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"Das erste Jahr im Anwaltsberuf"
RAin Christiane Prieß / Dr. Martin Bahr *

Das erste Jahr im Anwaltsberuf


Nachdem man all die Hürden der Existenzgründung genommen, das richtige Büro für sich gefunden und eingerichtet hat, beginnt nun endlich das, worauf der Jurist sieben oder mehr Jahre hingearbeitet hat: Die anwaltliche Tätigkeit.
Den Autoren ist bewusst, dass jede Existenzgründung ihre eigenen individuellen Facetten hat und sehr stark von unterschiedlichen Faktoren (u.a. Fachausrichtung, Vorkenntnisse, Standort) abhängig ist. Deshalb ist dieser Artikel auch eher als Erfahrungsbericht, denn als allgemeinverbindliche Checkliste zu sehen. Dennoch wollen die Autoren wichtige und nützliche Tipps geben.



I. Die ersten Mandate:

Da saß ich nun, hatte die Zulassung, war versichert und hatte, wie ich meinte, ein klares Kanzleiprofil vor Augen: Rundum-Beratung für die Neuen Medien.

Das Layout für mein Briefpapier, meine Visitenkarten und meine Kanzleibroschüre hatte mir ein Freund erstellt zum Freundschaftspreis. Nur gedruckt war das ganze noch nicht, als ich mich das erste Mal auf Akquiese-Ttour begab. Also druckte ich die Visitenkarten zunächst auf dem Farbdrucker aus. Das war (noch) günstiger.

Wie kam ich nun zu meinem ersten Mandat?

Leichter als ich es mir erträumt hatte. Ich begab mich auf den "Community-Treff" der IT-Unternehmen, der halbjährlich stattfand, und hatte an diesem Abend noch genau zwei der selbstgedruckten Visitenkarten dabei, die ich auch an genau die zwei Leute "verteilte", mit denen ich mich an diesem Abend unterhielt: dem Organisator der Veranstaltung, den ich schon von anderen IHK-Veranstaltungen kannte, und einem Geschäftsführer eines Software-Unternehmens. Letzterer sprach über seine Arbeit, ich über meine und wo Anwälte Gefahren präventiv begegnen können, was ihn nachdenklich machte.

Genau eine Woche später rief er an und sagte, das er einen "kleinen Fall" für mich hätte. Dieser kleine Fall entpuppte sich als Abmahnung eines börsennotierten Unternehmens mit einem sagenhaften Streitwert von DM 250.000,-.

Auf der Gegenseite eine der bekanntesten Großkanzleien auf diesem Gebiet. Ehrlich gesagt, rutschte mir das Herz in die Hose. Ich fragte mich, ob ich mit der Mindestversicherungssumme hinkam und fühlte mich, trotz vorangegangener dreijähriger Firmenerfahrung, ziemlich überfordert. Den Mandanten ließ ich dies natürlich nicht merken. Ich überlegte, wie ich mit der Angst umgehen könnte und holte mir schließlich einen Kollegen dazu, so dass ich den Fall nicht allein bearbeitete. Dieses "Vier-Augenprinzip" gab mir die nötige Sicherheit - auch und vor allem gegenüber dem Mandanten - dass ich nichts übersehen würde. Die Zusammenarbeit lief hervorragend. Zwar musste ich das Honorar teilen, doch das war mir vor dem Hintergrund eines zufriedenen Mandanten, der mir neue Mandate bringen würde, egal. Meine Rechnung ging auf. Dieser Mandant brachte mir immer wieder neue Mandate.

Was ich an diesem Fall lernte: Umgang mit dem Mandanten. Und dass ich nach dem 2. Staatsexamen nur eine vage Vorstellung von der BRAGO hatte und mir dieses Wissen fehlte. Dass ich das "Vier-Augenprinzip" gern beibehalten hätte und nur empfehlen kann, dass ich aber als Einzelkämpferin, die ich zu Beginn war, dies nicht umsetzen konnte. Auch das war ein Grund, weshalb ich nach Kollegen/innen suchte, die zu mir passten. Aber die waren nicht so einfach zu finden. Vielmehr schien dies das Schwierigste zu sein.

