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Prüfungsschema
Überblick:
  • Schema einer Prüfung der Grundrechtskonformität
  • Schrankentheorie
  • Zitiergebot und Verbot des Einzelfallgesetzes
  • Wesentlichkeitstheorie
  • Wesensgehalts - Garantie
  • Verhältnismäßigkeit
  • Prüfungsschema (Übersicht)

I. Schema einer Prüfung der Grundrechtskonformität

Die Einhaltung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten kann man mit der Verfassungsbeschwerde überprüft werden (Art.§93 Abs.1 Nr.4a GG, vgl. dort). Bei der Prüfung von Grundrechten muß grds. danach unterschieden werden, welche Funktion das Grundrecht hat (vgl. dort), d.h. ob es sich um ein Freiheitsrecht oder ein Gleichheitsrecht handelt. Ein Freiheitsrecht ist verletzt, wenn in seinen Schutzbereich eingegriffen wurde und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.

1. Eingriff in den Schutzbereich

  1. Definition des Schutzbereiches


  2. Unter dem Schutzbereich eines Grundrechts versteht man diejenigen Lebensbereiche, die vom jeweiligen Grundrecht besonders geschützt werden. Es wird unterschieden zwischen

    • dem sachlichen Schutzbereich („ratione materiae“), der die geschützten Tätigkeiten, Verhaltensweisen, Rechtsgüter usw. umfaßt. Bereits der sachliche Schutzbereich kann von vornherein begrenzt sein, ohne daß es sich dabei um Grundrechtsschranken im eigentlichen Sinne handelt. Dies hängt vom Wortlaut des einzelnen Grundrechts ab.
    • dem personalen Schutzbereich („ratione personae“), der den Kreis der jeweils Grundrechtsberechtigten umschreibt,

  3. Eingriff in den Schutzbereich


  4. Unter dem „klassischen Grundrechtseingriff" versteht man einen zielgerichteten Rechtsakt (Finalität), welcher unmittelbar im Schutzbereich des Grundrechts berührt, rechtlich verbindlich ist und mit Zwang durchgesetzt werden kann. Dieser Eingriffsbegriff wird heute aber im allgemeinen als zu eng abgelehnt. Deshalb gilt heute ein wesentlich erweiterter Eingriffsbegriff, wonach jedes staatliche Handeln einen Eingriff darstellt, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht. Danach liegt ein Eingriff auch in den folgenden Fällen vor:

    • wenn es sich um einen sog. „mittelbaren Eingriff“ handelt
    • bei nicht-finalen (= unbeabsichtigten) Beeinträchtigungen des Staates (vgl. die Rechtsprechung zum öffentlichen Baurecht). Allerdings schützen die Grundrechte nuzr, wenn der Eingriff schwer und unerträglich ist.
    • bei faktischen (= tatsächlichen) Eingriffen (vgl. Arzneimittel - Tranparenzlisten). Allerdings schützen die Grundrechte nicht schon vor jeder nachteiligen Betroffenheit; die notwendige Intensität ermittelt sich nach Maßgabe des Schutzzwecks des jeweiligen Grundrechts.

    Erforderlich ist aber stets, daß das Handeln der öffentlichen Gewalt zurechenbar ist. Dies ist unstreitig dann der Fall, wenn die Handlungen allein vom Staat (d.h. von allen mit Hoheitsgewalt betrauten Handlungsträgern) bewirkt werden. Probleme entstehen dagegen, wenn staatliches Handeln nicht ohne Mitwirkung privater Dritter zum Grundrechtseingriff führt (wenn also etwa staatlich geförderte Organisationen bestimmungsgemäß negative Publizität gegenüber Religionsgemeinschaften erzeugen). Hier wird der Staat nur dann verantwortlich gemacht, wenn er bewußt und gewollt auf die Grundrechtsbeeinträchtigung abgezielt hat.

  5. Subsidiarität gegenüber andere Grundrechten (Grundrechtskonkurrenz)


  6. Problematisch ist die Frage des Schutzbereichs schließlich dann, wenn ein Verhalten eigentlich in den Schutzbereich mehrerer Grundrechte fällt (sog. Grundrechtskonkurrenz). Hier ist zu unterscheiden:

