Wer verspürte nicht ein gewisses "Bauchkneifen", wenn es heißt "... schließe ich die
Beweisaufnahme und bitte den Herrn Staatsanwalt um sein Plädoyer!" Der Staatsanwalt steht
mit
dem Schlussvortrag vor seiner dankbarsten, aber auch schwierigsten Aufgabe. Gegen
Lampenfieber
helfen am besten gründliche Vorbereitung und viel Übung.
Der Schlussvortrag muss für Rechtskundige und Laien, Richter und Schöffen, für Unparteiische
und
Gegner, für und gegen den Angeklagten und dessen Verteidiger, für und gegen die im
Sitzungssaal
Anwesenden wie auch Medienvertretern verständlich und überzeugend das Ergebnis der
Hauptverhandlung zusammenfassen, es in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht würdigen,
insbesondere die Gründe der Strafzumessung erörtern. Der Staatsanwalt muss seinen
Schlussantrag unparteiisch, vollständig und kurz formulieren – in einer Form, die seiner
Stellung als
Vertreter der Staatsgewalt würdig ist, und ohne die vorherige Möglichkeit zu längerem und
ungestörtem Nachdenken.
Er kann diese Aufgabe nur erfüllen, wenn er sich auf die Hauptverhandlung gründlich
vorbereitet hat
und der Hauptverhandlung von Anbeginn mit angespannter Aufmerksamkeit gefolgt ist.
Dabei muss ständig auf Überraschungen gefasst sein. Denn wie die Erfahrung lehrt, verläuft
die
Hauptverhandlung nicht selten ganz anders, als er sich deren Verlauf anhand der
Anklageschrift
vorgestellt hat.
Einsatz als Einzelkämpfer
Dabei muss er als Sitzungsvertreter häufig unkonventionelle Wege beschreiten, nach Lösungen
suchen und neue Ideen entwickeln, um auf jede neue Situation angemessen reagieren zu können.
Er muss Ziele definieren und verwirklichen können, die Fähigkeit zur Kommunikation mit den
übrigen
Prozessbeteiligten und zum konstruktiven Umgang mit Konfliktsituationen besitzen, um die
Effektivität der Strafverfolgung zu steigern in einem Maß, um einerseits dem Anliegen der
Gesellschaft und andererseits der heute vorherrschenden Grundtendenz einer
Entkriminalisierung
des Strafrechts gerecht zu werden.
Dabei ist er als Einzelkämpfer gegenüber einer Mehrzahl von Prozessbeteiligten auf sich
allein
gestellt und autonom. Das erfordert eine gewisse Bereitschaft des Staatsanwalts,
Eigenverantwortung für seine Prozesshandlungen zu übernehmen. Ängstlichkeit und
Hilflosigkeit
vertragen sich nicht mit dem Berufsstand des Staatsanwalts. Gegenüber aggressiven
Äußerungen
und Bemerkungen der übrigen Prozessbeteiligten darf er nicht zu empfindsam reagiert, solange
seine Integrität nicht angegriffen wird.
Der Staatsanwalt muss flexibel, tolerant, emotionsfrei, nüchtern, fair,
verantwortungsbewusst, offen,
kooperativ, verständnisvoll, umsichtig, sozial eingestellt, unkompliziert und insbesondere
entschluss-
und entscheidungsfreudig sein! Mit einem Wort: Er muss kompetent sein!
Das befähigt ihn zur Selbstsicherheit und prägt sein Selbstbewusstsein! Diese Kompetenz
verleiht
ihm eine gewisse Ausstrahlungskraft und erhebt ihn zu einer Persönlichkeit, die ihn während
der
gesamten Hauptverhandlung zur eigenverantwortlichen und unabhängigen Autorität qualifiziert,
wenn es um die Lösungen schwieriger materiell-rechtlicher und prozessualer Fragen geht.
In diesem Sinne gewinnt dann auch sein Plädoyer am Ende der Hauptverhandlung die
erforderliche
Überzeugungskraft.
Dass Referendare oder Berufsanfänger im staatsanwaltschaftlichen Dienst diese Anforderungen
nicht ad hoc erfüllen können, ist klar. Die Routine kommt mit der Zeit!
Das Plädoyer enthält eine erste strafrechtliche Bewertung des häufig umfangreichen
Prozessstoffes.
