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Artikel 517
Giorgio Decker

Das Leitbild des Richters im Nationalsozialismus

I. Einleitung

Vorgeschaltet bedarf es einer näheren Erklärung des Begriffs "Leitbild". Gemeint ist damit das Vorhandensein einer oder mehrerer Institutionen, "Autoritäten" (N. Hempel, Richterleitbilder, S. 11), nach denen sich der Richter bei seiner Arbeit, insbesondere bei der Urteilsfindung richten kann und sich zu richten hat. Das Richterleitbild stellt also eine Verbindlichkeit und Abhängigkeit dar, die der Arbeit des Richters innerhalb der gesetzlich festgelegten Unabhängigkeit von Politik, Partei und anderen Einflußfaktoren doch Grenzen zieht (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 9).
Um nun das Leitbild des Richters im Nationalsozialismus näher zu betrachten, ist es davor erforderlich, als mögliche Grundlagen dafür den Berufsstand des Richters, gesetzliche Regelungen in bezug auf ihn, sowie sein Leitbild in der Weimarer Republik zu berücksichtigen. Anschließend wird als Schwerpunkt dieser Arbeit die Wandlung des Richterleitbildes im totalitären Staat des Nationalsozialismus sowie seine Fundierung in der Wissenschaft untersucht. Wie dieses theoretische nationalsozialistische Richterleitbild in der Praxis durchgesetzt, kontrolliert und wie die Gerichtsverfassung umgestaltet wurde, wird danach überblicksweise dargestellt.


II. Der Richter in der Weimarer Republik

Für eine umfassende Betrachtung der Thematik ist es notwendig, die politischen und gesellschaftlichen Umstände der Weimarer Republik, in der ein Großteil der Richter der Nazi-Zeit seine Ausbildung erhalten hatte, zu untersuchen. Aus diesem Grund wird zunächst das Berufsbild des Richters kurz beleuchtet, um danach gesetzliche Regelungen, mit denen die Position des Richters festgelegt ist, darzustellen. Abschließend soll auf den damals vorherrschenden Gesetzespositivismus als Leitbild eingegangen werden.

1. Das Berufsbild des Richters

Innerhalb des Berufsbilds des Richters in der Weimarer Republik soll das Augenmerk auf Herkunft, Stellung und Gesinnung des Richters, die politische Rechtsprechung sowie die Berufsorganisationen gerichtet sein.

a. Herkunft, Stellung und Gesinnung

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden, entgegen mancher Forderung, die meisten Juristen der Gerichte und Justizverwaltung aus dem Kaiserreich übernommen und stellten somit zu Anfang der neugegründeten Republik einen Großteil der im Justizdienst tätigen Bürger (BJM, Justiz und NS, S. 9). Des weiteren zeigen Statistiken über die soziale Herkunft der Jura-Studenten Anfang des 20. Jahrhunderts (BJM, Justiz und NS, S.10), daß zwar alle Bevölkerungsschichten vorhanden waren, allerdings ca. 50 % aus Beamtenhause stammten, weitere 25 % aus gutsituiertem Bürgertum. Der Hauptgrund hierfür lag sicherlich in den damals enorm hohen Ausbildungskosten, die zwischen 30 000 Mark und 50 000 Mark lagen (BJM, Justiz und NS, S. 11). Trotzdem war die Besoldung z. B. für das Richteramt eher mäßig, und eine relativ geringe Zahl an Beförderungsstellen versprach wenig Karrierechancen. Es war also nicht verwunderlich, daß der Berufsstand des Richters in der Gesellschaft keine besonders hervorgehobene Stellung innehatte (Müller-Meiningen, DJZ 1925, Sp. 1532), der Richter erschien in erster Linie als Beamter in ziemlich gedrückten Verhältnissen (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 26).
Die Schuld an der sozial und wirtschaftlich schlechten Lage wurde oft, wie auch allgemein in der Bevölkerung, der Republik zugeschoben, unterstützt durch Schlagworte wie "Novemberverbrecher" oder die sog. Dolchstoßlegende. Dies und die Tatsache, daß ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Richer seine Wurzeln in der Monarchie hatte, begründete den heutigen Vorwurf der Republikfeindlichkeit der Richterschaft. Der damalige Strafverteidiger Dr. Max Hirschberg meinte z.B., daß mit Sicherheit festgestellt werden könne, "daß die Mehrzahl der Strafrichter in der Weimarer Republik ihrem Staate, der sie besoldete, feindlich gegenüberstand" (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 13). So kam auch am Ende der 20er Jahre aus dem linken Lager das Schlagwort der "Vertrauenskrise der Justiz" von Seiten der Republik auf. Allerdings muß auch die Gegenmeinung in der Literatur berücksichtigt werden, die das Bild vom Richter als "haßerfüllter Feind" der Republik unter Verweis auf eine Auswertung von rund 4500 Selbstzeugnissen deutscher Richter und Beamter aus der Zeit der Weimarer Republik, die nur ganz wenige antirepublikanische Äußerungen hervorbrachten, zurückweisen (H. Hattenhauer, Richter und Gesetz, S. 51). Vielmehr sei das Verhältnis der Richter zur neuen Staatsform ebenso hilflos-zurückhaltend wie das der anderen Bürger des Staates gewesen; man war zwar nicht "Herzensrepublikaner", aber doch "Vernunftrepublikaner" (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 16). Jedoch lassen zahlreiche Urteile in Prozessen um den Schutz der Weimarer Republik diesen Schluß kaum zu.

b. politische Rechtsprechung

Bezüglich der Hochverratsverfahren kommt man nicht umhin, deutschen Gerichten der Weimarer Republik Urteilssprüche mit zweierlei Maß vorzuwerfen. Während der Umsturzversuch der Münchner Räterepublik im Frühjahr 1919 durch Kommunisten und dem linken Flügel der USPD zu Verurteilungen von mehr als 600 Jahren Freiheitsentzug führte, wurden die Beteiligten des Kapp-Putsches im März 1920, hauptsächlich Mitglieder rechtsgerichterer Korps', bis auf eine einzige Verurteilung freigesprochen(BJM, Justiz und NS, S. 37).
Auch in Prozessen, in denen Anklage gemäß § 8 des Republikschutzgesetzes, der die Bestrafung von antirepublikanischen Beleidigungen vorsah, erhoben worden war, wird eine republikfeindliche Haltung mancher Gerichte, v.a. des Reichsgerichts, deutlich: mehrfach wurden Angeklagte, die der Aussprüche wie "wir brauchen keine Judenrepublik" sowie der Beleidigung von Repräsentanten der Republik beschuldigt wurden, freigesprochen oder zu äußerst geringen Haftstrafen verurteilt (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 14 ff.).
Statistiken über politische Morde, wie z.B. an Republikanern wie Erzberger oder Rathenau, sprechen ebenfalls Bände. So wurden von 354 von Rechtsstehenden begangenen Morde lediglich 28 teilweise oder ganz gesühnt, die höchste Freiheitsstrafe betrug vier Monate (BJM, Justiz und NS, S. 35). Der Grund, daß solch milde Urteile gefällt wurden, wird hauptsächlich darin gesehen, daß diese Angriffe von rechts in Richtung Beseitigung der Republik bzw. Wiederherstellung von Monarchie und autoritärer Staatsordnung gingen.
Daß Teile der deutschen Justiz auch der NSDAP gegenüber wohlgesonnen waren, zeigt besonders deutlich der Prozeß 1924 gegen Hitler vor dem Münchner Volksgericht. Hitler und neun weitere Angeklagte, die wegen ihres mißglückten Putsches am 8./9. November 1923 des Hochverrats angeklagt wurden, konnten nicht nur ungerügt die Reichsregierung und Reichs-präsident Ebert beleidigen; trotz der Versicherung, ihre hochverräterische Tätigkeit auch in Zukunft fortzusetzen, wurde Hitler lediglich zur Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft verurteilt und nach sechs Monaten auf Bewährung entlassen. In der Urteilsbegründung wurde den Verurteilten zudem "vaterländischer Geist" und "edelster selbstloser Willen" bescheinigt; haarsträubend auch die Tatsache, daß Hitler als österreichischer Staatsbürger nicht, wie es das Gesetz vorsah, ausgewiesen wurde, da eine solche Vorschrift "auf einen Mann, der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler" keine Anwendung finden könne (I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 25).

c. Berufsorganisationen

Die deutsche Richterschaft besaß in der Weimarer Republik zwei Berufsorganisationen: zum einen der Deutsche Richterbund (DRB), der aus dem Zusammenschluß der seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bestehenden Richtervereinen in den Ländern entstand, und zum anderen der Republikanische Richterbund, 1922 gegründet. Es bestand keine Verpflichtung, einer Organisation beizutreten, so daß sich von den ca. 10 000 Richtern rund 8000 im Deutschen Richterbund sowie lediglich 300 im republikanischen Richterbund organisierten (BJM, Justiz und NS, S. 25). Dieser entstand in der Absicht, zusammen mit seinem Organ "Die Justiz" ein Gegengewicht zur traditionellen Standesorganisation des DRB zu bilden, bewußt auf dem Boden der Weimarer Republik zu stehen und das Bild des "unpolitischen Richters" zu bekämpfen. Der Deutsche Richterbund hingegen trat vehement für Unabhängigkeit und Entpolitisierung ein, Begriffe, "hinter denen sich die Abneigung der im DRB organisierten Richterschaft gegen die Republik und die sie tragenden Kräfte verbarg" (H. Wrobel, DRiZ 1983, S. 157). Beide Organisationen kritisierten sich gegenseitig heftig, von Zusammenarbeit konnte keine Rede sein. Dies mag auch ein Grund dafür gewesen sein, daß es den Nationalsozialisten ohne nennenswerten Widerstand gelang, 1933 die berufsständischen Vereinigungen der Richter zu zerstören und in eine große nationalsozialistische Organisation zu zwingen (H. Weinkauff, Justiz und NS, S.26).

2. Der Richter im Gesetz

Die Position des Richters in der Weimarer Republik war sowohl in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) als auch im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) festgelegt. Den wohl wichtigsten Grundsatz beinhaltete Art. 102 WRV und § 1 GVG, die identisch waren: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen". Dieser seit 1877 bestehende Leitsatz der richterlichen sachlichen Unabhängigkeit garantierte also die Weisungsfreiheit des Richters und verankerte seine Verpflichtung auf das Gesetz, die Gerhard Anschütz in seinem Verfassungskommentar noch 1933 in der 14. und letzten Auflage folgendermaßen umschrieb: "Das Gesetz ist für ihn (= den Richter) bindend. Er hat es hinzunehmen, gleichviel, ob es ihm gefällt oder nicht" (H. Hattenhauer, Richter und Gesetz, S. 48.
Des weiteren besaß er über Art. 104 WRV bzw. § 8 GVG auch persönliche Unabhängigkeit. Ein auf Lebenszeit ernannter Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit konnte also gegen seinen Willen nur durch gerichtliches Urteil versetzt, entlassen oder pensioniert werden, was einer starken Sicherung einer unabhängigen Rechtspflege gegenüber der Exekutive gleichkam (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 216).
Außerdem wurde im GVG auch die richterliche Selbstverwaltung zugesichert. Richterliche Organe, in der Regel aus Richtern bestehende Präsidien der jeweiligen Gerichte, besaßen die Befugnis, jährlich im voraus die Geschäftsverteilung auf die einzelnen Rechtsprechungskörper des Gerichts und die Zuteilung der Richter zu diesen Rechtsprechungskörpern zu regeln (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 22).

3. Rechts- bzw. Gesetzespositivismus

Bereits seit dem 19. Jahrhundert, und auch in der Weimarer Republik, herrschte der Grundsatz des Rechtspositivismus vor. Rechtspositivismus bedeutet, daß Recht nur das ist, was der Staat bzw. der Inhaber der Staatsmacht, mithin der Gesetzgeber kraft seines Willensbeschlusses als Recht setzt; er selbst ist dabei an kein ihm vorgegebenes übergeordnetes, ihn selber bindendes Recht gebunden (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 28). Davon abgeleitet ist dann auch der Gesetzespositivismus, also die Bindung des Richters an das Gesetz, und nur an das Gesetz. Dieser Gesetzespositivismus war, wie oben geschildert, in Art. 102 WRV festgesetzt, und er stellte somit das zu befolgende Leitbild für die Richter in dieser Zeit dar.
Aus dem Gesetzespositivismus folgte logischerweise, daß den Richtern kein materielles Prüfungsrecht zustand, sie auch bei verfassungswidrigen Gesetzen diese strikt zu befolgen hatten. In der 12. Auflage seines Kommentars meinte Anschütz 1930 dazu:

"Kann schon nicht zugegeben werden, daß der Richter befugt sei, das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, so noch weniger, daß er dem verfassungsgemäß zustandegekommenen Gesetz den Gehorsam verweigern dürfe, weil es nach seiner Meinung gewissen Normen, die - wiederum nach seiner Meinung - über dem Gesetzgeber stehen (etwa Sitte, Sittlichkeit, Treu und Glauben, "Naturrecht"), widerspricht oder gewissen Werturteilen (Gerechtigkeit, Billigkeit, Vernunft) nicht standhält." (H. Hattenhauer, Richter und Gesetz, S. 48).