    • Das „Auffanggrundrecht" der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.§2 Abs.1 GG) ist genauso wie der allgemeine Gleichheitssatz (Art.§3 Abs.1 GG) stets subsidiär gegenüber anderen speziellen Freiheits- oder Gleichheitsgrundrechten. Str. ist, ob Art.§2 Abs.1 GG auch dann anwendbar ist, wenn ein Verhalten zwar nicht in den Schutzbereich, aber in den „Regelungsbereich" eines spezielleren Grundrechts fällt. In diesen Fällen bleibt nach h.M. Art.§2 Abs.1 GG anwendbar, da es ein Auffanggrundrecht ist.
    • Bei einer Konkurrenz zwischen zwei „Spezialgrundrechten" ist zunächst zu prüfen, ob im konkreten Fall ein Grundrecht „spezieller" ist, d.h. das betreffende Verhalten unter allen Aspekten in seinem Schutzbereich mit enthalten ist. Besteht kein solches konkretes Spezialitätsverhältnis, so ist die Maßnahme an beiden Grundrechten zu messen, d.h. ein Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn er eine zulässige Schranke beider Grundrechte ist, insbesondere die Schranken-Schranken beider Grundrechte einhält.

2. Schranke (= verfassungsrechtliche Rechtfertigung)
Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn er eine zulässige Schranke dieses Grundrechts darstellt und seine Schranken-Schranken einhält.
  1. Zulässige Schranke


  2. Der Eingriff muß eine zulässige Schranke des Grundrechts sein. Mögliche Grundrechtsschranken sind

    • geschriebene Grundrechtsschranken, d.h. Gesetzesvorbehalte der einzelnen Grundrechte,
    • Ungeschriebene Grundrechtsschranken, die sich aus kollidierendem Verfassungsrecht ergeben (sog. verfassungsimmanente Grundrechtsschranken)

    [vgl. ausführlicher zur Schrankentheorie unten)

  3. „Schranken - Schranken" eingehalten
Die Tatsache, daß ein Grundrecht einschränkbar ist, darf aber nicht dazu führen, daß der Staat die Grundrechte durch Ausnutzung jeder Einschränkungsmöglichkeit völlig aushöhlt. Vielmehr sind den Schranken selbst sog. Schranken-Schranken gesetzt, d.h. Anforderungen, denen die jeweiligen Schranken genügen müssen. Die wesentlichen Schranken-Schranken sind:
  • Formelle Schranken-Schranken
  • Zitiergebot (Art.§19 Abs.1 S.2 GG, s. unten)
  • Verbot der Einzelfallgesetzes (Art.§19 Abs.1 S.1 GG, s. unten)
  • Wesentlichkeitstheorie (s. unten)
  • ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren (vgl. dort)
  • inhaltliche Bestimmtheit (vgl. dort)
  • Materielle Schranken-Schranken
  • Verhältnismäßigkeit (s. unten)
  • Wesensgehaltsgarantie (s. unten)
  • Vereinbarkeit mit sonstigem Verfassungsrecht (etwa: Staatsziele)

II. Schrankentheorie

Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist verfassungsrechtlich nur dann gerechtfertigt, wenn er eine zulässige Schranke dieses Grundrechts darstellt.

1. Geschriebene Grundrechtsschranken (Gesetzesvorbehalte)

Grundrechte können erstens dann rechtlich eingeschränkt werden, wenn die Verfassung selbst dies ausdrücklich vorsieht. Bei den ausdrücklichen Schrankenvorbehalten des GG gibt es verschiedene Vorgaben:
  • Spezielles (oder qualifiziertes) Schrankengesetz, d.h. der verfassungsrechtliche Schrankenvorbehalt sagt selbst etwas über den Inhalt der Beschränkung aus (z.B. Art.§6 Abs.3, 10 Abs.2, 11 Abs.2, 13 Abs.3, 16 Abs.1 S.2 GG)
  • Einfaches Schrankengesetz („durch Gesetz" oder „aufgrund eines Gesetzes"), d.h. den Inhalt der Schranke legt der Gesetzgeber fest. Hieran muß sich die Verhältnismäßigkeitsprüfung dann orientieren (z.B. Art.§2 Abs.2, 8 Abs.2, 10 Abs.2, 12 Abs.1 S.2, 14 Abs.1 S.2 GG)
  • Absolute Schranken, d.h. das Grundrecht selbst enthält ausdrücklich die Schranke (z.B. Art.5 Abs.1 S.3, 19 Abs.2 GG)
Beachte: „Gesetz" idS. meint immer das formelle Parlamentsgesetz, nicht das materielle Gesetz (vgl. dort)!

