RA Jörg Hoffmann
Bienvenidos en America del Sur
Nachdem der Wunsch, die Wahlstation in Montevideo zu absolvieren, gefasst war, wandte ich mich
an den Deutschen AnwaltVerein (DAV), der mir umgehend eine Liste mit Adressen von Anwälten in
der ganzen Welt zusandte. Leider war eine Adresse in Montevideo bzw. Uruguay nicht
auszumachen. Ein wenig enttäuscht ließ ich von der meiner Idee ab, durch die Verwaltungsstation in
einer Dortmunder Behörde ohnehin entmutigt. Zwei Wochen spatter erhielt ich jedoch einen Brief vom
DAV, in dem mir mitgeteilt wurde, man habe noch recherchiert und freue sich, mir einige Adressen
von Anwälten in Montevideo senden zu können. Die Begeisterung für Montevideo war wieder
entflammt. Allerdings ließen meine Spanischkenntnisse sehr zu wünschen übrig. Bei der Bewerbung
half mir die mexikanische Frau eines Freundes. Einige Wochen später rief ich bei Herrn RA Prof. Dr.
Fernandez in Montevideo an. Zu meiner großen Überraschung sagte er mir mit klarem Deutsch (!) die
Stelle zu.
Eine andere Welt
Die Uhren in Südamerika gehen in vielerlei Hinsicht anders. Verspätungen von 30-60 Minuten auch
bei geschäftlichen Terminen sind keine Seltenheit. Für ein europäisches, respektive deutsches
Gemüt, selbst mit starken Nerven, wirkt das durchaus belastend, was allerdings das durchweg
positive Gesamtbild des Aufenthalts in Montevideo in keiner Weise getrübt hat.
Nach den Klausuren blieben nur wenige Tage, um die Reisevorberetungen zu treffen und die Koffer zu packen. Das Ticket, welches wegen der viermonatigen Gültigkeit leider sehr teuer war (EUR 850,00) hatte ich schon sehr früh gebucht. Auch um die Impfungen hatte ich mich zwangsläufig schon vorher gekümmert (empfehlenswert, ca. EUR 300,00).
Über das Internet hatte ich einen sehr netten (deutschen) Kontakt gefunden, so dass ich sogar
schon vor der Ankunft eine tolle Wohnung hatte: 60 qm, sowie 35 qm Dachterasse mit Blick auf das
Meer, 50 Meter zum Strand etc., und das alles für EUR 400 pro Monat! Also allerbeste
Voraussetzungen für eine entspannte Anreise nach der Klausurenphase. Via Internetanschluss in
meinem Appartement hatte ich Kontakt zur Außenwelt. Nach einer endlosen Reise (mit Umsteigen ca. 27 Stunden) bekam ich noch die Ausläufer des Winters zu spüren. Das Wetter war anfangs wechselhaft (12 - 22° C) mit Regen, steigerte sich im Verlauf des Aufenthalts jedoch extrem, so dass ich einen wunderschönen südamerikanischen Frühling und Sommer erleben konnte.
Uruguay liegt im Südosten von Südamerika zwischen Brasilien (im Norden) und Argentinien (im
Süden). Insgesamt leben dort ca. 2,5 Millionen Menschen. Auf die Hauptstadt Montevideo, die am Rio
de la Plata (der in den Atlantik mündet) gelegen ist, entfallen über 1 Million Menschen. Buenos Aires
liegt etwa 200 Kilometer von Montevideo entfernt, am anderen Ufer des Rio de la Plata. Der Zeitunterschied zu Europa beträgt fünf Stunden. Amtssprache ist spanisch. Das Klima ist gemäßigt; im Winter sinkt das Quecksilber nie unter Null, wobei im Sommer (insbesondere Januar) die Temperaturen leicht über 35° C klettern. Dann ist es ausschließlich am Meer auszuhalten. Die höchste Erhebung ist 450 m hoch. Man könnte Uruguay als mediterranes Holland bezeichnen.
Wegen der geografischen Lage kommt es insbesondere in Frühling und im Herbst zu schnellen
Wechseln des Wetters, was mir auch nach der Eingewöhnungszeit immer noch zu schaffen machte.