Der Jurist und Politiker Gustav Radbruch (SPD) schrieb 1932 über die Stellung des Richters zum Gesetz: "...wir verehren den Richter, der sich durch sein widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Gesetzestreue nicht beirren läßt" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 31).
Entscheidend war somit, daß dem Gesetzgeber eine überaus große Verantwortung und Macht zufiel, die solange nicht zu schwer wog, solange "der Gesetzgeber das äußerste im Bemühen um die Gerechtigkeit leistete und in den gesetzlichen Bestimmungen Urteilsmaßstäbe zur Verfügung stellte, deren nach wissenschaftlichen Grundsätzen richtig und methodisch einwandfrei erfolgende Anwendung auf den konkreten Fall ein gerechtes Urteil gewährleistete." (H. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. 27).
Unter einigen Juristen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik war jedoch der Gesetzespositivismus als Leitbild nicht unumstritten. So mancher entdeckte die Problematik der absoluten Bindung des Richters an das Gesetz, da ja die Unvolkommenheit und Lückenhaftigkeit eines jeden Gesetzes berücksichtigt werden muß. Bereits die sog. "Freirechtsschule" Anfang des 20. Jahrhunderts erkannte dies und forderte eine Relativierung und Moralisierung des Gesetzes durch Begriffe wie "Recht, Sittlichkeit oder Treu und Glauben" (H. Hattenhauer, Richter und Gesetz, S. 52).
Der Vorsitzende des DRB, Johannes Leeb, machte im Jahre 1921 auf die Problematik der Instrumentalisierung und Politisierung des Gesetzes aufmerksam. Er wies darauf hin, daß die von den Richtern zu befolgenden Gesetze in einem Reichstag entstanden, in dem ständig wechselnde Zufallsmehrheiten über die Entstehung von Gesetzen entschieden, fragwürdige Kompromisse Grundlage der Rechtserzeugung waren und die Mehrheit von heute nichts mehr zu tun haben wollte mit dem gestern beschlossenen Gesetzesrecht (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 14). Weiterhin problematisch schien einigen damaligen Juristen die Handhabung der Ermächtigungsgesetze, die die Verlagerung der Gesetzgebung vom eigentlichen Legislativorgan Reichstag hin zur Exekutive legitimierte. So kann es auch nicht verwundern, daß entgegen der Forderung Anschützs bald eine Diskussion um die Einführung eines richterlichen Prüfungsrechts hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen einsetzte (W. Kohl, Besprechung Hempel, S. 500). Der Münchner Richter Müller-Meiningen forderte z.B. 1925 in einem Artikel der Deutschen Juristen-Zeitung für den Richter: "Das Minimum seiner Rechte würde es [...] bedeuten, daß das Gericht die Verfassungsmäßigkeit der gesetzgeberischen Tätigkeit prüft und einen Gesetzgeber, der die Verfassung verletzt, rücksichtslos in seine Schranken zurückweist." (Müller-Meiningen, DJZ 1925, Sp. 1533).
Daß sogar das damalig höchste deutsche Gericht, das Reichsgericht in Leipzig, in einem Falle vom Grundsatz des Gesetzespositivismus abwich, zeigt seine Entscheidung in der Frage der Aufwertung während der großen Inflation 1923. Durch ein Gesetz vom 4. August 1914 galt im Rechtsverkehr die Gleichheit von Banknoten und Goldmark. Für die Anfang der 20er Jahre zunehmend galoppierende Inflation bedeutete dies, daß Gläubiger von Krediten, v.a. aus dem Bürgertum, von ihren Schuldnern, hauptsächlich Reich, Länder und Kommunen, zur Tilgung der Goldmarkschulden die durch die Inflation wertlos gewordenen Banknoten annehmen mußten. Nachdem Reichstag und Regierung nichts dagegen unternahmen, z.B. keinen Lastenausgleich einführten, entschloß sich das Reichsgericht mit dem Urteil vom 28. November 1923, den Gläubigern unter Berufung auf § 242 BGB einen Anspruch auf Aufwertung ihrer in Inflationsmark getilgten Forderungen gegen die Schuldner zuzuerkennen (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 18). Somit wendeten sich erstmals Richter gegen das Leitbild des Gesetzespositivismus, indem sie ihrem verletzten Rechtsgefühl nachgaben, so etwas wie "Moral" berücksichtigten und ein offensichtlich sittenwidriges Gesetz nicht anwandten. Zwar blieb dies in der Weimarer Republik eine Ausnahme, man kann aber doch behaupten, daß die alte Formel von der strengen Bindung des Richters an das Gesetz nunmehr bestritten werden durfte, die Justiz der Weimarer Republik kein geschlossenes Leitbild mehr besaß (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 20. Gegen Ende der Republik war man also auf der Suche nach einer neuen Autorität für den Richter, die anstelle des Gesetzes treten sollte, aber noch nicht gefunden wurde. Eine Situation, die es den Nationalsozialisten leichter machte, in der Justiz Fuß zu fassen und ihre Ideologie durchzusetzen.


III. Die Wandlung des Richterleitbildes im Nationalsozialismus

Im folgenden Abschnitt soll dargestellt werden, wie ab 1933 der Nationalsozialismus Justiz und Richterschaft vereinnahmte und das Regime die nationalsozialistische Ideologie als alleinige Grundlage für das Richterleitbild durchsetzte. Neben der richterlichen Bindung an die nationalsozialistische Weltanschauung werden als weitere Gesichtspunkte der Bereich "Adolf Hitler und die Justiz" sowie die von den Nazis geplante Justizreform in bezug auf das Richterbild behandelt.

1. Die Bindung an die nationalsozialistische Weltanschauung

Nach der sogenannten "Machtergreifung" Hitlers im Januar 1933 wurden sehr bald alle Hebel in Besetzung gesetzt, um den bis dato bestehenden demokratischen Rechtsstaat nach und nach zu beseitigen. Nachdem zahlreiche Grundrechte der WRV durch die Verordnung des Reichspräsidenten "zum Schutze von Volk und Staat" vom 28.2.1933 außer Kraft gesetzt worden waren, wurde auch der tragende Gedanke des Rechtsstaates, die Gewaltenteilung, von den Machtinhabern beseitigt: durch das immer wieder verlängerte Gesetz zur "Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24.3.1933 (sog. "Ermächtigungsgesetz"), welches nun die Reichsregierung befugte, selbst Gesetze zu beschließen, auch mit von der Verfassung abweichendem Inhalt. Als Staatsräson wurde nunmehr die nationalsozialistische Ideologie mit ihrem Haß auf den freiheitlich-personalen Rechtsbegriff des liberalen Rechtsstaates verordnet (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 24). Sie gründete auf absurde Ansichten über Menschenrassen und ihre Wertigkeit, die Unausweichlichkeit ihres beständigen Kampfes gegeneinander, sowie Vorstellungen vom Führertum und Gefolgschaftstreue, von "Blut und Boden" sowie "Lebensraum" (R. Heinrich, DRiZ 1977, S. 3).
Selbstverständlich fand die nationalsozialistische Ideologie auch in der Justiz Anwendung, sowohl bei der Gesetzgebung als auch der Gesetzesauslegung.

a. Inhaltswandel des § 1 GVG

Der "Kardinalgrundsatz jeder rechtsstaatlichen Rechtsprechung" (D. Simon, Waren die NS-Richter "unabhängige Richter"?, S. 104), der in § 1 GVG die Unabhängigkeit des Richters sowie seine Bindung an das Gesetz festlegt, ist im Nationalsozialismus nie geändert worden. Nichtsdestoweniger ist seine Interpretation in dieser Zeit nicht dieselbe geblieben.
Während in der Weimarer Republik von diesem Grundsatz der Gesetzespositivismus abgeleitet wurde, der Richter also nicht an Befehle der Exekutive gebunden war, mußte man ab 1933 diese Regelung in einem neuen Licht sehen: Staat und Recht waren nicht mehr getrennt, vielmehr "ist im Führerstaat infolge der Identität der Regierung mit dem Gesetzgeber zugleich die Bindung an die leitenden Grundsätze der Staatsführung ausgesprochen" (H. Henkel, Die Unabhängigkeit des Richters, S. 29). Der Richter war also nicht nur an das Gesetz gebunden, sondern auch an den Willen der politischen Führung, an deren Spitze der Führer, die den Gesetzesinhalt bestimmte. Somit wurde der Richter zum "Vollstrecker des Führerwillens" (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 692), ohne daß der Wortlaut geändert werden mußte. Der Strafrechtsprofessor Heinrich Henkel meinte 1934 dazu: "die richterliche Unabhängigkeit bleibt als Einrichtung bestehen, aber sie bildet als solche lediglich das Gefäß für einen neuen Inhalt, nämlich die nationalsozialistische Rechts- und Staatsauffassung." (H. Henkel, Die Unabhängigkeit des Richters, S. 8).
Der vorherige Sinn des § 1 GVG hatte sich also nahezu in sein Gegenteil verkehrt. Trotzdem gehörten nach damaligen Vorstellungen die Richter im Nationalsozialismus unabhängigen Gerichten an, was jedoch nach unserer heutigen Auslegung zweifellos nicht der Fall wäre (D. Simon, Waren die NS-Richter "unabhängige Richter"?, S. 110).

b. Richterliche Rechtsanwendung und Gesetzesauslegung

Wie oben beschrieben, war der Gesetzespositivismus der Weimarer Republik für die deutsche Richterschaft nicht mehr unumstrittenes Leitbild. Ein großer Teil der Justiz hoffte damals auf einen Wandel zu einer neuen Ordnung und begrüßte das Ende einer "abgewirtschafteten Parlamentsherrschaft" (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 24). Als neues Leitbild wurde nun die nationalsozialistische Ideologie verordnet, und im Vertrauen darauf, unter der Freiheit der richterlichen Unabhängigkeit arbeiten zu können, glaubte die Mehrzahl der Richter an einen neuen, willkommenen Machtzuwachs. Statt der absoluten Bindung an das Gesetz sahen sie nun die Möglichkeit, mehr "Flexibilität" in ihrer Amtsführung einzuführen (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 24). Diese Flexibilität beruhte auf der nationalsozialistischen Forderung, neben dem Gesetz nun v.a. andere Werte wie "Recht" im allgemeinen zu beachten. "Recht" war natürlich im Sinne des Nationalsozialismus zu verstehen, also die herrschende politische Moral. In allererster Linie wurde als Rechtsquelle das "gesunde Volksempfinden" gebraucht, ein Terminus, der allen möglichen Interpretationen Raum gab. Dieser unbestimmte Begriff und andere Generalklauseln wie Treu und Glauben wurden als Mittel verwendet, trotz und innerhalb der aus der alten Zeit stammenden Gesetze nun dem neuen Rechtsdenken Geltung zu verschaffen. Die Generalklauseln, die von H. Lange als "Kuckuckseier im liberalistischen Rechtssystem" (C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 59) bezeichnet wurden, machten es zumindest zu Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft unnötig, neue Kodifikationen zu schaffen. Die theoretische Erklärung dazu lieferte Carl Schmitt in seinen Ausführungen "Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens" von 1934, in denen er seine Überzeugung äußerte, "daß sich in diesen Generalklauseln eine neue juristische Denkweise durchsetzen kann. Doch dürfen sie dann nicht als bloßes Korrektiv des bisherigen Positivismus, sondern müssen als das spezifische Mittel eines neuen rechtswissenschaftlichen Denktypus gehandhabt werden" (C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 59). Der Rechtshistoriker Karl August Eckhardt umschrieb 1936 die inhaltliche Vielfalt der Gemeinwohlformel "gesundes Volksempfinden" folgendermaßen: "Für uns ist Recht, was das deutsche Volk als Recht empfindet", mit der näheren Erläuterung: "Ein Urteil, das im Volk spontane Empörung auslösen würde, kann nicht gerecht sein" (J. Rückert, Das "gesunde Volksempfinden", S. 219 f.). Sehr vereinfachend legte "Reichrechtsführer" Hans Frank fest: "Alles, was dem Volke nützt, ist Recht" (J. Rückert, Das "gesunde Volksempfinden", S. 220). Roland Freisler stellte fest: "Ob das Empfinden gesund ist, das muß an Hand der Maßstäbe und Leitsätze geprüft werden, die der Führer selbst in wichtigen Lebensfragen des Volkes vielfach dem Volke gegeben hat" (C. Berning, Vokabular des NS, S. 196). Was also das Volk als Recht empfand, drückte der Willen des Führers, an der Spitze des Volkes, aus. In der Praxis verhalf daher die neue Gewichtung der Generalklauseln der nationalsozialistischen Weltanschauung und dem Führerwillen, sich in der Rechtsprechung als Quelle für ein Urteil durchzusetzen.
Allerdings ließ es sich nicht vermeiden, daß trotz der Verwendung von Generalklauseln Gesetze existierten, die aufgrund ihres entgegengesetzten Wortlauts das politisch erwünschte Ergebnis nicht zuließen. Dieses Dilemma lösten die Nazis einfach dadurch, daß sie den Richtern nunmehr Gesetzesungehorsam vorschrieben, was jedoch als Gesetzesauslegung bezeichnet wurde: "Kann das Gesetz im Einzelfall wegen seiner Unvollkommenheit und Unvollständigkeit die notwendige Ausrichtung eines im Leben vorgekommenen Falles nach den Grundsätzen der völkischen Sittenordnung nicht vornehmen, so muß eben das Recht unmittelbar aus dem gesunden Volksempfinden erkannt werden" (R. Freisler, DJ 1936, S. 161). Hans Hattenhauer stellte in seinem Vortrag "Wandlungen des Richterleitbildes im 19. und 20. Jahrhundert" die politisch verpflichtende Technik der richterlichen Rechtsanwendung einprägsam dar:

1. Das Gesetz ist unvollkommen und lückenhaft
2. Über dem Gesetz steht das "Recht" als Offenbarungsquelle völkischer Sittlichkeit
3. Oberste Autorität für den Richter ist mithin nicht das Gesetz, sondern das "Recht"
4. Deshalb muß der Richter im Namen des "Rechts" dem Gesetz den Gehorsam verweigern,
§§§§um sein Urteil in Übereinstimmung mit dem gesunden Volksemfinden zu halten."
(H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 26)

Bald erließen die Nationalsozialisten jedoch selbst Gesetze, durch die sie ihre Weltanschauung im Recht durchsetzten. Im Zivilrecht z.B. wurden durch das Testamentsgesetz 1938 die Richter angehalten, mit "gesundem Volksempfinden" Vollstreckungen, Testamente und Erbverträge zu kontrollieren, die gesetzliche Erbfolge zu korrigieren (ErbregelungsVO von 1944) und Schuldner von lästigen Vertragen und Nominalwerten zu befreien (SchuldenbereinigungsVO von 1938) (J. Rückert, Das "gesunde Volksempfinden", S. 217).
Wesentlich mehr Bedeutung, Beachtung und Auswirkung in der Praxis erfuhren jedoch Gesetze und Gesetzesänderungen im Strafrecht. Dieser Bereich räumte dem Staat den schärfsten Zugriff auf den Staatsbürger ein, und das Ziel, "die Volksgemeinschaft gegen den Verbrecher zu schützen", galt als vorrangigstes Ziel des Strafrechts, so daß hinter diesem Ziel wichtige rechtsstaatliche Grundsätze auf der Strecke blieben (I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 83). Wohl die bekannteste nationalsozialistische Neuerung im Strafrecht war die Aufhebung des Analogieverbots durch das Änderungsgesetz des Strafgesetzbuches vom 28.6.1935, das in § 2 wie folgt lautete:
"Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft.".

Durch dieses Gesetz wurde also der Grundsatz nulla poena sine lege, "keine Strafe ohne Gesetz", aufgehoben. Doch auch andere wesentliche Grundsätze des Strafrechts wurden beseitigt: das Rückwirkungsverbot (nur wer eine Tat, die schon zum Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar war, darf bestraft werden) 1933 durch das Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe (sogenannte "Lex van der Lubbe", in Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand), der Bestimmtheitsgrundsatz durch die zahlreichen ausfüllungsbedürftigen Wertformeln, die die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem, Straflosem und Strafbarem verwischten (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 17), sowie das Strafmonopol der Justiz durch die häufig verhängte "Schutzhaft" durch die Polizei. Wieder einmal Carl Schmitt rechtfertigte diese Änderungen durch Sätze in Aufsätzen wie: "Heute wird jeder den Satz: 'keine Tat ohne Strafe' gegenüber dem Satz: 'keine Strafe ohne Gesetz' [...] als die höhere und stärkere Rechtswahrheit empfinden" (C. Schmitt, DJZ 1934, Sp. 693).
Ein weiteres Kennzeichen der neuen nationalsozialistischen Gesetzgebung, das das Verhältnis von Gesetz und Richter neu bestimmte, waren die "Leitsätze", die der Gesetzgeber den Einzelnormierungen seines Gesetzes vorausschickte. Laut Carl Schmitt waren diese Leitsätze jedoch nicht als Allgemeiner Teil im Sinne des früheren Gesetzgebungsstils zu verstehen, sondern als

"konkrete Richtlinien, die in einer authentischen Weise den Plan und die Zielrichtung des Gesetzgebers mitteilen. [...] Aus ihnen ergeben sich die Voraussetzungen, unter denen eine praktische oder theoretische Beschäftigung mit einem solchen Gesetz allein zu juristisch richtigen Ergebnissen kommen kann. [...] Sie geben dem Richter eine neue Bindung und eine neue Freiheit" (C. Schmitt, DJZ 1935, Sp. 922 f.).

