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Artikel 895
Thilo Schulz

In meiner Seminararbeit möchte ich untersuchen, warum und wie im demokratischen Rechtsstaat durch die Interpretation von (Rechts-)Texten Macht ausgeübt wird und welche Mißbrauchsmöglichkeiten der Interpretationsmacht bestehen. Ich werde mich dabei auf (Kontinental-)Europa beschränken und hauptsächlich vom deutschen Rechtssystem ausgehen.

Im ersten Teil der Arbeit werde ich zeigen, welche sprachlichen und rechtlichen Faktoren die Interpretation von Rechtstexten erforderlich machen und weshalb dadurch Machtausübung geschieht. Zu diesem Zweck werde ich auf die Funktionen des Rechts eingehen, das Verhältnis von Recht und Sprache aufzeigen und auf Besonderheiten der Sprache eingehen, die die Interpretationsmöglichkeit von Rechtstexten begünstigen. Darauf folgt eine kurze Beschreibung, wie die Interpretationsmacht verteilt ist und durch wen sie ausgeübt wird.

Im zweiten Teil der Arbeit geht es mir darum zu zeigen, auf welche Weise die Machtausübung durch Interpretation geschieht. Ich werde auf die juristischen Auslegungsmethoden von Rechtstexten und auf mögliche Grenzen der Auslegung eingehen, typische juristische Argumentationsfiguren untersuchen und zeigen, wie bei der Auslegung von Rechtstexten eigene Wertungen versteckt “eingelegt” werden können.

I. Entstehung der Interpretationsmacht

1. Funktionen des Rechts

Um zu verstehen, wie durch die Interpretation von (Rechts-)Texten Macht ausgeübt wird, ist es zunächst wichtig, einige grundlegende Funktionen des Rechts zu kennen, zu wissen, welche Funktionen Recht in der Gesellschaft übernimmt. Es gibt viele unterschiedliche Antworten auf die Frage nach den Funktionen des Rechts, die sich meistens mehr in der Form als der Sache nach unterscheiden. Ich möchte hier die Gestaltungs- und Steuerungsfunktion, die formale und die materiale Steuerungsfunktion, die Integrationsfunktion, die Befriedungsfunktion und die Streitentscheidungsfunktion herausgreifen.

a) Gestaltungs- und Steuerungsfunktion

Ganz allgemein ist Recht zunächst ein für jedes politische Gemeinwesen unverzichtbares Organisations- und Herrschaftsinstrument, um das menschliche Zusammenleben zu ordnen, zu steuern und (um-)zu gestalten[1]. Das gilt für totalitäre Staaten wie für Demokratien. Soll in einer Demokratie ein Lebensbereich neu geregelt werden, geschieht dies typischerweise durch den Erlaß von Gesetzen durch das Parlament. Damit das Gesetz tatsächlich in Kraft treten kann, muß es mit der nötigen Mehrheit der Stimmen verabschiedet werden. Auf die weiteren Einzelheiten braucht hier nicht weiter eingegangen werden. Den Ordnungsvorstellungen von Lebensverhältnissen liegen in bestimmten wichtigen Bereichen notwendigerweise (ethische) Wertungen zu Grunde. Deutlich wurde dies an den intensiv und oft emotional geführten Debatten um § 218 StGB, das Asylrecht oder in letzter Zeit um die Einführung der “Green Card” für ausländische Arbeitnehmer in der Informationstechnologie. Auch der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes (Art. 1-20 GG) belegt dies in eindrucksvoller Weise. Rechtsetzung und Rechtsanwendung dienen also der Durchsetzung und Verwirklichung von Werten, solange es sich nicht um rein formale Ordnungsvorschriften (z.B. Rechtsfahrgebot) oder technische Normen handelt. Auf diese Weise steuert das Recht in einem erheblichen Umfang den Ablauf von bedeutsamen staatlichen und gesellschaftlichen Vorgängen und Entwicklungen[2]. Rechtliche Entscheidungen, die zum größten Teil auf der Interpretation von Rechtstexten, v.a. Gesetzen beruhen, haben also mitunter enorme Auswirkungen.

b) formale Steuerungsfunktion

Eine speziellere Funktion des Rechts ist seine formale Ordnungsfunktion. Recht als verbindliche Regelung (unabhängig von seinem Inhalt) verhindert das Chaos. Ein gutes Beispiel dafür bietet der Straßenverkehr. Sobald es Fahrzeuge gibt, muß es Verkehrsvorschriften geben, etwa eine Regelung, ob rechts oder links gefahren werden soll[3]. Wie die Entscheidung ausfällt, ist anfangs unwichtig, da beide Alternativen gleich gut sind. Wichtig ist nur, daß überhaupt entschieden wird, da sonst ständige Gefahr und viele Unfälle im Straßenverkehr die Folge wären. Auch “ungerechte” gesetzliche Regelungen oder Gerichtsentscheidungen können durch ihre formale Ordnungswirkung einen Beitrag zur Rechtssicherheit darstellen, da man sich immerhin in Zukunft darauf einrichten kann. Diese formale Ordnungsfunkion ist auch ein Grund für die große Aufmerksamkeit, die auf Grundsatzentscheidungen oberster Gerichte gelegt wird.

c) materiale Steuerungsfunktion

Neben der formalen hat das Recht auch eine materiale Steuerungsfunkion. Die jeweilige Staats- und Gesellschaftsordnung soll durch das Recht stabilisiert und bewahrt werden[4]. Die jeweiligen Normsetzer versuchen, ihre Wertvorstellungen möglichst dauerhaft im Recht zu verankern und durchzusetzen. Ein interessantes Beispiel aus dem Verfassungrecht verdeutlicht dies: mit Art. 79 Abs. 3 GG als Reaktion auf den Nationalsozialismus und die Schwächen der Weimarer Reichsverfassung wurde erstmals versucht, einige elementare Verfassungsgrundsätze wie die Gliederung des Bundes in Länder, die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung sowie die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze jeglicher Änderung zu entziehen.

d) Integrationsfunktion

Das Recht macht die Einbindung des Einzelnen in den Staat und die vielen Organisationen des öffentlichen und privaten Rechts möglich[5]. Durch das Recht können weitgehend einheitliche Lebensbedingungen für eine Vielzahl von Individuen geschaffen werden, die die Grundlage für die Entfaltung des Einzelnen sind. Das zeigte sich bei der Gründung des Kaiserreichs 1871, die zur Schaffung eines einheitlichen Reichsrechts durch große Kodifikationen wie Verfassung, StGB, BGB, HGB, GewO, ZPO und StPO führte[6]. In jüngster Zeit bieten die Wiedervereinigung Deutschlands und die fortschreitende Integration der europäischen Staaten Beispiele dafür. Darüber hinaus ermöglicht das Recht die Integration unterschiedlicher, durchaus divergierender Wert- und Zielvorstellungen des Einzelnen oder gesellschaftlicher Gruppierungen in den demokratischen Rechtsstaat, wie das in Art. 5 GG geschützte Grundrecht auf Meinungsfreiheit und die dazu ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts[7] belegen.

e) Befriedungsfunktion

In jeder menschlichen Gemeinschaft treten Konflikte auf, die nicht vermeidbar sind. Durch das Recht wird eine geregelte, gewaltfreie Lösung dieser Konflikte ermöglicht. Dies geschieht dadurch, daß der Staat nicht nur die Gewaltausübung bei sich konzentriert (Gewaltmonopol), indem er Selbsthilfe des Bürgers grundsätzlich verbietet und nur in Ausnahmefällen zuläßt, sondern auch eine Rechtsordnung schafft, welche sowohl die Ausübung der staatlichen Gewalt selbst eingrenzt als auch die Beziehungen der Bürger untereinander und zum Staat regelt[8]. Ausdruck findet dieses Prinzip besonders in Art. 19 IV GG und in den Justizgrundrechten. Die Alternative wäre das Faustrecht.

f) Streitentscheidungsfunktion

Die Streitentscheidungsfunktion des Rechts hängt mit der Befriedungsfunktion und auch der Steuerungsfunktion eng zusammen. Konflikte zwischen Staat und Bürger oder zwischen Bürgern untereinander werden in unserer Rechtsordnung durch rechtsförmig geregelte Verfahren ausgetragen wie etwa Zivilprozeß, Strafverfahren oder Verwaltungsgerichtsverfahren. Die meisten Menschen werden wohl auch bei dem Begriff “Recht” zuerst an gerichtliche Verfahren denken. Durch die verbindliche Entscheidung von Streitfällen durch Gerichte sorgt das Rechtssystem dafür, daß über den Inhalt der Rechtsordnung eine verbindliche und für die Parteien endgültige Entscheidung zustande kommt[9]. Bei Grundsatzentscheidungen oberster Gerichte gehen die Wirkungen sogar weit über die Parteien des konkreten Falles hinaus. Wegen der erwarteten Kontinuität der Rechtsprechung oberster Gerichte in Grundsatzfragen gehen alle daran interessierten Teilnehmer des Rechtsverkehrs, auch die Instanzgerichte, die Anwälte, Behörden etc. davon aus, daß vergleichbare Fälle von demselben Gericht auf der Linie der getroffenen Grundsatzentscheidung beurteilt werden[10]. So haben die tragenden Leitsätze solcher Entscheidungen in der Praxis eine gesetzesähnliche Wirkung[11], der Zusammenhang von Entscheidungs- und Steuerungsfunktion ist offensichtlich. Hier zeigt sich die Macht der Interpreten von Gesetzestexten wohl am deutlichsten.

