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Wahlstation in der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin
Dieser Artikel stammt von Doreen Namislo und wurde in 10/2003 unter der Artikelnummer 8443 auf den Seiten von jurawelt.com publiziert. Die Adresse lautet www.jurawelt.com/artikel/8443.


Wahlstation in der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin


Bisher war die Anwendung von bestehenden Gesetzen Hauptzweck und -aufgabe während meines Studiums und Referendariats. Mich interessierte von jeher aber auch, wie meine "Arbeitsmaterialien" entstehen und so war es stets mein Wunsch, einmal bei der Entscheidungsfindung hautnah dabei zu sein. Die Wahlstation im Rahmen meiner Referendarausbildung von Mai bis August 2003 bot sich dazu an, mich dieses bisher eher vernachlässigten Themenbereiches anzunehmen.

Es stellte sich nunmehr die Frage, wo und bei welcher Institution ich mein Ziel am besten erreichen könnte. Der Ort war schnell gefunden. Es sollte auf Bundesebene sein und in Berlin. Bei der zu wählenden Institution berücksichtigte ich mein Ziel: Ich wollte Einblicke in die Erarbeitung von Gesetzentwürfen, die Einleitung und das gesamte Gesetzgebungsverfahren sowohl im Deutschen Bundestag als auch im Bundesrat und deren jeweiligen Ausschüssen gewinnen. Die Antwort konnte daher nur lauten: Mitarbeit in einer Landesvertretung.

Bereits im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Seminars an der Martin-Luther-Universität in Halle bei Prof. Dr. Wolfgang Schreiber war es mir vergönnt, Bonn - den damaligen Regierungssitz - zu besuchen und neben vielen anderen Institutionen auch die Landesvertretung Sachsen-Anhalt kennen zu lernen. Diese Erinnerung und meine Abstammung ließen mich als "Landeskind" die Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund wählen. Meine Bewerbung verlief ohne Probleme und ich erhielt bald eine Zusage.

Ich hatte das Privileg, ein eigenes Büro in dem nach der Sanierung gerade erst bezogenen repräsentativen Sitz der Landesvertretung in der Luisenstraße 18 zu erhalten. Ein Haus mit kultureller Vergangenheit als Künstlerclub "Die Möwe", das in unmittelbarer Nähe zum Reichstag und den Gebäuden des Bundestages liegt.

Die Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund gehört als Abteilung 5 organisatorisch zur Staatskanzlei in Magdeburg. Sie ist als sozusagen "exterritoriale" Dienststelle in Berlin die Verbindungsstelle und der Schnitt- bzw. Koordinationspunkt zwischen der Politik auf Bundes- und auf Landesebene. Chef der Landesvertretung ist der Ministerpräsident des Landes, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer. Er wird in Berlin vom Bevollmächtigten des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund, Staatssekretär Dr. Michael Schneider, vertreten.

Die Aufgaben der Landesvertretung sind politischer, zugleich aber auch informatorischer und repräsentativer Natur. Die Referenten beobachten und begleiten die Gesetzesvorhaben des Bundes, unterrichten die Landesregierung und den Landtag über aktuelle bundespolitische Entwicklungen und loten die Chancen für eigene Initiativen des Landes im Bundesrat aus. Zu Ihren wesentlichen Aufgaben gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit, indem sie u.a. kulturelle Veranstaltungen oder Gesprächskreise durchführen, die Räume der Landesvertretung für publikumswirksame oder politische Veranstaltungen zur Verfügung stellen oder selbst Einladungen zu Diskussionen und kulturellen Veranstaltungen anderer Landesvertretungen, Botschaften oder wichtigen Bundesorganisationen und Interessengruppen wahrnehmen. Die Mitarbeiter der Landesvertretung waren immer freundlich und hilfsbereit und nahmen mich als "vollwertiges" Mitglied auf. Es herrschte eine äußerst angenehme Arbeitsatmosphäre. Die Arbeitszeit erstreckte sich von ca. 9 -16 Uhr von Montag bis Freitag, konnte aber schwanken und war im Übrigen gleitend. Ich war in der Landesvertretung der Leiterin des Referates 52 (Recht und Innen, Verteidigung und Justiziariat), Frau Regierungsdirektorin Karin Klingen, zugeteilt. Ihr wich ich nicht mehr von der Seite, um alle sich bietenden Informationsmöglichkeiten auszuschöpfen. Ihr verdanke ich es auch, dass sich alle meine mit der Wahlstation verbundenen Vorstellungen bewahrheitet haben. Als Mitarbeiterin der Landesvertretung standen mir sowohl der Deutschen Bundestag, der Bundesrat als auch deren z.T. nichtöffentliche Ausschüsse offen. Weil Sachsen-Anhalt ein sog. B-Land ist (d.h. CDU - regiert bei gleichzeitiger SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Regierung auf Bundesebene), hatte ich zudem die Möglichkeit, an internen Sitzungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion teilzunehmen.