Der Richter hatte also bei der Urteilsfindung die Leitsätze zu berücksichtigen, die wiederum die "geistige Haltung und Gesinnung" der mit ihnen befaßten Juristen bestimmen sollten. Somit stellten die Leitsätze ein weiteres Mittel dar, aus dem gesetzeanwendenden Richter einen Nationalsozialisten zu machen.
Typisch für das nationalsozialistische Strafrecht waren außerdem ausgesprochen hohe Strafmaßzuweisungen für die Richter gegenüber Straftätern, v.a. im Krieg. Das Kriegsstrafrecht wurde vor allem durch Verordnungen geregelt, z.B. VolksschädlingsVO, RundfunkVO, PolenstrafrechtsVO oder KriegssonderstrafrechtsVO (mit § 5 Wehrkraftzersetzung), in denen unbestimmte Tatbestandsvoraussetzungen übermäßig hohe Strafen nach sich zogen; häufig wurde die Todesstrafe verhängt, von der viele Richter in zunehmend extensiver und schließlich inflationärer Weise Gebrauch machten (R. Angermund, Deutsche Richterschaft, S. 208). Hervorgehoben hat sich hierbei v.a. der Volksgerichtshof, der von 1937 bis 1944 von 14319 Angeklagten alleine 5191, also knapp ein Drittel, zum Tode verurteilte (I. Müller, Furchtbare Juristen, S.149). Erschreckend ist die Tatsache, aufgrund welcher Taten Menschen zum Tode verurteilt wurden: oft reichte es aus, zwei Stück Seife, ein Stück Brot oder eine Wurst aus einem verlassenem Haus zu entwenden, um als Volksschädling verurteilt und hingerichtet zu werden (I. Müller, Furchtbare Juristen, S. 163 ff.).
Zusammenfassend kann man also sagen, daß zwar die Richterschaft nicht mehr die absolute Bindung an das Gesetz zu berücksichtigen hatte, sondern nun durch den neuen Gesetzgebungsstil "Gerechtigkeit" (im nationalsozialistischen Sinn) walten lassen konnte, die Richter aber durch die Verpflichtung auf die materielle Gerechtigkeit um so mehr der herrschenden Ideologie und dem herrschenden politischen Willen unterworfen wurden; Ziel und Zweck der nationalsozialistischen Gesetzgebung war es, das Richtertum zur unmittelbaren Vollstreckung des als "gesundes Volksempfinden" aufgeputzten Führerwillens zu bringen (H. Hattenhauer, Richterleitbilder, S. 28).

c. Richtereid und Deutscher Gruß

Ein anderes, wenngleich auch kein sehr durchschlagendes und effizientes Mittel, den Nationalsozialismus in der deutschen Richterschaft durchzusetzen, war die Verpflichtung auf den Führer im Richtereid und Deutschen Gruß.
Das Gesetz über die Vereidigung der Beamten und Soldaten der Wehrmacht vom 20.8.1934 bestimmte den Diensteid für die öffentlichen Beamten, zu denen natürlich auch Justizbeamte wie Richter zählten: "Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe." (L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 206). Neu eingefügt war der Passus des Gehorsams gegenüber dem Führenwillen, und es gab durchaus Fälle, in denen Richter den Eid verweigerten, indem sie auf die gesetzeswidrige Bindung auf etwas anderes als das Gesetz, in § 1 GVG festgesetzt, hinwiesen. Diese Richter wurden aufgrund der Bestimmungen in den §§ 4, 57 des Deutschen Beamtengesetzes (DBG) entlassen.
Der Deutsche Gruß in Amtsstuben wurde 1935 durch den Reichsinnenminister als Pflicht eingeführt. In einem Erlaß wurde angeordnet, daß "fortan die Beamten, Behördenangestellten und -arbeiter den Deutschen Gruß im Dienst und innerhalb der dienstlichen Gebäude und Anlagen durch Erhebung des [...] rechten Armes und durch den gleichzeitigen deutlichen Ausspruch "Heil Hitler" ausführen. Ich erwarte von den Beamten, Behördenangestellten und -arbeiter, daß sie auch im außerordentlichen Verkehr in gleicher Weise grüßen" (BJM, Justiz und NS, S. 177). Auch während der Gerichtsverhandlung wurde zur "Wahrung von Ordnung und Würde bei Abhaltung der Gerichtssitzungen" der Deutsche Gruß angeordnet: "Alle im Sitzungssaal anwesenden Personen sind künftig zu veranlassen, beim Erscheinen des Gerichts zu Beginn der Sitzung von den Plätzen aufzustehen und das Gericht mit dem Deutschen Gruß durch Erheben des rechten Armes zu begrüßen. Das Gericht erwidert diesen Gruß, sobald alle mitwirkenden Richter an ihren Plätzen angelangt sind." (BJM, Justiz und NS, S. 174).
Bei Nichtbeachtung oder bewußter Ablehnung des Deutschen Grußes, die durchaus existierte, gelangten Richter auf diese Weise schnell in den Verdacht antinazionalsozialistischer Gesinnung, was zu Rügen oder Nichtbeachtung bei Beförderungen durch das Gerichtspräsidium führte.

2. Adolf Hitler und die Justiz

Im folgenden soll dargestellt werden, welchen Einfluß Adolf Hitler im nationalsozialistischen Führerstaat auf die deutsche Justiz hatte. Zunächst soll Hitlers Regierungserklärung Anfang 1933 in bezug auf die Position der Justiz im Dritten Reich untersucht werden, um anschließend Hitlers eigene Aussagen bezüglich seiner persönlichen Einstellung zur Justiz zu betrachten. Schließlich wird Hitlers Einfluß in seiner Funktion als "oberster Gerichtsherr" näher erläutert.

a. Hitlers Regierungserklärung

Die erste offizielle Äußerung Hitlers, in der er die künftige Rolle der Justiz im nationalsozialistischen Staat darlegte, war seine erste Regierungserklärung vor dem Reichstag am 23. März 1933: "Unser Rechtswesen muß in erster Linie der Erhaltung der Volksgemeinschaft dienen. Der Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen Seite muß die Elastizität der Urteilsfindung zum Zwecke der Erhaltung der Gesellschaft entsprechen. Nicht das Individuum kann Mittelpunkt der gesetzlichen Sorge sein, sondern das Volk. Der Boden der Existenz der Justiz kann kein anderer sein als der Boden der Existenz der Nation" (H. Hattenhauer, Richter und Gesetz, S. 54). "Landes- und Volksverrat sollen künftig mit barbarischer Rücksichtslosigkeit ausgebrannt werden" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 55). Bereits in dieser Rede kann man also andeutungsweise erkennen, welche Richtung seine zukünftige Rechtspolitik einschlug; so z.B. die Instrumentalisierung und Politisierung der Justiz für die eigenen nationalsozialistischen Zwecke, oder die Forderung nach überharter Gesetzgebung und Rechtsprechung, v.a. im Strafrecht. Auch eine Moralisierung des Rechts wird als Forderung sichtbar, die Hitler in seiner Rede vor dem ersten Deutschen Juristentag im Herbst 1933 in Leipzig verdeutlichte: "Der totale Staat wird keinen Unterschied dulden zwischen Recht und Moral. Nur im Rahmen seiner gegenwärtigen Weltanschauung kann und muß eine Justiz unabhängig sein"; unter Moral wurde natürlich die nationalsozialistische Doktrin verstanden (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 55).

b. Hitlers Beziehung zur Justiz

Wie Hitler persönlich zur Justiz und zum Richtertum stand, wird aus einigen Dokumenten deutlich, v.a. aus den sogenannten "Tischgesprächen Hitlers im Führerhauptquartier 1941 - 1942", von Henry Picker aufgezeichnet, sowie aus Hans Franks Aufzeichnungen in seiner Gefangenschaft "Im Angesicht des Galgens". In den "Tischgesprächen" wird geschildert, daß Adolf Hitler ausgeprägte Feindschaft, Mißtrauen und Geringschätzung gegenüber der Justiz und ihren Vertretern besaß. So äußerte er sich in der Erinnerung Pickers z.B. über die Rechtslehre und Studium folgendermaßen: "Kein vernünftiger Mensch versteht überhaupt die Rechtslehre, die die Juristen sich zurecht gemacht hätten. Letzten Endes sei die heutige ganze Rechtslehre nichts anderes als eine einzige große Systematik der Abwälzung der Verantwortung. Er werde deshalb alles tun, um das Rechtsstudium so verächtlich zu machen wie irgend möglich. [...] Dieses Studium sei eine einzige Erziehung zur Verantwortungslosigkeit." (H. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. 12). Auch über die deutschen Juristen sprach der Führer äußerst abweisend: "Heute erkläre er deshalb klar und eindeutig, daß für ihn jeder, der Jurist sei, entweder von Natur defekt, [...] verrückt [...] oder ein vollendeter Trottel [...] sein müsse oder aber es mit der Zeit werde" (H. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. 12. Über die künftige Richterauswahl sagte Hitler: "Die Ausbildung der Rechtswahrer, die Richter werden wollten, müsse völlig umgestellt werden"; nur noch Leute, "die sich bereits selbst irgendwie im Leben beruflich bewährt und sich im Parteidienst mit seinen Anschauungen und mit den Problemen der Menschenführung eingehend befaßt hätten", kämen dafür in Frage (H. Weinkauff, Justiz und NS, S, 51).
Auch Hans Frank, der im Dritten Reich bedeutende Justizämter wie z.B. den Posten des bayerischen Justizministers oder des Präsidenten der Akademie für Deutsches Recht innehatte und von 1942 bis 1945 als Generalgouverneur in Polen fungierte, schilderte in seinen Erinnerungen vor seiner Hinrichtung 1946 Hitler als einen Mann, der "nur Verachtung für das Recht und das Richtertum" übrig hatte, für den Juristen einfach "unvorstellbare Leute" waren (H. Weinkauff, Justiz und NS, S, 53).

c. Hitler als "oberster Gerichtsherr"

Wie bereits oben erwähnt, hatten die Richter im Nationalsozialismus als Rechtsquelle das "gesunde Volksempfinden" zu berücksichtigen, welches sich im Führerwillen ausdrückte. Somit war also auch der persönliche Willen Hitlers als Rechtsquelle verbindlich, was eine weitere Steigerung der Rechtsunsicherheit nach sich zog. Wie problematisch die Zulässigkeit des Führerwillens als Rechtsgrundlage war, zeigt die Tatsache, daß nunmehr geheime Führerbefehle oder -aufträge und sogar der mögliche, wahrscheinliche oder anzunehmende Führerwillen genügte, um Urteile zu begründen oder z.B. eigenmächtige Exekutionen der SS oder Gestapo zu legitimieren; einem dauernden Rechtsmißbrauch und der nationalsozialistischen Willkür waren somit Tür und Tor geöffnet. Außerdem wurde dadurch ein weiterer Grundsatz des Rechtsstaates, die Trennung von Exekutive und Judikative, aufgehoben, da Hitler selbst als "oberster Gerichtsherr" Recht sprechen, Urteile fällen und aufheben konnte. Ohne Gerichtsverfahren wurden so durch ihn oftmals Erschießungen oder die Übergabe eines Verurteilten an die Polizei angeordnet; der Verfassungsgrundsatz vom gesetzlichen Richter wurde dadurch außer Kraft gesetzt. Das wohl bekannteste Beispiel dieser Vorgehensweise stellte der sogenannte "Röhm-Putsch" Ende Juni 1934 dar, als SA-Chef Ernst Röhm, andere SA-Mitglieder und angebliche Verschwörer nicht vor ein Gericht gestellt wurden, sondern auf Befehl Hitlers binnen weniger Stunden ohne jede Gelegenheit zur Verteidigung von SS-Kommandos erschossen wurden. Gerechtfertigt wurden diese Gewaltakte durch Hitler mit der Begründung, er habe "in der Stunde höchster Gefahr als des Volkes 'oberster Gerichtsherr' selber an Stelle der Gerichte" entscheiden dürfen (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 197). Nachträglich wurde diese Aktion im "Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934" legitimiert. Der einzige Artikel lautete: "Die zur Niederschlagung hoch- und landesverräterischer Angriffe am 30. Juni, 1. und 2. Juli 1934 vollzogenen Maßnahmen sind als Staatsnotwehr rechtens" (L. Gruchmann, Justiz im Dritten Reich, S. 450). Roland Freisler beschrieb den Grundsatz des Führers als oberster Richter so: "Der Führer ist als oberster Gerichtsherr zugleich der höchste deutsche Richter, der deutsche Richter schlechthin. Richtertum, das nicht auf diesem Satze aufbaut, kann es im nationalsozialistischen Reich nicht geben" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 205).
Offiziell wurde Hitler zum "obersten Gerichtsherr" durch den Beschluß des Großdeutschen Reichstages vom 26. April 1942, der ihm das Recht zusprach, "alles zu tun, was zur Erringung des Sieges dient oder dazu beiträgt, [...] ohne an bestehende Rechtsvorschriften gebunden zu sein", Hitlers prinzipielle Allzuständigkeit betonte und seine Eigenschaft als "oberster Gerichtsherr" ausdrücklich benannte (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 580).