2. Recht und Sprache

Recht ordnet das menschliche Zusammenleben durch Rechtsnormen, die für den jeweiligen Normadressaten verbindlich sind. Die Normen können generell-abstrakt sein, d.h. allgemeinverbindlich und für jedermann gelten (Gesetze wie etwa das Strafgesetzbuch). Sie können sich aber auch an bestimmte Personengruppen richten (wie z.B. die BRAO) oder individuell-konkreten Charakter haben wie etwa Verwaltungsakte. Allen Rechtsnormen gemeinsam ist die Tatsache, daß sie nur in der Sprache existent sind. Das bedeutet nicht notwendigerweise, daß die Rechtsnormen als Gesetzestext schriftlich fixiert sein müssen. So gibt es in allen Rechtsgebieten Bereiche ohne geschriebenen Regeln. Zu nennen wären hier z.B. der wichtige Bereich der Ansprüche aus positiver Forderungsverletzung im Zivilrecht[12] oder der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im öffentlichen Recht[13]. Oft existieren hier gewohnheitsrechtlich anerkannte Regeln. Aber auch über Gewohnheitsrecht ist eine Verständigung nur durch Sprache möglich, da über seinen Bestand und seinen Inhalt im demokratischen Rechtsstaat die letzten Gerichtsinstanzen im Urteil entscheiden[14]. Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis, gerade in Deutschland, ist allerdings die schriftliche Fixierung von Rechtssätzen in Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Satzungen die Regel[15]. Dadurch werden rechtliche Begründungen nachprüfbar, allerdings nehmen auch Auslegungsfragen breiteren Raum ein.

Zur Festlegung des Rechts auf Rechtstexte in unserer Rechtsordnung haben verschiedene Faktoren beigetragen. Hier möchte ich zwei erwähnen, die bis heute starke Auswirkungen auf unser Rechtssystem haben: die Begriffsjurisprudenz und der Gesetzespositivismus.

Begründer der Begriffsjurisprudenz war Georg Friedrich Puchta (1798-1846). Aufbauend auf den bedeutendsten Vertreter der historischen Rechtsschule, Friedrich Carl von Savigny, sah er Volksgeist (Gewohnheitsrecht), Gesetzgebung und Wissenschaft als Rechtsquellen. Nach Puchtas Auffassung ist aber zur Rechtserzeugung nur der wissenschaftlich geschulte Jurist als “Organ des Volkes” berufen[16]. Grund dafür war seine Vorstellung von der Leistungsfähigkeit juristischer Begriffe. Seiner Vorstellung nach seien die juristischen Begriffe in einer nach den Gesetzen der Logik aufgebauten Pyramide geordnet, die als juristische Naturgesetze von Ort und Zeit unabhängig gälten. Die Begriffspyramide sollte die Fähigkeit haben, Recht zu erzeugen. Dem geschulten Juristen sei es nun möglich, aus dieser Begriffspyramide im Wege der Deduktion einzelne subjektive Rechte und einzelne Rechtssätze streng logisch abzuleiten[17]. Die Begriffsjurisprudenz wurde zwar relativ schnell von den Vertretern der Interessenjurisprudenz widerlegt. In ihr liegen aber die Wurzeln des ausgeprägten begrifflichen Formalismus des Zivilrechts und der gesamten Rechtswissenschaft.

Der zweite Faktor, der die Festlegung des Rechts auf Texte förderte, war der Gesetzespositivismus. Ursprünglich stammte die Idee des Positivismus aus den Naturwissenschaften, um diese auf das empirisch Feststellbare und Beschreibbare zu beschränken. Dieser Gedanke wurde auf die Rechtswissenschaft übertragen und folgende Thesen aufgestellt:
1. Recht sind nur die vom Staat gesetzten (“positiven”) Rechtssätze. Der normsetzende Wille des Staates ist die einzige Rechtsquelle.
2. Jedes verfassungsgemäß erlassene Gesetz (im materiellen Sinne) ist bindendes Recht. Es ist einer weiteren Begründung weder fähig noch bedürftig.
3. Der Gesetzgeber ist beim Erlaß von Gesetzen nicht an materiale Rechtsgrundsätze oder moralische Grundwerte oder ethische Prinzipien gebunden. Eine Inhaltskontrolle staatlicher Gesetze auf materiale Gerechtigkeit scheidet aus[18].
Auch heute noch ist der Gesetzespostivismus im Grundsatz in der Rechtstheorie absolut vorherrschend, obwohl vor allem nach dem Nationalsozialismus Zweifel auftauchten.

3. Recht als Wertverwirklichung

Aus der Sicht des Normgebers sind Rechtsnormen, indem sie Handlungen vorschreiben, ein Mittel, um bei einem gegebene Ausgangszustand ein bestimmtes rechtspolitisches Ziel (=Zweck) durchzusetzen[19]. Welche Zwecke dabei ausgewählt und verwirklicht werden sollen, richtet sich nach der der Rechtsordnung zu Grunde liegenden Wertordnung. Indem die Rechtsnormen bestimmte Verhaltensweisen an dem ihnen zu Grunde liegenden Maßstab messen und Verhaltensanordnungen treffen, wird durch sie die gegebene Situation bewertet. Man nennt solche Aussagen Werturteile[20]. Im Gegensatz zu Tatsachen, die objektiv nachprüfbar sind, kann bei Werturteilen nicht von “wahr” oder “falsch” gesprochen werden. Ein Beispiel: Ob A mit seinem Auto zum Zeitpunkt X in der Ortschaft Z verkehrswidrig über 70 statt der gebotenen 50 km/h fuhr, das läßt sich mit anerkannten Meßmethoden so zuverlässig feststellen, daß A selbst es zugeben muß. Ob er aber unter konkreten Umständen eine so “schwere Verkehrsgefährdung” (Werturteil) beging, daß nur ein zeitweiliger Führerscheinentzug die angemessene Sanktion sein kann, das ist eine Wertungsfrage, die nicht nach den Kriterien “wahr” oder “falsch” entschieden werden kann[21]. Ebenso macht es auch keinen Sinn zu fragen, ob etwa § 823 BGB, § 223 StGB oder Art.1 GG wahr oder falsch ist. § 823 erscheint als “zweckmäßig” im System des deutschen Deliktsrechts. Rechtssätze können immer nur angemessen, förderlich, notwendig im Sinne der angestrebten Zwecke, also der zugrunde gelegten Wertordnung sein[22]. Dies ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen. Denn es wird deutlich, daß das von Juristen vertretene und angewendete Recht kein Hort objektiver Wahrheit ist, sondern lediglich ein Ausdruck relativer, historisch entwickelter und begründeter Zweckmäßigkeit, Angemessenheit und - im besten Fall - “Gerechtigkeit”[23]. Das sich darüber trefflich streiten läßt, ist klar. Dies gilt es im Auge zu behalten.

4. Die Gründe für die Interpretationsmacht

Welche weiteren Faktoren lassen die Macht der Gesetzesinterpreten entstehen? Ein Umstand, der die Macht der Gesetzesinterpreten mitbegründet, wurde gerade angesprochen: Rechtssätze sind Werturteile, und über Werturteile lassen sich keine wahr-falsch-Aussagen treffen, sie lassen sich nur mehr oder weniger überzeugend begründen. Der Hauptgrund für die Macht der Interpreten liegt allerdings zum großen Teil in der Sprache selbst, zum kleineren Teil auch in unserer Rechtsordnung.

a) sprachliche Faktoren

Vollständige Rechtssätze bestehen aus Tatbestand und Rechtsfolge. Um eine Rechtsfolge aussprechen zu können, muß der Interpret der Norm entscheiden, ob die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, d.h. ob der Tatbestand erfüllt ist. Tatbestand wie Rechtsfolge bestehen aus Sprache, z.T. handelt es sich um Umgangssprache, z.T. kommen fachsprachliche Begriffe hinzu. Die juristische Arbeit dreht sich zum großen Teil darum, die Bedeutung der Wörter im konkreten Fall zu klären. Hier enstehen nun alle juristischen “Auslegungsfragen”, die ganze Bibliotheken füllen: denn Wörter sind oft mehrdeutig, unbestimmt und Wortbedeutungen können sich im Laufe der Zeit ändern. Eine juristische Besonderheit ist die vom Gesetzgeber gewollte Offenheit von Gesetzesbegriffen. Auf diese Faktoren wird nun näher eingegangen.

aa) Die Mehrdeutigkeit von Wörtern

Viele Wörter können je nach Absicht des Verwenders und Situation unterschiedliche Bedeutungen haben, sie sind mehrdeutig. Einige sehr plastische Beispiele[24]:

1. Bad
a) gefüllte Badewanne (Er nimmt ein Bad)
b) Badezimmer (4 Zimmer, Küche, Bad)
c) Badeort (Er ist in ein Bad gefahren, etwa nach Bad Kreuznach)

2. Amt
a) Dienststellung (Bürgermeister)
b) Dienststelle (Behörde), auch Amtsgebäude
c) gesungene katholische Messe

3. Batterie
a) Stromquelle
b) Artillerie-Einheit
c) Mehrheit von Geräten

4. Erinnerung
a) Umgangssprache: Im Gedächtnis bewahrter Eindruck
b) Juristischer Fachausdruck: Rechtsmittel gem. §§ 104, 107, 766 ZPO

Der beabsichtigte Bedeutungsgehalt mehrdeutiger Wörter, die Intension[25], muß also vom Empfänger aus den Umständen der Verwendung erschlossen werden. Bei der Gesetzesanwendung oder bei einer Vertragsauslegung entsteht für den Juristen das Problem, daß er eine Entscheidung treffen muß, was die Wortbedeutung im konkreten Fall ist. Mit welchen Methoden die Feststellung der Bedeutung eines Wortes im konkreten Fall im juristischen Bereich geschieht, wird im zweiten Teil der Arbeit gezeigt werden.

bb) Die Unbestimmtheit von Wortbedeutungen

Eine weitere Eigenschaft von Sprache macht die Auslegung von Texten erforderlich: die Unbestimmheit von Wortbedeutungen. Die Unbestimmheit entsteht oft daraus, daß der Alltagsgebrauch zugunsten einer breiten Verwendbarkeit auf eine eindeutige Definition verzichtet[26].
(1) Welche Zeitspanne umfaßt der Begriff “Nacht”, wenn er etwa im Januar, im Juni oder undifferenziert für das ganze Jahr verwendet wird?
(2) Wie viele Bäume sind erforderlich, damit zutreffend von einem “Wald” gesprochen werden kann?
(3) Von wann bis wann dauert der “Hochsommer” oder der “Spätherbst”?