Meine Aufgaben und Tagesabläufe unterschieden sich von Sitzungswoche zu Sitzungswoche. Es gab sog. doppelte Sitzungswochen, die einer gewissen Koordination bedurften. Dann tagten dienstags die Arbeitsgemeinschaften der Fraktionen und am Mittwoch sowohl die Ausschüsse des Bundestages als auch die des Bundesrates. Die Sitzungen wurden jeweils vom Referat 52 wahrgenommen. Bei einer "einfachen" Sitzungswoche tagten nur Bundestags- oder Bundesratsausschüsse. Weiterhin fanden meist von Mittwoch bis Freitag die Sitzungen des Bundestages statt und alle drei Wochen Bundesratsplenarsitzungen.

In der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurden das Abstimmungsverhalten und die Redebeiträge für den Bundestagsrechtsausschuss koordiniert, Redelisten für den Bundestag erstellt, über neue Gesetzesinitiativen der Fraktion beraten und das weitere politische Tagesgeschäft besprochen. Die Gespräche waren vertraulich und daher empfand ich es als besonderes Privileg, dort als "Außenstehende" teilnehmen und so in das Politikgeschäft "hineinschnuppern" zu können.

Ich begleitete regelmäßig den Rechtsausschuss des Bundestages, studierte vorab die Unterlagen zu den Tagesordnungspunkten und schrieb die Sitzungsprotokolle unter Berücksichtigung von Hintergrundinformationen. Bei thematisch besonders interessanten oder problematischen Gesetzentwürfen verfolgte ich auch die sich anschließenden Debatten im Bundestagsplenum. Ich hatte auch das Glück, bei einer kurzfristig angesetzten Regierungserklärung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder zugegen zu sein und den "Showdown" zwischen Regierung und Opposition hautnah mitzuerleben.

Wie der Deutsche Bundestag bildet auch der Bundesrat Fachausschüsse. In ihnen wird die eigentliche Arbeit zur Vorbereitung von politischen Entscheidungen - im Vorfeld von Bundesratssitzungen - geleistet. Als Vertreterin des Landes nahm ich mit den entsandten Beamtinnen und Beamten der Fachministerien des Landes auch an diesen Ausschusssitzungen des Bundesrates und den Unterausschüssen teil. Zudem wohnte ich als Beobachterin der Koordinierung der Bundesratssitzungen bei, in der unstrittige Tagesordnungen auf die sog. Grüne Liste gesetzt werden und die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte und Redebeiträge festgelegt werden. An den Sitzungen des Bundesrates selbst konnte ich - auf der Bundesratsbank des Landes sitzend - teilnehmen. Hier hatte ich den Auftrag, das Ergebnisprotokoll zu fertigen. Die Möglichkeit, die Ministerpräsidenten der Länder und mehrere Bundesminister "in Aktion" zu erleben, war beeindruckend.

Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, sowohl über die Arbeitsgruppen-Sitzungen als auch über die Sitzungen der Ausschüsse Protokoll zu führen. Alle Berichte wurden auf dem Dienstweg über die Landesvertretung an die Fachministerien und die Staatskanzlei nach Magdeburg geleitet. Ebenso fand der Inhalt und das Ergebnis von (nicht)öffentlichen Anhörungen, bei denen ich zugegen war, in aufbereiteter Form seinen Weg in die Landeshauptstadt. Die Anhörungen von Sachverständigen fanden jeweils zu im Gesetzgebungsverfahren befindlichen strittigen Themen statt und wurden von den Bundestagsausschüssen oder den Fraktionen veranstaltet. So verfolgte ich die Diskussion über die Frage, ob und wie durch ein spezielles Gesetz der Terrorismus wirksam bekämpft werden kann, ob illegale Graffiti unter Strafe gestellt werden müssen, ob eine Kriegsgefangenenentschädigung noch notwendig sei und inwieweit die Asylrichtlinie der Europäischen Union auf unser Asylrecht Auswirkungen habe.

Ich hatte zudem Gelegenheit, an einer Sitzung der Ständigen Vertragskommission der Länder teilzunehmen - eine mir bis dahin völlig unbekannte Institution. Dorthin entsendet jedes Bundesland einen Vertreter (aus der Landesvertretung). Beratungsgegenstand sind Internationale Abkommen, die die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder berühren. Die Länder müssen darüber rechtzeitig informiert werden und bei bestimmten Beschlüssen ist Einstimmigkeit erforderlich. Die Versammlung dient der Abstimmung des Verhaltens der Länder bei kritischen oder strittigen Inhalten. Auch zu dieser Sitzung fertigte ich ein Protokoll.

