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Umweltpolitik (Lars Lehre)
Überblick:
  • Rechtsgrundlagen
  • Ziele und Grundsätze
  • Instrumente
  • Abgrenzung zum Binnenmarkt

I. Rechtsgrundlagen

Eine spezifische Regelung über die Umweltpolitik der EG wurde erst 1987 durch die EEA mit den Art. 174 - 176 EGV eingeführt. Ermächtigungsgrundlage für umweltschützende Maßnahmen ist seitdem Art. 175 EGV (s.u.). Aber auch in den Grundsätzen des EGV finden sich Regelungen über die Umweltpolitik. Art. 2 EGV sieht es als Aufgabe der Gemeinschaft an, durch gemeinsame Politiken und Maßnahmen „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ zu erreichen. In Art. 3 Abs.1 lit.l EGV wird die Umweltpolitik auch ausdrücklich als Gemeinschaftstätigkeit bezeichnet. Aus diesem Grund konnte die EG auch schon vor Einführung der spezifischen Umweltbestimmungen in den Art. 174 - 176 EGV zahlreiche Rechtsakte auf dem Gebiet der Umweltpolitik erlassen, wofür als Kompetenzgrundlage Art. 94 EGV zur Verfügung stand, da unterschiedliche Umweltvorschriften das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes behindern konnten.
Neu eingefügt wurde durch den Amsterdamer Vertrag das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung (sustainable development), das sich jetzt neben Art. 2 Abs.1, 1.Spiegelstrich EUV und Art. 2 EGV auch ausdrücklich in Art. 6 EGV (bisher „nur“ in Art. 130r Abs.2 EGV) wiederfindet: „Die Erfordernisse des Umweltschutzes müssen bei der Festlegung und Durchführung der in Art. 3 EGV genannten Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen insbesondere zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einbezogen werden.“

II. Ziele und Grundsätze

1. Ziele der Umweltpolitik

Ziele der Umweltpolitik der Gemeinschaft sind gem. Art. 174 Abs.1 EGV
  • dieErhaltung und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität;
  • der Schutz der menschlichen Gesundheit;
  • die umsichtige und rationelle Verwendung der natürlichen Ressourcen;
  • die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme.
Die Umweltpolitik der Gemeinschaft zielt dabei nach Art. 174 Abs.2 UAbs.1 S.1 EGV auf ein hohes Schutzniveau ab, wobei die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Gemeinschaft berücksichtigt werden sollen, d.h. auch deren Leistungsfähigkeit.

2. Grundsätze der Umweltpolitik

Die Umweltpolitik der EG beruht auf drei Grundsätzen (Art. 174 Abs.2 UAbs.1 S.2 EGV):
  • Vorsorgeprinzip
  • Bekämpfung der Umweltbeeinträchtigungen vorrangig an ihrem Ursprung
  • Verursacherprinzip.

III. Instrumente

1. Umwelt-Aktionsprogramme

Die EG hat seit 1973 in fünf Umwelt-Aktionsprogrammen den Rahmen und die grundsätzlich Zielrichtung ihrer Umweltpolitik festgelegt, die in den einzelnen Rechtsakten realisiert werden sollen. Die Programme selbst können in gewissem Umfang (z.B. als Auslegungmaßstab) rechtliche Bedeutung erlangen, seit sie als Entschließung durch den Rat ergehen (3. bis 5. Aktionsprogramm).

2. Richtlinien und Verordnungen

Als Handlungsformen werden jedoch meist Richtlinien gewählt (seltener Verordnungen), die v.a. sektorielle Maßnahmen beinhalten. Beispiele dafür sind: Gewässerschutz (RL 75/440), Luftreinhaltung (RL 70/220), Abfallrecht (RL 91/156), Schutz von Tierarten (RL 79/409), Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL 85/337), Umweltinformationsrichtlinie (RL 90/313), Öko-Audit-Verordnung (VO 1836/93).

3. Beschlußverfahren

Seit dem Amsterdamer Vertrag beschließt der Rat die allgemeinen Aktionsprogramme und die weiteren Rechtsakte im Mitentscheidungsverfahren gem. Art. 251 Abs.1 und 3 EGV (vorher: Verfahren der Zusammenarbeit) nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen. Für bestimmte in Art. 175 Abs.2 EGV genannte Materien ist jedoch ein einstimmiger Beschluß erforderlich.