cc) Die Veränderlichkeit von Wortbedeutungen

Nicht nur die Lebensumstände ändern sich mit der Zeit, auch Worte können ihre Bedeutung ändern. Die Gründe dafür sind sehr verschieden, sie können gesellschaftlicher, politischer oder auch technischer Natur (Stichwort: Internet) sein. Das Wort als Laut- oder Schriftbild erweist sich als Hülse (“Worthülse”), deren Inhalt ganz oder teilweise ausgetauscht wird[27]. Auch hier ist das Verstehen nur möglich, wenn alle Beteiligten den selben Verständnishorizont haben, also z.B. alle die aktuelle Bedeutung des Wortes zu Grunde legen, nicht die Bedeutung die es vor x Jahren hatte.
Ein Beispiel für den schnellen Bedeutungswandel aus dem juristischen Bereich bietet der Begriff der “guten Sitten”, der als Bewertungsmaßstab in §§ 138, 826 BGB und § 1 UWG auftaucht. Besonders deutlich was dies im Wirtschaftsrecht während und nach dem zweiten Weltkrieg, als z.B. durch den Krieg unterbrochene Geschäftsbeziehungen Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen wurden oder man die Folgen der Inflation bewältigen mußte. Auch der Beginn des Nationalsozialismus hatte großen Einfluß auf das Verständnis der Gerichte von den “guten Sitten”. So entschied der Große Senat für Zivilsachen beim Reichsgericht am 13.03.1936: “Der Begriff eines ´Verstoßes gegen die guten Sitten´...erhält seinem Wesen nach den Inhalt durch das seit dem Umbruch herrschende Volksempfinden, die nationalsozialistische Weltanschauung”[28]. Der heutige Begriff der “guten Sitten” hat sich wiederum völlig gewandelt.

dd) Die kalkulierte Unbestimmtheit und Offenheit von Gesetzesbegriffen

Eine juristische Besonderheit ist die kalkulierte Unbestimmtheit und Offenheit von Gesetzesbegriffen.
Sie entsteht dadurch, daß durch das Recht verschiedene Lebensvorgänge erfaßt werden sollen, deren Zahl nahezu unendlich groß ist. Es ist aber unmöglich, für jeden Fall eine eigene Regel aufzustellen. Die Zahl der Rechtsvorschriften und dogmatischen Sätze muß aus vielen Gründen überschaubar bleiben[29]. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber nicht alle Fälle vorhersehen kann und deshalb generelle, verallgemeinernde Beurteilungsmaßstäbe verwenden muß, um Elastizität zu schaffen, damit das Gesetz auch auf veränderte Sachverhalte und gewandelte soziale und politische Wertvorstellungen angewendet werden kann[30]. Eine gewollte Offenheit findet sich zum einen in unbestimmten Rechtsbegriffen (“angemessen”, verhältnismäßig”, “fahrlässig”, “grober Undank”, “ehrloses Verhalten”), zum anderen in Generalklauseln (“wichtiger Grund”, “Treu und Glauben”, “gute Sitten”, “billiges Ermessen”). Das Gesetz erhält dadurch einen breiten Anwendungsbereich. Diese Offenheit bietet aber auch wieder Mißbrauchsmöglichkeiten, auf die im zweiten Teil der Arbeit näher eingegangen werden wird.

b) rechtliche Faktoren

Neben den oben gezeigten sprachlichen Faktoren hat auch das Recht selbst Auswirkungen auf die Macht der Gesetzesinterpreten. Zu nennen sind hier die Gewaltenteilung im demokratischen Rechtsstaat und das Rechtsverweigerungsverbot, in dem man den Hauptgrund für die Entstehung von Richterrecht sehen kann.

aa) Gewaltenteilung

Nach Art. 20 Abs.2 S.2 GG erfolgt die Ausübung der Staatsgewalt durch besondere Organe der gesetzgebenden Gewalt, der vollziehenden Gewalt und er Rechtsprechung. Dadurch wird der Grundsatz der Gewaltenteilung festgelegt. Die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative stehen allerdings nicht strikt getrennt gegenüber, sondern sollen durch wechselseitige Kontrolle, Hemmung und Mäßigung der Teilgewalten (“checks and balances”) zur Begrenzung staatlicher Machtausübung, zu ihrer Berechenbarkeit, Kontrollierbarkeit und Verantwortlichkeit gelangen[31].

(1) Die Legislative, im freiheitlich-demokratischen System das Parlament, hat dabei die Aufgabe der Normsetzung, deren Verfahren im Grundgesetz geregelt ist. Schon hier tauchen Auslegungsfragen auf, etwa wie das Gesetzgebungsverfahren genau durchgeführt werden soll. Dieser Bereich kann aber im Rahmen dieser Arbeit nicht abgedeckt werden. Wichtig ist hier, daß das Parlament nicht die Bedeutung des Gesetzes für den Einzelfall verbindlich feststellen kann - das ist Aufgabe der Judikative.

(2) Für die Exekutive enthält das Grundgesetz keine Funktionsbestimmung, ihre typische Aufgabe ist aber jedenfalls der Vollzug von Gesetzen[32]. Um die Gesetze vollziehen zu können, müssen sie von der Exekutive ausgelegt und angewendet werden. Hier wird die Macht der Gesetzesinterpreten schon deutlicher. Wie bestimmte Normen ausgelegt und angewendet werden, hat großen Einfluß auf den Einzelnen. Ein Beispiel hierfür ist das Verwaltungsrecht. So hat die Auslegung der Frist des § 48 IV VwVfG große Auswirkungen für die Möglichkeit der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte durch ein Behörde und entscheidet mitunter, ob große Geldsummen zurückgezahlt werden müssen.

(3) Die Macht der Interpreten ist aber in der Judikative wohl am stärksten ausgeprägt. Das ergibt sich aus der Funktion der Justiz im System der Gewaltenteilung. Zum einen hat die Justiz die Aufgabe, Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgern zu entscheiden. Zum anderen kontrollieren die Gerichte auch das Verhältnis von Bürger und Staat oder innerstaatliche Konflikte. Die Gerichte haben ihnen vorgelegte Streitfälle für die Parteien bindend zu entscheiden. Wie oben schon kurz angesprochen, kommt dabei den letztinstanzlichen Entscheidungen ein ganz besonderes Gewicht zu. Da der Rechtsverkehr von der Kontinuität der Rechtsprechung oberster Bundesgerichte ausgeht, haben solche Grundsatzentscheidungen in der Praxis gesetzesähnliche Wirkung[33].

bb) Justizgewährungsprinzip

Rechtsprechung ist aber nicht auf die Entscheidung von Streitfällen beschränkt. Die Macht der Gesetztesinterpreten, vor allem der Gerichte, wird durch das Prinzip der allgemeinen Justizgewährung weiter verstärkt. Dieses Prinzip der allgemeinen Justizgewährung wird als staatliche Pflicht und individuelles Recht angesehen, das die Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols, der bürgerlichen Friedenspflicht und des Selbsthilfeverbots bildet[34]. Wenn der Bürger seine Rechte nicht selbst durchsetzen darf, muß der Staat ihm dafür geeignete Institutionen und Verfahren zur Verfügung stellen. Daraus folgt, daß die Gerichte in jedem Fall innerhalb angemessener Zeit eine Entscheidung treffen müssen. Das bedeutet wiederum, daß die Richter auch über Fälle entscheiden müssen, die gesetzlich nicht geregelt sind (Gesetzeslücken, Rechtslücken) oder in denen zwar gesetzliche Regelungen vorhanden sind, diese aber wegen der veränderten Umstände nicht mehr anwendbar sind. In dieser Ausnahmesituation entsteht Richterrecht. Richterrecht sind Rechtssätze, die in höchstrichterlichen oder letztinstanzlichen Entscheidungen verwendet werden, aber in der gesetzlichen oder gewohnheitsrechtlichen Rechtsordnung nicht enthalten sind. Richterrecht sind alle Entscheidungsnormen (Wertmaßstäbe), die ohne wertende, gebotsbildende Akte des Richters dem Gesetz nicht entnommen werden können[35]. Die Rechtsquellenqualität von Richterrecht ist umstritten und wird unter Hinweis auf das Prinzip der Gewaltentrennung überwiegend verneint. Als Rechtsquellen innerstaatlichen Rechts werden nur Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht anerkannt[36]. Dennoch sprechen gewichtige Faktoren für die Anerkennung von Richterrecht als Rechtsquelle: auch die Gegner der Rechtsquellenqualität des Richterrechts gehen von einer faktischen Bindungswirkung durch letztinstanzliche Entscheidungen aus[37]. Da der Bereich des Richterrechts ständig wächst und dabei eine Machtverschiebung von der Legislative hin zur Judikative stattfindet, ist hier besondere Aufmerksamkeit geboten. Problematisch wird dieser Bereich der Rechtsfortbildung, wenn die Richterrechtssetzung versteckt stattfindet ohne die maßgeblichen Entscheidungsmaßstäbe offenzulegen und als “Auslegung” von Gesetzen präsentiert wird. Darauf wird unten noch ausführlich eingegangen werden.

II. Ausübung der Interpretationsmacht

Im zweiten Teil der Arbeit geht es um die Ausübung der Macht, die durch die Interpretation von Rechtstexten entsteht. Zur Verdeutlichung möchte ich dazu auf die Elemente der Auslegung im juristischen Bereich eingehen, die Ziele der Auslegung darstellen, mögliche Grenzen der Auslegung aufzeigen, den Gebrauch der Interpretationsmacht in der Argumentationsfigur der “herrschenden Meinung” kritisch beleuchten und auf Mißbrauch der Interpretationsmacht eingehen.

