Überblick:
- Grundrechtsträgerschaft
(Berechtigung)
- Grundrechtsadressaten
(Verpflichtung), insb. Drittwirkung
- Grundrechtsmündigkeit
I. Grundrechtsträgerschaft (Berechtigung)
1. natürliche Personen
- Die Grundrechte des GG stehen nicht immer allen Menschen
zu. Man unterscheidet zwischen den Bürgerrechten, welche nur deutschen
Staatsangehörigen iSd. Art.§116 GG zustehen, und den Menschenrechten,
die allen Menschen zustehen und häufig auch durch die internationalen
Menschenrechskonventionen geschützt werden. Die meisten Grundrechte sind
entweder Jedermannrechte bzw. Menschenrechte (z.B. Art.§2, 3, 4 GG). In
Einzelfällen ist die Trägerschaft noch anderweitig bestimmt (vgl.
Art.§16a GG: Träger des Asylrechts können nur Nicht-Deutsche
sein).
- Problematisch ist die Grundrechtsberechtigung bei
Minderjährigen, Ungeborenen und Toten:
- Da die Grundrechte eine
Konkretisierung der Menschenrechte sind, und da die Menschenrechte allen
Menschen ohne Ansehung des Alters und der Einsichtsfähigkeit zustehen, ist
es materiellrechtlich unumstritten, daß sowohl kleine Kinder als auch
wegen Geisteskrankheit Entmündigte Grundrechte haben
- Das BVerfG hat jedenfalls
Art.§2 Abs.2 S.1 GG auch auf den ungeborenen Menschen jedenfalls ab der
Nidation angewendet. Im Hinblick auf Art.§14 Abs.1 GG wird auch eine
Grundrechtsfähigkeit des Nasciturus wegen der Erbfähigkeit nach
§§1923§Abs.2 BGB angenommen. Letztlich ist bei jedem Grundrecht
durch Auslegung und Ermittlung des Schutzbereichs zu ermitteln, ob und ab
welchem Zeitpunkt auch Ungeborene Grundrechtsträger sein können, d.h.
die Grundrechtsfähigkeit Ungeborener ist jedenfalls nicht von vornherein
ausgeschlossen.
- Grundsätzlich erlischt
die Grundrechtsfähigkeit mit dem Tode. Nach der Rspr. des BVerfG
überdauert aber die Menschenwürde den Tod des Menschen (BVerfGE 30,
173, 194 - Mephisto), jedenfalls insoweit, als die staatliche Schutzpflicht aus
Art.§1 Abs.3 GG
bestehenbleibt.
2. juristische Personen (Art.§19 Abs.3 GG)
Nach Art.§19 Abs.3 GG gelten die Grundrechte auch
für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf
diese anwendbar sind. Voraussetzungen sind also:
- Juristische
Person
Das BVerfG hat festgestellt,
daß die Grundrecht in erster Linie als Schutz- und Abwehrrrechte der
Einzelnen gegen die staatliche oder vom Staat abgeleitete öffentliche
Gewalt zu verstehen sind. Juristische Personen können nach st. RSpr. des
BVerfG als Träger von Grundrechten nur dann angesehen werden, wenn ihre
Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der privaten
natürliche Personen ist. Dabei ist zwischen juristischen Personen des
Privatrechts und des öffentlichen Rechts zu unterscheiden.
- Juristischen Personen des privaten
Rechts
Bei juristischen Personen des
Privatrechts sind diese Voraussetzungen idR. erfüllt. Hier hat das BVerfGE
in ständiger Rechtsprechung festgestellt, daß der Begriff der
„juristischen Person" nicht im technischen Sinne des Zivilrechts zu
verstehen ist. Vielmehr können auch organisierte Personen und Mehrheiten
Grundrechte geltend machen, wenn dies nach dem Charakter dieser Rechte
möglich ist. Deshalb umfaßt der Begriff nicht nur
Personenzusammenschlüsse mit Rechtsfähigkeit (wie e.V. oder GmbH),
sondern auch nicht rechtsfähige Verbindungen (z.B. OHG, KG, GbR oder
nicht-e.V.).
- Juristischen Personen des öffentlichen
Rechts
Juristische Personen des
öffentlichen Rechts, die üblicherweise öffentliche Aufgaben
wahrnehmen, können hingegen zumeist keinen Grundrechtsschutz gegen den
Staat beanspruchen (vgl. eingehend unten).
