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"Wahlstation in Florida/USA"
Stefanie Herb

Gainesville, Florida/USA - Das andere Gesicht Amerikas


Die USA - das sind nicht nur die Megacities, sondern auch viel Provinz. Wenn dort das Leben tobt, so schlägt hier das Herz Amerikas. Kein schlechter Ort, um einen Einblick in amerikanische Lebensart und das US-amerikanische Rechtssystem zu erhalten.

Da ich die Wahlstation unbedingt im englischsprachigen Raum ableisten wollte und wusste, dass Amerika und England relativ beliebt sind, habe ich mich schon sehr frühzeitig beworben. Ich habe ca. 25 Bewerbungen nach England, Amerika, Südafrika und Australien geschickt und dabei nur wenige Zusagen erhalten. Die Zusage von Mr. Skipper kam nicht als erste, aber sie war so nett und persönlich geschrieben, dass ich sie sofort angenommen habe - natürlich über das Internet.

Gainesville, Florida?
Gainesville, von dem auch ich vorher nie gehört hatte und von dem ich keine Ahnung hatte, wo es liegt, befindet sich ca.150 km nördlich von Orlando. Da es sich um eine Universitätsstadt handelt, gibt es ein sehr reichhaltiges Angebot an Sport und Kultur. Jedes Wochenende fand mindestens ein klassisches Konzert und während meines Aufenthalts mehrere Festivals statt, fast allabendlich gibt es sportliche Events der "Florida Gators" (Name des Universitätsteams), Basketball, Football, etc...
Gainesville hat ca. 100.000 Einwohner und ca. 45.000 Studenten. Dabei dominiert die Uni die ganze Stadt. Das Universitätsgelände befindet sich mitten in der Stadt. Zwar ist Gainesville eher eine unbekannte Stadt, zumindest ich hatte vorher noch nicht davon gehört. Allerdings bietet die Stadt meiner Meinung nach gegenüber anderen amerikanischen Städten ganz wesentliche Vorteile: Gainesville ist von der Größe her überschaubar, in der Stadt ist alles mit dem Fahrrad in einer halben Stunde erreichbar.
Dies war für mich sehr wichtig, denn mir war ein Mietwagen für drei Monate zu teuer. Es gibt sehr viele kleine Naturparks, in denen man sich am Wochenende die Zeit vertreiben kann. Sehr schöne Tagesausflüge kann man nach St. Augustine, Orlando oder zu den heißen Quellen im Ocala National Forest unternehmen. Hierzu kann man sich z.B. für das Wochenende ein Auto mieten. Ob man sich jedoch für die gesamte Dauer des Aufenthalts ein Auto anschaffen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss allerdings mit erheblichen Verkaufseinbußen rechnen.

Die Kanzlei Skipper
Mr. Skipper hat seine Kanzlei erst im Januar 2001 nach Gainesville verlegt, bis dahin befand die Kanzlei sich unter dem Namen Skipper & Day in St. Petersburg / Florida.
Die Kanzlei ist im Zentrum der Stadt, nur wenige (Fuß)minuten vom Unigelände und ca. 10 (Fuß-)minuten vom Gericht entfernt. Die Kanzlei befindet sich in einem Gemeinschaftsbüro, in dem noch vier weitere Anwälte arbeiten, wobei aber jeder seine eigene Law Firm hat. Zwar ist es für amerikanische Verhältnisse eher ungewöhnlich, dass ein Anwalt allein eine Kanzlei führt, jedoch ist Gainesville eine kleine Stadt, weshalb es dort noch einige kleinere Kanzleien gibt. Meiner Meinung nach hat dies den Vorteil, dass man nicht nur zum Kopieren oder Kaffeekochen abgestellt wird. Update 07/2005: Mr. Skipper ist in den Ruhestand gegangen, und die Kanzlei gibt es so nicht mehr bzw. nimmt keine Referendare mehr. Gainesville an sich ist aber als Ort nach wie vor zu empfehlen!

