß an. In
diesem Verfahren kam es zu keinem Kompromiß. Darauf hin hatte der
Bundesrat innerhalb einer angemessenen Frist über die Zustimmung zu
entscheiden (vgl. Art. 77 II a GG). Als sich der Bundesrat am 14.7.2000 mit 41
zu 28 Stimmen entschloß, dieser Steuerreform zuzustimmen, konnte die
Steuerreform ergehen.
cc. Umdeutung einer verweigerten Zustimmung als Einspruch
Ist die Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes unklar, wird der
Bundesrat vorsorglich bzw. hilfsweise Einspruch einlegen, damit, falls es sich
doch um ein Einspruchsgesetz handeln sollte, er noch fristgerecht Einspruch
eingelegt und somit das Zustandekommen des Gesetzes verhindert hat. Darüber
hinaus erzwingt er dadurch eine erneute Beschlußfassung durch den
Bundestag (Art. 77 IV GG). [33] Fraglich ist,
wie es sich verhält, wenn der Bundesrat von einem Zustimmungsgesetz
ausgeht, es sich tatsächlich aber um ein Einspruchsgesetz handelt, und der
Bundesrat nicht vorsorglich Einspruch einlegt. Teilweise wird vertreten, der
Beschluß des Bundesrates über die Zustimmungsverweigerung könne
möglicherweise als Einspruch zu deuten sein. Nach der h.M. dürfte dies
aber dem Grundsatz der Formstrenge widersprechen und abzulehnen sein.
Beispiel: Nachdem das Biotechnologiegesetz vom
Bundestag beschlossen und dem Bundesrat zugeleitet wurde, ist dieser der
Auffassung, es handele sich um ein Zustimmungsgesetz. Da er mit dem Inhalt der
Regelung nicht einverstanden ist, verweigert er (innerhalb der Frist des Art. 77
II GG) durch Beschluß die Zustimmung. Einen Einspruch legt er nicht ein.
Wenn man davon ausgeht, daß es sich bei dem
Biotechnologiegesetz lediglich um ein Einspruchsgesetz handelt, hätte der
Bundesrat Einspruch einlegen müssen. Ausdrücklich hat der Bundesrat
keinen Einspruch eingelegt, da er von einem Zustimmungserfordernis ausgegangen
ist. Er hat auch nicht vorsorglich oder hilfsweise Einspruch eingelegt.
Möglicherweise kann aber der Beschluß über die
Zustimmungsverweigerung als Einspruch umgedeutet werden. Teilwiese wird eine
Umdeutung zugelassen.[34]
Die herrschende Auffassung folgt dem jedoch nicht. Es sei unzulässig, aus
der nicht kompetenzgerechten Zustimmungsverweigerung auf einen
kompetenzgerechten Einspruch zu schließen, da der Bundesrat nach § 30
I GO BR zur Formstrenge verpflichtet sei und nur eindeutig einzuordnende
Beschlüsse fassen könne. Bei Streit über die
Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes sei der Bundesrat zudem nicht auf
die Alternative der Erteilung oder Verweigerung der Zustimmung verwiesen,
sondern ausnahmsweise berechtigt, einen Hilfsantrag in Form eines vorsorglichen
Einspruchs zu stellen.[35]
Fraglich ist, welcher Auffassung zu folgen ist. Jedenfalls
überzeugt das Argument der Formstrenge nicht, da sich dieses lediglich aus
der GO BR ergibt und im Grundgesetz keine Stütze findet. Auch sonst ist in
der Rechtsordnung eine Umdeutung allgemein anerkannt. Wenn man davon ausgeht,
daß es sich bei dem Einspruch um ein „minus“ der verweigerten
Zustimmung handelt, sprechen keine verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte
dagegen, die Verweigerung der Zustimmung als Einspruch
umzudeuten.[36]
Im Ergebnis kann daher der Beschluß des Bundesrates
über die Verweigerung der Zustimmung als Einspruch umgedeutet werden.