- Inländisch
Artikel
19 Abs. 3 GG spricht die potentielle Grundrechtsfähigkeit nur
inländischen juristischen Personen zu. Auf ausländische juristische
Personen finden zwar nicht die allgemeinen Grundrechte, nach h.M. aber die
„Prozeßgrundrechte" der Art.§101, 103 GG Anwendung, da es sich
hierbei um objektive Verfahrensgrundsätze handelt, die jedem zugute kommen
müssen, der nach den Verfahrensnormen parteifähig
ist.
- Wesensmäßige
Anwendbarkeit
Außerdem muß
das Grundrecht „seinem Wesen nach" auf die juristische Person anwendbar
sein. Dies ist grds. dann nicht der Fall, wenn ein Grundrecht nach seinem Inhalt
(Wesen) nur für natürliche Personen vorstellbar ist (z.B.
Menschenwürde, Freiheit der Person, Gewissensfreiheit, Schutz der Familie).
Im übrigen muß das Grundrecht gerade auf das konkrete Verhalten der
juristischen Person anwendbar sein, d.h. die juristische Person muß sich
im Schutzbereich des Grundrechts bewegen.
3. Insbesondere: Juristische Personen des öffentlichen Rechts
- Grundsatz
Juristische
Personen des öffentlichen Rechts, die üblicherweise öffentliche
Aufgaben wahrnehmen, können hingegen zumeist keinen Grundrechtsschutz gegen
den Staat beanspruchen. Im Grundsatz gelten die Grundrechte nämlich gegen
den Staat, nicht jedoch für den Staat. In dieses Sinne hat das
Bundesverfassungsgericht einem Rentenversicherungsträger, einer allgemeinen
Ortskrankenkasse, einer Gemeinde, einer Sparkasse und Rundfunkanstalten im
Hinblick auf ihre Eigentumsgarantie Grundrechtsschutz verweigert. Diese sind
nicht Grundrechtsträger, da sie nach Art.§1 Abs.3 GG
Grundrechtsverpflichtete sind und die Grundrechte ihrem Wesen nach gegen die
öffentliche Gewalt gerichtet sind. Danach können sich z.B. Gemeinden
oder Sparkassen (als Anstalt des öffentlichen Rechts) nicht auf
Art.§14 GG berufen, obwohl sie privatrechtlich Eigentümer sein
können, da Art.§14 GG nicht das Privateigentum schützt, sondern
das Eigentum von Privaten.
- Ausnahmen
Folgende
Ausnahmen sind in RSpr. und Lehre anerkannt:
- Juristische Personen des öffentlichen Rechts
können sich (ebenso wie ausländische juristische Personen, s.o.) auf
die Prozeßgrundrechte (Art.§101, 103 GG) berufen, da es sich hierbei
um objektive Verfahrensgrundsätze handelt, die jedem zugute kommen
müssen, der nach den Verfahrensnormen parteifähig ist.
- Öffentlich-rechtliche Körperschaften
können Grundrechte nur in dem Bereich geltend machen, der Ihnen zur
eigenständigen Wahrnehmung überlassen ist. Dies gilt
für:
- Kirchen, die durch
Art.§140 GG in Verbindung mit Art.§137 Abs.5 WRV zwar den Status
öffentlich-rechtlicher Körperschaften haben, dadurch aber nicht
staatliche Gewalt ausüben: Sie können sich auf Art.§4 Abs.1 und 2
GG berufen.
- Universitäten, welche als
Institutionen die Freiheit von Forschung und Lehre garantieren und selber
deswegen diese Freiheit gegenüber dem Staat einfordern können
müssen: Sie können sich auf die Wissenschaftsfreiheit (Art.§5
Abs.3 GG) berufen.
- Rundfunkanstalten, welche
aufgrund der Besonderheiten des Mediums Rundfunk unabhängig sein
müssen: Sie können sich auf die Rundfunkfreiheit (Art.§5 Abs.1
S.2 GG) berufen
- Gemeinden können sich (neben den
Prozeßgrundrechten) auf folgende Rechte berufen:
- Verletzung ihres Rechtes auf
Selbstverwaltung (Art.§28 Abs.2 GG)
- Verletzung des
Willkürverbots nach dem Gleichheitssatz (Art.§3 Abs.1 GG)
- Im bayerischen
Verfassungsrecht kann eine Gemeinde (anders als nach dem GG) auch eine
Verletzung des Eigentumsgrundrecht aus Art.103 Abs.1 BV geltend machen. Dies
gilt selbst dann, wenn dieses Eigentum öffentlichen Zwecken gewidmet ist.