Der zweite Fall, der nach wochenlanger "Pause" kam, machte mir noch etwas klar: Nicht von allen Fällen, die aus der Branche der Neuen Medien kommen, kann man leben. Ich sehe die Rechnung noch heute vor mir: Erstberatungsgebühr von DM 187,50. Es sind zwar mittlerweile noch einige Gebühren dazugekommen, aber dieser Fall beschäftigt mich noch heute: Wir sind in der Zwangsvollstreckung und der Schuldner kann nicht zahlen. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist sehr negativ, und ich kann nur dazu raten, immer wieder abzuchecken, ob es Tätigkeitsfelder gibt, die man so schnell wie möglich abstoßen sollte, weil sie nur Zeit kosten.

Andererseits muss man flexibel genug sein, um auf den Markt reagieren zu können. Die Neuen Medien machten und machen es sehr deutlich. Als ich anfing, ging es um häufig um Lizenzvertragsrecht und wettbewerbsrechtliche Abmahnungen. Als es der Branche schlechter ging, kamen zunehmend arbeitsrechtliche Mandate von den gleichen Mandanten. Dies zeigt, dass die Spezialisierung ein Nachteil sein kann, wenn man nicht flexibel auf dien Nachfrage reagieren kann.

II. Die weitere Akquiese:

Z.T. sind die Rechtsanwaltskammern ganz gut organisiert und verschaffen einem das eine oder andere Mandat. Dies ist aber sehr unterschiedlich von Bundesland zu Bundesland. Darauf verlassen kann man sich also nicht.

Es ist zu empfehlen, den Kontakt zu Kollegen der gleichen Rechtsgebiete, aber auch von anderen Rechtsgebieten zu pflegen. Bei Kollegen der gleichen Rechtsgebiete kann sich eine Interessenkollision ergeben, so dass ein Mandat abgegeben werden muss. Oder im Falle von Familienrecht besteht die Möglichkeit, die Gegenseite in der Scheidung zu vertreten. Strebt man von Anfang an eine Spezialisierung an, so erscheint man gegenüber dem Mandanten kompetent, wenn man ihn darauf hinweist, dass man selbst dieses Gebiet nicht bearbeitet, aber man die Kollegen .... empfehlen könne. So habe ich es konsequent gehalten und bin damit nie schlecht gefahren.

"Netzwerke" sind das A und O der Akquiese. Wie diese Netzwerke entstehen ist Typ-Sache: Durch engeren persönlichen Kontakt oder z. B. das "Herumtreiben auf Visitenkarten-Parties" o. ä.. Für mich war und ist es ein Drahtseilakt zwischen "nötigem Muss" und spannender Erfahrung. Tatsache ist, dass man gerade im ersten Jahr einen langen Atem benötigt und es nicht immer leicht ist, die wochenlangen "Pausen" durchzustehen, wenn man nicht eine allgemeine Kanzlei betreiben will, sondern sich von vornherein spezialisiert. Deshalb sollte sich nur selbständig machen, wer sich zutraut solche Phasen ohne Selbstzweifel zu überstehen.

Und wie kann man die "freie" Zeit gestalten?

Man sollte all das tun, was allgemein unter "Marketing" fällt. Darunter fällt natürlich auch die eigene Homepage sowie ein datenschutzsicherer E-Mail-Verkehr. Wer sich mit der Computertechnik nicht so richtig auskennt, der sollte sich hierbei professionelle Hilfe holen, die selbstverständlich auch von einem Bekannten kommen kann, der das ganze zum Freundschaftspreis macht.

Ich entwarf z. B. das Layout für einen "Newsletter" und las Fachzeitschriften, um für die (wenigen) Mandanten Zusammenfassungen über aktuelle Urteile oder Themen von allgemeinem Interesse zu erstellen. Dies verschickte ich vierteljährlich. Das kam gut an. Neben Info-Veranstaltungen, die ich besuchte, um "bekannt" zu werden, suchte ich mir auch Möglichkeiten für Dozenten- oder Vortragstätigkeiten. Die Leute sollten immer wieder auf meinen Namen stoßen. Auch hier zahlte ich Lehrgeld. Es nützt recht wenig, wenn die Kanzlei auf Unternehmen ausgerichtet ist und man dann Arbeitsrecht für Arbeitslose unterrichtet. Mandate werden dadurch kaum gewonnen. Der Nutzen solcher Veranstaltungen liegt dann allein darin, im Thema zu sein. Ich kann nur raten, sich solche Jobs ganz gezielt und passend zum Kanzlei-Profil auszusuchen.