3. Die geplante Justizreform

Zwar brachte die Umgestaltung der Rechtspflege ab 1933 erhebliche Veränderungen in der Justiz mit sich, doch sie entsprach nie gänzlich den Vorstellungen der nationalsozialistischen Machthaber. Aus diesem Grunde entwickelte das Reichsjustizministerium in den Jahren 1943 und 1944 Reformpläne zur Neuordnung der Justiz, die jedoch, wohl aufgrund der zunehmend schlechten Kriegssituation, erfolglos eingestellt wurden. Dennoch lassen sich ihnen aufschlußreiche Aussagen über die Rolle des Richters im NS-Staat entnehmen.
Bezüglich der Neugestaltung der Justizverwaltung war die Einführung eines "Obersten Richters" geplant, der, nur dem Führer unterstellt, die Spitze der Justizverwaltung, Repräsentant aller Berufskreise der Justiz und Mitglied des Reichskabinetts sein sollte. Ziel dieses neuen Postens wäre eine noch straffere Leitung und Lenkung der Rechtspflege gewesen, wie es ein Referent ausdrückte: "Der allgemeinen Lenkung und Leitung der Rechtsprechung durch ihren obersten Richterkameraden, dem wieder Richter ihresgleichen zur Seite stehen, werden sich die Richter willig und ohne inneres Widerstreben fügen, viel leichter als heute, da die Lenkung von der Justizverwaltung ausgeht" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 350).
In Hinblick auf die Gerichtsorganisation wurde z.B. die Zusammenfassung von Amtsgericht und Landgericht in ein Landgericht mit mindestens vier Richtern geplant, oder die Abschaffung einer Berufungsinstanz in Strafsachen. Eine gewichtige Neuerung wäre die völlige Formlosigkeit des künftigen Zivilprozesses gewesen, die den Richter "von unnötigen Bindungen der Verfahrensvorschriften" befreit hätte: er wäre z.B. "nicht starr an die Anträge der Beteiligten gebunden" oder er könnte "auf eine andere als die beantragte Leistung erkennen" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 353).
Ein anderer Plan war die Neueinführung von "Friedensrichter" und "Richtergehilfen". Während der Friedensrichter keine juristische Vorbildung haben mußte, ehrenamtlich tätig war, in Dörfern und kleineren Städten eingesetzt wurde und nachbarliche Streitigkeiten, kleine Streitfälle aus Kauf-, Mietvertrag usw. entscheiden sollte, waren Richtergehilfen Juristen nach der Großen Staatsprüfung, die als Richteranwärter an Kollegialgerichten praktisch geschult wurden, indem sie Berichterstatter oder Urteilsverfasser waren, ohne jedoch ein Stimmrecht und Entscheidungsbefugnis zu besitzen.
Des weiteren ist das Vorhaben eines "Richtergesetzes" erwähnenswert, das folgende grundlegende Bestimmungen zum Inhalt haben sollte:

"Der Richter ist in seinen Entscheidungen von Weisungen frei, nur an das Recht gebunden und nur dem Führer verantwortlich. Sein Spruch verkörpert den Willen des Führers.
Der Richterspruch erfordert Achtung und Gehorsam. Wer einen Richterspruch leichtfertig oder in ungehöriger Form oder mit ungehörigen Mitteln angreift, vergeht sich am Staatswohl und wird zur Rechenschaft gezogen.
Wegen einer nationalsozialistischen Grundsätzen oder den geltenden Gesetzen widersprechenden Entscheidung kann der Richter nur vor dem Führer zur Verantwortung gezogen werden, nachdem er Gelegenheit gehabt hat, seine Entscheidung vor dem Führer zu rechtfertigen".
(A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 356)

Schließlich wurde das Ziel gesetzt, z.B. durch häufige Richterbesprechungen, Richterlehrgänge mit gemeinsamer Unterbringung, Kameradschaftsabende etc. ein einheitliches Richterkorps zu schaffen. Den Sinn diese Plans umriß ein Referent folgendermaßen: "Ein einheitlich ausgerichtetes, in sich geschlossenes Richterkorps ist für die Staatsführung ein schlagfertiges Instrument zur Durchsetzung nationalsozialistischen Gedankenguts und damit zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Volksgemeinschaft" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 358).


IV. Das Richterleitbild in der Wissenschaft und Presse

Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, wie in der juristischen Wissenschaft das nationalsozialistische Richterleitbild gesehen und fundiert wurde. Dargestellt werden Beiträge von Universitätsprofessoren und Parteijuristen, die meist in der nationalsozialistischen Fachliteratur veröffentlicht wurden. Außerdem wird das ideale nationalsozialistische Richterleitbild beschrieben, wie es der Hamburger Richter Rothenberger in seinen Veröffentlichungen entwickelte. Endlich soll gezeigt werden, wie nichtjuristische Presse das Richterbild sah und zu beeinflussen suchte.

1. Bild und Aufgabe des Richters im Rechtsschrifttum

Um die nationalsozialistische Ideologie in der Rechtswissenschaft zu fundieren, bedienten sich bedeutende Juristen wie die Professoren Carl Schmitt, Otto Koellreutter und Georg Dahm sowie leitende Justizbeamte wie Hans Frank und vor allem Roland Freisler des juristischen Schrifttums; in den Fachzeitschriften, die bereits ab 1933 rigoros gleichgeschaltet und politisch-weltanschaulich überwacht wurden, erschienen in massiver Weise und in stetiger Wiederholung ausschließlich von NS-Gedanken und NS-Parolen geprägte Beiträge, abweichende oder kritische Stimmen wurden nicht mehr veröffentlicht. Die wichtigen Stellen des Herausgebers und des Schriftleiters einer Rechtszeitschrift wurden mit parteitreuen Nationalsozialisten besetzt, und am 1.3.1935 wurde das Amt für Rechtsschrifttum im Reichrechtsamt der NSDAP errichtet, das künftig federführend für die Überwachung und "Ausrichtung" des Rechtsschrifttums und besonders für die "Ausmerzung jüdischen Geistesgutes" aus der Rechtsliteratur war; so oblag dem Amt die parteiamtliche Buchprüfung der Rechtsliteratur hinsichtlich ihrer "weltanschaulichen und politischen Unbedenklichkeit" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 111). Die führenden Rechtszeitschriften, die unermüdlich nationalsozialistische Propaganda verbreiteten, waren zum einen das amtliche Organ des Justizministeriums, die "Deutsche Justiz" (DJ), sowie das Organ des Bundes nationalsozialistischer deutscher Juristen (BNSDJ), das "Deutsche Recht" (DR); aber auch andere Rechtszeitschriften wie die "Deutsche Juristenzeitung" (DJZ) oder die Deutsche Richterzeitung (DRiZ) standen unter völligem nationalsozialistischen Einfluß. Diese typische Methode eines totalitären Systems wie das des Dritten Reiches übte in der Praxis einen großen Einfluß auf die deutschen Juristen wie Richter oder Studenten aus, die immer wiederholte gleichförmige Propaganda brachte unweigerlich Erfolg.
Als Autoren nationalsozialistischer Beiträge zur Rechtswissenschaft taten sich oftmals junge Professoren hervor, die erst 1933 oder später zu Ordinarien ernannt wurden; zu diesen Jüngeren, alle nach 1900 geboren, gehörten Namen wie Heinrich Henkel, Georg Dahm, Ernst Forsthoff oder Karl Larenz. Aber auch ältere Professoren wie Carl Schmitt oder Otto Koellreutter gehörten zu denjenigen, die hinter dem NS-Staat standen. Einer der wenigen Rechtsgelehrten, die sich gegen das Regime wandten, war der Heidelberger Professor für Verfassungsrecht und Kommentarverfasser Gerhard Anschütz, der 1933 einen Antrag auf vorzeitige Emeritierung stellte, da er die nun erforderliche geistige "Verbundenheit mit dem jetzt im Werden begriffenen deutschen Staatsrecht [...] nicht aufbringen" konnte (I. Müller, Furchtbare Juristen, S.77). Eine herausragende Rolle unter den deutschen Staatsrechtlern hatte Carl Schmitt inne: 1880 geboren, war er Vorsitzender des Ausschusses für Staats- und Verwaltungsrecht in der Akademie für Deutsches Recht und Autor einiger einflußreicher Veröffentlichungen wie "Staat, Bewegung, Volk" im Jahre 1933, "Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens" 1934, sowie zahlreicher Einzelveröffentlichungen in DJZ, DR und DJ. Nicht zu Unrecht wurde er oft als "Steigbügelhalter des Nationalsozialismus" bezeichnet. Für seine ausgeprägte politische Wendigkeit ist es bezeichnend, daß er trotz seiner NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland bis zu seinem Tode ein angesehener Staatsrechtsprofessor blieb. 1933 konkretisierte C. Schmitt für die Rechtswissenschaft: "Das gesamte heutige deutsche Recht [...] muß ausschließlich und allein vom Geist des Nationalsozialismus beherrscht sein. [...] Jede Auslegung muß eine Auslegung im nationalsozialistischen Sinne sein" (C. Schmitt, JW 1934, S, 713). Über die Person des deutschen Richters schrieb er: "...so hängt eben alles von der Art und den Typus unserer Richter und Beamten ab. [...] In aller Bestimmtheit muß die eigentliche Substanz der 'Persönlichkeit' gesichert sein, und sie liegt in der Volksgebundenheit und Artgleichheit jedes mit der Darlegung, Auslegung und Anwendung deutschen Rechts betrauten Menschen." (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 153). Bezüglich des Führerwillens forderte er: "Für die Auslegung aller Arten von Recht gilt der Wille des Führers; nationalsozialistisches Recht und Plan und Wille des Führers können nur von Nationalsozialisten erkannt und gewahrt werden." (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 88). Als überzeugter Nationalsozialist zeigte sich 1933 Otto Koellreutter in seinem Werk "Der deutsche Führerstaat", in dem er zu Aufgaben des deutschen Professors Stellung nahm: "Die Erziehung und Schulung der jungen Juristen wird [...] im deutschen Führerstaat auf andere Grundlagen gestellt werden müssen. Ich weiß, es wird das Entsetzen vieler erzeugen, wenn ich die Behauptung aufstelle, daß die staatspolitische Erziehung das A und O des jungen Juristen im deutschen Führerstaate zu bilden hat, während die rechtstechnische Schulung in zweiter Linie steht und erst auf dieser Grundlage überhaupt sinnvoll erfolgen kann. [...] Was wir brauchen, das ist allein der politische, nationalsozialistische Mensch. Ihn im Geiste des Führers zu erziehen und damit Bausteine zum Fundament des deutschen Führerstaates beizutragen, scheint mir heute die wichtigste Aufgabe aller deutschen Hochschullehrer im Rahmen ihrer Arbeit zu sein. Heil Hitler!" (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 149). Erik Wolf äußerte sich 1934 in seinem Beitrag "Das Rechtsideal des nationalsozialistischen Staates" zum nationalsozialistischen Richterideal und zur richterlichen Unabhängigkeit: "Im Alltag des Rechtslebens wird ein echter Nationalsozialismus Der Präsident der Akademie für deutsches Recht, Hans Frank, veröffentlichte 1936 die "Leitsätze über Stellung und Aufgaben des Richters", welche allerdings von den Professoren Dahm, Eckhardt und drei weiteren Rechtswissenschaftlern verfaßt wurden. In diesen Leitsätzen kamen bereits bekannte Forderungen der Nationalsozialisten zum Ausdruck, so z.B. die nationalsozialistische Weltanschauung als Grundlage der Gesetzesauslegung oder die Bindung des Richters an den Führerwillen. Über die Aufgabe des deutschen Richters wurde dort gesagt:

"Es ist nicht seine Aufgabe, eine über der Volksgemeinschaft stehende Rechtsordnung zur Anwendung zu verhelfen oder allgemeine Wertvorstellungen durchzusetzen, vielmehr hat er die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren, Schädlinge auszumerzen, gemeinschaftswidriges Verhalten zu ahnden und Streit unter Gemeinschaftsmitgliedern zu schlichten" (BJM, Justiz und NS, S. 109).

Besonders eifrig publizierte der damalige Staatssekretär für Strafrecht im Reichsjustizministerium und spätere Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler in der "Deutschen Justiz". Es erschien fast keine Nummer der "Deutschen Justiz", in der Freisler nicht in langen, teilweise beschwörenden, teilweise drohenden Abhandlungen Richtern, Staatsanwälten und anderen Justizbeamten das nationalsozialistische "Gedankengut" und die nationalsozialistischen Rechtsvorstellungen einzuhämmern versuchte (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 100). Beiträge mit wiederkehrenden Überschriften wie "Richter und Gesetz" oder "Volk, Richter und Recht" wurden oft als Leitartikel einer neuen Ausgabe vorangestellt, in denen Freisler Grundeigenschaften, -erfordernisse und -regeln für den deutschen Richter gebetmühlenartig pries. So schrieb er 1935 in seiner Abhandlung "Richter und Gesetz - von der neutralen zur kämpferischen Rechtspflege": "Der Richter kann heute zu einer den Aufgaben des nationalsozialistischen Staates gerecht werdenden Beantwortung der Frage nach seinem Verhältnis zu Recht und Gesetz nur kommen, wenn er die Neutralität aufgibt." (R. Freisler, DJ 1935, S. 241), oder in seinem Artikel "Volk, Richter und Recht": "Das Gesetz ist immer aus der völkischen Sittenordnung heraus auszulegen. [...] Jeder Richter hat danach zu streben, sein Empfinden mit dem gesunden Volksempfinden stets in Übereinstimmung zu bringen" (R. Freisler, DJ 1935, S. 1162). Bezeichnend für seinen pathetischen Stil erschien im Jahre 1941, in dem er 15 Artikel in der "Deutschen Justiz" veröffentlichte (1939 waren es sogar 19 Beiträge), eine Abhandlung mit dem Titel "Der Rechtswahrer der deutschen Strafrechtspflege denkt, spricht und schreibt deutsch", in der er feststellte:
"... es gibt Dinge, die man von Zeit zu Zeit immer wieder einmal sagen muß. [...] Der Rechtswahrer der deutschen Strafrechtspflege denkt, spricht und schreibt deutsch! Mir scheint: das ist geradezu ein Programm, mehr noch: es ist ein Bekenntnis. Ja: Es ist eine Lebensnotwendigkeit für unser Recht im Volk und damit für das Leben unseres Volkes. [...] Wir denken deutsch. In diese Worte kann man den Wandel unserer Auffassung, kann man die Revolution des Rechts, die der Nationalsozialismus heraufführte, fassen. Wenn dieses deutsche Denken die praktische Rechtsarbeit durchglüht hat, dann hat sich im deutschen Rechtswahrer die Wandlung vollzogen, die wir gewohnt sind darin zu erblicken, daß wir nicht mehr 'Juristen', daß wir Rechtswahrer geworden sind"
(R. Freisler, DJ 1941, S. 1113).

2. Das ideale Richterleitbild bei Curt Rothenberger

Ein Jurist, der sich als besonders begeisterter Verfechter eines neuen nationalsozialistischen Richterleitbildes einen Namen machte, war der Richter Curt Rothenberger. Er bekleidete bis 1942 das Amt des Hamburger Oberlandesgerichtspräsidenten und bestach durch seine regimetreue Arbeit. Im August 1942 wurde er als Staatssekretär in das Reichsjustizministerium berufen, wo er maßgeblichen Anteil an den Reformplänen zur Neuordnung der Justiz (1943/44) hatte. Rothenberger erwies sich als Vorkämpfer eines Richterleitbildes, das die völlige Unterordnung des Richters unter Hitler und die nationalsozialistische Weltanschauung propagierte. In seinem Aufsatz "Die Stellung des Richters im Führerstaat" beschrieb Rothenberger 1939 den idealen Richter: "Das Gesetz ist Führerideal. Der Richter, der dieses Gesetz anzuwenden hat, ist nicht nur an das Gesetz, sondern auch an die einheitliche, geschlossene Weltanschauung des Führers gebunden. Aus dem neutralen, unpolitischen, staatsabgewandten Richter der liberalen Epoche ist daher geworden ein durch und durch politisch denkender, fest an die Weltanschauung des Gesetzgebers gebundener und an ihrer Verwirklichung mitarbeitender Nationalsozialist" (C. Rothenberger, DR 1939, S. 831). Seine Führertreue dokumentierte er mit folgenden Worten: "Im Führer ist ein Mann im deutschen Volke auferstanden, der die Erinnerung an älteste, fast vergessene Zeiten wachwerden läßt. Hier ist ein Mensch, der in seiner Stellung das Urbild des Richters im vollkommendsten Sinne darstellt, und das deutsche Volk wählte ihn zu seinem Richter - in erster Linie natürlich zum Richter über sein Schicksal überhaupt, aber auch zum Obersten Gerichtsherrn und Richter" (H. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. 90). 1943 erschien sein Buch "Der deutsche Richter", in dem er erneut das ideale Richterbild pries, und die Abschaffung von Gewaltenteilung und richterlicher Kontrolle von Gesetzgebung und Verwaltung sowie den vorrangigen Dienst gegenüber der politischen Führung bestätigte; des weiteren forderte er eine weitgehende Zurückdrängung der Justiz zugunsten der Durchsetzung der außen- und innenpolitischen Ziele, wie z.B. Hitlers Kriegspolitik der Lebensraum- und Rassenideologie, und eine Reduzierung der Richterstellen von ca. 16000 auf 8000, besetzt mit "instinktsicheren Nationalsozialisten" als "Korps der Besten" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 78 f.).