Bei Unklarheit über die Zustimmungsbedürftigkeit kann auch der
Bundestag einen unkonventionellen Weg einschlagen. Er kann von einem
Einspruchsgesetz ausgehen und nach verstrichener Einspruchsfrist das Gesetz
(über die Bundesregierung) dem Bundespräsidenten zwecks Ausfertigung
vorlegen. Dieser wird dann prüfen, ob es sich um ein Einspruchs- oder
Zustimmungsgesetz handelt. Kommt der Bundespräsident zu dem Ergebnis, es
handele sich um ein Einspruchsgesetz, so wird er das Gesetz verkünden. Geht
er indes von der Zustimmungsbedürftigkeit aus, so wird er sich weigern, das
Gesetz auszufertigen.
Klausurhinweis: Die Entscheidung des
Bundespräsidenten kann dann im Wege eines Organstreitverfahrens
überprüft werden. In diesem Verfahren wird dann das BVerfG inzident
die Frage klären, ob es sich um ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz
handelt.
Aber auch nachdem das Gesetz zustande gekommen ist, kann es
(nachträglich) im Wege einer abstrakten Normenkontrolle darauf
überprüft werden, ob es sich um ein Einspruchs- oder Zustimmungsgesetz
handelt. Dieses Verfahren wird insbesondere eine Landesregierung in
Erwägung ziehen, die von der Zustimmungsbedürftigkeit eines als
Einspruchsgesetz behandelten Gesetzes
ausgeht.[37]
dd. Nichtbefolgung von Weisungen der Landesregierung
Weisungen der Landesregierung gelten nur im Innenverhältnis, d.h. nur
im Verhältnis zwischen der Landesregierung und ihren Mitgliedern im
Bundesrat. Hält sich das betreffende Mitglied nicht an die Weisungen seiner
ihn entsendenden Landesregierung und stimmt gegen die Weisung, so ist die
Abstimmung dennoch gültig. [38] Das
betreffende Mitglied riskiert lediglich die Abberufung aus dem Bundesrat (Art.
51 I S. 1 GG).
ee. Uneinheitliche Stimmabgabe im Bundesrat
Gem. Art. 51 III S. 2 GG müssen die Stimmen stets einheitlich
abgegeben werden. Ein Verstoß gegen dieses Erfordernis wird
unterschiedlich behandelt. Teilweise wird vertreten, daß dann die Stimme
des „Stimmführers“ (also i.d.R. die des
Ministerpräsidenten) entscheidet. [39] Das
hat zur Konsequenz, daß die anderen, abweichenden Stimmen zwar
mitgezählt werden, aber im Sinne der Stimme des Stimmführers, so
daß letztlich eine Einheitlichkeit der Stimmen fingiert wird. Nach einer
anderen Auffassung ist die Bundesratsabstimmung insgesamt unwirksam und
muß wiederholt werden. [40] Nach der h.M.
führt die unterschiedliche Stimmabgabe lediglich zur Ungültigkeit
aller Stimmen des Landes. [41]
Vorzugswürdig scheint die Auffassung der h.M., da die Vorrangigkeit der
Stimme des „Stimmführers“ keine Stütze im Grundgesetz
findet. Dort ist nur von „Einheitlichkeit“ der Stimmabgabe die Rede.
Auch für die Annahme einer Unwirksamkeit der gesamten Abstimmung des
Bundesrates finden sich im Grundgesetz keine Anhaltspunkte. Folgt man daher der
h.M., so führt die Ungültigkeit aller Stimmen des betreffenden
Bundeslandes dazu, daß die Entscheidung des Bundesrates insgesamt wirksam
ist, aber lediglich aus den Stimmen der übrigen Bundesländer
hervorgeht. Relevant wird dies dann, wenn dadurch bei der Abstimmung keine
absolute Mehrheit erreicht wird. Gem. Art. 52 III S. 1 GG faßt der
Bundesrat seine Beschlüsse mit mindestens der Mehrheit seiner Stimmen.
Damit ist die absolute Mehrheit gemeint. Ungültige Stimmen wirken also
genauso wie Stimmenthaltungen im Ergebnis wie Nein-Stimmen. Kommt es also vor,
daß die Stimmen eines Bundeslandes ungültig sind, ändert das
nicht an dem Erfordernis, daß mindestens 35 Ja-Stimmen vorhanden sein
müssen, damit der Bundesrat einen bestimmten Beschluß fassen kann.