Dies geht natürlich nur, wenn die Idee der Kanzlei ganz klar ist. Heute eine Kanzlei zu gründen unter dem Motto "Ich gucke mal, was da kommt und dann kristallisiert sich schon heraus, was meine Schwerpunkte werden." funktioniert nicht. Das Lehrgeld, das in solchen Fällen gezahlt wird, ist äußerst hoch. Es müssen immer neue Ziele gesteckt werden, insbesondere hinsichtlich der Umsatzzahlen. Insoweit ist ein Anwalt nichts anderes als ein Unternehmer, der seine unternehmerischen Ziele einer ständigen Kontrolle unterwirft.

III. Fortbildung:

Fortbildung - Dafür habe ich zur Zeit kein Geld ??? !!!

Wissen ist Macht. Unter dieses Motto könnte man das Thema "Fortbildung" stellen.
Des Rechtsanwalts Kapital ist sein Wissen, da er damit arbeitet. Wir alle haben schon die Erfahrung gemacht, was es bedeuten kann, wenn man nicht den aktuellen Gesetzestext hat oder die neueste BGH-Rechtsprechung nicht kennt. Deshalb sollte ein nicht unerheblicher Teil der Investitionen in Zeitschriften/Bücher und Fortbildungsveranstaltungen investiert werden. Nur so sichere ich mir als Anfänger entscheidende Wettbewerbsvorteile. Da einem die Routine vielfach noch fehlt, ist es umso wichtiger sein Wissen immer auf dem aktuellen Stand zu halten. Es gibt günstige Seminaranbieter, die ihr Geld wert sind und die in nichts großen und teuren Anbietern nachstehen, in denen bekannte Größen versuchen, ihr Wissen zum Besten zu geben.

IV. Kosten und Versicherungen:

Umsatz- und Kostenkontrolle: Die Kontrolle, ob sich die Umsatzzahlen wie im Business-Plan entwickeln ist die eine Seite, die andere Seite ist die Kostenkontrolle. Denn was nützt es, wenn man im Umsatzplan ist, aber einem die Kosten davonlaufen, weil man in seiner Euphorie, dass es so gut läuft, eine Ausgabe nach der anderen tätigt.

Ein großer Kostenposten jährlich ist die Vermögensschadenshaftpflicht-Versicherung. Hier sollte man von den größeren Gesellschaften Angebote einholen und vergleichen. Die Prämien sind zwar ähnlich, aber einige Versicherer geben Rabatte, sofern bestimmte Umsatzgrößen nicht überschritten werden oder versichern für einen minimalen Aufpreis noch die Angestellten mit. Auch das Kleingedruckte sollte gelesen werden, denn es kann z.B. sein, dass auch die anwaltliche Tätigkeit mit Auslandsbezug versichert ist. Hier muss der einzelne prüfen, ob die Absicherung für ihn überhaupt nötig ist, oder ob hier nicht eine Pauschale im Einzelfall gezahlt werden kann. Gleiches gilt für die Versicherungssumme. Die Mindestversicherungssumme kann ausreichen, muss aber nicht. Sollte im Einzelfall eine höhere Summe erforderlich sein, so kann für den Einzelfall höher versichert werden.

Außerdem sollte von vornherein überlegt werden, wie man sich selbst bzgl. Gesundheit, Leben und Rente absichern will. Sicher sind es Kosten, die mit einer solchen Absicherung verbunden sind. Auf der anderen Seite steht jedoch das finanzielle Risiko, dass durch Krankheits-, oder Berufsunfähigkeitsfälle eintritt. Eine Krankenversicherung mit Tagegeld sollte auf jeden Fall abgeschlossen werden; genauso wie eine Risikolebensversicherung, wenn eine Familie zu versorgen ist, eine Berufsunfähigkeitsversicherung sollte die Lücke schließen, die z.T. in der Berufsunfähigkeitsversicherung der Versorgungswerke besteht. Diese sichern nämlich häufig "nur" die 100%-ige Berufsunfähigkeit ab, nicht aber die 50%-ige. Diese Lücke sollte durch eine private Berufsunfähigkeitsversicherung geschlossen werden. Zum Thema Altersversorgung sind wir Rechtsanwälte bekanntermaßen Zwangsmitglieder in den Versorgungswerken, sofern diese im entsprechenden Bundesland bestehen. Zu Beginn einer anwaltlichen selbständigen Tätigkeit, wenn eher Verluste denn Gewinne zu erwarten sind, kann gemäß Einkommensnachweis eine Beitragspflicht zum Versorgungswerk entfallen; allerdings sollte überlegt werden, ob nicht ein kleiner freiwilliger Beitrag von Anfang an gezahlt wird, um von Beginn an die Alterversorgung aufzubauen.