2. Ungeschriebene Grundrechtsschranken (sog. verfassungsimmanente Grundrechtsschranken)

Grundrechte, die keinem Gesetzesvorbehalt unterliegen, können dennoch nicht völlig unbeschränkt gewährleistet sein. Nach ganz h.M. ist - in systematischer Interpretation des GG - eine Einschränkung der vorbehaltlosen Grundrechte nur möglich wegen entgegenstehender Grundrechte Dritter oder zum Schutz sonstiger Rechtsgüter von Verfassungsrang. Im Konfliktfall muß zwischen den in Konflikt stehenden Grundrechten ein „verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit den Ziel ihrer Optimierung" im Wege einer fallbezogenen Abwägung stattfinden.
  1. Entgegenstehende Grundrechte Dritter


  2. Entgegenstehende Grundrechte Dritter bilden stets eine Gegenposition zur vorbehaltlosen Gewährung eines Grundrechts. Bei der Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz ist aber zu berücksichtigen, daß die vorbehaltlosen Grundrechte vom Verfassungsgeber als besonders schützenswert betrachtet wurden, insb. schützenswerter als Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt, so daß eine Vermutung zugunsten der Höherwertigkeit des vorbehaltlos gewährten Grundrechts spricht.

  3. Sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang


  4. Problematisch ist, inwieweit auch sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang Schranken für die Ausübung vorbehaltlos gewährter Grundrechte darstellen können, insb. wann ein Rechtsgut „Verfassungsrang" idS. hat. Dazu gehören jedenfalls elementare Rechtsgüter wie die Staatssicherheit und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art.§20a§GG), die „Funktionsfähigkeit der Bundeswehr". Auf alle Fälle muß sich das kollidierende Rechtsgut unmittelbar aus der Verfassung ergeben, d.h. irgendwelche „höheren Gemeinschaftsgüter" genügen hierfür nicht.

  5. Ausgleich


  6. Der „Konflikt zwischen verschiedenen Trägern eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts sowie zwischen diesem Grundrecht und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern ist nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, daß nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren" (st. RSpr., vgl. BVerfGE 28, 243, NJW 1995, 2477). Das bedeutet, daß ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht nur insoweit eingeschränkt werden darf, als es das kollidierende Verfassungsgut erfordert. Auch hier ist also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Schranken-Schranke, wobei als „verfassungslegitimer Zweck" der Schutz des jeweils kollidierenden Verfassungsgutes zu berücksichtigen ist.

III. Zitiergebot und Verbot des Einzelfallgesetzes

1. Zitiergebot (Art.§19 Abs.1 S.2 GG)

Nach Art 19 Abs.1 S.2 GG muß ein Gesetz, das Grundrechte einschränkt oder die Grundlage für Einschränkungen „aufgrund Gesetzes" bietet, das eingeschränkte Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. Das Zitiergebot soll den Gesetzgeber warnen und zu einer bewußten Entscheidung über die Grundrechtseinschränkung bewegen. Aus diesen Gründen hat das BVerfG den Anwendungsbereich des Zitiergebots auch sehr stark eingeschränkt. Nach seiner Rspr. gilt es „nur für Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken" (BVerfGE 28, 36, 46). Danach ist es nicht anzuwenden auf:
  • Einschränkungen des Art.§2 Abs.1 GG, da bei dem nach h.M. weiten Schutzbereich nahezu jedes Gesetz in das Grundrecht eingreift und das Zitiergebot so zur leeren Formalie würde
  • Allgemeine Gesetze iSv. Art.§5 Abs.2 GG
  • Vorbehaltlos gewährte Grundrechte, da der Gesetzgeber hier nur die immanenten Grenzen bestimmt
  • Regelungen des Art.§12 Abs.1, 14 Abs.1 und Abs.3 S.2 GG
  • Vorkonstitutionelle Gesetze
  • Nachkonstitutionelle Gesetze, die nur bereits vorhandene Grundrechtseinschränkungen wiederholen, aber keine neuen hinzufügen (z.B. bei der Neubekanntmachung eines Gesetzes).

2. Verbot des Einzelfallgesetzes (Art.§19 Abs.1 S.1 GG)

Art.19 Abs.1 S.1 GG verbietet Einzelfallgesetze, so weit sie grundrechtseinschränkend wirken. Das Verbot ist nach Ansicht der BVerfG nur auf echte Schrankengesetze anwendbar, also nicht auf Ausgestaltungsgesetze (vgl. Art.§14 Abs.3 S.2 GG). Dem Gesetzgeber ist es untersagt, aus einer Reihe gleichartiger Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregelung zu machen. Die gesetzliche Regelung eines Einzelfallgesetzes ist hingegen nicht ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, daß es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird.