3. Das Richterbild in der nichtjuristischen Presse

Besonders auffallend war es, daß die nichtjuristische Presse, vor allem die nationalsozialistische Parteipresse, häufig auf Richterentscheidungen Bezug nahm, Urteile scharf kommentierte, und auf diese Weise Richter und Leser zu beeinflussen suchte. In deutlichster Weise taten dies die Parteiorgane "Stürmer" und das "Schwarze Korps", herausgegeben von der SS. Sie nannten z.T. konkrete Richter, veröffentlichten Photos von ihnen, und kritisierten in anmaßendem und hetzendem Ton Urteilssprüche, mit dem Ziel, diese Richter einzuschüchtern und sie den Weisungen der Exekutive gefügig zu machen (R. Schröder, aber im Zivilrecht sind die Richter standhaft geblieben, S. 253). So wurde z.B. das Landgericht Leipzig mit der Überschrift "Und das im Namen des Volkes" an den Pranger gestellt und die Namen der beteiligten Richter genannt, weil es einen Arrestbefehl gegen eine jüdische Firma aufgehoben hatte. In einer anderen Ausgabe wetterte das "Schwarze Korps" im Artikel "Ein Gauner bleibt ein Gauner" gegen eine "römische Rechtsauffassung, die aus römischen Folianten stinkt", weil dasselbe Gericht in einer einstweiligen Verfügung weitere grobe Beleidigungen einer Person untersagt und auf Schadensersatz erkannt hatte. Daß solche Attacken Unwillen und schwerste Bedenken in der Richterschaft hervorrief, beweist ein Brief des Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamburg an den Justizminister, in dem er sich über den Artikel "Recht im autoritären Staat" beklagte, weil das "Schwarze Korps" sich "leider wieder mit Fragen der Justiz, insbesondere mit den deutschen Richtern" beschäftigte; unabhängig vom konkreten Fall müsse "mit allen Mitteln" unterbunden werden, daß von einer Seite, die "von den Aufgaben des Richters keine Ahnung" habe, "über so grundsätzliche Fragen wie Unabhängigkeit und Gesetzesauslegung in der offiziellen Zeitung des Reichsführers SS" geschrieben werde (H. Michelberger, Lageberichte, S. 334).


V. Durchsetzung und Kontrolle des nationalsozialistischen Richterleitbildes

Während in den vorangegangenen Kapiteln das Richterleitbild dargestellt wurde, wie es sich die Nationalsozialisten wünschten und wie es in der Theorie aussah, wird im folgenden überblicksweise geschildert, wie die Machthaber ihr ideales Richterleitbild in der Justizpraxis durchzusetzen und zu kontrollieren versuchten. Hierbei soll auf die sogenannte "Verreichlichung" der Justiz, die neu geschaffenen nationalsozialistischen Berufsorganisationen sowie auf die faktische Beseitigung der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit des Richters im Nationalsozialismus näher eingegangen werden.

1. "Verreichlichung" der Justiz

Einer der ersten Maßnahmen der neuen nationalsozialistischen Machthaber, ihren Einfluß zu festigen, war die Zerstörung der verfassungsrechtlichen Struktur des Deutschen Reiches, wie sie in der Weimarer Reichsverfassung verankert war. Bewerkstelligt wurde dies unter anderem durch die Gleichschaltung der Länder, durch die die Volksvertretungen der Länder und der Reichsrat aufgelöst wurden, und die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übergingen; somit wurde die föderale Struktur des Reiches aufgehoben und damit die Möglichkeit geschaffen, der nationalsozialistischen Regierungspartei einen erheblichen Machtzuwachs zu sichern. Um nun auf dem Gebiet der Justiz einen ähnlichen zentralen Einfluß zu gewinnen, begann man im Februar 1934, nach und nach die einzelnen Landesjustizen in die Hoheitsgewalt des Reiches zu übernehmen - die sogenannte "Verreichlichung" der Justiz. Während vor 1933 lediglich das Reichsgericht in Leipzig dem Reichsjustizministerium unterstand, und die Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte den Landesjustizverwaltungen der damaligen 16 Länder angehörten, verschmolz am 22. Oktober 1934 das preußische Justizministerium mit dem Reichsjustizministerium, und am 1. Januar 1935 gingen auch die übrigen 15 obersten Justizministerien im Reichsministerium auf (Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 223). Auf diesem Wege wurde das Reichsjustizministerium (mit Justizminister Franz Gürtner sowie den Staatssekretären Franz Schlegelberger und Roland Freisler) das einzige Verwaltungsministerium für die gesamte Justiz des Reichs; die Stellen der Landesjustizminister entfielen, die Landesjustizbeamten wurden Reichsbeamte. Auf dieselbe Weise wurde nach der Eingliederung solcher Gebiete wie Saarland, Österreich, Sudetenland etc. verfahren. Damit erhielt das Reichsjustizministerium die Verwaltung von 2500 Gerichten mit über 14000 Richtern, darunter 35 Oberlandesgerichte; daß die Justizverwaltung vereinheitlicht und vereinfacht wurde, erschien in den Jahren 1934 und 1935 noch als Fortschritt, doch später bot dies die Voraussetzung für eine verhängnisvolle zentrale Lenkung vor allem der Strafrechtspflege (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 224).

2. Nationalsozialistische Berufsorganisationen

Bereits 1928 wurde innerhalb der NSDAP von Hans Frank, der bereits 1919 in die NSDAP eingetreten war und am Hitlerputsch 1923 teilgenommen hatte, der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ) gegründet. Um nun nach der "Machtergreifung" im Januar 1933 neben den Justizbehörden (vgl. oben) auch die berufsständischen Organisationen des Rechtsstandes gleichzuschalten, wurde am 25.4.1933 Frank vom Reichspräsidenten von Hindenburg zum "Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz und für die Erneuerung der Rechtsordnung" ernannt. In erster Linie sollten der "Deutsche Richterbund" (DRB) sowie der "Republikanische Richterbund" (RR) eingegliedert bzw. aufgelöst werden.
Eine Untersuchung der Ausgaben der "Deutschen Richterzeitung", dem Organ des DRB, zeigt, daß die Gesetze der neuen Regierung vom republikfeindlichen DRB begrüßt wurden, eine Hinwendung zum Nationalsozialismus ist unverkennbar (H. Wrobel, DRiZ 1983, S. 162). Bestand am Anfang noch die Absicht, sich anzupassen und freudig im neuen Staat mitzuarbeiten, ansonsten aber eher unpolitisch zu sein und zusammenzubleiben wie bisher, übten die Nationalsozialisten einen immer größer werdenden Druck auf den DRB aus, dem BNSDJ beizutreten. Nachdem bereits einige einzelne Richtervereine bei Gerichten von sich aus diesen Schritt taten, zog der DRB am 25.5.1933 nach und erklärte seinen korporativen Eintritt in den BNSDJ und verpflichtete sich, "unter Wahrung seiner Selbständigkeit an der Erneuerung des nationalen Staates mit allen Kräften mitzuarbeiten" (H. Wrobel, DRiZ 1983, S. 165). Doch auch die Zeit als eigenständige Organisation innerhalb des BNSDJ währte nur kurz, zum 31.12.1933 lösten sich der DRB und die ihm angeschlossenen Vereine auf Druck Hans Franks selbst auf, ihre Funktion hatte nun der BNSDJ vollständig übernommen.
Auch der Republikanische Richterbund, der der NSDAP schon lange ein Dorn im Auge war, und bereits vor 1933 zahlreichen Angriffen der Nationalsozialisten durch Bespitzelungen, Drohungen und Beleidigungen ausgesetzt war, überlebte nicht lange: in Kenntnis der Aussichtslosigkeit der Lage beschloß der RR seine Selbstauflösung und führte sie durch (B. Schulz, Der Republikanische Richterbund, S. 173). Damit kam er allerdings dem offiziellen Verbot lediglich zuvor. Der Versuch, das Organ "Die Justiz" weiterzuführen, wurde dann auch auf dem Verbotsweg beendet (B. Schulz, Der Republikanische Richterbund, S. 173). In der Folgezeit wurden nahezu alle Mitglieder des RR aus ihren Ämtern entfernt.
Der BNSDJ, der später in "Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund" (NSRB) unbenannt wurde, umfaßte einzelne Rechtswahrergruppen und Untergruppen, so z.B. die "Reichs-gruppen" Richter und Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Notare, Rechtspfleger, rechtswissenschaftliche Hochschullehrer etc.. Der NSRB führte 1933, 1936 und 1939 große Juristentage in Leipzig durch, die im Stile der Parteitage und Parteimärsche gehalten waren, und auf denen oft Ruhmreden auf Hitler und den nationalsozialistischen Staat gehalten wurden. Hans Frank sagte auf dem 1. Nationalsozialistischen Juristentag im Herbst 1933 in Leipzig zur äußeren, organisatorischen Gleichschaltung der Juristen: "Wir haben in allen diesen letzten Monaten die Organisation des deutschen Juristenstandes unnachsichtig, zielbewußt und mit der Härte geführt, die dem neuen Typus des deutschen Menschentums entspricht" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 69).
Als weitere nationalsozialistische Rechtseinrichtung wurde am 26.6.1933 die "Akademie für Deutsches Recht" gegründet. Ihre Leitung übernahm ebenfalls Hans Frank, der somit als "Reichrechtsführer" bezeichnet wurde. Ihr Zweck war laut Hans Frank, "die gesamte Rechtswissenschaft mit zum Kampfe ums Recht des Reiches aufzurufen und zugleich damit eine neue Blüte der Rechtsforschung wie Rechtslehre an den deutschen Hochschulen zu fördern" (H. Hattenhauer, JuS 1986, S. 680). Auf ihrer Mitgliederliste standen neben den Namen von Politikern, Ministerialbeamten und Industriellen vor allem die von renommierten Rechtsgelehrten wie Carl Schmitt, Georg Dahm oder Karl August Eckhardt. Die Akademie sollte eine arbeitsmäßig und personell mit der NSDAP verbundene wissenschaftliche Forschungsstätte sein, die ihre Ergebnisse in den Presseorganen "Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht", "Deutsche Rechtswissenschaft" und dem Jahrbuch der Akademie veröffentlichte. Weiterhin besaß sie eine sehr gut ausgerüstete Bücherei im sogenannten "Haus des Deutschen Rechts" in München. Auch veranstaltete die Akademie häufig Repräsentationsveranstaltungen wie Vollsitzungen und Jahrestagungen, die allerdings weniger durch wissenschaftliche Arbeit als durch den Stil der Staatsfeiern des Dritten Reichs geprägt war (H. Hattenhauer, JuS 1986, S. 682). Als Hans Frank nach einer Protestrede gegen die Juristenkritik und die Willkürherrschaft von Hitler gezwungen wurde, seine rechtspolitischen Ämter niederzulegen, ein Redeverbot erteilt bekam und am 17.9.1942 schließlich als Präsident der Akademie für Deutsches Recht entlassen wurde, verlor sie noch mehr ihrer von Haus aus geringen Bedeutung. Sie wurde dem Reichsjustizministerium und ihrem neuen Leiter Otto Thierack unterstellt, der bedingungslos hinter Hitler stand und die Akademie eher stiefmütterlich behandelte. Nachdem sie noch an der Arbeit zur "großen Justizreform" 1943 / 44 teilgenommen hatte, wurde die Arbeit in der Akademie aufgrund der "Verschärfung des totalen Krieges" von Otto Thierack am 12.8.1944 vorläufig stillgelegt und nicht mehr aufgenommen.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß es Sinn und Zweck der Politik Franks war, sämtliche Angehörigen des Rechtsstandes in einer großen, nationalsozialistisch geführten und beherrschten Zwangsorganisation zusammenzufassen, um sie zu beherrschen, zu überwachen, nationalsozialistisch zu schulen, und um den Totalitätsanspruch der Partei in der Rechtspolitik durchzusetzen, um das nationalsozialistische Programm auf dem Gesamtgebiet der Rechtslebens zu verwirklichen und die Mitwirkung der Partei bei der staatlichen Personalpolitik zu sichern.

3. Die faktische Beseitigung der persönlichen Unabhängigkeit des Richters

Wie bereits festgestellt (III.1.a.), wurde im Nationalsozialismus die gesetzlich festgelegte persönliche und sachliche Unabhängigkeit des Richters in den §§ 1,8 GVG und in der Weimarer Reichsverfassung nicht geändert, ihre Auslegung erfuhr jedoch praktisch eine entgegengesetzte Richtung. Im folgenden soll gezeigt werden, wie die persönliche Unabhängigkeit des Richters durch gesetzliche Regelungen, durch die Ausbildung der Juristen sowie durch die nationalsozialistische Personalpolitik faktisch beseitigt wurde.

a. Gesetzliche Regelungen

Gemäß § 8 GVG konnte ein auf Lebenszeit ernannter Richter gegen seinen Willen nur durch gerichtliches Urteil versetzt, entlassen oder pensioniert werden. Diese Sicherung einer unabhängigen Rechtspflege wurde von den Nationalsozialisten durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 durchbrochen. Es ermöglichte den Verwaltungsbehörden, Richter ohne Gerichtsverfahren in ein anderes Amt oder in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie den neuen Machthabern politisch nicht genehm oder nicht arischer Abstammung waren oder wenn es das "dienstliche Bedürfnis", ein äußerst weit gefaßter und unbestimmter Begriff, erforderte. So hieß es in § 3: "Beamte, die nicht arischer Abstammung sind, sind in den Ruhestand [...] zu versetzen", in § 4: "Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltslos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden", und in § 5: "Jeder Beamte muß sich die Versetzung in ein anderes Amt [...] gefallen lassen, wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert." (BJM, Justiz und NS, S. 74 f.). Im Pfundner-Neubert, dem Gesetzessammelwerk der damaligen Zeit, wurde dieses Gesetz folgendermaßen eingeführt:

"Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums [...] diente staats- wie beamtenpolitisch gleich wichtigen Zwecken. Dadurch, daß es Staatsfeinde und politisch unzuverlässige Beamte aus dem Beamtenkörper ausschied, wird die unbedingt nötige Gleichschaltung der deutschen Beamtenschaft mit dem national-sozialistischen Staat erreicht. Dadurch aber, daß es in seinem § 3, dem bekannten Arierparagraphen, zum erstenmal die rassischen Forderungen des Nationalsozialismus und des Programms der NSDAP verwirklichte, wurde der gesetzliche Grundstein gelegt zur rassischen Selbstbesinnung und Erneuerung des gesamten deutschen Volkes"
(I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 48).