V. Finanzierung während der Anfangsphase:

Die Finanzierung des Lebensunterhalts während der Anfangsphase kann auf vielerlei Arten erfolgen: durch Nebenjobs, durch Überbrückungsgeld, durch Rücklagen. Bzgl. der Nebenjobs sollte man sich überlegen, ob sie zum Kanzleikonzept passen oder nicht. Das Überbrückungsgeld des Arbeitsamtes wird auch nur ein halbes Jahr gezahlt, so dass es sinnvoll sein kann für die Zeit danach bereits andere Einkunftsmöglichkeiten zu sichern.

VI. Buchhaltung und Steuern:

Die finanziellen Aspekte der Selbständigkeit tragen mich zu zwei anderen Themen der Selbständigkeit: Buchhaltung und Steuern.

Ich dachte, dass das alles kein Problem sei, bis ich anfing zu buchen und feststellte, dass es keine gute Idee war, die Belege erst mal lose zu sammeln und dann zu sortieren. Allein die Vorarbeit, die ich dadurch bis zur ersten Buchung leisten musste, machte mich rasend. Schließlich fehlten 0,31 DM. Nach meinem Dafürhalten, war das ganze in Ordnung, schließlich waren es ja nur einunddreißig Pfennig. Pustekuchen! So wurde ich durch meinen Steuerberater belehrt. Und dann begaben wir uns beide auf die Suche ....

Wenn man - wie ich - ein eher ungefähres Verhältnis zur Buchhaltung hat, dann sollte man sich überlegen, ob man nicht eine externe, versierte Kraft engagiert, die die Buchhaltung erledigt. Auf jeden Fall sollte man von Anfang an eine Ordnung anlegen und die Belege entsprechend sortieren.

Außerdem musste ich mich mit dem Steuerrecht auseinandersetzen. Wie geht eine Umsatzsteueranmeldung? Wie hole ich mir die Umsatzsteuer wieder? Soll ich mich von der Umsatzsteuer befreien lassen? Was ist eine gesonderte Gewinnfeststellung? Worin unterscheidet sich die Einnahme-Überschuss-Rechnung von der betriebswirtschaftlichen Analyse? Alles Neuland!

VII. Resümee:

Wenn ich überlege, was ich auf dem Weg in die Selbständigkeit alles lernen musste, so kann ich auch hier nur wieder sagen, dass die Selbständigkeit nichts für jemanden ist, der lieber einer Routinetätigkeit nachgehen und um 16 Uhr zu Hause sein möchte. Neben den vielfältigen Aufgaben, die ich als selbständige Rechtsanwältin bewältigt habe, kommt die Verantwortung für all diese Tätigkeiten dazu. Es gibt keine Möglichkeit sich zu verstecken oder auszuruhen. Fehler ist Fehler, ob in der anwaltlichen Tätigkeit oder bei der Buchhaltung.

Die Frage, ob man diese Verantwortung neben der Tatsache, dass das Einkommen nicht gesichert ist, tragen kann, halte ich für die entscheidende Frage, die sich jeder, der mit dem Gedanken der anwaltlichen Selbständigkeit spielt, beantworten muss.


* Christiane Prieß und Dr. Martin Bahr sind zusammen mit der Rechtsanwältin Sybille Heyms Gründungspartner der Partnergesellschaft Heyms, Prieß & Bahr, Hamburg, die sich auf den Bereich des Gewerblichen Rechtsschutzes und des Rechts der Neuen Medien spezialisiert hat.

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