IV. Wesentlichkeitstheorie

Die Wesentlichkeitstheorie betrifft die Frage, ob es Grundrechtsschranken gibt, die der Gesetzgeber selbst definieren muß, deren Konkretisierung er also nicht (in vollem Umfang) an den Verordnungsgeber oder die Verwaltung delegieren kann (sog. Parlamentsvorbehalt). Das Bundesverfassungsgericht umschreibt mit dem Begriff der Wesentlichkeit einen Bereich, in dem tatsächlich der Gesetzgeber selbst inhaltliche Schranken - Regelungen treffen muß.
Erstmals wurde die Wesentlichkeitstheorie in der sog. „Facharztentscheidung“ (BVerfGE 33, 125) postuliert. Hier stellte das BVerfG fest, daß aus Gründen des Rechtsstaats und Demokratieprinzips und um Machtmißbrauch zu verhindern, der Gesetzgeber seine vornehmste Aufgabe nicht anderen Stellen (hier den Ärztekammern) überlassen dürfe. Bei Eingriffen in die Grundrechte treffe ihn eine gesteigerte Verantwortung. Je empfindlicher die freie Berufstätigkeit beeinträchtigt werde, desto eher sei eine Regelung durch den Gesetzgeber erforderlich. Einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit wesentlich prägende Vorschriften seien auch hier dem Gesetzgeber zumindest in Grundzügen vorbehalten. Hierzu gehöre das Recht, seine Facharztbezeichnungen führen zu dürfen.
Dies wurde vom BVerfG mehrmals konkretisiert (z.B. BVerfGE 83, 130 – Josefine Mutzenbacher): „Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und sie nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen. Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muß, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muß. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls soweit selbst zu bestimmen, wie sie für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich sind".

V. Wesensgehalts - Garantie

Nach Art.§19 Abs.2 GG darf kein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Diese Vorschrift ist eine absolute Schranken-Schranke, d.h. eine Antastung des Wesensgehalts eines Grundrechts kann durch keinerlei übergeordnete Gesichtspunkt gerechtfertigt werden (BVerfGE 80, 367, 373 - Tagebuchaufzeichnungen). Art.§19 Abs.2 GG schützt (iVm. dem Menschenwürdesatz des Art.§1 GG) einen letzten unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist. Dieser Schutz ist absolut, er unterliegt keiner Relativierung durch Verhältnismäßigkeitsüberlegungen. Privat können auch Vorgänge der Kommunikation mit Dritten sein. Es kommt aber hier auf Art und Intensität des Kontakts an. Dies muß in jedem Einzelfall entschieden werden.
In der Praxis spielt diese Schranken-Schranke angesichts der umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung in allen Fällen keine große Rolle. Es ist streitig, ob der Wesensgehalt relativ oder absolut bestimmt werden muß. Nach der Relativitätstheorie müssen die verfassungsrechtlichen Positionen, die sich im konkreten Fall überstehen, abgewogen werden – was im Grundsatz der Verhältnismäßigkeitsprüfung entspricht. Nach der absoluten Theorie gibt es einen geschützten Kernbereich, in den in keinem Fall eingedrungen werden darf. Grds. ist die absolute Theorie vorzugswürdig, wobei es immer auf das einzelne Grundrecht ankommt. Der Wesensgehalt entspricht dem Minimum, welches zur Aufrechterhaltung der Menschenwürde gewährleistet werden muß.

VI. Verhältnismäßigkeit

Die Grundrechte sind zwar grundsätzlich einschränkbar. Allerdings verlangt die freiheitssichernde Schutzfunktion der Grundrechte, daß sie nur insoweit beschränkt werden dürfen, als es zur Erreichung eines von der Verfassung gebilligten Zweckes unbedingt erforderlich ist (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Übermaßverbot). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 23, 133). Danach ist ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts nur gerechtfertigt, wenn er einem verfassungslegitimen Zweck dient, geeignet und erforderlich zur Erreichung dieses Zwecks ist und zum angestrebten Zweck nicht völlig außer Verhältnis steht (Verhältnismäßigkeit i.e.S.).

1. Verfassungslegitimer Zweck

Zur Einschränkung eines Grundrechts muß der Staat einen von der Verfassung gedeckten Zweck verfolgen. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob es sich um ein Gesetz oder eine Maßnahme der Verwaltung handelt. Der Gesetzgeber hat einen weiten politischen Spielraum hinsichtlich der Zwecke, die er verfolgen möchte. Erforderlich ist lediglich, daß sich sein Zweck nicht gegen die Verfassung oder die grundgesetzlichen Wertungen verstößt. Die Verwaltung hingegen ist in der Auswahl von Handlungszwecken regelmäßig durch einfachgesetzliche Regelungen eingeschränkt, an die sie nach dem Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes gebunden ist.