4. Durchführung

Gem. Art. 175 Abs.4 EGV tragen die Mitgliedstaaten für die Finanzierung und Durchführung der Umweltpolitik Sorge. Sofern eine Maßnahme mit unverhältnismäßig hohen Kosten für die Behörden eines Mitgliedstaats verbunden ist, kann der Rat vorübergehende Ausnahmeregelungen treffen und/oder eine finanzielle Unterstützung aus dem Kohäsionsfonds nach Art. 161 EGV gewähren.
Gem. Art. 176 EGV werden die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran gehindert, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen. Nach dem eindeutigen Wortlaut müssen diese Maßnahmen jedoch ein höheres Schutzniveau anstreben.
Durch die VO 1210/90 wurde eine Europäische Umweltagentur (Sitz: Kopenhagen) errichtet, deren Tätigkeit sich aber immer noch in der Aufbauphase befindet.

IV. Abgrenzung zum Binnenmarkt

1. Problem

Art. 175 EGV und Art. 95 EGV können als Rechtsgrundlage für dieselben Maßnahmen in Konlikt geraten, weil der Umweltschutz einerseits Aufgabe der Gemeinschaft ist (Art. 6 EGV), andererseits aber auch Art. 95 Abs.3 EGV ausdrücklich der Berücksichtigung des Umweltschutzes im Rahmen des Art. 95 EGV fordert. Auswirkungen hat dies zwar nicht für das Beschlußverfahren (in beiden Fällen Mitentscheidung), jedoch für die Schutzverstärkungsklausel, da Art. 176 wesentlich einfacher zu handhaben ist als Art. 95 Abs.4 - 9 EGV.

2. Lösung

  1. Für die in Art. 175 EGV ausdrücklich aufgezählten Materien ist dieser insoweit lex specialis, als es nicht um Produktnormen sondern um Umweltstandards geht. Das gleiche gilt für die Vorschriften überwiegend steuerlicher Art, die von Art. 95 Abs.2 EGV ausdrücklich ausgenommen sind.
  2. Strittig ist aber die Zuordnung von Produktionsnormen, die die Ausgestaltung des Produktionsprozesses von Unternehmen zum Gegenstand haben.
  • Der EuGH hat im Titandioxid-Urteil (EuGH Rspr. 1991 I, 2867) die gleichzeitige Anwendung beider Vorschriften wegen deren unterschiedlichen Folgen für die Beteiligung des EP abgelehnt und ist zu einer Spezialität von Art. 95 EGV gekommen, wenn dessen Anwendungsbereich eröffnet ist. Dabei muß aber beachtet werden, daß nach der Neufassung des EGV durch den Amsterdamer Vertrag nun sowohl nach Art. 95 EGV als auch nach Art. 175 EGV dasselbe Verfahren vorgesehen ist; damit dürfte das Urteil des EuGH m.E. heute nur noch bedingt aussagekräftig sein.
  • Nach einer Ansicht in der Lit. ist zu beachten, daß sich Art. 95 EGV nur auf den Bereich des Binnenmarktes bezieht und sich für diesen auch ausdrücklich als subsidiär erklärt. Deshalb dürfte Art. 95 EGV dann zum Tragen kommen, wenn die Maßnahme auch auf die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen gerichtet ist.
  • M.E. spricht die jetzige Fassung des Art. 175 EGV eher dafür, daß Art. 95 EGV und Art. 175 EGV nebeneinander anwendbar sind, da in beiden Vorschriften das gleiche Verfahren vorgesehen ist. Abzustellen ist deshalb auf das Ziel der Maßnahme: Dient die Maßnahme der Verwirklichung des Binnenmarktes und ist der Umweltschutz nur ein Gesichtspunkt, der dabei berücksichtigt werden muß, so ist Art. 95 EGV als Rechtsgrundlage zu wählen; soll dagegen durch die Maßnahme Ziele des Umweltschutzes gefördert werden und kann dies nur durch Angleichung des Binnenmarktes geschehen, dann ist auf Art. 175 EGV als Rechtsgrundlage abzustellen (so ähnlich auch schon EuGH Rspr. I 1993, 939).

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