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Wahlstation in Bombay, Indien
Wahlstation in Bombay, Indien

bei der Kanzlei Majumdar & Co.
November 2000 - Januar 2001

Indien ist sicherlich eine eher ungewöhnliche Wahl für eine Auslandsstation. Dies liegt schon daran, daß Indien in der europäischen Wahrnehmung am Rande steht und noch immer mit einem Entwicklungsland-Image zu kämpfen hat. Erst im Rahmen der Green-Card-Debatte ist in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gelangt, daß Indien auch noch ein ganz anderes Gesicht hat.

Wer in seiner Auslandswahlstation etwas nettes für seinen Lebenslauf tun will, geht zumeist in die USA, wer einen Auslandsaufenthalt ohne viel Bürokratie vorweisen will, bleibt in der EU, und wem dies alles zu überlaufen ist, nach Australien, Südafrika oder Neuseeland. Will man seinen eigenen Kulturkreis verlassen und eine völlig andere Kultur kennenlernen, scheiden alle vorgenannten Möglichkeiten aus. Es bleiben dann eigentlich nur noch Asien, Afrika, der arabische Raum oder vielleicht Mittel- und Südamerika.

Unter dieser Auswahl hat Indien den Vorteil recht akzeptabler Lebenshaltungskosten, eines Rechtssystems, das weitgehend dem englischen Recht entspricht, sowie eines vergleichsweise sicheren und geordneten Zusammenlebens. Auch die Sprachbarriere ist hier relativ überwindbar: zwar sprechen die meisten einfachen Leute nur Hindi oder eine lokale Sprache, aber bei der Mittel- und Oberschicht können gute Englischkenntnisse, die fast schon als Statussymbol gelten, vorausgesetzt werden. Auch das gesamte Rechtssystem funktioniert ausschließlich in Englisch. Dies betrifft die Schriftsätze und Hauptverhandlung vor Gericht ebenso wie die meisten größeren Verträge. So gesehen ist Indien schon aus fachlicher Sicht eine gute, vernünftige Wahl. Dazu kommt eine faszinierend völlig andere Kultur, die einen erleben läßt, daß vieles, was man zu Hause als selbstverständlich voraussetzt, so selbstverständlich gar nicht ist. Grundlegend andere Werte im menschlichen Zusammenleben sind es dann auch, was den allergrößten Teil des berühmten Kulturschocks ausmacht. Für mich war es der erste Aufenthalt in Indien und daher ein sehr intensives Erlebnis. Sicherlich ist Indien nicht der Weg des geringsten Widerstandes, aber im nachhinein finde ich, daß sich die Station dort in jeder Hinsicht gelohnt hat.

Allerdings ist Indien nicht für jeden geeignet. Hygienefanatiker werden vermutlich eine etwas schwerere Zeit haben. Auch wer zu den besonderen Fans von Art. 3 Grundgesetz zählt, wird den Aufenthalt vermutlich nicht voll genießen können, da das deutsche Grundgesetz im Allgemeinen und gerade Artikel 3 im Besonderen in Indien keine Geltung haben. Wer beim Anblick einer Ratte oder Kakerlake einen Herzinfarkt bekommt, dürfte in Indien - den medizinischen Erfahrungssatz, daß man nicht mehr als drei Herzinfarkte übersteht, vorausgesetzt - bestenfalls einige Tage überleben.

Aber man muß kein hartgesottener Abenteurer sein, schon jeder Normalbürger dürfte eigentlich voll auf seine Kosten kommen. Dies nicht nur, weil Indien doch recht preiswert ist: während der Zeit in Indien habe ich von meinen laufenden Referendarbezügen gut leben können. Bombay ist auch eine hervorragende Stadt, um abends auszugehen, man trifft viele nette Inder und auch sonst Leute aus aller Welt. Die beste Zeit für den Aufenthalt ist der Winter, etwa November bis April, mit zwischen 31 bis 35 Grad schwankenden Temperaturen bei erträglicher Luftfeuchtigkeit. In Bombay bilden Referendare aus: die Deutsch-Indische Außenhandelskammer, die Kanzlei Majmudar & Co. und Luetkehaus Consulting. Wer ein längeres Praktikum in Bombay machen will, kann es auch beim deutschen Konsulat versuchen.