2. Geeignetheit

Das Grundrechtseingriff muß geeignet sein, den erstrebten Zweck zu erreichen oder wenigstens zu fördern. Oft erfordert die Feststellung der Eignung eine Prognose. Dem Gesetzgeber steht (anders als der Verwaltung) dagegen bei der Bewertung der Eignung eines Mittels eine „Einschätzungsprärogative“ zu. Die Rechtmäßigkeit seiner Prognose muß zu dem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem sie in Gesetzesfassung gegossen wird. Stellt sich heraus, daß die Prognose falsch ist, dann trifft den Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht (BVerfGE 88, 203, 310). Die Prognose unterliegt jedoch richterlicher Überprüfung.

3. Erforderlichkeit

Der Grundrechtseingriff muß erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Dies bedeutet, daß bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen die gewählte Maßnahme das mildeste Mittel sein muß, daß den Zweck mit gleicher Wahrscheinlichkeit erreicht. Unter mehreren voraussichtlich gleich geeigneten Maßnahmen muß diejenige gewählt werden, die den Bürger am wenigsten belastet. Ein Gesetz ist demnach erforderlich, wenn es nicht mehr Nachteile verursacht, als zur Erreichung des Zwecks notwendig sind. Dabei steht dem Gesetzgeber ein Spielraum zu, wobei der von Gesetzgeber selbst gewählte Zweck maßgeblich ist. Bei Maßnahmen der Verwaltung wird der Zweck dabei durch das Gesetz vorgegeben.

4. Verhältnismäßigkeit i.e.S.

Der (geeignete und erforderliche) Grundrechtseingriff darf zum verfolgten Zweck nicht völlig außer Verhältnis stehen, d.h. er muß proportional zum Zweck sein und darf für den Betroffenen nicht „unzumutbar“ sein. Erforderlich ist also eine Güterabwägung zwischen dem beeinträchtigten Grundrecht einerseits und dem durch den Eingriff verfolgten verfassungslegitimen Zweck andererseits (vgl. BVerfGE 58, 137 - Pflichtexemplar).
Dabei sollte u.a. berücksichtigt werden:
  • Die abstrakte Wertigkeit der betroffenen Verfassungsgüter, falls sich aus dem GG eine Rangfolge ergibt. Z.B. werden vorbehaltlos gewährte Grundrechte vom Verfassungsgeber als grundsätzlich schutzwürdiger angesehen als Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt. Auch kann nach dem Menschenwürdegehalt der einzelnen Grundrechte oder der Bedeutung für die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen des GG (z.B. Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit als Garanten eines demokratischen Gemeinwesens) abgestuft werden.
  • Die konkrete Eingriffsintensität, mit der die Verfassungsgüter betroffen werden. Ein schwerer Eingriff in ein abstrakt geringwertigeres Rechtsgut kann einem leichten Eingriff in ein höherwertiges Rechtsgut gleichkommen. Hier kann ebenfalls z.B. darauf abgestellt werden, inwieweit ein Grundrecht in seinem Menschenwürdegehalt oder Kernbereich betroffen wird.
  • Kein beteiligtes Verfassungsgut darf völlig verdrängt werden, damit ein gerechter Ausgleich vorgenommen werden kann.
Bei einzelnen Grundrechten hat das BVerfG besondere Abstufungen der Verhältnismäßigkeit entwickelt, so bei Art.§5§Abs.1§GG (Wechselwirkungslehre) und Art.§12§GG (Stufentheorie).

VII. Prüfungsschema (Übersicht)

(für Freiheitsrechte)
  1. Definition des Schutzbereichs
  2. ratione materiae (sachlicher Schutzbereich)
  3. ratione personae (persönlicher Schutzbereich)


    • Grundrechtsberechtigung
    • Grundrechtsverpflichtung

  4. Eingriff in den Schutzbereich


  5. = jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht

  6. verfassungsrechtliche Rechtfertigung
  7. Zulässige Schranke


    • (einfache oder spezielle) Gesetzesvorbehalte
    • verfassungsimmanente Grundrechtsschranke
    • Entgegenstehende Grundrechte Dritter
    • Sonstige Rechtsgüter von Verfassungsrang

  8. „Schranken - Schranken" eingehalten


    • Formelle Voraussetzungen
    • Zitiergebot (Art.§19 Abs.1 S.2 GG)
    • Verbot der Einzelfallgesetzes (Art.§19 Abs.1 S.1 GG)
    • Wesentlichkeitstheorie
    • ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren
    • Bestimmtheitsgebot
    • materielle Anforderungen
    • Verhältnismäßigkeit
    • Wesensgehaltsgarantie (Art.§19 Abs.2 GG)
    • Vereinbarkeit mit sonstigem Verfassungsrecht (etwa: Staatsziele)

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