Beispiel: Das neue Energiewirtschaftsgesetz
(Sartorius Nr. 830) sieht in § 17 die Zustimmung des Bundesrates vor. Die
Länder Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Berlin, Brandenburg,
Thüringen, Nordrhein-Westfalen und das Saarland geben ihre Stimmen
einheitlich mit Ja ab. Damit bestehen insgesamt 36 Ja-Stimmen, was zur
Zustimmung des Bundesrates zur Rechtsverordnung des Wirtschaftsministers
führt. Bestünde nun der Umstand, daß beispielsweise ein von der
Regierung des Landes Bremen entsandtes Mitglied abweichend von den anderen von
der Regierung des Landes Bremen entsandten Mitgliedern abstimmt, so verlöre
das Land Bremen (folgt man der o.g. h.M.) sämtliche Stimmen. Die Zahl der
abgegebenen Ja-Stimmen verringerte sich somit um 3 auf 33. Die erforderliche
Mehrheit wäre nicht gegeben. Zugleich wäre der Bundesrat
beschlußunfähig.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die
unterschiedliche Stimmabgabe nach h.M. zur Ungültigkeit aller Stimmen des
Landes führt. Der Bundesratsbeschluß bleibt davon jedoch
unberührt (sofern die absolute Mehrheit dennoch erreicht wird) und
stützt sich auf die Stimmen der übrigen Bundesländer.
Klausurhinweis: In der Klausur kann sich der
Bearbeiter mit der Situation konfrontiert sehen, daß ein Mitglied entgegen
der Weisung der Landesregierung stimmt, die übrigen Mitglieder sich aber an
die Weisung halten (Kumulation der o.g. Problematiken). Hier ist in einem ersten
Schritt herauszuarbeiten, daß die Verletzung des Weisungsrechts nicht zur
Ungültigkeit der Stimme führt. Sodann ist darzulegen, daß die
Stimmabgabe einheitlich erfolgen muß und daß eine unterschiedliche
Stimmabgabe zur Ungültigkeit aller Stimmen des Landes führt. Der
Bundesrat ist in diesem Fall nur dann beschlußfähig, wenn die Zahl
der übrigen Ja-Stimmen mindestens 35 beträgt.
b. Zustimmungsbedürftigkeit von Änderungsgesetzen
Besonderes problematisch ist die Zustimmungsbedürftigkeit von
Änderungsgesetzen zu Zustimmungsgesetzen. Als Ausgangspunkt soll
folgende Überlegung gelten: Ein Zustimmungsgesetz liegt bereits dann, vor,
wenn auch nur einzelne Teile des Gesetzes die Zustimmungspflicht
auslösen. [42] Denn das Gesetz ist als
gesetzgeberische Einheit zu betrachten. Wird nun dieses Zustimmungsgesetz
nachträglich durch ein Änderungsgesetz geändert, stellt sich die
Frage auch nach der Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes. Es
sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
- In der ersten
Konstellationen werden Passagen des Gesetzes geändert, die die
Zustimmungspflicht ausgelöst haben. Hier ist zwangsläufig auch das
Änderungsgesetz (als Ganzes)
zustimmungspflichtig.[43]
- In der zweiten
Konstellationen werden Passagen des Gesetzes geändert, die nicht die
Zustimmungspflicht ausgelöst haben. Hier ist die
Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes fraglich.