Es wird daher sowohl vom Gericht als auch von dem Angeklagten und seinem Verteidiger, nicht
zu
vergessen die im Gerichtssaal anwesenden Zeugen, zahlreichen Zuhörern und Medienvertretern
mit
Spannung erwartet. Bildet es doch für das anschließende Plädoyer der Verteidigung deren
Grundlage und Anknüpfung. Für das Gericht bildet das Plädoyer die Grundlage der späteren
Urteilsberatung.
Überzeugung erforderlich
Dieser Wirkung seines Plädoyers muss sich der Staatsanwalt bewusst sein. Geht es doch darum,
die
Prozessbeteiligten von seinem späteren Schlussantrag zu überzeugen.
Diese Überzeugungskraft eines Plädoyers setzt sowohl gewisse rhetorische Fähigkeiten wie
auch
die zuvor erwähnte Sachkompetenz in der Person des Staatsanwalts voraus. Rede ist keine
Schreibe! Worte recht gesetzt, können etwas bewegen!
Der sachlich nüchternen Rede des Staatsanwalts steht das engagierte und leidenschaftliche
Plädoyer des Verteidigers gegenüber! Vor einem kämpferischen und aggressiven Plädoyer der
Verteidigung tritt zuweilen das vorangegangene sachlich nüchterne Plädoyer des Staatsanwalts
in
den Hintergrund und verblasst zusehens, wenn es nicht sogar bei den Anwesenden völlig in
Vergessenheit gerät.
Doch sind solche didaktisch geschulten Verteidiger rar. Gleichwohl sollte der Staatsanwalt,
der in der
unangenehmen Lage ist, zuerst plädieren zu müssen, mögliche Angriffspunkte vorbeugend
vermeiden.
Des weiteren sollte der Staatsanwalt der Rhetorik der Verteidigung mit gleicher Rhetorik
begegnen,
ohne es an Sachlichkeit fehlen zu lassen. Das Plädoyer des Staatsanwalts ist kein Monolog!
Die
Adressanten sind keine juristischen Denkmaschinen, sondern Menschen, die nicht nur denken,
sondern auch fühlen.
Auf Gefühle eingehen
Das heißt, auch der Staatsanwalt sollte nicht nur auf die Ratio einwirken, sondern im
gleichen
Maße auch an das Gefühl der Anwesenden appelieren. Wie heißt es doch: "Gefühl ist alles"!
Auch
in der Juristerei! Ein nur auf die sachliche Kompetenz gegründetes nüchternes und objektives
Plädoyer verfehlt seine Überzeugungskraft, wenn in ihm nicht auch zugleich ein gewisses
persönliches Engagement des Staatsanwalts zum Ausdruck kommt.
Doch wird vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft kein leidenschaftliches und etwa
emotionell
aufgeladenes Plädoyer gefordert, das schnell ins Irrationale abzugleiten droht; doch ein mit
einer
gewissen Autorität und dem geforderten Engagement vorgetragenes Plädoyer verfehlt seine
anhaltende Wirkung und Überzeugungskraft nicht und hat bis zur Urteilsverkündung Bestand.
Nun erwartet niemand von einem Berufsanfänger oder Referendaren ein rhetorisch geschliffenes
Plädoyer. Viel wichtiger ist am Anfang der Berufsausbildung oder des Referendariats die
sachliche
Kompetenz.
Lampenfieber
Doch lässt es sich nicht leugnen: Ein Plädoyer erfordert neben der Sachkunde rhetorische
Fähigkeiten. Die Redegewandheit ist eine Begabung, die man hat oder nicht hat. Bis zu einem
gewissen Grad lässt sie sich durch wiederholte Übung bei zunehmender Erfahrung
autodidaktisch
erlernen.
Die plötzliche Stille im Gerichtssaal, die gespannte Aufmerksamkeit aller
Prozessbeteiligten, die dem
Staatsanwalt durch Augenkontakt offenbarte Erwartungshaltung, die Vielzahl der Zuhörer, und
die
Mehrzahl der für den Schlussantrag zu beachtenden und abzuhandelnden Sachfragen, ferner die
Befürchtung, Fehler zu machen, die daraus resultierende eigene Unsicherheit, nicht zuletzt
das uns
allen bekannte Lampenfieber gestalten das Plädoyer zu Anfang unserer Ausbildung so
schwierig.