Teil meiner Arbeit war weiterhin das Abfassen von sog. Fraktionsvorsitzenden-Schreiben im Vorfeld der Sitzungen des Bundesratsplenums. Diese erfüllen den Zweck, die Mitglieder des Landtages und der Regierung über die für das Land Sachsen-Anhalt wichtigsten Gesetzesvorhaben auf Bundesebene, die auf der Tagesordnung der nächsten Bundesratssitzung zur Abstimmung stehen, zu informieren. Sie enthalten sowohl den Inhalt, den Urheber, die Intention des Entwurfes und die Auswirkungen auf das Land Sachsen-Anhalt als auch den Verfahrensstand. Dadurch wird die Entscheidungsfindung hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens auf Landesebene ermöglicht und erleichtert.

Die Juristerei war bei allen diesen Aktivitäten nicht ausgeblendet. Immer wieder mussten knifflige juristische Fragen geklärt, Gutachten geschrieben und Rechtsauskünfte erteilt werden.

Ich hatte zudem Gelegenheit, meine journalistischen Neigungen unter Beweis zu sttellen. Die Landesvertretung gibt online ein Monatsmagazin "Newsletter" heraus, das einen Einblick in die ständige Arbeit der Behörde bietet, leicht verständlich über wichtige bundespolitische Themen aus Bundesrat und Bundestag berichtet, die Initiativen Sachsen-Anhalts im Bundesrat vorstellt und über kulturelle Veranstaltungen informiert. In klarer, einfacher Sprache versuchte ich, Nichtjuristen aktuelle rechtspolitische Themen näher zu bringen - eine ganz neue Erfahrung, fern jedem bisher geübten Subsumtions- und Urteilsstil.

Informationen über die Arbeit und aktuelle Themen der anderen Referate der Vertretung erhielt ich im Rahmen der wöchentlichen Dienstleiterbesprechungen. In ihnen berichteten die Referenten über ihre jeweiligen Ressorts, die anstehenden Themen und interessanten Entwicklungen. Zudem wurde die Öffentlichkeitsarbeit besprochen sowie über landespolitische Vorgänge informiert.

Abschließend möchte ich die zahlreichen Veranstaltungen in Form von Diskussionsrunden, Vernissagen und Sommerfesten erwähnen. Sie waren ein angenehmer Nebeneffekt der Tätigkeit in der Landesvertretung. Die Mitarbeiter - und damit auch ich - sind gehalten, auch repräsentative Aufgaben wahrzunehmen, um das Land Sachsen-Anhalt bei Interessengruppen, Bundesorganisationen und den anderen Bundesländern "in einem guten Licht erscheinen zu lassen". Zum Wohle des Landes müssen Verbindungen geknüpft oder gefestigt werden. In diesem Rahmen hatte ich Gelegenheit, Kontakte zu Bediensteten anderer Länder und von Bundes- und Landesministerien zu knüpfen.

Die Veranstaltungen fanden besonders im Sommer verstärkt statt - bis zum Beginn der parlamentarischen Sommerpause, in der ich aufarbeitete, was bisher liegengeblieben war. Hier nutzte ich dann auch die Zeit, mir Berlin näher anzusehen. Es fand sich darüber hinaus Zeit, Einblicke in die Arbeit der Landesregierung zu gewinnen. In der Landeshauptstadt Magdeburg informierte ich mich aus erster Hand über die Aufgaben einer Staatskanzlei. Zudem konnte ich Kontakt mit der Verwaltung des Landtages aufnehmen, was mir bei der späteren Abfassung meiner Dissertation zum Thema "Die Wahlen zum Landtag von Sachsen-Anhalt 1946 - 2002" helfen wird.

Bei allen Arbeiten in der Landesvertretung und den Verfassungsorganen ist mir bewusst geworden, welch große Rolle der politische Hintergrund im Gesetzgebungsverfahren spielt. Ich konnte einen Blick hinter die Kulissen der täglichen Politik in all ihren Facetten werfen und mir ein Bild von der Arbeit einer Oppositionspartei und - fraktion machen.

Mein Fazit lautet:

Die viermonatige Wahlstation in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund war äußerst interessant, abwechslungsreich, ja geradezu spannend. Im Mittelpunkt stand weniger die juristische Ausbildung. Mir ist vielmehr ein in diesem Umfang nicht erwarteter umfassender Einblick in das politische Handeln der Verfassungsorgane auf Bundes- und Länderebene ermöglicht worden, an dem ich mich mit meinen bescheidenen Mitteln aktiv beteiligen durfte. Es hat sich mir eine neue Sicht der Bewältigung von aktuellen politischen Entscheidungsprozessen eröffnet. Ich habe durch meine Arbeit ein - bisher wenig ausgeprägtes - Interesse für Politik entdeckt.

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