Für die Zustimmungspflicht spricht, daß der Bundesrat mit der
Zustimmung zum ursprünglichen Gesetz Verantwortung übernommen hat und
nun auch über die Änderung, gleich welcher Art, mitbestimmen
soll.[44] Gegen
die Zustimmungspflicht spricht, daß jedes Gesetz, somit auch ein
Änderungsgesetz, für sich betrachtet den verfahrensmäßigen
Voraussetzungen entsprechen muß. Betrifft demnach ein Änderungsgesetz
nur Passagen des zu ändernden Gesetzes, die ihrerseits zuvor die
Zustimmungsbedürftigkeit nicht ausgelöst haben, bedarf es
grundsätzlich nicht der Zustimmung durch den
Bundesrat.[45] Etwas
anderes gilt aber dann, wenn das Änderungsgesetz dazu führt, daß
das ursprüngliche Gesetz gerade durch das Änderungsgesetz eine
wesentlich andere Bedeutung und Tragweite erfährt, wenn also das
Änderungsgesetz eine „Systemverschiebung“ des
ursprünglichen Gesetzes
bewirkt.[46]
Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß ein
Änderungsgesetz zu einem Zustimmungsgesetz nur dann zustimmungspflichtig
ist, wenn es
- selbst neue Vorschriften enthält, die eine
Zustimmungsbedürftigkeit auslösen,
- es Passagen ändert, die die
Zustimmungsbedürftigkeit des geänderten Gesetzes ausgelöst
haben,
- oder wenn es dazu führt, daß das
ursprüngliche Gesetz eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite
erhält („Systemverschiebung“ des ursprünglichen Gesetzes).
3. Das Zustandekommen von Bundesgesetzen (Art. 78 GG)
Wegen der auf den ersten Blick als kompliziert empfundenen Regelung des
Art. 77 GG stellt Art. 78 GG noch einmal die Fälle zusammen, unter denen
ein Gesetz zustande kommt.
Danach kommen Einspruchsgesetze zustande, wenn
- der Bundesrat nicht
innerhalb einer Frist von drei Wochen den Vermittlungsausschuß anruft
(Art. 78 Var. 2, Art. 77 III S. 1, II GG).
- der Bundesrat den
Vermittlungsausschuß anruft, dieser das Vermittlungsverfahren
abgeschlossen hat und der Bundesrat nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen
Einspruch einlegt (Art. 78 Var. 3, Art. 77 III S. 1 GG).
- der Bundesrat seinen
Einspruch zurücknimmt (Art. 78 Var. 4 GG).
- der Bundesrat nach
Abschluß des Vermittlungsverfahrens zwar Einspruch einlegt, dieser aber
vom Bundestag erfolgreich zurückgewiesen wird (Art. 78 Var. 5, Art. 77 IV
GG).
Demgegenüber kommen Zustimmungsgesetze nur dann zustande, wenn
der Bundesrat ausdrücklich zustimmt (Art. 78 Var. 1 GG).
Endgültig nicht zustande gekommen sind Gesetzesvorlagen, bei
denen
- bei der
Schlußabstimmung des Bundestages (Art. 77 I S. 1 GG) nicht die
erforderliche Mehrheit erreicht wurde.
- der Vorschlag des
Vermittlungsausschusses auf Aufhebung des Gesetzesbeschlusses durch den
Bundestag von diesem angenommen wurde.
- bei
Zustimmungsgesetzen die Zustimmung durch den Bundesrat (ggf. nach Abschluß
des Vermittlungsverfahrens) nicht erteilt wurde.
- bei Einspruchsgesetzen
die Zurückweisung durch den Bundestag (Art. 77 IV GG) gescheitert
ist.
III. Das Abschlußverfahren
Sofern ein Gesetz nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen
ist, wird es vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung (vgl. Art. 58 GG)
ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet (vgl. Art. 82 I S. 1 GG).
Ausfertigen von Gesetzen bedeutet, daß der Bundespräsident die
Urschrift des Gesetzes herstellt, indem er die Gesetzesurkunde mit seinem vollen
Namen unterzeichnet. [47] Dabei darf er keine
inhaltlichen Änderungen vornehmen. Das ist selbstverständlich,
immerhin ist es Aufgabe des Gesetzgebers, dem Gesetzeswortlaut eine bestimmte
Fassung zu geben. Lediglich Druckfehler oder offensichtliche Unrichtigkeiten
dürfen berichtigt werden. [48] Zum
formellen und materiellen Prüfungsrecht des Bundespräsidenten
vgl. Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 208.
Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung soll den Tag des Inkrafttretens
bestimmen. Fehlt eine solche Bestimmung, so treten sie mit dem 14. Tag nach
Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben ist (Art. 82
II GG).