Als deren Folge verliert man den sogenannten Faden, lässt ohne Überlegung begonnene Sätze
unvollendet, vermischt Tatbestandmerkmale mit Strafzumessungsgründen, vergisst wichtige
Anträge
zu Nebenentscheidungen und verliert sich durch ständige Wiederholungen in endlose
Ausführungen
in der Hoffnung, die göttliche Eingebung werde einen schon das richtige Strafmaß finden
lassen.
Wird das Plädoyer dann noch durch unvermeidliche Zwischenfragen des Gerichts unterbrochen,
hat
der Staatsanwalt vollends alles vergessen, was er ausführen wollte. Diese typischen
Erscheinungsformen im Plädoyer eines Anfängers lassen sich vermeiden, wenn man ein
Mindestmaß
an rhetorischen Forderungen beachtet.
Der Staatsanwalt befindet sich mit seinem Plädoyer im Gegensatz zu Tischreden oder sonstigen
Vorträgen in zweierlei Hinsicht im Vorteil: Für ihn entfällt die sogenannte Stoffsammlung –
sie ist
durch das Ergebnis der Hauptverhandlung vorgegeben – und seine Rede ist an ein strenges und
fest
gegliedertes Gerüst gebunden, das ihm die Marschroute vorgibt.
Das Gerüst, oder besser der Aufbau eines staatsanwaltschaftlichen Plädoyers zerfällt in
folgende
Gliederung, die von Anfang an streng einzuhalten ist, andernfalls man ins Uferlose
abzugleiten
droht:
- Einleitung
- Begründung des Schuldspruchs
- Begründung des Strafausspruchs
- Schlussantrag
- Anträge zu strafrechtlichen Nebenentscheidungen
- Anträge zur Kostenentscheidung
Diese strenge Gliederung des staatsanwaltschaftlichen Plädoyers verhindert in der Regel,
sich in
seiner Rede zu verlieren, wenn man sich zuvor ein entsprechendes Konzept schriflich
ausgearbeitet,
dieses vor sich liegen hat und während der Hauptverhandlung in den wichtigen Punkten
entsprechend ergänzt. Die erforderliche juristische Sachkunde vorausgesetzt, dürfte diese
weniger
Schwierigkeiten bereiten.
Schwierig wird es bei der Strafzumessung! Dieses umfangreiche Kapitel wird während der
Ausbildung meist nur unvollkommen und stiefmütterlich behandelt; man urteilt hier anfänglich
seiner
Ausbildung rein gefühlsmäßig und liegt damit auch annähernd richtig.
Was die Rhetorik anlangt, kann hier auf diese alte, seit der Antike sich fortgebildete Lehre
mit
seinem verbalen und nonverbalen Verhalten, mit seinen Gliederungen, Argumentationsstrukturen
und seinen Redfiguren aus dem Wortbereich, Satzbereich und Gedankenbereich nicht eingegangen
werden.
Nur soviel sei gesagt: Übung macht den Meister! Je größer der Wortschatz, desto bildhafter,
treffender, überzeugender kann man formulieren. Es empfiehlt sich für den Anfänger,
feststehende
Redewendungen zu bilden und sich diese einzuprägen, um auf dieselben jederzeit
zurückzugreifen.
Mit Hilfe dieser Redewendungen gelingt es, sich in freier Rede von Kapitel zu Kapitel der
aufgezeigten strengen Gliederung vorzuarbeiten. Man sollte nur diese selbst gebildeten
Redewendungen auswendig lernen, mehr nicht. Hat man den Strafantrag vor Augen, ohne den man
sein Plädoyer auf keinen Fall beginnen sollte, dürften die Anfangsschwierigkeiten überwunden
werden.
Im übrigen gilt: Das größte Übel im Deutschen Strafprozess ist seine Dauer! Um mit Voltaire
fortzufahren: Das Geheimnis zu langweilen besteht darin, alles zu sagen!
Fazit: Fasse Dich kurz!
Je mehr man redet, je größer ist die Gefahr, sich zu wiederholen und Fehler zu machen. Das
gilt
insbesondere für den Anfänger! Zudem gebietet schon die knappe Terminierung, sich kurz zu
fassen.
Aus RechtsreferendarInfo 5/03 – Mit freundlicher Genehmigung des JuraMond Verlages