1. die juristischen Auslegungsmethoden

Die “klassischen” Elemente der juristischen Auslegung wurden 1840 von Friedrich Carl von Savigny in die Rechtswissenschaft eingeführt[38]. Er bezeichnete sie als grammatikalische, historische, systematische und logische Auslegung[39]. Diese vier Auslegungskriterien, oft als “Auslegungskanon” bezeichnet, werden heute noch als gültig angesehen und bei der Gesetzesauslegung angewendet[40]. An die Stelle von Savignys logischer Auslegung ist heute allerdings die teleologische Auslegung getreten, die nach dem Zweck der auszulegenden Regelung fragt[41]. In neuerer Zeit wird auch die rechtsvergleichende Auslegung als Auslegungsmethode diskutiert. Obwohl es keine gesetzliche Beschränkung auf diese vier Kriterien gibt, richten sich heute im Grundsatz alle Rechtsanwender nach dem Kanon von F.C.v.Savigny. Bei der Anwendung hat nach Savigny keine der Auslegungsmethoden Vorrang, man müsse bei der Auslegung alle beachten. Seiner Ansicht nach werde aber “...bald die eine, bald die andere wichtiger sein und sichtbarer hervortreten, so daß nur die stete Richtung der Aufmerksamkeit nach allen diesen Seiten unerläßlich ist”[42]. Was das für die Macht der Gesetzesinterpreten bedeutet, wird im Anschluß an einen Überblick über die Auslegungsmethoden gezeigt werden.

a) grammatikalische Auslegung

Ausgangspunkt jeder Analyse einer Rechtsnorm ist die Ermittlung des semantisch möglichen Wortsinns[43]. Darunter versteht man die Bedeutung, die ein Ausdruck oder eine Wortverbindung im allgemeinen Sprachgebrauch oder im besonderen Sprachgebrauch wie etwa in einem Gesetz hat[44]. Allerdings sind Abweichungen von der Wortbedeutung bei der Auslegung möglich und notwendig, wenn Sinn und Zweck der Norm es erforderlich machen[45]. Dies ist nicht nur beim allgemeinen, umgangssprachlichen Sprachgebrauch der Fall, sondern sogar bei gesetzlich definiertem Sprachgebrauch. Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Auslegung des Begriffs “Sache” in § 119 II BGB. Nach der Legaldefinition des § 90 BGB sind Sachen nur körperliche Gegenstände. Das Reichsgericht (und die seitdem h.M.) sieht davon auch unkörperliche Gegenstände erfaßt: “Das Gesetz gebraucht hier, wenn es von einer ´Sache´ spricht, diesen Begriff nicht im Wortsinn des § 90 BGB”[46]. Dies zeigt deutlich die Unhaltbarkeit der aus dem römischen Recht stammenden sog. “Sens-Clair-Doktrin”, nach der eine klar und eindeutig formulierte Gesetzesvorschrift keiner Auslegung zugänglich sei: auch in “eindeutig” formulierten Gesetzesvorschriften können Redaktionsversehen oder Wertungswidersprüche der normsetzenden Instanz enthalten sein, die bei der Anwendung der Vorschriften zu berücksichtigen und eventuell zu korrigieren sind[47]. Ein weiteres Problem bei der Wortlautauslegung ist das maßgebliche Textverständnis: kommt es auf den heutigen Sprachgebrauch an oder ist der Sprachgebrauch zur Zeit der Normsetzung ausschlaggebend? Nimmt man die Gesetzesbindung der Rechtsanwender ernst, dann muß bei der Auslegung auf den Sprachgebrauch zur Zeit der Normsetzung abgestellt werden. Sonst wären letztlich die Vorstellungen des Rechtsanwenders entscheidend und dieser könnte sich unter Berufung auf den heutigen Sprachgebrauch über die Wertentscheidungen des Normsetzers hinwegsetzen[48]. Das wird bei den Zielen der Auslegung noch näher erläutert werden.

b) historische Auslegung

Die historische Auslegung sucht den Gebotsgehalt und den Normzweck gesetzlicher Vorschriften aus dem Kontext ihrer Entstehungsgeschichte zu ermitteln[49]. Es geht darum aufzudecken, welche Fallgestaltungen und Interessenkonflikte der historische Gesetzgeber regeln wollte. Deshalb kommt es auf verschieden Faktoren aus der Zeit an, in der die Norm erlassen wurde. Zu nennen wären hier technische und wirtschaftliche Verhältnisse, Sozialstruktur, gesellschaftliche, politische und religiöse Weltanschauungen sowie das gesamte politische System und Verfassung. Die historische Auslegung beschränkt sich dabei deswegen meist nicht auf die Entstehungsgeschichte einer Einzelnorm, etwa an Hand von Gesetzesmaterialien[50]. Sehr umstritten ist die Frage, ob das Gesetz “entstehungszeitlich” oder “geltungszeitlich” zu interpretieren ist[51]. Ohne näher auf diesen Streit einzugehen, kann man sagen, daß wegen der Gesetzesbindung der Rechtsanwender der ursprüngliche, vom Gesetzgeber gewollte Normzweck zu ermitteln ist. Erst dann stellt sich für den Rechtsanwender die Frage, ob sich seit dem Erlaß der Norm die geregelte Materie oder die Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft so geändert haben, daß die vorgesehenen Rechtsfolgen modifiziert werden müssen oder die Norm insgesamt unanwendbar geworden ist[52].

c) systematische Auslegung

Die systematische Auslegung geht von der Grundeinsicht aus, daß die einzelne Norm nicht isoliert ausgelegt werden darf, sondern im Gesamtzusammenhang des Gesetzes und der Rechtsordnung zu verstehen ist[53]. Sie hat das Ziel, dasjenige Auslegungsergebnis zu ermitteln, das die einen Wirklichkeitsausschnitt beherrschenden Rechtssätze zu einem möglichst widerspruchsfreien, kohärenten Sinnganzen zusammenfügt[54]. Grundannahmen sind dabei zum einen die “Einheit der Rechtsordnung”, zum anderen die Vorstellung eines hierarchisch-pyramidalen Stufenbaus der Rechtsordnung und der daraus folgenden unterschiedlichen Ranghöhe der Normen[55]. Ein Unterfall der systematischen Auslegung ist die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung praktizierte verfassungskonforme Auslegung vom Bundes- und Landesrecht[56]. Verfassungskonforme Auslegung bedeutet, daß bei verschiedenen möglichen Bedeutungen einer Vorschrift diejenige den Vorzug erhält, die den Wertentscheidungen der Verfassung besser entspricht. Drei Regeln, die aus der allgemeinen Rechtstradition stammen, sollen eine möglichst einheitliche und widerspruchsfreie Gesetzesanwendung im Rahmen der systematischen Auslegung garantieren[57]:
“Ausnahmebestimmungen dürfen nicht erweiternd ausgelegt werden (singularia non sunt extendenda). Ein Spezialgesetz geht einer allgemeinen Regel vor (Lex specialis derogat legi generali), ein späteres Gesetz geht einem früheren vor (Lex posterior derogat legi priori)”.

d) teleologische Auslegung

Maßgeblich für jede Auslegung ist die Bestimmung des Gesetzeszwecks (“ratio legis”). Die teleologische Interpretation, die den Gesetzeszweck, die immanente Teleologie des Gesetzes ermittelt, fragt nach Sinn und Tragweite der gesetzlichen Regelung im Hinblick auf das konkret zu lösende Sachproblem[58]. Sie bildet das wichtigste Kriterium unter den vier Elementen des “Auslegungskanons”. Große Bedeutung hat die teleologische Auslegung in Fällen, in denen die generelle Anwendbarkeit oder der Anwendungsbereich einer Norm fraglich geworden ist. Im Wege der teleologischen Auslegung kann es dann dazu kommen, daß die Unanwendbarkeit einer Norm festgestellt wird, wenn sich die “Normsituation” so verändert hat, daß der Gesetzeszweck generell nicht mehr erreicht werden kann[59]. Wird der Gesetzeszweck nur bei einigen Sachverhaltsgruppen nicht mehr erreicht, die an sich vom abstrakt-begrifflichen Gesetzestatbestand umfaßt sind, ist eine sog. teleologische Reduktion geboten, die nur den Anwendungsbereich der Norm reduziert[60].

2. Ziel der Auslegung: objektive oder subjektive Auslegung?

Wie oben bereits kurz angesprochen, ist weder die Anwendung noch die Gewichtung der vier Elemente des “Auslegungskanons” gesetzlich normiert. Damit bleibt bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen ein breiter Spielraum für den Rechtsanwender. Ein Vorteil dieses Spielraums ist die große Flexibilität bei der Auslegung von Gesetzen. Dem stehen allerdings als Nachteil die Mißbrauchsmöglichkeiten entgegen, die sich durch eine beliebige Wahl der Auslegungsmethoden eröffnen. Im Extremfall läßt sich durch eine selektive Anwendung bestimmter Methoden unter Ausblendung der anderen Elemente des “Auslegungskanons” das gewünschte Ergebnis als rein formale Ableitung aus dem Gesetz präsentieren, ohne die eigenen und die gesetzlichen Wertungsmaßstäbe hinreichend offenzulegen und zu berücksichtigen. Noch weitreichender als die selektive Anwendung bestimmter Auslegungselemente ist allerdings die grundsätzliche Entscheidung darüber, was das Ziel der Auslegung sein soll. Da auch hier keine gesetzlichen Bestimmungen bestehen, besteht darüber ein Streit mit weitreichenden Konsequenzen.

a) Die Vertreter der sogenannten “subjektiven” Auslegung sehen als Ziel der Auslegung die Feststellung des Willens und der Absichten des historischen Gesetzgebers[61]. Dadurch wird der Rechtsanwender an die Wertentscheidungen des historischen Gesetzgebers gebunden, sie begrenzen die Möglichkeiten der Auslegung[62].