Bundes- und Landesverfassungsordnungen sind voneinander getrennt, so daß
die Länder einen weitergehenden Grundrechtsschutz gewähren
können. Dies verstößt auch nicht gegen das
Homogenitätsgebot des Art.§28 Abs.1 und 2 GG, da der
Grundrechtskatalog des GG nur ein Minimal-Schutzstandard ist.
- Mit Bezug auf Innungen hat das BVerfG bislang nur
festgestellt, daß die Grundrechtsfähigkeit von der Funktion
abhängt, für welche die Innung Grundrechtschutz beansprucht. Nehmen
sie hoheitliche Kompetenzen wahr, so können sie sich nicht auf Grundrechte
berufen. Eine Handwerksinnung kann z.B. Entscheidungen über die Grenzen
ihres Bezirks nicht mit der Verfassungsbeschwerde angreifen, weil sie insoweit
nicht Trägerin von Grundrechten sein kann. Die Setzung des Rahmens der
Innung, innerhalb dessen sie grundsätzlich auch grundrechtlich
geschützte Aktivitäten entwickeln kann, ist nämlich Angelegenheit
der staatlichen Organisation, welche die Innung mit konstituiert, die aber von
der Innung nicht eingefordert werden kann. Die Innung ist, soweit sie vom Staat
konstituiert wird, Teil des selben (BVerfGE 90, 88,
95).
4. Grundrechte in „Sonderstatusverhältnissen"
Ungeklärt war lange Zeit, ob und inwieweit die
Grundrechte innerhalb „besonderer Gewaltverhältnisse" gelten (z.B. in
Gefängnissen, Schulen und öffentlich-rechtlichen
Dienstverhältnissen). Endgültige Klärung brachte die Entscheidung
des BVerfG zu den Rechte von Strafgefangenen (BVerfGE 33, 1). Grds. können
demnach auch die Grundrechte innerhalb besonderer gewaltverhältnisse nur
durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt
werden.
II. Grundrechtsadressaten (Verpflichtung), insb. Drittwirkung
1. Staatsgewalt
Nach Art.§1 Abs.3 GG ist der Staat in seinen
Funktionen der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an die
Grundrechte gebunden, d.h. jegliche staatliche Gewalt. Dies gilt auch für
die Fälle, in denen Staatsorgane in den Formen des sog.
Verwaltungsprivatrechts (Daseinsvorsorge) handeln. Streitig ist nur, wieweit die
Grundrechtsbindung bei den sog. fiskalischen Hilfsgeschäften und bei
erwerbswirtschaftlichem Handeln geht.
- Nach Ansicht der Lit. ist die
öffentliche Hand ist auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn Sie
privatrechtlich handelt (Fiskalwirkung der Grundrechte). Art.§1 Abs.3 GG
unterscheidet nicht zwischen privatrechtlichen und öffentlichen Tun, so
daß eine Fiskalgeltung zu bejahen ist. Danach gilt insbesondere auch
Art.§3 Abs.1 GG, d.h. der Staat darf einen Anbieter nicht aus unsachlichen
Kriterien bevorzugen oder benachteiligen.
- Nach der Rspr. des BGH gelten
die Grundrechte hier nicht unmittelbar, da hierdurch die Effizienz der
Verwaltung gefährdet ist. Eine Bindung des Staates kommt allenfalls nach
den Regeln über die mittelbare Drittwirkung oder über das
Wettbewerbsrecht in Betracht. Daneben treten möglicherweise auch
Ansprüche (z.B. aus c.i.c.) wegen der Verletzung verwaltungsinterner
Vergabevorschriften.
Unerheblich ist
dabei, ob die Verwaltung selbst privatrechtlich handelt oder eine juristische
Person des Privatrechts (die von der öffentlichen Hand beherrscht wird)
oder Private, welche mit der Ausübung von Hoheitsgewalt beliehen sind (sog.
Beliehene wie z.B. TÜV).
2. Drittwirkung von Grundrechten
Bei der sog. Drittwirkung geht es um das Problem, ob
Private durch Grundrechte verpflichtet sind, also die Grundrechte auch unter
Privaten gelten. Dies ist seit langem in RSpr. und Lit. umstritten. Man
muß hier zwischen unmittelbarer und mittelbarer Drittwirkung
unterscheiden.