Rasche Integration
Mr. Skipper ist überwiegend auf folgenden Gebieten tätig: Erbrecht, Schadensersatzrecht und Immobiliarsachenrecht. In dem Bürogebäude arbeitet auch noch eine weitere sehr nette Anwältin, die sich überwiegend mit Strafrecht beschäftigt: Mrs. Zedalis. Sie hat mich in den ersten Tagen mit ans Gericht genommen und mich dort den Richtern und einigen Anwälten vorgestellt. Dies hatte den Vorteil, dass ich ab diesem Zeitpunkt im Gericht ein bekanntes Gesicht war, so dass ich in Zukunft auch oft von Anwälten auf dem Gang angesprochen wurde und ihnen oder dem Richter Fragen stellen konnte.
Im Gericht ist jede Woche ein neuer Plan erhältlich, auf dem die verschiedenen Gerichtsverhandlungen mit Zeit und Gerichtssaal aufgeführt sind. Für mich am interessantesten waren die verschiedenen Jury-Verhandlungen; zum einen natürlich einfach deswegen, weil unser Rechtssystem mit den Schöffen ganz eine andere Art der Laienbeteiligung darstellt, zum anderen aber auch, weil die Jury nur aus Laien besteht, so dass sowohl seitens der Anwälte als auch des Richters eine genaue Erklärung von Sachverhalt, rechtlichen Grundlagen, etc. erfolgt. Unter anderem war ich in einem Civil Jury Trial über Arzthaftung, die sich über eine Woche hinzog, außerdem in vielen Strafrecht Jury Trials, die sehr anschaulich mit vielen Beweisstücken wie Fotos, Videoaufnahmen, aufgefundenen Gegenständen,... aufbereitet sind. Daneben gab es auch ein eigenes traffic court, hearings,.... Man sollte sich auch unbedingt einmal eine Jury-Auswahl ansehen, bei der die Anwälte die Jury aufs genaueste unter die Lupe nehmen und dabei in ihrem Fragerecht oft sehr weit ins Persönliche gehen.

Zu meiner Bewerbung
Ich hatte mich, wie gesagt, frühzeitig, nämlich vor Beginn des Referendariats beworben. Dies kann ich auch nur empfehlen, weil die eineinhalb Jahre Referendarzeit bis zum 2. Examen schnell vorbeigehen und je näher das Examen rückt, desto weniger Zeit bleibt für zusätzliche Dinge. Für die Bewerbung bei der Kanzlei Skipper genügen Anschreiben, Lebenslauf, Foto und Zeugnisse. Dieser erste Eindruck hat sich auch bestätigt: Wie selbstverständlich wurde ich bei meiner Ankunft am Flughafen abgeholt. Außerhalb des Büros wurde ich nicht wie eine Angestellte, sondern wie eine Freundin der Familie behandelt und in Familienaktivitäten einbezogen, z.B. ein Konzertbesuch, Essen-Gehen .... Mr Skipper wäre auch gerne mit mir in ein Spiel der Gators (Basketball) gegangen, was aber an meinem Desinteresse scheiterte. Er ist ein begeisterter Fan der Gators.
Ich war bereits die 15. Referendarin in der Kanzlei Skipper und sowohl mit mir als auch mit den anderen vorhergehenden Referendaren haben sich bleibende (e-mail)-Freundschaften entwickelt. Darüber hinaus organisiert Mr. Skipper auch mit den ehemaligen Referendaren Treffen in Deutschland, so dass man sich auch nach einigen Jahren wiedersieht. Bezüglich des Aufenthalts ist Mr. Skipper sehr flexibel, meine Vorgänger waren teilweise auch nur ein oder zwei Monate dort.

Schwachstelle Sprach- und Rechtskenntnisse
Ich hatte bei Ankunft in den USA nur rudimentäres Hintergrundwissen und keinerlei praktische Erfahrung mit dem anglo-amerikanischen Rechtssystem. Daher konnte ich schon aus praktischen Gründen nicht wichtige Aufgaben oder gar die Arbeit eines Anwalts erledigen. Also habe ich Mr. Skipper bzw. Mrs. Zedalis zu verschiedenen Gerichts- und anderen interessanten Außenterminen begleitet und bei Mandantengesprächen zugehört. Daneben habe ich interessante Fälle anhand der Akten oder anderer Dokumente vor- und nachbereitet und mit den Anwälten besprochen. Vor meinem Aufenthalt hatte ich Bedenken, dass meine Englischkenntnisse nicht ausreichen. Ich hatte meine Englischkenntnisse (5 Jahre in der Schule) vorher nicht mehr aufpoliert. Mr Skipper und auch (fast) alle anderen Anwälte und Mitarbeiter hatten dafür aber Verständnis.

Der Kanzleialltag
Mr. Skipper war von Montag bis Freitag von ca. 8.30 bis 17 Uhr in der Kanzlei. Ich konnte jedoch, wenn in der Kanzlei wenig los war, auch früher nach Hause gehen. Insgesamt habe ich während meiner Wahlstation einen zwar nur groben, sich aber auf viele materielle und prozessuale Probleme erstreckenden Eindruck von dem amerikanischen Rechtssystem erhalten. Es hat auch Spass gemacht, amerikanischen Juristen ein wenig aus dem deutschen Rechtsleben zu erzählen. Auf Erstaunen ist dabei gestoßen, dass es in Deutschland keine Jury gibt und dass oft drei oder sogar fünf Richter über einen Fall entscheiden.