b) Die Vertreter der sog. “objektiven” Auslegung sehen dagegen das Ziel der Auslegung darin, den im Gesetzeswortlaut niedergelegten objektivierten Willen des Gesetzes zu ermitteln[63]. Dabei unterstellen sie, daß das Gesetz eine vernünftige, gerechte und zweckmäßige Ordnung habe treffen wollen. Diese objektiv vernünftige Ordnung sucht sie aus dem Gesetz zu ermitteln[64]. Dadurch wird der Interpret von den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers befreit und es eröffnet sich für ihn die Möglichkeit, den objektiven Regelungsgehalt über die Schranken der Vorstellungen dieses historischen Gesetzgebers hinaus zu entfalten[65].

c) Die Konsequenzen einer Entscheidung für eine der beiden Ansichten sind groß: folgt man der subjektiven Auslegung, bindet man den Rechtsanwender (in erster Linie die Gerichte) an die Wertentscheidungen des Gesetzgebers. Entscheidet man sich für die objektive Auslegung, dann entledigt man sich dieses Rahmens und eigene Wertvorstellungen können letzlich zum Entscheidungsmaßstab werden. Ob die Wahl des Auslegungsziels beliebig vorgenommen werden kann, ist angesichts der Auswirkungen der Entscheidung für eine der beiden Standpunkte auf die Rechtsordnung, vor allem in Hinblick auf Gewaltenteilung und Demokratieprinzip, fraglich. Gegen die “objektive” Auslegung sprechen eine Reihe von Faktoren. Durch die Loslösung vom Willen des Gesetzgebers sucht die “objektive” Auslegung den Aussagegehalt des (Norm-)Textes zu erweitern. Denn eine wirkliche Auslegung eines Gesetzestextes ist nur soweit möglich, wie die Wertungen des Gesetzgebers in ihn eingeflossen sind. Alles was darüber hinaus geht ist die (versteckte) “Einlegung” von eigenen Wertungen in den Text. Eine Erweiterung des Aussagegehalts ist aber in einem objektiv kontrollierbaren Verfahren nicht möglich[66]. Die Entscheidungen des Rechtsanwenders sind damit praktisch objektiv nicht nachprüfbar. Dies ist nun besonders unter dem Aspekt der Gesetzesbindung der Rechtsanwender gem. Art. 20 III GG äußerst problematisch. Die Gewaltentrennung von Judikative und Legislative gerät durch eine Verwischung der Grenzen zwischen Auslegung und (Richter-)Rechtsetzung bei Gesetzeslücken in Gefahr[67].

Die Wahl der Methode ist auch unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips zu sehen. Im demokratischen Rechtsstaat liegt die vorrangige Zuständigkeit für die Setzung von Rechtsnormen bei der Gesetzgebung. Diese Zuständigkeit wird von den demokratisch legitimierten Gesetzgebungsorganen (Bundestag, Bundesrat) wahrgenommen. Vom Parlament verfassungsgemäß verabschiedete Gesetze sind der demokratisch gebildete Gemeinwille, die konkrete normativ verbindliche Entscheidung des Souveräns. Die Bindung der Gerichte an die Gesetze bedeutet ihre Bindung an demokratisch zustande gekommene Willensentscheidungen. Sie ist elementarer Bestandteil des Demokratieprinzips. Richter sind in der Demokratie unabhängig (Art. 97 I GG, § 1 GVG) und können es sein, weil und solange sie dem Gesetz unterworfen sind. Der Richter ist also der (denkend) gehorsame Diener des demokratisch erlassenen Gesetzes, nicht sein Herr. Jede Lockerung der Gesetzesbindung (etwa durch die “objektive” Auslegung) führt deswegen zu einem Abbau des Demokratieprinzips. Denn sie führt dazu, daß der im Gesetz verbindlich geäußerte Gemeinwille durch den Subjektivismus der jeweils entscheidenden Richter verdrängt wird[68]. Richterrechtsetzung bei Rechts- oder Gesetzeslücken muß deshalb die Ausnahme sein, zudem müssen die Entscheidungsmaßstäbe offengelegt werden, um dieses Verfahren objektiv überprüfbar zu machen.

Neben diesen juristischen Argumenten sprechen auch linguistische und sprachphilosophische Untersuchungen dafür, Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung nach Maßgabe der subjektiven Auslegungstheorie voneinander abzugrenzen[69].

Die Linguistik, die die Bedeutung eines Textes zu ermitteln versucht, hat gezeigt, daß Bedeutung (“meaning”) an ein Erklärungsverhalten bzw. einen Text gebunden ist, und diese Tatsache hebt den empfänger- bzw. zuhörerbezogenen Aspekt des Textes stärker hervor[70]. Wort- und Textbedeutungen unterliegen nicht dem Belieben des Textverwenders, sondern sind konventionsgebunden[71].

Die semantische Forschung hat gezeigt, daß es keine notwendige “natürliche” Korrelation zwischen Wortkörper und Wortbedeutung in dem Sinne gibt, daß mit ein und demselben Laut immer der selbe Begriff bezeichnet wird[72]. Die Verbindung von Wortkörper (Laut, sprachliches Zeichen) und Bedeutung (Sinn, Begriff) ist logisch willkürlich und lediglich traditionsgebunden, wie ein Blick auf historische oder gegenwärtige Bedeutungsveränderungen zeigt[73].

Zuletzt stützen Studien zur linguistischen Pragmatik, die das Funktionieren sprachlicher Kommunikation zwischen Sprecher und Hörer beschreibt, den Vorrang der “subjektiven” Auslegung vor der “objektiven”. Sie haben gezeigt, daß sich die Bedeutung eines Ausdrucks aus dem komplexen Zusammenspiel von Kontext, Redesituation, Kommunikationsgeschichte, antizipierter Sprecher- bzw. Hörererwartung und auch der Sprecherintention ergibt[74]. Zu den Sprachregeln gehört, daß der Hörer einer Äußerung aufgrund seines Wissens, z.B. über bekannte oder gewiß vermutete Absichten und Interessen des Sprechers interpretiert, ebenso wie auch der Sprecher seine Äußerung dem Wissen des Hörers anpaßt, indem er die Sprechsituation mitbenutzt, statt Überflüssiges in Worten auzudrücken[75]. Daraus folgt, daß der Boden der Gesetzesauslegung dort verlassen wird, wo der Wille und die Absichten des Gesetzgebers nicht berücksichtigt werden. An diesem Punkt beginnt die Rechtsfortbildung.

3. Grenzen der Auslegung

Ob es Grenzen der Auslegung gibt, an denen die Füllung von Lücken beginnt und wenn ja welche, ist seit langem umstritten. In Betracht kommen sprachliche und rechtliche Grenzen.

a) sprachliche Grenzen

Hierher gehören die sog. “sens-clair-doctrin” (s.o.) auf der einen Seite und die sog. “Wortlaut-” oder “Wortsinngrenze” auf der anderen Seite.
Als sprachliche Grenze der Auslegung wird immer wieder der “mögliche Wortsinn” genannt. Ausgangspunkt ist ein Zitat von Philipp Heck: “Die Grenze der Auslegungshypothesen ist der “mögliche Wortsinn”[76]. Eine große Rolle spielt die Wortlautgrenze im Strafrecht in Hinblick auf den in Art. 103 II GG, § 1 StGB normierten Grundsatz “nullum crimen sine lege”. Hier sollen unter Berufung auf die Wortlautgrenze Analogien vermieden werden. Auch in anderen Rechtsgebieten soll - mit unterschiedlichen Begründungen - der mögliche Wortsinn die Grenze der Auslegung sein. Die Vertreter der sog. “Andeutungstheorie” gehen von der These aus, daß bei mehrdeutigem Wortsinn nur solche Auslegungshypothesen erwogen werden dürfen, die im Wortlaut der Vorschrift einen wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck gefunden haben und damit “angedeutet” sind[77]. Andere führen verfassungsrechtliche Gesichtspunkte ins Feld, um die Auslegung unter Berufung auf den Wortsinn von der Rechtsfortbildung abzugrenzen[78].

Richtig daran ist zwar, daß der Wortlaut eines Rechtstextes immer der erste Anknüpfungspunkt für eine zutreffende Auslegung ist. Es sprechen aber eine Reihe Argumente gegen eine wirkliche “Grenze des möglichen Worstsinns”:
- Zum einen gibt es keinen für das Verständnis zweifelsfreien und eindeutigen Gesetzeswortsinn, an den eine Bindung möglich wäre[79].
- Zum anderen ist der Wortsinn für eine angemessene Auslegung oft nicht ausreichend. Das wird offensichtlich, wenn bei den sog. Redaktionsversehen über die Begrenzung durch den möglichen Wortsinn hinweggegangen werden muß[80].
- Ein letztes Argument gegen das Kriterium der möglichen Wortbedeutung als Grenze der Auslegung ist die Unschärfe dieses Begriffs: die Feststellung der möglichen Wortbedeutung ist an sich schon ein Akt der Interpretation; hinzu kommt, daß das Ergebnis verschieden ausfallen kann, abhängig davon ob man auf den Entstehungs- oder den Geltungszeitraum der Norm abstellt[81].
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Wortlaut und Wortsinn einer Vorschrift bei der Interpretation besonders sorgfältig beachtet werden müssen, da sie das wichtigste Mittel des Normerzeugers sind, seine Wertvorstellungen zu transportieren. Aufgrund der oben angeführten Argumente läßt sich aber sagen, daß die Wortsinngrenze wegen ihrer Unbestimmtheit und Wandelbarkeit in Ausnahmefällen nicht geeignet ist, die Auslegung zu begrenzen.

b) rechtliche Grenzen

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gibt es mehrere Vorschriften, die die Gewaltenteilung verwirklichen wollen und der Auslegung Grenzen ziehen. Hier ist in erster Linie Art. 20 III GG zu nennen, aber auch Art. 19 IV, 97 I, 103 I GG. Eine andere rechtliche Grenze für die Auslegung bildet das oben angesprochene Analogieverbot im Strafrecht, das in Art. 103 GG und § 1 StGB gesetzlich verankert ist. Hier stellt sich wieder das Problem, daß die Macht der Interpreten durch Vorschriften begrenzt werde soll, die ihrerseits wieder ausgelegt werden müssen.