- Bei unmittelbarer Drittwirkung wendet man die Grundrechte
des Grundgesetzes auch auf alle Privatpersonen an und entnimmt ihnen
gegenseitige Rechte und Pflichten. Nach der heute h.M. folgt aus dem Wortlaut
und der Entstehungsgeschichte des Art.§1 Abs.3 GG der Schluß,
daß nur die öffentliche Gewalt unmittelbar an die Grundrechte
gebunden ist. Eine unmittelbare Drittwirkung für Private besteht danach nur
dann, wenn sie in einem Grundrecht explizit angelegt ist (z.B. in Art.§9
Abs.3 S.2, 20 Abs.4 GG).
- Bei der mittelbarer Drittwirkung verpflichtet man die
staatlichen Organe, welche etwa Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern
entscheiden (Gerichte), das staatliche Recht (z.B. das BGB) so anzuwenden,
daß die Wertordnung der Grundrechte auch zwischen Privaten effektiv
gemacht wird. Diese mittelbare Drittwirkung ist nach st. RSpr. des BVerfG (vgl.
insb. BVerfGE 7, 198 - Lüth, und BVerfGE 25, 256 - Blinkfüer)
anerkannt. Das GG und damit die Grundrechte werden als objektive Wertordnung
angesehen, die bei Auslegung und Anwendung aller Rechtsnormen zu beachten ist.
Über das Mittel des Privatrechts, insbesondere über die sog.
unbestimmten Rechtsbegriffe und Generalklauseln wirken die Grundrechte auf das
BGB ein (z.B. über gute Sitten, Treu und Glauben oder Widerrechtlichkeit).
Bei der Handhabung dieser Begriffe sind die Grundrechte der Beteiligten zu
ermitteln und gegeneinander abzuwägen. Nach dem Ergebnis der
Güteabwägung ist dann zu beurteilen, wie der Begriff in concreto
anzuwenden ist.
Problematisch ist, ob
durch die mittelbare Drittewirkung auch Eingriffe in die Privatautonomie
möglich sind, d.h. ob der Inhalt eines Rechtsgeschäfts inhaltlich
durch die Grundrechte beschränkt ist. Dies hat das BVerfG in mehreren
Fällen explizit entschieden:
- BVerfGE 81, 242 -
Handelsvertreter: Art.§12 Abs.1 GG kann gebieten, daß der Gesetzgeber
im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche
Beschränkungen schafft, namentlich wenn es an einem annähernden
Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt. Der generelle Ausschluß
einer Karenzentschädigung bei Wettbewerbsverboten für Handelsvertreter
(§§90a Abs.2 S.2 HGB) war bis 1989 mit Art.§12 Abs.1 GG
unvereinbar
- BVerfGE 89, 214 -
Angehörigenbürgschaft: Die Zivilgerichte müssen - insbesondere
bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie §§138
und §§242 BGB - die grundrechtliche Gewährleistung der
Privatautonomie in Art.§2 Abs.1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre
Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden
Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell
ungleicher Verhandlungsstärke sind.
- BVerfGE 92, 1 - Sitzblockaden:
Die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs in §§240 Abs.1 StGB im
Zusammenhang mit Sitzdemonstrationen verstößt gegen Art.§103
Abs. 2 GG.
III. Grundrechtsmündigkeit
Die Grundrechtsmündigkeit betrifft die Frage, ab
welchem Alter ein Grundrechtsträger seine Grundrechte selbst wahrnehmen
kann. Das GG enthält keine Regelung. Die Lösung dieser Frage ist sehr
strittig, praktisch aber wenig bedeutsam, da nach allgemeiner Meinung die
gerichtliche Geltendmachung von Grundrechten in den Prozeßordnungen
geregelt werden kann. Dort wird ausnahmslos die sog. Prozeßfähigkeit
gefordert, die an die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit
anknüpft. Folge: Eine Verfassungsbeschwerde z.B. kann von einem
Grundrechtsträger selbst erst dann erhoben werden, wenn er volljährig
ist. Minderjährige müssen sich durch ihre gesetzlichen Vertreter
vertreten lassen. Eine Besonderheit gilt bei Art.§4 GG: Durch das Gesetz
über die religiöse Kindererziehung sind Kinder ab 14 Jahre
religionsmündig und können sich insbes. dann selbst vom
Religionsunterricht abmelden. Dies wird allgemein als zulässige
Mündigkeitsregelung anerkannt.
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