IV. Folgen eines Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften
1. Verstöße gegen die Geschäftsordnung
Verstößt ein Gesetzgebungsorgan gegen seine
Geschäftsordnung (Beispiel: Der Bundestag beschließt ein Gesetz im
beschlußunfähigen Zustand, § 45 I GO BT, oder beschließt
ein Gesetz, ohne zuvor drei Lesungen abgehalten zu haben, §§ 78 ff. GO
BT) so ist fraglich, ob das Gesetz gleichwohl wirksam zustande gekommen ist.
Verstöße gegen die Geschäftsordnung führen
grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit des Gesetzes. Das belegt bereits
der Wortlaut des Art. 82 GG: „Die nach den Vorschriften dieses
Grundgesetzes zustande gekommenen
Gesetze“. [49] Zu diesem
Grundgesetz gehören eben nicht die Vorschriften der Geschäftsordnung.
Allerdings ist unbestritten, daß bestimmte Verstöße gegen die
Geschäftsordnung in Ausnahmefällen auch die Verfassungswidrigkeit des
Gesetzes zur Folge haben kann. Für einen Verfassungsverstoß wird aber
vorausgesetzt, daß die verletzte Vorschrift der Geschäftsordnung
einen „verfassungsrelevanten“ Inhalt besitzt, indem sie etwa eine
Bestimmung des Grundgesetzes wiederholt oder einen wesentlichen
Verfassungsinhalt konkretisiert. [50] Ob das der
Fall ist, wurde im Rahmen der Darstellung der einzelnen Problemkreise
behandelt.
2. Verstöße gegen Verfahrensvorschriften des Grundgesetzes
Verstößt ein Gesetzgebungsorgan gegen Verfahrensvorschriften des
Grundgesetzes, so ist zu differenzieren: Verstöße gegen wesentliche
Verfahrensvorschriften führen zur Unwirksamkeit des Gesetzes.
Beispiel: Wesentliche Verfahrensvorschrift ist die
Regelung des Art. 76 II S. 1 GG, wonach eine Gesetzesvorlage der Bundesregierung
zunächst dem Bundesrat zuzuleiten ist. Unterbleibt diese Zuleitung, so ist
ein gleichwohl vom Bundestag beschlossenes Gesetz nicht nach den Vorschriften
dieses Grundgesetzes zustande gekommen (vgl. Art. 82 GG). Ist ein Gesetz nicht
nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen, führt das zur
Verfassungswidrigkeit des
Gesetzes.[51] Vgl. dazu
und zu der Konstellation, daß die Bundesregierung ihre Gesetzesvorlage
über den Bundestag bei diesem einbringen läßt, um die vorherige
Zuleitung an den Bundesrat zu umgehen, ausführlich oben S.
295.
Demgegenüber führen Verstöße gegen bloße
Ordnungsvorschriften nicht zur Verfassungswidrigkeit von Gesetzen.
Beispiel: Bloße Ordnungsvorschrift ist etwa die
Fristbestimmung des Art. 77 I S. 2 GG.
C. Verfassungsändernde Gesetze
I. Verfassungsänderndes Gesetzgebungsverfahren
Art. 79 GG ermöglicht die Änderung des Grundgesetzes und zeigt
zugleich die Schranken der Änderung auf. Erforderlich ist zunächst ein
förmliches Bundesgesetz, für das das normale
Gesetzgebungsverfahren nach den Art. 76 ff. GG gilt. Allerdings ist
Zweidrittelmehrheit erforderlich: Dem verfassungsändernden Gesetz
müssen zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages und zwei Drittel der
Stimmen des Bundesrates zustimmen (Art. 79 II GG). Weitere Voraussetzung ist,
daß das verfassungsändernde Gesetz den Wortlaut des Grundgesetzes
ausdrücklich ändert oder ergänzt.
Mit dieser zuletzt genannten Vorgabe sollen
Verfassungsdurchbrechungen, wie sie in der Weimarer Republik üblich
waren, verhindert werden. Verfassungsdurchbrechungen sind
Verfassungsänderungen, die zwar mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen
wurden, nicht aber den Verfassungstext ausdrücklich ändern oder
ergänzen. Dadurch kann es vorkommen, daß mehrere Verfassungsurkunden
nebeneinander bestehen, was nicht gerade zur Übersichtlichkeit und
Rechtssicherheit beiträgt. Zur Ausnahme bei bestimmten
völkerrechtlichen Verträgen vgl. Art. 79 I S. 2 GG.