4. Gebrauch der Interpretationsmacht: die “herrschende Meinung”

Ein Beispiel für die Macht, die durch Interpretation von Texten und dem Umgang mit den gewonnen Ergebnissen entsteht, bildet die häufig anzutreffende Argumentationsfigur der “herrschenden Meinung”. Im Folgenden sollen Verwendung und Entstehung dieser Argumentation sowie die Ziele dargestellt werden, die die Verwender damit anstreben und welche Folgen für den juristischen Diskurs sich daraus ergeben.

a) Verwendung

Das Argument der “herrschenden Meinung” taucht in Gerichtsentscheidungen und in der rechtswissenschaftlichen Literatur auf. Der Begriff “herrschende Meinung/Lehre” oder “h.M/h.L.” wird häufig durch verschiedene Synonyme ersetzt: so findet man auch die Bezeichnungen “herrschende Ansicht (Auffassung)”, “allgemeine Meinung (Auffassung)”, “ (ganz) überwiegende Meinung” oder Wendungen wie “es ist überwiegend anerkannt”, “es wird ganz überwiegend vertreten”[82]. Oft ist auch die Praxis anzutreffen, einzelne Auffassungen mit einer großen Anzahl von Zitaten oder Fußnoten zu belegen, ohne explizit von der “h.M.” zu sprechen. Eine Untersuchung zugänglicher Rechtsprechung hat ergeben, daß der h.M. dabei in Urteilen überwiegend normative Funktion zuerkannt wurde[83]. Dies zeigt, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Richter, die nach Art. 97 I GG ja nur dem Gesetz unterworfen sind, die Macht der Verwendung dieses Arguments. Neben der Funktion der h.M. als normative Begründung wurde in geringerem Maße auch affirmative, diskursive, informative und dissentierende Verwendung sowie eine Sondergruppe gefunden, die dadurch charakerisiert ist, daß Formulierungen angetroffen werden wie: “Der erkennende Senat schließt sich der h.M. an...”[84]. Zusammenfassend läßt sich sagen, die “herrschende Meinung” kann als Produkt einer dogmatischen Diskussion beschrieben werden und symbolisiert als Kürzel die Mehrzahl der Anhänger einer Auffassung[85]. Auffallend ist noch, daß die zu bestimmten Problemen existierenden “h.M.” vorgeblich interessenneutral und objektiv sind. Ob dies wirklich der Fall ist, muß untersucht werden.

b) Entstehung

Da das Argument der “herrschenden Meinung” oft gesetzesähnlichen Status hat, muß untersucht werden, welche Faktoren bei der Entstehung einer “herrschenden” Meinung eine Rolle spielen, um abschätzen zu können, wie tragfähig die “h.M.” als Argumentationsform ist oder ob sie gar als Rechtsquelle in Betracht kommt. Dabei ist zum einen darauf einzugehen, wo Meinungsäußerungen von Autoren erscheinen, auf die Bezug genommen wird und welches Gewicht die Publikationsform dem Beitrag verleiht. Zum anderen sind Faktoren wie die wissenschaftliche Reputation der Autoren zu berücksichtigen, die Einfluß auf das Gewicht der “Meinung” haben.

aa) Wenn eine Ansicht zu einer dogmatischen Frage oder einer Definition als “herrschend” dargestellt wird, geschieht das unter Bezugnahme auf unterschiedliche Beiträge verschiedener Autoren, meist in Fußnoten. Ansatzpunkt für die Form der Meinungsäußerung ist also die veröffentlichte juristische Literatur, die allgemein zugänglich ist[86]. In Betracht kommen hierbei Gerichtsurteile, Kommentare, Lehrbücher, Monographien und Aufsätze in juristischen Fachzeitschriften.

(1) Gerichtsurteile spielen in diesem Zusammenhang nur eine geringe Rolle. Relevant für die Bildung einer “h.M.” werden sie nur dann, wenn es nicht um Präjudizien geht, sondern um eine vom Gericht darüber hinaus geäußerte Auffassung zu einer Rechtsfrage[87]. Deshalb braucht hier nicht näher darauf eingegangen werden.

(2) Eine große Rolle spielt die Meinungsäußerung im Rahmen eines Kommentars. Eine knappe Kommentarbemerkung wird oft für wichtiger genommen als eine ausführliche monographische Argumentation[88]. Kommentare sind (im deutschsprachigen Rechtskreis) nicht so sehr wegen ihrer Geschlossenheit und angestrebten Vollständigkeit bedeutend, Grund ist eher, daß die Systematisierung als besondere fachliche Leistung gilt[89]. Auch wenn in einem Kommentar verschiedene Ansichten zu einer dogmatischen Frage dargestellt werden, ist er kein “Reservat absichtsloser Meinungsbildung”: gerade wegen der Wertschätzung der Kommentarbearbeitungen liegt es für organisierte Interessen wie z.B. Verbände mit großer Finanzkraft auf der Hand, geeignete Bearbeiter für einen Kommentar einzusetzen und die Meinungsbildung möglichst früh und nachhaltig in die gewünschte Richtung zu steuern[90].

(3) Beim Lehrbuch ist der Einfluß organisierter Interessen wohl nicht so stark wie bei Kommentarbearbeitungen, da sie von Rechtslehrern geschrieben werden. Lehrbücher genießen ähnlich hohes Ansehen wie Kommentare, allerdings geht ihr Einfluß zurück, da sich das Recht durch die zunehmende Kurzlebigkeit und Masse von Normen immer mehr der Systematisierung entzieht. Auch Monographien, die Einzelthemen eingehend behandeln, verlieren wegen der rasanten Rechtsentwicklung immer mehr Gewicht bei der Meinungsbildung.

(4) Den größten Einfluß auf die Meinungsbildung haben die Aufsätze in juristischen Fachzeitschriten. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen lassen sich Aufsätze schneller schreiben und veröffentlichen als ein Lehrbuch oder eine Monographie. Ein Aufsatz ermöglicht es, auch mit schnellen Änderungen eines Rechtsgebiets Schritt zu halten. Zum anderen bietet der Zwang, sich kurz fassen zu müssen eine größere Möglichkeit, Einfluß zu nehmen, wenn man auf umständliche Argumentationen verzichtet und nur “Leitsätze” aneinander reiht[91]. Der Einfluß dieser Publikationsform zeigt sich an der große Zahl der Aufsätze, die in den verschiedenen Fachzeitschriten abgedruckt werden, die monatlich, vierzehntäglich oder sogar wöchentlich erscheinen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Meinungsbildungsprozeß, die sich organisierten Interessen durch die Herausgabe und Leitung eigener Fachzeitschriften bieten. Diese Zeitschriften werden versuchen, das Interesse an bestimmten Meinungen nicht zu deutlich hervortreten zu lassen, um ihren Einfluß auf die Meinungsbildung nicht zu verlieren. Solche Blätter werden in der Regel, vor allem in bestimmten wichtigen Fragen, die ihnen genehmen Tendenzen bevorzugt vertreten lassen [92].
An dieser Stelle muß auch kurz auf den Einfluß der Redaktionen bzw. Herausgeber von Zeitschriften auf die Bildung einer “herrschenden Meinung” eingegangen werden. Man sollte davon ausgehen können, daß die Redaktion bei der Auswahl der Beiträge nur auf die Qualität und nicht auf die geäußerte Ansicht achtet. Trotzdem ist es leicht möglich, hier Einfluß zu nehmen, ohne daß dies offensichtlich wird. Zum ersten lassen sich genügend Gründe für die Ablehung eines Beitrags finden, ohne darauf eingehen zu müssen, daß der Redaktion die “Richtung” der Meinung nicht gefällt[93]. Zum zweiten ist als Beispiel eine vor allem in politisch unruhigen Zeiten praktizierte Redaktionspolitik zu nennen[94]: Die Redaktion kann unsachliche, diskriminierende Äußerungen über andere Ansichten oder Autoren zulassen und dadurch erreichen, daß ein solchermaßen angegriffener Autor das Interesse an Meinungsäußerungen verliert. Als dritte Möglichkeit der Einflußnahme kann man andere Zeitschriften als “nicht-ojektiv” diskriminieren, wodurch ihre Wertschätzung und die der dort geäußerten Meinungen im Meinungsbildungsprozeß sinken kann[95].

bb) Wie gerade dargestellt hat schon der Publikationsort einer schriftlich geäußerten Ansicht Auswirkungen auf ihren Einfluß auf die Meinungsbildung. Es kommen noch andere Faktoren hinzu, die eine Erfassung einer “h.M.” durch zahlenmäßige Bestimmung der geäußerten Ansichten zu einem bestimmten Problem unmöglich machen. Der wichtigste ist der Autoritätsaspekt. Es kommt nicht nur auf die Form der Meinungsäußerung an, sondern auch maßgeblich auf die Reputation der Person, von der sie stammt[96]. Die Entstehung der Reputation ist ein längerer Prozeß der von verschiedenen Faktoren abhängt: Jedes Zitat, Publikationen in auflagestarken Zeitschriften, die Aufnahme in Standardkommentare, Bezugnahmen im Urteil und die daran anknüpfende Generalisierung von Einzelleistungen, deren Qualität anerkannt wurde, schafft Prestige, das beispielsweise durch die Berufung an bestimmte Universitäten stabilisiert werden kann[97]. Bemerkenswert ist dabei die Irrationalität dieses Vorgangs, der auf das Ansehen gewisser “Meinungen” so großen Einfluß hat. Ausgangspunkt für das Einzelprestige der Wissenschaftler ist weniger die sachliche Qualität der Veröffentlichungen - obwohl auch diese sicher ein Kriterium für das Prestige darstellt - sondern eher die Anzahl der Nennungen in Fußnotenapparaten auflagenträchtiger Publikationen[98]. Der genaue Einfluß des Prestiges auf die Meinungsbildung kann aber nicht festgestellt werden, da diese Faktoren letztlich auf subjektiver Einschätzung beruhen und deshalb nicht nachprüfbar sind, und auch eine Prestigeordnung nicht auf Dauer stabil ist, da sie wandelnden Wertschätzungen unterworfen ist[99].

