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Praktikum an einem kleinen Amtsgericht
Name des Autors auf dessen Wunsch entfernt


Praktikum am Amtsgericht


I. Grundlagen

Nach 2 Semestern des Jurastudiums, das anders begann, als ich erwartet hatte, wollte ich die Praxis "spüren". Dazu sind in Hamburg zwei Studienpraktika vorgeschrieben: Ein 4wöchiges "Einführungspraktikum", das an einer Praktikumsstelle nach Wahl durchgeführt werden kann, sowie ein 9wöchiges "Vertiefungspraktikum", welches dem späteren Wahlschwerpunkt entsprechen soll.

Ich bewarb mich also einige Kilometer außerhalb Hamburgs bei einem eher dörflich orientierten Amtsgericht. Am Amtsgericht Schwarzenbek (etwas 15 Kilometer östlich von Hamburg) sind 6 Richter beschäftigt, davon ein Strafrichter, drei Zivilrichter, ein Familienrichter sowie ein Betreuungsrichter. Interessanterweise konnte ich wählen, ob ich einem Richter oder einem Rechtsgebiet zugeteilt werden möchte – oder ob ich den gesamten Gerichtsbetrieb miterleben möchte. Ich entschloß mich für letzteres, um möglichst viele Eindrücke zu gewinnen.

II. Beim Strafrichter

Die erste Aufgabe war das gründliche Aktenstudium. Gerade durch die Aktenlektüre habe ich während des Praktikums viel gelernt, denn schon nach kurzer Zeit entwickelt man einen Blick für das Wesentliche und weiß, wo in einer Akte die Essentialia stehen und welche Seiten man nur zu überfliegen braucht. Auch erfährt man so schon vorprozessual viel über die Taktik der Verteidigung und lernt, den Angeklagten einzuschätzen.

Leider ziehen viele Angeklagte es vor, zum ersten Hauptverhandlungstermin gar nicht zu erscheinen, so daß sie dann zu einem weiteren Termin vorgeführt oder sogar verhaftet werden müssen; das Warten auf Angeklagte trübt ein wenig die Freude, doch dies ist an Amtsgerichten üblich. Auch in der Strafzumessung, die im Studium traditionell zu kurz kommt (in Hamburg z.B. eine Vorlesung im ganzen Studium), kann man durch Gespräche mit dem Strafrichter, den Schöffen und den Vertretern der Staatsanwaltschaft etwas lernen.

III. Beim Zivilrichter

Im Zivilrecht sind die Mehrheit Standardfälle, d.h. Widersprüche gegen Mahnbescheide, Verkehrsunfälle und Streitigkeiten im Mietrecht. Beim Zivilprozeß ist der Vorbereitete deutlich im Vorteil: Gerade im Gegensatz zur Strafverhandlung, bei der dem Vertreter der Staatsanwaltschaft meist nur eine Handakte, d.h. die Anklageschrift, zur Verfügung steht, und das Gericht aus dem "Ingegriff der Hauptverhandlung" (vgl. § 261 StPO) eine Entscheidung zu treffen hat, werden im Zivilrecht oft umfangreiche Gutachten vorgelegt, deren Lektüre Voraussetzung für das Verständnis der Verhandlung ist. Besonders bei der Beobachtung mehrerer Prozesse gleichen Gegenstands kann man bereits einiges über Strategien der Parteien beobachten und lernen.

Sehr positiv konnte ich während des Praktikums vermerken, daß Anwälte und Richter in Verhandlungspausen mit mir die Fälle besprochen und mich nach meiner Einschätzung befragt haben. In manchen – zugegebenermaßen seltenen – Fällen kann man sogar als Praktikant an der Entscheidungsfindung mitwirken, sofern man denn auf einem Gebiet speziellere Kenntnisse als das Gericht vorweisen kann...