II. Materielle Schranken für Verfassungsänderungen
Neben diesen genannten formalen Schranken sind einer
Verfassungsänderung auch materielle Grenzen gesetzt. So ist eine
Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in
Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der
Gesetzgebung oder die in den Artikel 1 und 20 niedergelegten Grundsätze
berührt werden, unzulässig (sog.
Ewigkeitsgarantie“). [52]
Verfassungsändernde Gesetze, die gegen Art. 79 III GG verstoßen, sind
nichtig. [53]
1. Zunächst ist eine Änderung des Grundgesetzes,
durch welche die Gliederung des Bundes in Länder berührt werden,
unzulässig.
Gliederung des Bundes in Länder bedeutet nicht die
Bestandsgarantie eines einzelnen Bundeslandes. Entscheidend ist nur, daß
überhaupt Bundesländer bestehen. Wieviele Bundesländer besteht
müssen, wird unterschiedlich gesehen. Teilweise werden zwei für
erforderlich
gehalten[54], teilweise
mindestens drei[55],
teilweise aber noch
mehr[56]. Darüber
hinaus muß den bestehenden Ländern ein Mindestmaß an
Eigenständigkeit verbleiben. Dazu gehört ein „Kernbestand
eigener Aufgaben und eigenständige
Aufgabenerfüllung“[57].
2. Des weiteren ist die grundsätzliche Mitwirkung der
Länder bei der Gesetzgebung von jeglicher Verfassungsänderung
ausgenommen.
Grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der
Gesetzgebung bedeutet, daß die Länder von der Bundesgesetzgebung, die
die föderative Struktur der Bundesrepublik berührt, nicht
ausgeschlossen werden dürfen. Eine Bestandsgarantie des Bundesrates ist aus
dieser Vorschrift nicht abzuleiten. Allerdings bedarf es stets eines
föderativen Organs und eines entsprechend ausgestalteten Verfahrens, das
die Möglichkeit eröffnet, den Willen der Länder in die
Bundesgesetzgebung effektiv
einzubringen.[58]
3. Schließlich sind Änderungen des Grundgesetzes
unzulässig, die die in den Artikel 1 und 20 niedergelegten
Grundsätze berühren.
Ein in Art. 1 GG niedergelegter Grundsatz ist vor allem die
Achtung der Menschenwürde. Diese ist oberstes Leitprinzip der
Verfassung und jeglicher Disposition
entzogen.[59] Ebenso sind
die grundlegenden Elemente des Rechts- und Sozialstaatsprinzips sowie der
Grundsatz der Rechtsgleichheit und des Willkürverbots
unantastbar.[60] Auch ist
ein Mindestbestand an
Grundrechten[61] in den
Bereichen personaler Autonomie, demokratischer Willensbildung und
justizstaatlicher Garantien
gewährleistet.[62]
Zwar wird durch die Formulierung „in den Artikel 1 und 20“
nicht generell Bezug auf die einzelnen Grundrechte genommen. Da aber Art. 1 III
GG den Gesetzgeber an die Grundrechte bindet, sind die Grundrechte indirekt
einbezogen. Unabänderlich ist aber nur der jeweilige Kernbereich, der den
Menschenwürdegehalt widerspiegelt.
Die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze betreffen
die republikanische Staatsform, den Bundesstaat, das
Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das
Sozialstaatsprinzip, vgl. dazu im einzelnen das 3. Kapitel. Eine
Verfassungsänderung, die diese Grundsätze berührt, ist
unzulässig.