Ich selbst war bei der rein indischen Kanzlei Majmudar & Co. zur Ausbildung. Die Kanzlei befindet sich gegenüber vom High Court von Bombay und unterhält eine recht aufwendige und informative Webseite (www.majmudarindia.com), die zunächst vermuten läßt, die Kanzlei wäre weit größer. Tatsächlich geht es aber recht persönlich zu. Akil als Ansprechpartner für Referendare hat neben seiner indischen auch eine kalifornische Anwaltszulassung. Eine Anwesenheit an 5 Tagen die Woche wird vorausgesetzt; die den Referendaren übertragenen Aufgaben können, wenn man sich bewährt, wirklich anspruchsvoll und interessant werden. Am Anfang sollte ich einige juristische Dokumente übersetzen, schon bei dieser Arbeit habe ich einiges über unterschiedliche juristische Denkkonzepte gelernt. Später hatte ich viel mit vertrags- und steuerrechtlichen Problemen zu tun, unter anderem dem Entwurf eines Mietvertrages für ein halbes Bürogebäude, einem Softwareerstellungs-Rahmenvertrag für ein großes internationales Softwareunternehmen mit indischen Partnern und einem Vertrag zur schlüsselfertigen Errichtung eins mittleren Kraftwerkes. Bei passender Gelegenheit konnte ich den Prozeßanwalt des Büros mehrfach zum gegenüberliegenden Bombay High Court begleiten. Vertragsgestaltende Tätigkeit steht in Indien unter einem sehr starken steuerrechtlichen Einfluß, da es keine einheitliche MWSt. gibt, sondern getrennte sales tax, works contract tax, service tax usw., die in verschiedenen Bundesstaaten jeweils in unterschiedlicher Höhe anfallen und im Zweifel auf den gesamten Vertragswert erhoben werden, wenn der Vertrag unter einen Steuertatbestand fällt. Daher ist es sehr üblich, größere Projekte in 4 bis 6 steuergerechte Teilverträge aufzuteilen, wobei man dann viel Zeit auf die Abstimmung der Leistungsbeschreibungen und Mängelgewährleistungen in den einzelnen Teilen verbringen kann, die zusammen nach Möglichkeit dann das ganze Projekt abdecken sollten. Selbst bei besseren Mietverträgen ist eine Aufteilung in den eigentlichen Mietvertrag und in Serviceleistungen (Instandhaltung, Wartung, Reinigung usw.) üblich, da dann nur der Serviceanteil der Besteuerung unterliegt. Wegen astronomischer Verfahrenslaufzeiten vor dem High Court in Bombay, 15 Jahre sind bei normalen Verfahren durchaus üblich, tut man bei der Vertragsgestaltung gut daran, keine Regelungslücken oder sonstige Mängel im Vertrag zu haben, die später eine richterliche Klärung herausfordern.

Indien folgt als ehemalige britische Kolonie weitgehend dem englischen Rechtsystem. Zwar gibt es mittlerweile viele eigene Gesetze auf Bundes- oder Bundeslandebene, im übrigen folgt man aber englischen und amerikanischen Präzedenzfällen. Ebenso entsprechen Gesetzes- und Vertragssystematik sowie Auslegungsregeln dem angloamerikanischen Rechtskreis. Die neueren indischen Gesetze versuchen zumeist, die jeweilige Materie umfassendst zu regeln. So hat das indische Steuergesetz etwa das Format eines Palandt und enthält schon durch den Gesetzgeber Erläuterungen, die Kommentarcharakter haben. Der dazugehörige Kommentar ist daneben schon etwas dünner als das Gesetz selbst.

Bei Verträgen ist man ebenfalls zuerst einmal mit einer großen Menge Papier (bzw. zumeist einer langen Datei) konfrontiert. Wie auch überall sonst im angloamerikanischen Rechtskreis ist alles bis ins kleinste Detail akribisch geregelt. Ein Vertrag baut sich immer mit Definition seine eigene kleine, hoffentlich vollkommene Welt. Extremes Beispiel für die allgegenwärtigen Definitionen am Anfang eines jeden Vertrages: »ISO shall mean the International Standards Organisation« - wer hätte das gedacht. Danach werden Haupt- und Nebenleistungspflichten, Leistungsstörungen und Mängelgewährleistung, Kündigungen und Vertragsabwicklung detailreich und ausführlich festgelegt, so daß ein ordentlicher Vertrag schnell mal mit 25 A4-Seiten zu Buche schlägt. Da ich mich an der Uni längere Zeit mit fremdsprachlichem Rechtsstudium (Englisch / Amerikanisch) beschäftigt hatte, hielt sich der juristische Kulturschock dann doch in Grenzen. Trotzdem empfand ich es als gewöhnungsbedürftig, angesichts dieser Masse an Text schnell die entscheidenden Passagen herauszufiltern. Aber mit etwas Übung ging es bald besser und schneller. Für die Vorbereitung auf das angloamerikanische Recht würde ich, obwohl ich sonst kein Fan von Alpmann-Skripten bin, deren zweibändige Einführung in das Englische Recht empfehlen. Sie ist gut und informativ geschrieben, und die jeweiligen Übersetzungen von möglicherweise kritischen Wörtern als Randbemerkung erleichtern den Lesefluß und das Verständnis.

Insgesamt fand ich die Station interessant und lehrreich, allerdings ist eigentlich nichts examensrelevant. Da die Kanzlei zu 100% indisch ist, ist der landeskundliche Teil praktisch kaum zu überbieten. Aus meiner Sicht kann die Station weiterempfohlen werden.

Beworben habe ich mich bei der Kanzlei per eMail, mit Lebenslauf und Anschreiben nach amerikanischem Standard als Attachment. Hilfe zum Aufbau eines amerikanischen Lebenslaufes gibt es z.B. bei dem netten Bewerbungsführer von Lexis unter http://lawschool.lexis.com/career/resume/index.html. Auch die von der DAJV (Deutsch-Amerikanische Juristen-Vereinigung) versandten Broschüren (Praktikumsleitfaden und Bewerbungsführer) sind hilfreich, allerdings ist die Beschaffung etwas zeitaufwendig. Es muß aber davor gewarnt werden, die Formulierungen aus DAJV- Broschüren eins zu eins zu übernehmen, weil man sie mittlerweile einfach zu häufig liest (was ich aber auch erst im Nachhinein gelernt habe :-)).

Eine ausführlichere Version dieses Stationsberichtes mit mehr Informationen zur Reisevorbereitung, zum Leben vor Ort, Bildern und Links gibt es für alle, die noch etwas mehr erfahren wollen, auf meiner Homepage unter http://www.guether.de/bombay/.

Thomas Güther, Berlin

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