IV. Sonstige Rechtsgebiete

Auch den Gerichtsvollzieher durfte ich bei der Abnahme eidesstattlicher Versicherungen und der Vollstreckung von Urteilen begleiten. Es handelt sich hier zwar um keinen streng juristischen Beruf (Gerichtsvollzieher sind Beamte des mittleren Dienstes), jedoch ist es sehr interessant, den Weg eines Urteils nach der Verkündung zu verfolgen. Ein Gerichtsvollzieher muß jedoch mehr können als häufig vermutet: Oft gehört psychologisches Einfühlungsvermögen, an anderer Stelle aber auch Durchsetzungsfähigkeit dazu, sich bei einem Schuldner zu behaupten.

Über den Direktor des Amtsgerichts lernte ich auch einen Insolvenzverwalter einer großen Hamburger Kanzlei kennen, der mir anbot, ihn einen Tag lang zu begleiten. Auch ohne gefestigte Kenntnisse des Insolvenzrechts hat dieser Tag mein Interesse für selbiges vervielfacht: Wie ein Manager wacht der Insolvenzverwalter über mehrere Unternehmen gleichzeitig, muß den Überblick über die Wirtschaftlichkeit behalten, Mitarbeiter beaufsichtigen, mit Gläubigern und Investoren verhandeln – und das meist an mehreren Orten zur selben Zeit.

Ein Rechtsgebiet, das im Studium nicht behandelt wird, welches aber gern an junge Richter übertragen wird, ist das Betreuungsrecht. Die §§ 1896 ff. BGB haben im Jahr 1992 die sog. "Entmündigung" Erwachsener durch die Betreuung ersetzt. Betreung bedeutet, daß das Vormundschaftsgericht für eine hilfsbedürftige volljährige Person einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter bestimmt. Die Betreuungsvollmacht erstreckt sich dabei nicht auf alle Gebiete, sondern ist beschränkt, z.B. auf Finanzangelegenheiten. Da ein auf Betreuung Angewiesener, z.B. ein psychisch Kranker, sich selten noch selbst hinreichend äußern kann, wird ein Betreuer auf Vorschlag eines Dritten bestellt, z.B. eines Angehörigen. Die Aufgabe des Betreuungsrichters ist es nun, anhand von Gutachten die medizinische Notwendigkeit der Betreuung zu ergründen und den Betroffenen anzuhören. Diese Anhörung muß der Richter persönlich vornehmen, dazu begibt er sich meist zu dem Betroffenen nach Hause bzw. zu der betreffenden Pflegeeinrichtung.

Ich durfte den Betreuungsrichter zu solchen Anhörungen, hauptsächlich in Pflegeheimen für Demenzkranke, begleiten. Die keinesfalls leichte Aufgabe, eine psychisch kranke oder körperlich oder geistig behinderte Person nach Vorschrift anzuhören, hat kaum noch etwas mit juristischer Arbeit, wie sie gelehrt wird, zu tun: Hier spielen vielmehr psychologisches Feingefühl und ein "guter Draht" zu hauptsächlich alten Menschen eine Rolle. Oft ist seitens der Angehörigen auch Angst im Spiel, da die Gegebenheiten einer Betreuung ihnen unbekannt sind oder sie, aufgrund ihres Alters, mit einem Richter noch ganz andere Dinge assoziieren. Der Richter hat hier also eine Doppelrolle: Er muß sowohl beruhigend den Sachverhalt aufklären, als auch später eine Entscheidung treffen. Gerade auf dem Gesichtspunkt basierend, daß jüngere Richter gern die unbeliebten Dezernate zugeteilt bekommen, war es spannend zu erfahren, womit man im Berufsalltag zu rechnen hat.

V. Fazit

Es war eine gute Entscheidung, ein kleines Gericht außerhalb der Großstadt für das Einfürungspraktikum zu wählen, um einen vielfältigen Einblick zu erhalten. Kommilitonen, die zeitgleich in Hamburg ihr Praktikum absolviert haben, konnten z.B. nur an den Sitzungen eines Strafrichters teilnehmen. Ich kann wärmstens empfehlen, sich für einen Gesamtüberblick ein kleines Gericht auszusuchen.

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