Diese Grundsätze dürfen nicht „ berührt“
werden. Grundsätze werden als „Grundsätze“ von vornherein
nicht „berührt“, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen
wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus
evident sachgerechten Gründen modifiziert
werden. [63] Damit nimmt das
Bundesverfassungsgericht ein „Berühren“ lediglich bei
prinzipieller Preisgabe
an. [64]
4. Selbstverständlich ist eine Änderung des Art. 79
III GG ausgeschlossen. Der Gesetzgeber darf nicht die Schranken, die er ja
gerade zu wahren hat, aufheben. [65] Würde
man eine Abschaffung des Art. 79 III GG zulassen, bedürfte es wiederum
einer anderen Vorschrift, die den Bestand des Art. 79 III GG garantiert. Die
Bestandsgarantie des Art. 79 III GG umfaßt daher nicht nur die
Grundsätze der Art. 1 und 20 GG, sondern auch Art. 79 III GG
selbst. [66]
[1] Vgl. die homepage des
Deutschen Bundestages unter www.bundestag.de, download am
15.07.2000.
[2] BVerfGE 1, 144,
153; Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159; Conradt, JuS
2000, L 52, 55.
[3] Vgl. Nolte/Tams,
Jura 2000, 158, 159; Conradt, JuS 2000, L 52,
54.
[4] Diese Regelung wird
allgemein als verfassungsgemäß betrachtet, da sie von der
Geschäftsordnungsautonomie umfaßt, und diese durch Art. 40 I S. 2 GG
garantiert ist, vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 2;
Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 552; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rn 31; Ipsen,
Staatsorganisationsrecht, Rn 178.
[5] Vgl. BVerfGE 44,
308, 313.
[6] Vgl. dazu Pieroth,
in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 6; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 76 Rn 41.
[7] Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 553. Für Rechtswidrigkeit auch Pieroth,
in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 5.
[8] Vgl. BVerfGE 91,
148, 175.
[9] Vgl. die homepage des
Deutschen Bundestages unter www.bundestag.de, download am 15.07.2000
sowie Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 178; Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 554 und Stern, StaatsR II, § 37 III
4b.
[10] Stern, StaatsR
I, § 4 III 8 c.
[11] BVerfGE 1, 144,
153; 2, 143, 173.
[12] Vgl.
Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159.
[13] BVerfGE 1, 144,
153; 29, 221, 234; Conradt, JuS 2000, L 52, 53,
55.
[14] Vgl. aber das sogleich
dargestellte Problem, bei dem so wenige Abgeordnete anwesend ist, daß die
Beschlußfähigkeit des Bundestages bezweifelt werden
muß.
[15] Zu beachten ist,
daß auch Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen gelten.
[16] Das
Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung in E 44, 308, 320
(Beschlußfähigkeit des Bundestages) für
verfassungsgemäß gehalten. Vgl. dazu auch Nolte/Tams, Jura
2000, 158, 161.
[17] A.A.
vertretbar, etwa mit dem Argument, daß die wesentliche parlamentarische
Arbeit in den Ausschüssen stattfindet und zur Abstimmung nur noch Vertreter
der Parteien entsendet werden (vgl. dazu BVerfGE 44, 308,
315).
[18] Vgl. dazu
Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 51.
[19] BVerfGE 37,
363, 381.
[20] BVerfGE 55,
274, 326; Schmidt, JuS 1999, 861 ff.; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 11.
[21] BVerfGE 37,
363, 382 f.; 48, 127, 180; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art.
77 Rn 5.
[22] Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 5.
[23] BVerfGE 75,
108, 150 unter Verweis auf BVerfGE 55, 274, 318 ff..
[24] Vgl. BVerfGE
10, 20, 48; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 84 Rn 3;
Schmidt, JuS 1999, 861, 863.
[25] BVerfGE 55,
274, 320 f.; Schmidt, JuS 1999, 861, 863.
[26] Vgl. die Nachweise bei
Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 84 Rdnr. 5.
[27] BVerfGE 72,
175, 187; 78, 249, 271.
[28] Über den Begriff
der Mehrheit siehe Schmidt/Seidel, Staatsorganisationsrecht, S. 159
ff..
[29] Zu beachten ist,
daß auch Stimmenthaltungen als abgegebene Stimmen gelten.
[30] Wie hier Hömig,
in: Seifert/Hömig, GG, Art. 77 Rn 8 und Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 26 und die Staatspraxis (vgl. BR-Drs.
791/75 i.V.m. BR-Drs. 182/75); a.A. Stern, StaatsR II, § 37
III 7 b) α:
3-Wochen-Frist.
[31] So Sannwald,
in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 25; Jekewitz, in:
Alternativkommentar, Art. 77 Rn 19; Lücke, in: Sachs, GG, Art. 77 Rn
9.