c) Funktionen, Ziele

Argumentation dient der Herstellung der Glaubwürdigkeit des vertretenen Parteienstandpunkts[100]. Die große Bedeutung der “h.M.” als Argument in der Rechtswissenschaft erklärt sich daraus, daß die Struktur unserer Sprache und der Rechtsnormen Auslegungsfragen entstehen lassen (siehe oben). Bei diesen Auslegungsfragen geht es nicht um “wahr” oder “falsch”, sondern um mehr oder weniger überzeugend. Die Berufung auf die “h.M.” dient der Absicherung des eigenen Standpunktes in der Argumentation durch die Berufung auf andere “Autoritäten”. Daneben soll eine Berufung auf die “h.M.” ähnlich wie Präjudizien oder die Dogmatik zur Gleichbehandlung gleichgelagerter Sachverhalte beitragen.

d) Folgen

Die unreflektierte Verwendung der “h.M.” als Argument hat weitreichende Folgen. Zum einen bekommt die “h.M.” dadurch einen rechtsquellenähnlichen Status. Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch, da der Richter laut Grundgesetz grundsätzlich frei und nur dem Gesetz unterworfen ist. Die Praxis sieht allerdings wegen der breiten Verwendung dieser Argumentation anders aus. Außerdem sprechen rechtstheoretische Argumente gegen die “h.M.” als Rechtsquelle, zumindest wenn man an eine Rechtsquelle die Anforderung stellt, rational nachprüfbar zu sein[101]. Denn wie oben gezeigt, spielen bei der Entstehung von “herrschenden Meinungen” viele Faktoren eine Rolle, die auf subjektiven Einschätzungen beruhen oder auch vom Zufall abhängen.

Zum anderen besteht die Gefahr einer Erstarrung des Rechts, wenn statt ausführlicher Argumentation zu umstrittenen Fragen nur pauschal auf andere Autoren Bezug genommen wird[102]. Problematisch ist auch der Einfluß auf abweichende Ansichten. Die oben angesprochenen Mechanismen bei der Entstehung von “herrschenden Meinungen” machen es schwierig für andere Ansichten zu Rechtsproblemen, sich im juristischen Diskurs durchzusetzen. Trotz dieser Argumente ist die Bindungswirkung einer Argumentation mit der “h.M.” enorm. Die Ausübung von Interpretationsmacht tritt an diesem Punkt deutlich zu Tage.

5. Mißbrauch der Interpretationsmacht: versteckte Normsetzung statt Auslegung

Die Macht der Interpreten von Gesetzestexten, besonders der Richter, ist wie oben gezeigt durch das System der Gewaltenteilung beschränkt. Gerade im Bereich der Judikative kann es aber zu einem Mißbrauch der Interpretationsmacht kommen. Das ist der Fall, wenn der Bereich der Rechtsanwendung verlassen wird und die versteckte Rechtsetzung beginnt. Die Schaffung von Richterrecht in Streitfällen auf Gebieten, die der Gesetzgeber nicht geregelt hat (Rechtslücken bzw. Gesetzeslücken), ist heute zwar anerkannt und wegen des Justizgewährungsgebotes legitim: wenn der Staat den Bürger für Streitigkeiten an die Gerichte verweist, muß der Bürger eine Entscheidung bekommen[103]. Problematisch sind die Fälle, in denen die Normsetzung versteckt stattfindet, als Auslegung getarnt, die vorgibt, nur eine wissenschaftlich besonders qualifizierte Form der Rechtsanwendung zu sein. Diese versteckte Rechtsetzung findet sich in vielen gängigen Argumentationsmustern. Ich möchte vier wichtige Bereiche herausgreifen, die anfällig für eine als Rechtsanwendung deklarierte (Richter)Rechtsetzung sind.

a) Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen

Eine Möglichkeit, neue Wertvorstellungen oder geänderte Lebensverhältnisse als Auslegung getarnt in vorhandene Gesetze einzubringen, bietet die Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen wie z.B. billiges Ermessen (§ 315 BGB), Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder die guten Sitten (§ 138, 826 BGB). Solche Vorschriften wurden schon von Philipp Heck als “Delegationsnormen” definiert: sie weisen dem Richter normsetzende Aufgaben zu[104]. Der Gesetzgeber will für bestimmte Fallgruppen eine elastische richterliche Normsetzung entsprechend der jeweiligen technisch-ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklung ermöglichen. Durch diese von der Gesetzgebung offengelassenen Stellen entstanden viele neue Rechtsfiguren wie z.B. Aufklärungs- und Auskunftspflichten, Rechtsmißbrauch, Verwirkung oder die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage im Rahmen von § 242 BGB[105].
Da der Interpretationsspielraum dieser Vorschriften sehr weit ist, lassen sich im Wege der “Auslegung” dieser Vorschriften rechtspolitisch gewünschte Ergebnisse leicht erzielen, ohne die eigenen Entscheidungskriterien offenzulegen und damit überprüfbar zu machen.

b) neue Begriffslehren: konkretes Ordnungsdenken, konkret-allgemeiner Begriff

Eine andere Möglichkeit der versteckten Normsetzung, sogar der versteckten Umwälzung einer Rechtsordnung, bietet die Einführung neuer Begriffslehren. Obwohl die Begriffsjurisprudenz durch die Vertreter der Interessenjurisprudenz widerlegt wurde, hat sie doch noch starke Nachwirkungen auf das deutsche Recht. Besonders deutlich wurde dies bei der sog. “völkischen Rechtserneuerung” durch den Nationalsozialismus. Um die nationalsozialistische Weltanschauung ohne umfangreiche Gesetzesänderungen in die bestehende Rechtsordnung einzubauen, wurden neue Begriffslehren geschaffen. Großen Einfluß hatte dabei das von Carl Schmitt geprägte “konkrete Ordnungsdenken” und der von Karl Larenz eingeführte “konkret-allgemeine Begriff”.

aa) Nach Carl Schmitt geht die Lebensordnung der Rechtsordnung vor: “Die Norm oder Regel schafft nicht die Ordnung; sie hat vielmehr nur auf dem Boden und im Rahmen einer gegebenen Ordnung eine gewisse regulierende Funktion mit einem relativ kleinen Maß in sich selbständigen, von der Lage der Sache unabhängigen Geltens”[106]. “Alle diese Ordnungen bringen ihr inneres Recht mit sich. ...Unser Streben aber hat die Richtung des lebendigen Wachstums auf seiner Seite und unsere neue Ordnung kommt aus uns selbst”[107].
Damit wurde ein Rechtsquellen-Dualismus zwischen der realen (“konkreten”) Lebensordnung und dem geltenden Gesetz verkündet. Bei Widersprüchen hatte die “konkrete Ordnung” den Vorrang[108]. Das “konkrete Ordnungsdenken” ermöglichte es, sich bei der Rechtsfindung auf das “Wesen” einer Sache oder eines Instituts zu berufen. Was das “Wesen” einer Sache ist, hängt aber vom jeweiligen Interpreten ab. Durch diese Scheinargumente[109] konnten außergesetzliche, ideologisch begründete Werturteile in die bestehende Rechtsordnung eingeschleust werden[110].

bb) Die selbe Funktion hatte der “konkret-allgemeine Begriff” von Karl Larenz. Er ging dabei von Hegels Vorstellung aus, daß Begriffe wie z.B. der Eigentumsbegriff rechtserzeugende Funktion hätten[111]. Nach Hegel ist der Begriff “...das wahrhaft Erste, die Dinge sind das, was sie sind, durch die Tätigkeit des ihnen innewohnenden Begriffes”[112]. Der Begriff wird als etwas selbständiges angesehen, das sich in der Wirklichkeit “offenbart”. Larenz übertrug diese Lehre auf die Rechtswissenschaft, und versuchte, die abstrakten Allgemeinbegriffe (etwa des Zivilrechts) durch “konkret-allgemeine Begriffe” zu ersetzen[113]. Das diente als Überleitung zur These von der rechtserzeugenden Kraft des “Typus” und der “Typenreihe”. Der jeweilige spezielle Typus einer rechtlichen Erscheinung, etwa des Eigentums (z.B. Geld, Ware, Wohnhaus usw.) erhalte seine Besonderheit durch die “konkrete Sonderordnung”, in die er einbezogen ist[114]. Hier wird die Verwandtschaft mit dem “konkreten Ordnungsdenken” offensichtlich. Was den jeweiligen “Typus” ausmacht, hängt wiederum ganz vom Interpreten ab, ihm bleibt ein breiter Spielraum. “Konkret-allgemeine” Begriffe sind fast unbegrenzt dynamisch, offen und elastisch, um neue Inhalte und Wertvorstellungen aufzunehmen. Die Rechtsänderung vollzieht sich hier durch Begriffsänderung, ein Wiederaufleben der durch die Interessenjurisprudenz widerlegten Begriffsjurisprudenz[115]. Da eine klare Begrifflichkeit vermieden wird, kann die Rechtsanwendung nicht objektiv überprüft werden.

c) “Natur des Sache”