Leben und Arbeiten in Montevideo
Leider sprechen in Uruguay nur sehr wenige Einwohner Englisch, so dass das Erlernen der
Sprache zwingend erforderlich war. Die Menschen sind sehr nett und aufgeschlossen, auch wenn die
Verständigung nur mit Händen und Füßen klappt, auf jeden Fall gibt es viel zu lachen. In
Montevideo kann man auch nachts ohne Bedenken durch die Straßen ziehen. Es gibt viele Kneipen
und Bars, die bis morgens geöffnet haben (die ich natürlich nur aus Erzählungen kenne).
Der Kanzleialltag
Mit der Arbeit in der Kanzlei von Herrn Prof. Dr. Fernandez hatte ich großes Glück. Die Arbeitszeiten
passen sich denen des Gerichts an. Im Winter sind die Gerichte von 13.00 bis 19.00h geöffnet, im
Sommer von 9.00-13.00h. Meine angestellten Kollegen waren sehr nett und aufgeschlossen und
haben mich von Anfang an in die Kanzleiarbeit integriert. Ich wurde in allen Bereichen herumgeführt. Man zeigte mir die Universität mit einer sehr berühmten Bibliothek. Glücklicherweise war mein Chef neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt als ordentlicher Professor der Universidad de la Republica Oriental de Uruguay, Facultad de Derecho Penal tätig. Dadurch konnte ich auch einige Vorlesungen besuchen. Die Bibliothek ist wunderschön und riesig. Das Dach ist vor zwei Jahren zusammengestürzt, so dass alles neu renoviert wurde. Die Bücher sind dadurch natürlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Da die Rechtsquellen Uruguays sich hauptsächlich auf das italienische und französische Recht stützen, sind die Bücher zu einem großen Teil in diesen Sprachen. In allen Rechtsgebieten habe ich auch (relativ aktuelle) deutsche Bücher gefunden; zur großen Überraschung der Anwältin, die mich begleitete und mir alles gezeigt hat.
Strafrecht in Uruguay
Uruguay übernahm vor Jahren das italienische Strafgesetz, welches aus der Feder von Arthuro
Rocco, dem Justizminister unter Mussolini, stammte. Im Laufe der Jahre wurden die faschistischen
Paragraphen gestrichen. Bis vor einigen Jahren, d.h. vor und auch während der Diktatur
wurde ausschließlich die kausale Handlungslehre (Metzger) vertreten. Die Dogmatik wurde nicht
weiter entwickelt. Nach der Diktatur begann man, sich für die finale Handlungslehre zu begeistern. Der
Paradigmenwechsel geht allerdings nur sehr langsam von statten. In der Praxis hängt man
immer noch an der finalen Handlungslehre an.
Die erste Instanz ist in Montevideo nach Rechtsgebieten differenziert, im restlichen Land gibt es nur
die Unterscheidung Straf- oder Zivilgericht. Die gerichtlichen Mitarbeiter: Richter Protokollführer
(funcionario receptor) Verwaltungsangestellte. Organe der Rechtspflege sind der Richter, der
Staatsanwalt sowie der Verteidiger. Das gesamte Strafverfahren erfolgt schriftlich. Es gibt nur zwei
Ausnahmen, die durch die Abschaffung des Duells notwendig wurde. Zum einen die persönliche
Beleidigung, sowie zum anderen die Beleidigung durch die Presse. Beides aus Gründen der
Satisfaktion und Genugtuung. Es gibt weder eine qualifizierte Belehrung des Beschuldigten noch
das Recht auf einen Verteidiger. Letzteres ist darin begründet, dass der Beschuldigte lediglich
eine Ladung erhält ohne Angabe des Grundes. Der Verteidiger erhält allerdings erst kurz vor der
Verhandlung Akteneinsicht, so dass die Verteidigungsmöglichkeit zu diesem Zeitpunkt sehr eingeschränkt ist. Das Vorverfahren endet mit einer gerichtlichen Verfügung: Entweder
der positiven Entscheidung über die Eröffnung der Hauptverfahrens, der auto de procisiamento,
die mit der Berufung anfechtbar ist; Oder mit der negativen Entscheidung, die das Verfahren sofort
beendet, gegen diese die StA Berufung bei Suprema Corte einlegen und damit möglicherweise die
Klage erzwingen kann.