Einfache Wohnungssuche
Mr. Skipper hat mir bereits bei der Zusage angeboten, bei der Wohnungssuche behilflich zu sein. Am Tag nach meiner Ankunft konnte ich von der Kanzlei aus Telefonnummern aus der örtlichen Tageszeitung anrufen, deren Anzeigen sich auf Zimmerangebote bezogen. Mr Skipper hat mich dann zu den Wohnungen gefahren und ich habe noch am ersten Tag ein möbliertes Zimmer für 300 US$ plus Nebenkosten gefunden. Da in der Stadt sehr viele Studenten leben, ist das Wohnungsangebot riesig, so dass es, wenn man sich ein oder zwei Tage Zeit nimmt, kein Problem ist, etwas (bezahlbares) zu finden. Wenn man weniger als 90 Tage bleiben will, benötigt man kein spezielles Visum, das normale Touristenvisum genügt. Die Lebenshaltungskosten sind in Amerika verhältnismäßig hoch, man kann bei der zuständigen Bezügestelle nach Rückkehr aber einen Antrag auf Kaufkraftausgleich stellen.

Fazit
Die Zeit meiner Wahlstation war kurzweilig und hat mir viele neue Erfahrungen gebracht, und zwar viel mehr als mein nun recht gutes Englisch. Mr. Skipper ist stark daran interessiert, weiteren deutschen Referendaren einen Einblick in die Arbeit in einer amerikanischen Anwaltskanzlei zu geben.


Informationen Gainesville/USA

- Informationsmöglichkeiten: Bei der Autorin: Stefanie Herb, Zweibrückenstr. 18 b, 86157 Augsburg, DreasAndreas@aol.com; Erfahrungsberichte beim OLG München

- Aufenthaltserlaubnis: Visumpflicht ab Aufenthalt von 90 Tage. Erhältlich über: Generalkonsulat der U.S.A., Clayallee 170, 14195 Berlin. Kosten ca 45 EUR. Für den Visaantrag wird eine Bescheinigung des Ausbilders über die unentgeltliche Ausbildung und über den Ausbildungsinhalt benötigt. Alle Informationen bzgl. eines Visums erhält man unter www.usembassy.de sowie www.us-botschaft.de oder unter Fax-Abruf 0190/92110111. Bei Aufenthaltsdauer an evt. Urlaubsreise nach der Station denken!

- Unterkunft: Anzeigen in der Gainesville Sun (örtliche Tageszeitung) und im Alligator (kostenlose Zeitung, die die Studenten herausgeben).

- Bewerbung: Skipper Law Firm, 1005 SW Second Avenue, Gainesville, 32601 Florida, USA, E-mail: slf1931@bellsouth.net, Tel.: ++01(352)/377 - 2000, am besten ca. 5 - 12 Monate vor Stationsbeginn.

- Bewerbungsunterlagen: Es genügen Anschreiben, Foto, Lebenslauf.

- Ausbildungsdauer: Mr. Skipper ist sehr flexibel, 1 - 4 Monate möglich

- Ausbildungsschwerpunkte: Erbrecht, Immobiliarsachenrecht, Schadensersatzrecht.

- Sprachkenntnisse: Gute Englischkenntnisse vorteilhaft, Mr. Skipper spricht ein wenig Deutsch

- Krankenversicherung: Private Krankenversicherung: Auslands-Krankenversicherung abschließen. GKV: nachfragen. Heilbehandlungskosten in den USA sind deutlich höher als in Deutschland! Sofortkasse ist üblich!

- Sonstiges: Internationaler Führerschein ist in den USA immer hilfreich!

- Literatur (Auswahl): Hay, US-Amerikanisches Recht, C.H.Beck, EUR 24,00; Byrd, Einführung in die anglo-amerikanische Rechtssprache, C.H.Beck, EUR 30,00; Dieter Blumenwitz, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, Beck, EUR 15,50; West‘s LAW FINDER, A legal Research Manual # 0-314-46967 (Gratis von WEST); Folsom, Ralph H., International Business Transactions, Nutshell Seres WEST 0-314-00714-8, $ 18 (ähnlich den Kurzlehrbüchern aus dem Verlag C.H.Beck)

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