Ein anderes oft benutztes Instrument der Rechtsfortbildung ist das Argument der “Natur der Sache”. Mit der “Natur der Sache” wird häufig argumentiert, wenn der Verwender eine juristische Problemlösung, etwa seine Vorschläge für die Ausfüllung einer Lücke für plausibel, für unbestritten, für nach Lage der Dinge “vernünftig”, also intersubjektiv zustimmungsfähig hält[116]. Solange der eingeforderte Konsens tatsächlich besteht, ist das Argument eigentlich überflüssig. Wird aber die Rechtsauffassung in Frage gestellt, muß offengelegt werden, um welche “Natur” es sich handelt, woher sie kommt und wer die Definitionskompetenz über die “Natur der Sache” besitzt[117]. Eine Diskussion über die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte ist sonst unmöglich.
Bei der Berufung auf die “Natur der Sache” wird häufig eine Formulierung von H. Dernburg zitiert: “Die Lebensverhältnisse tragen, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich. Diese den Dingen innewohnende Ordnung nennt man Natur der Sache. Auf sie muß der denkende Jurist zurückgehen, wenn es an einer positiven Norm fehlt oder wenn dieselbe unvollständig oder unklar ist”[118]. Die “Natur der Sache” wird also durch die Berufung auf die “innere Ordnung” bzw. die “sachlogischen Strukturen” des zu regelnden Lebenssachverhalts in den Rang einer (versteckten) Rechtsquelle erhoben. Es wird dabei aber verschwiegen, daß der Richter eine Entscheidung treffen muß, wo der Gesetzgeber schweigt, er also Richterrecht schafft. Es findet keine “Auslegung” statt, sondern Richterrechtsetzung. Bei Ableitungen von Rechtsgeboten aus der “Natur der Sache” entscheidet allein der Rechtsanwender, was die “Natur” und was die “Sache” ist und was sie gebieten[119]. Daß das weltanschauliche Vorverständnis des Rechtsanwenders und seine Sinndeutung des zu regelnden Lebensbereichs vor dem Hintergrund ihres Menschen- und Weltbildes das Ableitungsergebnis entscheidend mitbeeinflussen können, bleibt dabei verborgen[120].
Letztlich wird mit dem Argument der “Natur der Sache” der wissenschaftstheoretisch unhaltbare Versuch gemacht, ein konkretes Sollen aus dem Sein eines bestimmten Lebensbereichs abzuleiten; die dabei stattfindende reale Normsetzung wird als wissenschaftlich zwingende Normfindung ausgegeben[121].

d) “Erfinden” von Rechts- und Gesetzeslücken

Ein letztes Mittel, rechtspolitisch erwünschte Ergebnisse ohne gesetzliche Grundlage zu erzielen, ist das gezielte Suchen oder gar “Erfinden” von Lücken, da dadurch der Weg für richterliche Normsetzung in der Lücke freigemacht wird. Der Akt der Feststellung teleologischer Lücken ist für die Justiz der Eingang, der aus der Enge der Gesetzesbindung in das Reich der Freiheit richterlicher Normsetzungskompetenz führt. Dieser Freiheitsrahmen ist umso größer, je mehr die Gerichte die Chance sehen, den Normzweck losgelöst vom Wortlaut und von der Entstehungsgeschichte der anzuwendenden Vorschriften selbst zu bestimmen[122]. Die Feststellung einer Lücke kommt dabei keineswegs durch formal-rationale Schlüsse zustande, es handelt sich immer auch um eine wertende Tätigkeit[123]: die anzuwendende Norm bzw. das anzuwendende Gesetz muß ja erst ausgelegt werden, bevor ein Regelungsdefizit für die konkrete Situation festgestellt werden kann.

Der Richter kann sich durch die bewußte Suche nach Lücken unter Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips zum “Ersatzgesetzgeber” aufschwingen. Diese verfassungsrechtliche Problematik wird auch nicht vom Bundesverfassungsgericht gesehen. Es führt in einer Entscheidung[124] aus: “Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und –schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind”.
Es besteht hier die Gefahr, daß regelungsfreudige Gerichte bei rechtspolitisch motivierter Unzufriedenheit mit gesetzlichen Regelungen auf die Suche nach Lücken gehen, um ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen[125].

Fazit

Recht und die Kommunikation über Recht sind nur durch Sprache möglich. Da Rechtssätze zum Großteil aus Umgangssprache bestehen, die oft unbestimmte Begriffe enthält und mehrere Deutungen zuläßt, müssen Rechtssätze ausgelegt werden. Die Macht, die durch die Auslegung von Rechtsnormen entsteht, wird durch das Grundgesetz auf die Bereiche Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. Der Judikative kommt dabei die Funktion zu, verbindliche Entscheidungen zu treffen, was geltendes Recht ist und wie die Normen im Einzelfall auszulegen sind. Wo ein Gesetz Lücken aufweist, sind die Richter wegen des Justizgewährungsgebots dazu verpflichtet, eine eigene Entscheidung innerhalb der Wertmaßstäbe der Rechtsordnung zu treffen. Diese richterliche Freiheit eröffnet aber auch verschiedene Mißbrauchsmöglichkeiten. Ein Mißbrauch der Macht der Richter bei der Lückenschließung findet immer dann statt, wenn die Wertmaßstäbe, die zur Entscheidungsfindung herangezogen wurden nicht offengelegt werden, sondern als Ergebnis einer “Auslegung” präsentiert wird. Neben dieser Problematik im Lückenbereich wird auch durch die Argumentationsfigur der “herrschenden Meinung” Macht durch Interpretation ausgeübt. Es ist wichtig, die Verwendung dieser Argumentationsfigur kritisch zu betrachten, um auch abweichende Auffassungen zur Lösung bestimmter Rechtsprobleme nicht von vornherein als abwegig zu klassifizieren und ihnen eine Chance im Meinungskampf offenzuhalten.


[1] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 72
[2] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 74
[3] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 75
[4] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 79
[5] vgl. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rn. 38
[6] vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn.87
[7] z.B. BverfGE 7, 198
[8] Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, Rn. 33
[9] Rüthers, Rechtstheorie, Rn.83
[10] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 84
[11] aaO
[12] MüKo
[13] Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 28, Rn.20ff
[14] vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 233
[15] vgl. zur Normsetzung in der BRD Art. 70ff GG
[16] Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, S. 399
[17] vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 459 f
[18] vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 471
[19] Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 260
[20] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 109
[21] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 121
[22] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 123
[23] aaO
[24] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 165
[25] aaO
[26] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 166
[27] Rüthers, Rechtstheorie, Rn.172
[28] RGZ 150, 1 (4)
[29] Rüthers, Rechtstheorie, Rn.177
[30] Hart, The Concept of Law, S.130 ff
[31] Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 218
[32] Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 221
[33] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 84
[34] Maunz-Dürig/Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn.16
[35] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 235
[36] Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 356, 429ff, 477ff
[37] vgl. aaO
[38] F.C.v.Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd I, S. 213 ff
[39] F.C.v.Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.I, S.213; Bd.III, S.244
[40] Bydlinski, Juristische Medthodenlehre und Rechtsbegriff, S. 428ff; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 141ff; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39ff
[41] Kramer, Juristische Methodenlehre, S. 42
[42] F.C.v.Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.I, S.215
[43] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn.119
[44] Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.208
[45] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn.140
[46] RGZ 149, 235 (238)
[47] Rüthers, Rechtstheorie, Rn.732
[48] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn. 143
[49] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 780
[50] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn. 160
[51] Kramer, Juristische Methodenlehre, S.88
[52] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 795
[53] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn.143
[54] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 125
[55] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 744; MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 126
[56] BVerfGE 2, 266, 282; MüKo/Säcker, Einleitung, Fn.307 m.w.N.
[57] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn. 147
[58] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 128
[59] aaO
[60] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 129
[61] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn. 132
[62] vgl. dazu Forsthoff, Recht und Sprache, S. 46f.
[63] Staudinger/Coing, Einleitung, Rn. 133
[64] aaO
[65] aaO
[66] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 106
[67] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 706
[68] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 708
[69] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 110
[70] aaO
[71] aaO
[72] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 111
[73] aaO
[74] Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, S.113
[75] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 112 m.w.N.
[76] Heck, AcP 112, S.33
[77] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 98; vgl. RGZ 52, 334, 342; 169, 122, 124; BGHZ 4, 369, 375
[78] siehe Müller, Juristische Methodik, S.183
[79] vgl. Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S.14; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.241ff.
[80] Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, S.15
[81] MüKo/Säcker, Einleitung, Rn. 100
[82] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.20
[83] vgl. die Tabelle bei Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.25!
[84] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.21
[85] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.99
[86] Schnur, Forsthoff-FS, S.56
[87] aaO
[88] Schnur, Forsthoff-FS, S.57
[89] aaO
[90] Schnur, Forsthoff-FS, S.57 f.
[91] Schnur, Forsthoff-FS, S.60
[92] vgl. Schnur, Forsthoff-FS, S.61f.
[93] aaO
[94] vgl. Schnur, Forsthoff-FS, S.62
[95] aaO
[96] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S. 108
[97] aaO; Klausa, Deutsche und amerikanische Rechtslehrer, S. 241ff
[98] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.109
[99] aaO
[100] Schnur, Forsthoff-FS, S.45
[101] Drosdeck, Die herrschende Meinung, S.120
[102] vgl. Schnur, Der Begriff der “herrschenden Meinung”, S.46
[103] siehe 1.Teil!
[104] Heck, Grundriß des Schuldrechts, § 4, 1
[105] vgl. MüKo/Roth, § 242, Rn. 183 ff
[106] Schmitt, Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S.13
[107] Schmitt, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, DR 1934, 225 (228)
[108] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 561
[109] Scheuerle, AcP 163, S. 429 ff.
[110] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 561
[111] Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Erster Teil: Die Wissenschaft der Logik, Zusatz zu § 160
[112] Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Erster Teil: Die Wissenschaft der Logik, Zusatz 2 zu § 163
[113] vgl. Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 564
[114] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 565
[115] aaO
[116] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 921
[117] aaO
[118] Dernburg, Pandekten Bd.I, S.84
[119] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 923
[120] aaO
[121] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 924
[122] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 873
[123] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 865
[124] BverfGE 82, 6
[125] Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 875

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