Essen und Trinken
Uruguay ist wie Argentinien für seine Steaks bekannt, da sich die Landwirtschaft auf Rinderzucht
beschränkt. Die Qualität und der Geschmack waren ausgezeichnet. Der Grund war ohne Frage die Haltung: Alle Tiere sind freilaufend. Trotz der langen Küste wird fast ausschließlich Fleisch gegessen; und zwar in rauen Mengen. Das Grillen von Fleisch mit Holzfeuer ist in allen Gesellschaftsschichten und zu allen Jahreszeiten alltäglich. Glücklicherweise wies auch meine große Terrasse einen guten gemauerten Grill auf, so dass viele Grillparties dort stattfinden konnten. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Lebenskultur in Uruguay (und auch Argentinien) ist der sog. Mate – eine Kräuter(tee)mischung, die mit dem Mate-Tee, den wir bei uns kennen, nur bedingt vergleichbar ist. Menschen jeden Alters, die das Gefäß (heißt auch Mate) aus Kürbis, teilweise reich mit Silber abgesetzt und verziert und eine bombilla (Strohhalm aus Silber) sowie eine Thermoskanne mitführen, gehören zwingend zum Stadtbild. In Uruguay ist Mate mit der Geschmacksrichtung amargo populär,
d.h. eigentlich nur ohne Zucker, im Gegensatz zu Argentinien, wo der Mate dulce mit viel Zucker getrunken wird. Der Mate uruguayo schmeckt relativ bitter und ist sehr anregend wie Kaffee. Der Kürbisbecher wird nach einer Runde (1 Füllung Wasser) niemals vom Satz geleert. Es wird nur der Teesatz mit der Bombilla zur Seite geschoben und neu aufgossen. So macht der Kürbis die Runde. Eine wunderbare Tradition, die sehr integrativ ist.
Wirtschaft und Preise
Die wirtschaftliche Situation in Uruguay ist sehr schlecht. Der Peso stand noch bis kurz vor meiner
Abreise bei etwa 14 im Vergleich zum Euro, nunmehr bei 28-30. Für mich war dadurch zwar alles um
die Hälfte billiger geworden, aber die Situation war für die wirtschaftliche Lage des Landes
dramatisch. Uruguay hat inzwischen eine Arbeitslosenquote von über 25 %, Tendenz steigend. Das
Auswärtige Amt hat mir einen Kaufkraftausgleich in Höhe von 5 % bewilligt. Ein Problem des Landes ist u.a. die riesige Verwaltung. Ende der 90er wurde eine internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Effektivitätsuntersuchung beauftragt. Dort wurde festgestellt, daß die Arbeit der Verwaltung mit 65 % weniger Belegschaft erledigt werden könnte.
Die politische Führung hat herzlich für diese (teure) Untersuchung gedankt, aber keinerlei Reformen
auch nur angedacht. Hier wird nicht mit Geld bestochen, sondern ausschließlich mit Posten in der
Verwaltung. Eine besondere Stilblüte: Am Plaza Independenzia, dem Zentrum der Stadt mit einen riesigen Artigas-Monument (Volksheld, der gegen die Kolonialisten gekämpft und gewonnen hat (1829), aber trotzdem kurz darauf aus dem Land gejagt wurde. Als man um 1900 dringend einen Volkshelden braucht, wurde er zu einem solchen gemacht) befindet sich ein riesiges modernes 20-
stöckiges Gebäude. Es handelt sich um den "placio judical" (Justizpalast), der seit 30 Jahren leer steht. Es fehlen ca. 10 Mio US $, um das Gebäude fertig zustellen. Die Fenster hat man vor einigen Jahren nachträglich eingesetzt, daß die Bauruine nicht so schrecklich aussieht. Der Versuch der Zentralisierung der Justiz ist damit fehlgeschlagen und die Gerichte bleiben weiterhin über die ganze Stadt verteilt.