Gemäß einer Statistik des Preußischen Justizministeriums verloren allein in Preußen 1449 Richter, Gerichtsassessoren und Referendare ihre Stelle (H. Schorn, Der Richter im Dritten Reich, S. S, 730 f.). Somit ist das Berufsbeamtengesetz ein wichtiges Mittel in der Hand der Nationalsozialisten gewesen, unliebsame Juristen zu entfernen und die im Amt verbliebenen Richter in Unsicherheit und Sorge um ihr berufliches Schicksal zu versetzen, um sie so den nationalsozialistischen Anforderungen gefügig zu machen.
Das gleiche Ziel verfolgte das Deutsche Beamtengesetz (DBG) vom 26. Januar 1937, das zuließ, daß Richter durch Verwaltungsakt und ohne Möglichkeit einer gerichtlichen Nachprüfung in den Ruhestand versetzt werden konnten, wenn "der Beamte nicht mehr die Gewähr dafür" bot, "jederzeit für den nationalsozialistischen Staat ein(zu)treten" (§ 71 DBG), wenn er nicht "deutschen oder artverwandten Blutes" war (§ 72 DBG) oder wenn der Vorgesetzte ihn für dienstunfähig hielt (§ 75 DBG) (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 217). Eine Zwangspensionierung aus politischen Gründen konnte zwar nicht auf den Inhalt einer richterlichen Entscheidung gestützt werden (§ 171), doch fanden sich, wenn nötig, leicht sonstige Gründe, um einen unliebsamen Richter zu entfernen. In einem Rundschreiben der Staatskanzlei wurde so angeordnet, daß § 71 DBG auch dann anzuwenden sei, "wenn ein Beamter die nationalsozialistische Weltanschauung zwar nicht bewußt oder gewollt ablehnt, aber durch die von ihm getroffenen Entscheidungen oder durch seine dienstliche oder außerdienstliche Führung erkennen läßt, daß er der nationalsozialistischen Weltanschauung gefühls- oder verstandsmäßig fremd gegenübersteht" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 217).
Die letzte offizielle Maßnahme, die persönliche Unabhängigkeit des Richters zu beseitigen, war der Reichstagsbeschluß vom 26. April 1942, im Anschluß an die Rede Hitlers (siehe Anhang Bild 7). Hitler griff die Justiz wegen zu milder Strafurteile scharf an und kündigte an, "Richter, die ersichtlich das Gebot der Stunde nicht erkennen, ihres Amtes (zu) entheben" (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 96). Daraufhin ermächtigte der Reichstag Hitler als "Obersten Gerichtsherrn", u.a. jeden Richter "mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlerworbene Rechte mit der ihm gebührenden Sühne zu belangen, ihn im Besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amt, seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen" (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 100). Aufgrund der zunehmend kritischen Kriegssituation und des damit zusammenhängenden Personalmangels zog der Beschluß jedoch keine Vielzahl von Entlassungen nach sich.

b. Juristenausbildung

Grundsätzlich hatte jeder Jurastudent ein dreijähriges Studium der Rechtswissenschaften auf einer Universität und einen dreijährigen Vorbereitungsdienst als Referendar bei den Gerichten, der Staatsanwaltschaft und einem Rechtsanwalt zu bewältigen. Bestand bereits durch nationalsozialistische Professoren und Richter ein gewisser Einfluß, so wurde außerdem durch die Justizausbildungsordnung vom 22. Juli 1934, die laut eines Referenten des Reichsjustizministeriums "ein von reinstem nationalsozialistischem Geist erfülltes Bekenntnis, wie sich der Staat den Richter und Anwalt des neuen Reiches vorstellt" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 238), war, erheblicher Einfluß auf die Studenten bezüglich ihrer politischen Ausbildung genommen. Gemäß § 5 sollte im Mittelpunkt des Studiums nicht nur eine gründliche und gewissenhafte Fachausbildung stehen, sondern auch "die ernsthafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen weltanschaulichen Grundlagen, mit den Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum, mit dem deutschen Gesellschaftsleben und mit den großen Männern des deutschen Volkes" (BJM, Justiz und NS, S. 171). § 47 der Justizausbildungsordnung bestimmte für alle Referendare die Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft, deren Leiter nach einer Verfügung des preußischen Justizministers überzeugte Nationalsozialisten sein mußten. Des weiteren wurde in § 48 ein Gemeinschaftslager eingeführt, in welchem sich die Referendare zwei Monate lang "in einer von soldatischem Geist getragenen Kameradschaft vereinen" sollten, die "in den Formen lebt, in denen junge Nationalsozialisten leben" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 238). Dieses Lager befand sich in Jüterbog und wurde nach seinem Gründer, dem preußischen Justizminister Hanns Kerrl, benannt.
Auf diese Weise kam bereits der juristische Nachwuchs mit nationalsozialistischem Rechtsdenken in Berührung und wurde von Anfang an beeinflußt.

c. Personalpolitik

Ein anderes Mittel, die nationalsozialistische Weltanschauung in der Justiz durchzusetzen, war die Personalpolitik der Machthaber. Wie bereits oben festgestellt, konnten Justizbeamte, die als unzuverlässig im nationalsozialistischen Sinne galten, zwangsversetzt oder entlassen werden. Dieser "Säuberung" fielen vor allem Mitglieder der linken Parteien und des Republikanischen Richterbundes zum Opfer. Bezüglich des Einflusses der NSDAP ist bemerkenswert, daß unter den Justizjuristen am 30. Januar 1933, dem Tag der sogenannten "Machtergreifung", nur wenige NSDAP-Mitglieder waren. Hanns Kerrl beklagte sich z.B., daß bei seinem Amtsantritt in Preußen unter den 7000 preußischen Richtern nur rund 30 Parteigenossen waren (BJM, Justiz und NS, S. 272). Dies änderte sich jedoch schlagartig nach den für die Nationalsozialisten erfolgreichen Märzwahlen und durch den angekündigten Mitgliederaufnahmestop: eine Vielzahl an Richtern und Staatsanwälten bemühte sich um einen Eintritt in die NSDAP; sie wurden zum Teil auch abschätzig "März-Gefallene" genannt. 1938 gehörten nach Roland Freisler ungefähr 54 % der Richter der NSDAP oder ihren Gliederungen an, wobei die Organisationsdichte im wichtigen Bereich der Sondergerichte wie dem Volksgerichtshof wesentlich höher war. Die NSDAP hatte dann auch einen erheblichen Einfluß auf Ernennung und Beförderung der Richter. Vor der Ernennung eines Richters hatte die zuständige Justizbehörde eine Bewertung des NSDAP-Gauleiters über die politische Zuverlässigkeit des Bewerbers einzuholen (siehe Anhang Dokument 1), so daß die Mitgliedschaft in der NSDAP außerordentlich hilfreich war. Entscheidungskompetenz bezüglich der Richter und Staatsanwälte hatte außerdem nach der Verreichlichung der Justiz das nationalsozialistische Reichsjustizministerium sowie aufgrund eines Führererlasses der Stellvertreter des Führers.
Wer als Richter beruflich aufsteigen und befördert werden wollte, mußte natürlich Beweise seiner nationalsozialistischen Haltung abgeben. Eine Statistik des Justizministeriums zeigt, daß zwischen 1935 und 1939 86 % der Beförderten Parteigenossen waren. Ausschlaggebend für eine Beförderung waren neben dem Einsatz der Parteidienststellen die dienstlichen Beurteilungen der jeweiligen Gerichtspräsidenten. So schrieb z.B. das Landgericht Dortmund 1937 über einen Kandidaten: "Eiserner Strafrichter. Er leitet seit 1933 das Sondergericht [...] in soldatisch strenger Auffassung mit unerbittlicher Strenge und Entschlossenheit zur vollen Zufriedenheit der Parteidienststellen, der Geheimen Staatspolizei und der Anklagebehörde. [...] Seine Amtsführung zeigt, daß er rückhaltslos für den nationalsozialistischen Staat eintritt. Er kennt keine Nerven, er ist gesund" (BJM, Justiz und NS, S. 279).

4. Die faktische Beseitigung der sachlichen Unabhängigkeit des Richters

Neben der persönlichen Unabhängigkeit des Richters wurde im Dritten Reich auch in erheblichem Maße die sachliche Unabhängigkeit, also die Weisungsfreiheit, beeinträchtigt bzw. faktisch beseitigt. Dies geschah vor allem ab 1942 durch Lenkungsmaßnahmen seitens der Machthaber, z.B. im Wege einer strengen Gerichtsüberwachung durch das Reichsjustizministerium, durch Vor- und Nachbesprechungen von Gerichtsverfahren, durch die sogenannten "Richterbriefe" oder durch ganz konkrete Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren. Diese Kontrollmaßnahmen zielten darauf ab, die Übereinstimmung der gefällten oder zu fällenden Urteile mit der nationalsozialistischen Weltanschauung, dem gesunden Volksempfinden und dem Führerwillen zu gewährleisten.

a. Gerichtsüberwachung durch das Reichsjustizministerium

Nachdem nicht immer Gerichtsurteile den Vorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen, ging das Justizministerium schnell dazu über, die Rechtsprechung wirkungsvoll zu beeinflussen, zu lenken und zu leiten. Einen Schwerpunkt setzte es vor allem auf die Strafgerichte, deren Tätigkeit im Brennpunkt des Interesses stand. Mittel dieser Beeinflussung seitens des Reichsjustizministeriums waren z.B. Allgemein- und Rundverfügungen an die Adresse der Oberlandesgerichte, in denen eine bestimmte Handhabung der Straf- und Strafprozeßgesetze oder der Strafzumessung "empfohlen" wurde. Der jeweilige Oberlandesgerichtspräsident sollte dann wiederum auf die ihm unterstellten Richter im Sinne dieser Verfügungen einwirken. So wurde z.B. 1936 von Staatssekretär Freisler ein Schreiben des Reichsjustizministers bezüglich der Handhabung des Gesetzes "zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" in Umlauf gebracht, in dem es unter anderem hieß:

"Bei der Überwachung der Rechtsprechung [...] ist es aufgefallen, daß die von den Gerichten verhängten Strafen auch bei gleichgelagerten Fällen im Strafmaß außerordentliche Unterschiede aufweisen, und daß weiter einzelne Strafkammern es [...] anscheinend grundsätzlich vermeiden, auch in schweren Fällen auf die angebrachte Zuchthausstrafe zu erkennen. [...] Um diesem Mißstand abzuhelfen und zu einer einheitlichen sachentsprechenden Rechtsprechung zu gelangen, ersuche ich im Benehmen mit den Landgerichtspräsidenten auf die ihnen unterstellten Richter in geeigneter Weise nachdrücklich einzuwirken, damit einem Rasseverfall des deutschen Volkes auch von den deutschen Gerichten durch strenge Strafe entgegengewirkt wird." (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 92).


Des weiteren wurde eine Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft z.B. bezüglich Anklage oder Einstellung, Art und Höhe der zu beantragenden Strafen eingeführt, oder Tagungen und Besprechungen mit den Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälten abgehalten, um sogenannte "Mißstände" in der Rechtsprechung anzusprechen und um gezielt Interventionen gegen ungewollte Entwicklungen durchzuführen. Diese Art der Beeinflussung wurde überwiegend akzeptiert und umgesetzt, wie das Ansteigen von Höchststrafen nach den jeweiligen Interventionen des Ministeriums zeigte. Zwar wurde formal die Unabhängigkeit des Richters nicht aufgehoben, doch es stand in seinem eigenen Interesse, diesen "Empfehlungen" zu folgen. 1942 schrieb der Staatssekretär Rothenberger in einem vertraulichen Brief an die Gerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte über die Lenkung der Rechtsprechung, wie sie die Nationalsozialisten verstanden: "Im Kriege hat die Rechtsprechung wie jede Tätigkeit des Volkes in erster Linie der Erringung des Sieges zu dienen. [...] Das Ziel kann im Augenblick nur durch eine einheitlich maßvolle Lenkung der Rechtsprechung erreicht werden. [...] Eine maßvolle Lenkung hat nichts mit Gängelung oder Aufhebung der Weisungsfreiheit des Richters zu tun. Sie soll dem Richter kameradschaftlich helfen. Es ist danach Aufgabe des Lenkenden, eine Lenkung so taktvoll durchzuführen, daß die Richter sich ihrer selbständigen, eigenen Verantwortung bewußt bleiben und die geleistete Hilfe dankbar anerkennen, anstatt sich gegängelt oder unfrei zu fühlen" (BJM, Justiz und NS, S. 296 f.). In der Realität allerdings waren die Richter sehr wohl unfrei insofern, als daß sie bei Nichtbeachtung der "Empfehlungen" stets das Risiko eingingen, als nicht parteitreu eingestuft und deshalb benachteiligt zu werden.
Um sich in den Oberlandesgerichtsbezirken ein besseres Bild der allgemeinen Lage und der Stimmung in den Gerichten und in der Richterschaft zu machen, führte das Reichsjustizministerium außerdem Ende 1935 die sogenannten "Lageberichte" als "politische Wetterberichte" (H. Michelberger, Lageberichte, S. 14) ein. Die jeweiligen Oberlandesgerichtspräsidenten hatten alle vier Monate die aus der Sicht der Justiz besonders auffallenden Geschehnisse und Stimmungen zu Papier und somit dem Justizminister zur Kenntnis zu bringen. Diese Lageberichte bieten zwar für den Leser einen guten Einblick in die jeweilige Situation der Gerichte und erfassen Reaktionen unter der Richterschaft auf bestimmte Ereignisse wie z.B. die Pressekritik des "Schwarzen Korps" oder die Hitlerrede vom 26.4.1942, man muß aber berücksichtigen, daß die Verfasser der Lageberichte oft gefestigte Nationalsozialisten waren, die eher vorsichtig und manchmal schönfärberisch ihre Berichte schrieben, um Konflikte mit dem Justizminister zu vermeiden (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 166).

b. Vor- und Nachschau

Eine vermehrte Lenkung und Leitung der Rechtspflege setzte ab 1942 in der Ära des Justizministers Thierack und seines Staatssekretärs Rothenberger ein. Rothenberger war es auch, der 1942 die sogenannte "Vor- und Nachschau" bei den jeweiligen Gerichtspräsidenten einführte. Sie bestand darin, daß die Richter in allen Verfahren, die nur irgendwie den politischen Bereich berühren konnten, vor der Verhandlung in gemeinsamen Besprechungen mit ihren Dienstvorgesetzten "in vertrauensvoller Aussprache" (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 20) darüber redeten, welches Urteil sie voraussichtlich fällen würden (= Vorschau), und daß sie nach Erlaß des Urteils sich in der gleichen Weise wegen des tatsächlich gefällten Urteils zu rechtfertigen hatten (= Nachschau). Auf diese Weise besaßen die Machthaber ein weiteres wirksames Mittel, über parteitreue Gerichtspräsidenten, die von den Nationalsozialisten in ihr Amt gehievt worden waren, unmittelbar Druck auf die Richter auszuüben. So konnte man häufig in Protokollen zu Vor- und Nachschauen lesen, daß Vorgesetzte den betroffenen Richter empfohlen, "Rückfragen beim Reichsjustizministerium zu halten", oder daß man "angesichts solcher Auffassung des Reichsjustizministeriums auch in der Sache ... zum Tode verurteilen müsse" (I. Staff, Justiz im Dritten Reich, S. 103). Entsprachen gefällte Urteile nicht dem Geschmack der Nationalsozialisten, so schreckten Gerichtspräsidenten auch nicht vor konkreten Drohungen zurück. In einer Nachschau machte z.B. ein Landgerichtspräsident den Mitgliedern einer Strafkammer heftige Vorwürfe: "Jetzt ist die Panne da; wissen Sie denn nicht, wie die Partei zu den Kirchen steht? Noch ein solches Urteil, und Sie liegen auf der Straße!" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 159).