[32] So Bryde, in: v.
Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn 10; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG,
Art. 77 Rn 10.
[33] Vgl. dazu BVerfGE
37, 363, 396; Stern, StaatsR II, § 37 III 7 c, S.
630.
[34] So Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 558.
[35] Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 77 Rn 38 u. 40; Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn 10; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG,
Art. 77 Rn 8; BVerfGE 37, 363, 396.
[36] Vgl.
Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 162 f..
[37] Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 558.
[38] Brockmeyer, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 51 Rn 6.
[39] So Stern,
StaatsR II, § 27 III 2a, b, S. 137; Blumenwitz, in: Bonner
Kommentar, Art. 51 Rn 29.
[40] Klein, in: v.
Mangoldt/Klein, GG, Art. 51, Anm. III 4b.
[41] Vgl. nur Ipsen,
Staatsorganisationsrecht, Rn 280; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn
419; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 51 Rn 6; Maunz, in:
Maunz/Dürig, GG, Art. 51 Rn 27.
[42] BVerfGE 55,
274, 326; Schmidt, JuS 1999, 861 ff.; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 11.
[43] Ganz h.M., vgl. nur
BVerfGE 37, 363, 382 f.; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 304;
Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 423; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 12.
[44] Für eine
generelle Zustimmungsbedürftigkeit die abw.M. BVerfGE 37,
401, 406; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 77 Rn 10;
Lücke, in: Sachs, GG Art. 77 Rn 16.
[45] Gegen eine
generelle Zustimmungsbedürftigkeit die h.M., vgl. nur BVerfGE 37,
363, 382; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn 304; Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 423; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein,
GG, Art. 78 Rn 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 77 Rn
5.
[46] BVerfGE 37,
363, 382 f.; 48, 127, 180 f.; Ipsen, Staatsorganisationsrecht, Rn
306; Degenhart, Staatsorganisationsrecht, Rn 424; Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 78 Rn 12; Pieroth, in: Jarass/Pieroth,
GG, Art. 77 Rn 5; kritisch Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 77 Rn
22.
[47] Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, Art. 82 Rn 2; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG,
Art. 82 Rn 9; Maurer, in: Bonner Kommentar, Art. 82 Rn 19;
Ramsauer, in: Alternativkommentar, Art. 82 Rn 11.
[48] BVerfGE 48, 1,
18; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 82 Rn 2; Maurer, in:
Bonner Kommentar, Art. 82 Rn 19.
[49] Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 552.
[50] Vgl.
Nolte/Tams, Jura 2000, 158, 159.
[51] Degenhart,
Staatsorganisationsrecht, Rn 553; für Rechtswidrigkeit auch Pieroth,
in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 76 Rn 5.
[52] Diese
aufgezählten Einrichtungen und Normen sind abschließend, BVerfGE
94, 12, 34.
[53] BVerfGE 30, 1,
24.
[54] Maunz, in:
Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn 34.
[55] Evers, in:
Bonner Kommentar, Art. 79 Rn 212; Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG,
Art. 79 Rn 30.
[56] Isensee, in:
HdbStR IV 671; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn
41.
[57] BVerfGE 87,
181, 196 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 8;
Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn
42.
[58] Sannwald, in:
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 79 Rn 44.
[59] Vgl. BVerfGE
32, 98, 108; 50, 166, 175; 54, 341, 357.
[60] BVerfGE 84, 90,
121; 94, 12, 34; 95, 48, 62.
[61] Zu Art. 14 GG vgl.
BVerfGE 84, 90 ff..
[62] Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 10.
[63] BVerfGE 30, 1,
24; wiederholt in BVerfGE 84, 90, 121; 94, 12,
34.
[64] Pieroth, in:
Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 7; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein,
GG, Art. 79 Rn 39.
[65] Vgl. Hesse,
VerfR, Rn 707; Stern, StaatsR I, § 4 II 24; Ipsen,
Staatsorganisationsrecht, Rn 903; Ridder, Alternativkommentar, Art. 79 Rn
29; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn 13.
[66] Ipsen,
Staatsorganisationsrecht, Rn 903.
|
|
|