Ursprungsland des Tango
Entgegen hartnäckiger Gerüchte wurde der Tango in Uruguay erfunden. Da dies auch Argentinien
lange für sich in Anspruch nahm, kam es vor einigen Jahren zu einem ernsthaften diplomatischen
Konflikt zwischen den beiden Ländern, der letztlich dadurch gelöst wurde, daß Argentinien die
Urheberschaft Uruguays anerkannte und ein Monument in Montevideo bezahlte. Auf den Tango ist man dementsprechend stolz. Diese Kultur wird genauso wie der Mate von Jung und Alt gepflegt. Die wohl bekannteste Tango-Kneipe von Montevideo ist das "FunFun", die auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken kann. Alle Gäste, die mich besuchten, waren von diesem Ort sehr beeindruckt. Von einem Einheimischen habe ich gelernt, dass man einer Sängerin niemals Applaus spendet, da nur derjenige ein guter Tangosänger sein kann, der im Stehen pinkelt – die Rollenverteilung in Uruguay ist noch sehr traditionell.
Die Menschen in Uruguay
Die Leute sind nach eigener Aussage natürlich nicht mehr so gut gelaunt wie vor einiger Zeit. Man
könne die Leute in der Straße nicht mehr lachen sehen, die meisten machten ein bedrücktes
Geschicht. Mir ist das natürlich nicht so aufgefallen, da ich das auch von Europa nicht anders
gewöhnt bin und auch den Zustand vorher nicht kannte. Ich habe die Menschen hier als sehr aufgeschlossen kennen gelernt. Ich wurde mehrfach nach Hause zum Essen eingeladen, was äußerst selten ist, da die Leute in Uruguay eher Essen gehen, statt Gäste einzuladen, um nicht verbindlich zu werden. Eines der Hauptgesprächsthemen war natürlich der Wechsel von zwei uruguayischen Spielern zum FC Schalke 04. Die meisten Einheimischen benutzen den Bus. Es gibt keine Pläne, man muß nur die Richtung kennen. Die Busse fahren im 5-Minutentakt in jede Richtung und kosten so gut wie nichts (11 Pesos = 0,4 EUR), egal wo es hingeht. Für eine Stadt von über 1 Mio. Einwohner ist der Verkehr deshalb erträglich.
Ein voller Erfolg
Abschließend lässt sich feststellen, dass der Aufenthalt in Montevideo ein voller Erfolg war. Ich habe
wunderbare Menschen kennen gelernt und will die vielen tollen Eindrücke und Erfahrungen nicht
missen.
Informationen Montevideo Uruguay
Informationsmöglichkeiten: Liste von ausländischen Anwälten, bei denen man die Wahlstage
absolvieren kann, beim
Deutschen Anwaltverein. Informationen außerdem bei der
Außenhandelskammer.
Aufenthaltserlaubnis: Kein Visum erforderlich bzw. Erteilung bei Einreise.
Unterkunft: Über das Internet und beim
ausbildenden Anwalt bzw. Station erkundigen.
Bewerbung: Frühzeitig (min. 6-8 Monate vorher) eine aussagekräftige Bewerbung senden. Nach ca. 3 Wochen telefonisch nachfragen, nach dem Eingang erkundigen und die Erfolsaussichten abklopfen. Die Referendarverwaltung fordert bei Zusage eine schriftliche Bestätigung.
Bewerbungsunterlagen: Übliche Unterlagen mit Bewerbungsschreiben, Lebenslauf, Lichtbild und
Zeugnissen.
Ausbildungsdauer: Mindestens drei Monate
Ausbildungsschwerpunkte: Strafrecht.
Sprachkenntnisse: Spanisch (mindestens Grundkenntnisse), Englisch
Kontakte: Weitere Referendare bei der
deutschen Botschaft und der
Außenhandelskammer.
Krankenversicherung: Private Krankenversicherung: Auslands-Krankenversicherung abschließen, GKV nachfragen.
Literatur (Auswahl): Für einen Aufenthalt in und auch Reisen in Südamerika ist das South American
Handbook in der aktuellen Auflage (nur in Englisch!) unerläßlich (Verlag Footprint, ISBN 9 781900 949996, ca. EUR 40,-). Es bietet reichlich reichlich Infos, die ein sicheres Reisen möglich machen. Im gleichen Verlag erscheinen auch viele länderspezifische Bücher.