c. Richterbriefe

Zusätzlich zu Vor- und Nachschau wurden ab 1942 vom Justizminister die sogenannten "Richterbriefe" eingeführt, über deren Zweck er sagte: "Das ist eine glatte Richterlenkung, die ich mir erlaube durchzuführen und die ich auch verantworten zu können glaube" (H. Michelberger, Lageberichte, S. 322). Über Inhalt und Gestalt diese Richterbriefe führte Thierack im Einführungserlaß vom 7.9.1942, der an die Adresse der Gerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte gerichtet war, Näheres aus:

"Ich will, kann und darf nicht den Richter, der zur rechtlichen Ordnung eines Vorganges berufen worden ist, anweisen, wie er im Einzelfall zu entscheiden hat. Der Richter muß weisungsfrei bleiben, damit er seine Entscheidungen mit eigener innerer Verantwortung tragen kann. Ich kann ihm daher eine bestimmte Rechtsauffassung nicht befehlen, sondern ihn lediglich davon überzeugen, wie ein Richter der Volksgemeinschaft helfen muß [...] Um dem Richter zu helfen, seine hohe Aufgabe im Leben unseres Volkes zu erfüllen, habe ich mich daher zur Herausgabe von 'Richterbriefen' entschlossen, die allen deutschen Richtern und Staatsanwälten zugehen sollen. Diese Richterbriefe werden Entscheidungen enthalten, die mir nach Ergebnis oder Begründung besonders hervorhebenswert erscheinen. An diesen Entscheidungen möchte ich aufzeigen, wie eine bessere Entscheidung hätte gefunden werden können und müssen; andererseits sollen gute, für die Volksgemeinschaft wesentliche Entscheidungen als beispielhaft hervorgehoben werden. [...] Sie sollen [...] eine Anschauung davon geben, wie sich die Justizführung nationalsozialistische Rechtsanwendung denkt, und auf diese Weise dem Richter die innere Sicherheit und Freiheit geben, die richtige Entscheidung zu finden. [...] Ich bin überzeugt, daß die Richterbriefe wesentlich zu einer einheitlichen Ausrichtung der Rechtsprechung im nationalsozialistischen Sinne beitragen werden." (BJM, Justiz und NS, S. 299).

Der erste Richterbrief erschien mit einleitenden Worten Thieracks am 1.10.1942. Die Richterbriefe erschienen in einer Auflage von 11000 und behandelten alle Rechtsgebiete, schwerpunktmäßig das Strafrecht. Bis zum Ende des Krieges erschienen 21 Richterbriefe. In der Richterschaft wurden sie "ganz allgemein günstig" aufgenommen, und "als ein wertvolles und nahezu untentbehrliches Mittel für die Rechtsfindung im Kriege" bezeichnet (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 272). Trotz der Lenkungsmaßnahmen durch die Richterbriefe, die der Rechtshistoriker Dieter Simon mit "Hirtenbriefe für die Einschwörung und Ausrichtung der Gläubigen" verglich (D. Simon, Waren die NS-Richter "unabhängige Richter"?, S. 110), blieben den Richtern Spielräume, vor allem im Bereich der Strafzumessung. Es gab Gerichte, die sie im Sinne einer vertretbaren Rechtsprechung nutzten, und solche, die selbst in Richterbriefen wegen ihrer Härte kritisiert wurden.

d. Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren

Als eine andere tiefgreifende Lenkung der Rechtsprechung wurden direkte Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren praktiziert. Um unliebsame Überraschungen in der Hauptverhandlung zu vermeiden, die auch in einem Abweichen der Entscheidung vom Strafantrag der Staatsanwaltschaft gesehen wurden, ging man zunehmend zu einer sogenannten "Fühlungnahme" zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht über. Bei diesen vor und zum Teil auch während der Hauptverhandlung stattfindenden Besprechungen wurden teilweise schon detaillierte Strafmaßüberlegungen erörtert, als ob die erst festzustellende und zu beweisende Schuld des Angeklagten bereits feststünde. Grundlage für dieses Verfahren waren Rundverfügungen des Reichsjustizministeriums, nach denen die "Fühlungnahme" in "Fällen von besonderer Bedeutung" zur Verständigung über das Strafmaß vorgeschrieben war. Über die Modalitäten hieß es in einem Erlaß: "In der Öffentlichkeit dürfen dabei keine Mißverständnisse entstehen. Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen nicht vor den Augen des Publikums gemeinsam in das Beratungzimmer gehen. [...] Sollte nach Beginn der Hauptverhandlung eine Fühlungnahme mit dem Vorsitzenden nicht vermeidbar sein, so ist in besonderem Maße auf Zurückhaltung und Unauffälligkeit Bedacht zu nehmen" (H. Weinkauff, Justiz und NS, S. 160).
Diese Praxis war in der Richterschaft nicht immer unumstritten; häufig stieß man sich jedoch weniger an der Sache an sich, sondern vielmehr an der Form, weil z.B. nicht genügend Diskretion gewahrt wurde oder durch Besprechungen der Sitzungsbeginn verzögert wurde.


VI. Die Umänderung der Gerichtsverfassung

Zuletzt soll überblicksweise dargestellt werden, wie die nationalsozialistischen Machthaber ab 1933 nach und nach die Gerichtsverfassung umgeändert haben. Bemerkenswert ist, daß die Umgestaltung der Gerichtsorganisation und des Verfahrens zum geringsten Teil durch Gesetze geschah, sondern überwiegend durch Verordnungen, so z.B. im Kriege durch eine Reihe von Vereinfachungs- und "Kriegsmaßnahmenverordnungen" (H. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 193). Hierbei wird auf die Aufhebung von Präsidialverfassung und richterlicher Geschäftsverteilung sowie die Einrichtung und Ausdehnung der Sondergerichtsbarkeiten und des Volksgerichtshofs eingegangen. Außerdem soll gezeigt werden, wie die Stellung der Staatsanwaltschaft im Dritten Reich gestärkt wurde und wie die Justiz durch Kompetenzerweiterungen der Polizei teilweise ausgeschaltet wurde. Allen diesen Änderungen ist gemeinsam, daß durch sie die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze konsequent Stück für Stück abgebaut wurden (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 19).

1. Aufhebung von Präsidialverfassung und richterlicher Geschäftsverteilung

Vor 1933 war es Aufgabe des Gerichtspräsidiums, dem alle Direktoren bzw. Senatspräsidenten des betreffenden Gerichts angehörten, zu regeln, welche Geschäfte für ein Geschäftsjahr den einzelnen Kammern und Senaten zugewiesen und welche Richter diesen zugeteilt werden sollten. Diese gerichtliche Selbstverwaltung durch die sogenannte Geschäftsverteilung ließ also ursprünglich nicht zu, daß das Reichsjustizministerium und die Gerichtspräsidenten für bestimmte Aufgaben, z.B. für Prozesse von politischer Tragweite, besonders "zuverlässige" Richter einsetzen oder hiervon Richter, die dem Ministerium nicht genehm waren, ausschließen konnten. Um nun entsprechenden Einfluß auf die Zusammensetzung der Gremien zu gewinnen, wurden als erste Maßnahme der nationalsozialistischen Machthaber im Jahre 1933 die Präsidien verkleinert, und bereits 1935 erreichte man durch eine Verordnung, daß die Geschäftsverteilung bei den Amtsgerichten, die Bestellung der Vorsitzenden der Kammern für Handelssachen und der bei einem Amtsgericht gebildeten Strafkammern nicht mehr durch das Präsidium des Landgerichts, sondern allein durch den Landgerichtspräsidenten erfolgte. Selbstverständlich achtete man darauf, daß die Posten der Gerichtspräsidenten nur mit parteitreuen Nationalsozialisten besetzt wurden (vgl. V.3.c.). Schließlich wurden im November 1937 die Präsidien gänzlich abgeschafft, so daß die Bildung der Rechtsprechungskörper und die Geschäftsverteilung aus einer richterlichen Aufgabe zu einer solchen der Justizverwaltung wurde. Das Reichsjustizministerium konnte nunmehr nach Belieben besonders "zuverlässige" Richter in politisch bedeutsamen Referaten verwenden lassen, während dem Nationalsozialismus gegenüber kritisch eingestellte Richter, z.B. auf Verlangen des Kreis- oder Gauleiters der NSDAP, "kaltgestellt" wurden, z.B. durch Verwendung eines Strafrichters im Grundbuchamt (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 208).

2. Einrichtung und Ausdehnung der Sondergerichtsbarkeiten und des Volksgerichtshofs

Grundsätzlich waren für die Urteilsfindung die ordentlichen Gerichte (Art. 103 WRV) und die Verwaltungsgerichte (Art. 107 WRV) zuständig. Die nationalsozialistischen Machthaber schufen dann im März 1933 sogenannte "Sondergerichte" für politische Straftaten, an deren rascher Aburteilung den Nationalsozialisten gelegen war. Diese rasche Aburteilung wurde dadurch gewährleistet, daß die Sondergerichte einziginstanzliche Gerichte waren, Rechtsmittel waren nicht vorgesehen. Zudem wurde das Verfahren beschleunigt, indem die Ladungsfrist nur noch drei Tage betrug, auf Antrag sogar lediglich 24 Stunden.
Die Zahl der Sondergerichte, die stets bei einem Landgericht gebildet wurden, stieg ständig, bis März 1940 z.B. auf 56, und bis Ende 1942 um weitere 18 auf insgesamt 74. Gleichzeitig verlagerte sich im Laufe der Zeit der Schwerpunkt der strafgerichtlichen Tätigkeit immer mehr auf sie. Das Sondergericht Hamburg fällte z.B. im Verhältnis zum Landgericht Hamburg von 1936 bis 1939 nur 16 %, im Jahre 1943 dagegen rund 73 % aller ergangenen Urteile (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 245).
Anfangs waren die Sondergerichte nur für bestimmte politische Verbrechen und Vergehen, z.B. schwerer Aufruhr oder schwerer Landfriedensbruch, zuständig. Bis zum Kriegsbeginn wurden die Zuständigkeiten der Sondergerichte jedoch laufend erweitert. Die Staatsanwaltschaft konnte schon seit 1938 vor dem Sondergericht klagen, wenn an sich die Zuständigkeit des Schwurgerichts oder eines niederen Gerichts gegeben war. Ab 1940 waren die Sondergerichte ausschließlich zuständig für das eigentliche Kriegsrecht, z.B. bei Verstoßen gegen die VolksschädlingsVO, KriegswirtschaftsVO etc.. Um die machtpolitischen Vorteile der Sondergerichte zu nützen, wurde schließlich für die Staatsanwaltschaft das Recht eingeführt, Anklage vor dem Sondergericht zu erheben, wenn sie der Auffassung war, daß die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht mit Rücksicht auf die Schwere der Verwerflichkeit der Tat, oder wegen der in der Öffentlichkeit hervorgerufenen Erregung oder wegen ernsthafter Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten war, z.B. bei öffentlicher Wehrkraftzersetzung (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 246).
Als weitere Neuerung wurde im April 1934 durch das "Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und Strafverfahrens" der Volksgerichtshof errichtet, dessen Aufgabe laut Gesetz die Aburteilung von Hochverrats- und Landesverratssachen war. Ursprünglich besaß das Reichsgericht die Kompetenz dazu, doch den Nationalsozialisten waren die dortigen Verfahren zu langsam und zu wenig streng. Eine Besonderheit des Volksgerichtshofs war, daß von fünf Richtern eines Senats nur der Vorsitzende und ein weiterer Richter Berufsrichter sein mußten, so daß bereits durch die Besetzung des Gerichts eine zuverlässige Rechtsprechung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gewährleistet war. Ziel des Volksgerichtshof, der ab 1936 als ordentliches Gericht galt, war, ähnlich wie bei den Sondergerichten, schnelle und äußerst strenge Urteile zu fällen. So forderte Roland Freisler 1936 für den Volksgerichtshof: "Binnen vierundzwanzig Stunden ... muß die Anklage erhoben sein, binnen weiterer vierundzwanzig Stunden muß das Urteil da sein, und sofort muß der Verbrecher seine Strafe weghaben ... Die Zeit der mildernden Umstände als Regel muß vorbei sein." (H.W. Koch, Volksgerichtshof, S. 91). Daß Freislers Forderungen erfüllt wurden, belegen eindeutig Statistiken über die drastisch angestiegene Zahl der Todesurteile des Volksgerichtshofs im Laufe der Jahre. Traurige Berühmtheit erlangte der Volksgerichtshof unter der Präsidentschaft Freislers (seit 1942 bis zu seinem Tode im Volksgerichtshofgebäude bei einem alliierten Fliegerangriff am 3.2.1945) durch die dokumentierten menschenunwürdigen Prozesse gegen die Beteiligten des 20. Juli 1944. Aufgrund der radikalen nationalsozialistischen Rechtsprechung kommt man so zum Ergebnis, daß der Volksgerichtshof kein "eigentliches Justizorgan" gewesen ist, sondern als "Schöpfung des NS-Systems [...] vielmehr ein politisches Werkzeug (war), das in einer justizförmigen Prozedur politische Funktionen ausübte." (G. Werle, Justiz-Strafrecht, S. 21).

3. Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft

Wie bereits oben angesprochen, erhielt die Staatsanwaltschaft einen erheblichen Machtzuwachs auf Kosten des Angeklagten durch ihr Recht zur Auswahl des Gerichts. Seit 1940 stand ihr - soweit nicht der Volksgerichtshof oder die Oberlandesgerichte ausschließlich zuständig waren - die Wahl zwischen Amtsrichter, Strafkammer und Sondergericht zu. Somit konnte sie jede wichtigere Sache vor dem Sondergericht anklagen und damit die Entscheidung beschleunigen und ein Rechtsmittel von vornherein ausschließen.
Des weiteren wurde als wichtiges Mittel in der Hand der Staatsanwaltschaft der sogenannte "außerordentliche Einspruch" und die "Nichtigkeitsbeschwerde" eingeführt, durch welche die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen in zunehmendem Maße durchbrochen und ausgehöhlt wurde.
Bezüglich des "außerordentlichen Einspruchs" genügte es, wenn der Oberreichsanwalt "wegen schwerwiegender Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils eine neue Verhandlung und Entscheidung in der Sache für notwendig hielt" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 269). Der außerordentliche Einspruch war gegen jedes rechtskräftige Strafurteil zulässig, zu seiner Wirksamkeit bedurfte es keiner tiefergehenden Begründung; bereits mit seiner Einlegung galt das angegriffene Urteil als nicht mehr vorhanden. Wurde dieses Mittel, vor allem auf Weisung des Reichsjustizministeriums, angewendet, so wurde die Sache vor dem neuerrichteten "Besonderen Strafsenat des Reichsgerichts", der als nationalsozialistisch besonders zuverlässig galt, neu verhandelt. Der "Besondere Senat" überprüfte das aufgehobene Urteil nicht, sondern verhandelte als einzige und letzte Tatsachen- und Rechtsinstanz völlig von neuem. Auf diese Weise konnte das Reichsjustizministerium durch die weisungsgebundenen Oberreichsanwälte jedes rechtskräftige, aber ihm nicht genehme Urteil nach Belieben beseitigen und ein für sich wahrscheinlich "positiveres" Urteil erreichen.
Das gleiche Ziel verfolgten die Nationalsozialisten 1940 mit der Einführung der sogenannten "Nichtigkeitsbeschwerde". Voraussetzung hierfür war, daß "das Urteil wegen eines Fehlers bei der Anwendung des Rechts auf die festgestellten Tatsachen ungerecht ist", oder "wenn erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der in der Entscheidung festgestellten Tatsachen oder gegen den Strafausspruch bestehen" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 271). Während der außerordentliche Ausspruch gegen jedes Strafurteil zulässig war, konnte die Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen Urteile des Amtsrichters, der Strafkammer und des Sondergerichts erhoben werden, nicht aber gegen Urteile des Reichsgerichts, des Volksgerichtshofs oder der Oberlandesgerichte. Für die Entscheidung waren die allgemeinen Senate des Reichsgerichts zuständig, die das Urteil nur zu überprüfen hatten. Bei Aufhebung konnten sie in der Sache selbst entscheiden.

4. Ausschaltung der Justiz durch Kompetenzerweiterung der Polizei

Abschließend soll behandelt werden, wie Maßnahmen, die eigentlich in den Kompetenzbereich der Strafjustiz fielen, durch Kompetenzerweiterung der Polizei zugeteilt wurden. Auf diese Weise konnte die Polizei Straftaten mit polizeilichen Mitteln ahnden und dadurch entweder die Zuständigkeit des Gerichts verhindern oder Strafurteile nachträglich korrigieren. Diese Verfahrensweise bedeutete eine klare Durchbrechung des Grundsatzes vom gesetzlichen Richter, in Art. 105 Satz 2 WRV festgesetzt. Dieser Grundsatz verbot willkürliche Eingriffe in die Justiz und bestimmte gesetzlich das zuständige Gericht bzw. das Gebot, daß niemand der Strafjustiz entzogen werden durfte. Die Verletzung soll beispielhaft an der polizeilich vorgenommenen "Schutzhaft" und der sogenannten "Sonderbehandlung" gezeigt werden.

a. "Schutzhaft"

Unter dem Begriff "Schutzhaft" wurde im Dritten Reich die von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhängte vorbeugende Haft bei Verdacht auf "politische Verbrechen" verstanden. Daneben gab es, zunächst klar davon getrennt, die kriminalpolizeiliche Vorbeugungshaft, die bei Verdacht auf "sonstige Straftaten" verhängt wurde. Beide Arten der Haft besaßen keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, sondern wurden auf die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" vom 28.2.1933 zurückgeführt und beruhten auf teilweise geheime Erlasse des Reichsjustizministeriums, die ursprünglich auf die Inhaftierung von Kommunisten, Sozialdemokraten und Anarchisten gemünzt waren; in zunehmender Weise wandte die Gestapo sie jedoch auf jegliche ihnen nicht genehme Personen an, entscheidend war lediglich, daß zu "befürchten ist, daß die freie Betätigung der betreffenden Person in irgendeiner Weise [...] die Staatssicherheit gefährden werde" (H. Michelberger, Lageberichte, S. 357). Die Schutzhaft, die ursprünglich höchstens acht Tage dauern durfte, aber später unbegrenzt verhängt wurde, konnte kraft Gesetz nicht inhaltlich überprüft werden. Daß sich nur wenig Protest in der Richterschaft gegen diese Praxis erhob, lag wohl hauptsächlich daran, daß es sich hierbei vor allem in den Kriegsjahren um eine gängige Verfahrensweise handelte, die "durchweg anerkannt" (H. Michelberger, Lageberichte, S. 356) wurde.
Die Schutzhaft wurde in der Regel in Konzentrations- oder Arbeitslagern vollzogen, in die vor allem Personen geliefert wurden, die wegen eines politischen Delikts verurteilt worden waren. Außerdem wurden durch Erlasse von Hitler und Heinrich Himmler die Verhaftung und Inhaftierung ganzer Bevölkerungsgruppen, z.B. Polen oder Zigeunerstämme, durchgeführt.
Mit dieser Methode erreichten die Nationalsozialisten, daß zu milde Urteile eigenmächtig "korrigiert" wurden, und daß ihnen mißliebige Personen ohne "umständliche" und langwierige Gerichtsverfahren oder ihnen nicht genehme Häftlinge nach Beendigung der Strafhaft "ausgeschaltet" wurden.

b. "Sonderbehandlung"

Ein anderes dunkles Kapitel war die polizeiliche Praxis, in gewissen Fällen ohne jede Mitwirkung der Justiz die Todesstrafe zu verhängen. Diese Exekutionen wurden aufgrund von Geheimerlassen des Reichsführer-SS ausgeführt und euphemistisch "Sonderbehandlungen" genannt. Sie wurden z.B. in Fällen unerlaubten Geschlechtsverkehrs rassisch unerwünschter polnischer Kriegsgefangener oder Fremdarbeiter mit deutschen Frauen, oder prinzipiell bei strafbaren Handlungen polnischer oder sowjetrussischer Zivilarbeiter angewendet.
Ein Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes vom 30.6.1943 befahl so z.B.: "Die Staatspolizei(leit)stellen haben die anfallenden Strafsachen mit den ihnen zur Verfügung stehenden staatspolizeilichen Zwangsmitteln, erforderlichenfalls durch Beantragung einer Sonderbehandlung beim Reichssicherhauptamt, zu erledigen. An die Justiz sind nur die Fälle weiterzuleiten, in denen aus stimmungspolitischen Gründen eine gerichtliche Aburteilung wünschenswert erscheint und durch vorherige Fühlungnahme sichergestellt ist, daß das Gericht die Todesstrafe verhängen wird" (A. Wagner, Die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, S. 307).
Schließlich wurden Opfer solcher "Sonderbehandlungen" von Einsatzkommandos der Polizei und SS auch Menschen, gegen die nicht einmal der Verdacht einer strafbaren Handlung vorlag, in erster Linie Millionen von Juden, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden.


VII. Schlußbemerkung

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß dem deutschen Richter im Dritten Reich als Leitbild mehrere Institutionen und Autoritäten gegeben waren. Zum einen gab es, auch ab 1933, die richterliche Bindung an das Gesetz, so wie bereits in der Weimarer Reichsverfassung und in § 1 GVG gestgelegt. Allerdings wurde die strenge und ausschließliche Gesetzesbindung, die in der Weimarer Republik vorherrschte, wesentlich gelockert. Dies geschah durch die Festlegung der Richter und der Rechtsprechung auf die nationalsozialistische Weltanschauung, die in allen Rechtsbereichen dominierte und vor allem die Gesetzesauslegung zu bestimmen hatte. Eng damit verbunden war die Verpflichtung, das sogenannte "gesunde Volksempfinden" bei der Auslegung als auch als Rechtsquelle selbst zu berücksichtigen. Als oberste Rechtsquelle, die die nationalsozialistische Weltanschauung und das gesunde Volksempfinden sozusagen bündelte, galt zudem der persönliche Willen Hitlers, dem absolut zu folgen war. Durch gesetzliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe wurde es so ermöglicht, den "neuen nationalsozialistischen Wein in die alten Schläuche der überkommenen Rechtsordnung" (B. Rüthers, NJW 1988, S. 2831) gießen zu können. Außerdem beließen es die nationalsozialistischen Machthaber natürlich nicht bei den alten Gesetzen; vielmehr wurden, vor allem im Krieg, immer mehr Gesetze und vor allem Verordnungen erlassen, die nationalsozialistisches Rechtsdenken widerspiegelten und Grundlage für Gerichtsurteile in ihrem Sinn boten.
Es drängt sich nun die Frage auf, in welchem Maße die Richterschaft für das Geschehene mitverantwortlich war, wie es dazu kommen konnte, daß vor allem die Strafjustiz im Dritten Reich Unrechtsurteile oder zumindest außerordentlich harte Urteile gefällt hat.
Mit ein Grund für die Verschärfung der Strafrechtspraxis waren sicherlich die gesetzlichen Regelungen selbst; durch die Aufhebung des Analogieverbots und durch entsprechende prozessuale Vorschriften konnte das Strafrecht erheblich radikalisiert werden. Herauszuheben ist vor allem die Verschärfung der Rechtsfolgen, insbesondere die exzessive Androhung der Todesstrafe. Während vor 1933 nur bei drei gesetzlichen Tatbeständen auf die Todesstrafe erkannt werden konnte, war in den Jahren 1943/44 die gesetzliche Androhung dieser Strafe in 46 Fällen vorgesehen (G. Gribbohm, NJW 1988, S. 2844). Weiterhin brachte die Kriegslage eine "natürliche" Verschärfung der Strafrechtspraxis mit sich, wobei jedoch die nationalsozialistischen Machthaber diese ausnutzten, um unter dem Vorwand des Schutzes von Volk und Vaterland Fremdrassige und Systemgegner auszumerzen.
Des weiteren förderte auch die im Nationalsozialismus extensive Justizlenkung das Unrecht. Um das Mißfallen der Führung von Partei und Staat nicht zu erregen, wurden zu milde Gerichtsentscheidungen durch Besprechungen, Vor- und Nachschauen etc. und vor allem durch Eingriffe in schwebende Gerichtsverfahren verhindert. Wurden trotzdem unerwünschte Urteile gefällt, so konnten diese auf dem Wege des "außerordentlichen Einspruchs" und der "Nichtigkeitsbeschwerde" aufgehoben oder durch "Schutzhaft" und polizeiliche Exekutionen "korrigiert" werden.
Daß Unrechtsurteile gefällt wurden, mag auch daran gelegen haben, daß es durchaus viele Richter gegeben hatte, die sich dem Nationalsozialismus verschrieben hatten und aus politischen Gründen bestrebt waren, mit ihren Urteilen den Forderungen der politischen Führung zu genügen. Ein Musterbeispiel dafür war sicherlich der Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler. Zudem war es vereinzelt möglich, daß den Richtern aufgrund der Gesetzeslage, vor allem im Krieg, keine andere Wahl blieb, als z.B. die Todesstrafe zu verhängen.
Wesentlich häufiger gründete Unrecht auf die weit verbreitete Anpassung in der Richterschaft. Die allgemeine Drucksituation, z.B. die immer wieder geäußerte Erwartung politischer Stellen, mit äußerster Härte durchzugreifen, verfehlte nicht ihre Wirkung. So mancher Richter versuchte so, mit harten Urteilen den Weg des geringsten Widerstands zu gehen. Andere Gründe für das Duckmäusertum waren z.B. die Sorge des Familienvaters, Beruf und Stellung zu verlieren, der berufliche Ehrgeiz, der einen Richter willfährig gegenüber seinen Vorgesetzten machte, oder einfach das Bestreben, in diesen Zeiten nicht aufzufallen.
Nur in seltenen Fällen sprangen Richter über ihren Schatten und übten Widerstand. Am bekanntesten ist wohl der Fall des Vormundschaftsrichters Lothar Kreyssig, der 1940 von den Euthanasieverbrechen, speziell in seinem Zuständigkeitsbereich, erfuhr. Auch gegenüber Staatssekretär Freisler und sogar Justizminister Gürtner protestierte er entschieden gegen diese Vorgehensweise und weigerte sich, ihm befohlene Personen in ein offensichtliches "Vernichtungsheim" zu schicken. Das einzige, was ihm passierte, war seine Beurlaubung und 1942 schließlich seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, unter Belassung der Bezüge.
Nach dem Krieg tat man sich in der neugegründeten Bundesrepublik mit der Vergangenheitsbewältigung der Strafjustiz ausgesprochen schwer. Vor allem die Frage einer Bestrafung von Richtern wegen ihrer Mitwirkung an rechtswidrigen Todesurteilen wurde heftig diskutiert; letztendlich führte von vier Prozessen, die in einem Fall einen Landgerichtspräsidenten, in zwei Fällen Richter von Sondergerichten und in einem Fall (Rehse) einen Berufsrichter am Volksgerichtshof betrafen, keiner zu einer rechtskräftigen Bestrafung. Grund dafür war, daß laut BGH die besonderen rechtlichen Anforderungen für einen Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung, z.B. niedrige Beweggründe bei der Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe, nicht nachgewiesen werden konnten.
Als Konsequenz aus den Erfahrungen im Dritten Reich wurden im Grundgesetz in Artikel 97 Absatz 1 und im GVG der Bundesrepublik die Unabhängigkeit des Richters sowie seine Bindung nicht nur an das Gesetz, sondern auch an "Recht", besonders betont und geschützt. Dies findet z.B. auch darin Ausdruck, daß ein Richter in der Bundesrepublik Deutschland, sobald er sich in seiner sachlichen oder persönlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlt, sich zu seinem Schutz an sogenannte "Richterdienstgerichte" wenden kann.
Zuletzt sei bemerkt, daß die Frage der richterlichen Unabhängigkeit im Fall des Prozesses gegen den NPD-Vorsitzenden Deckert aktuellen Bezug bekam. Er wurde von den Mannheimern Richtern Orlet und Müller wegen Volksverhetzung auf Bewährung verurteilt worden, wobei deren Urteilsbegründung weltweit auf Empörung und Unverständnis stieß. Rufe nach weitreichenden Konsequenzen, z.B. sofortige Versetzung oder Versetzung in den Ruhestand der Richter, wurden laut, die sich jedoch aufgrund des verfassungsmäßigen Grundsatzes der richterlichen Unabhängigkeit auf keine gesetzliche Grundlage stützen können. Daß die Richter dennoch unter dem offensichtlich nicht zutreffenden Vorwand einer dauerhaften Erkrankung vorübergehend "kaltgestellt" wurden, ist insofern höchst problematisch. Gesetzliche Maßnahmen wären eine Neuverteilung der Geschäfte im nächsten Geschäftsjahr und vor allem, wie auch geschehen, die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil. In diesem Zusammenhang muß also betont werden, daß die Unabhängigkeit des Richters als ein Recht für den Bürger, der bei der Ausübung seiner Rechte und bei der Durchsetzung der Gesetze auf die Richter angewiesen ist, angesehen werden muß; für den Richter ist die Unabhängigkeit kein Privileg, sondern eine Pflicht (H. Prantl, SZ 17.8.1994, S. 4).



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