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Artikel 198

Ralf Hansen

Einübung in die zivilrechtliche Dezernatsarbeit
Eine Rezension zu:

Klaus Dresenkamp

JA-ZIVILAKTE
von der Klageschrift bis zum Urteil
mit Repetitorium

Reihe: JA-AKTEN
Neuwied: Luchterhand, 1999, 241 Seiten
ISBN 3-472-0394-6

http://www.luchterhand.de

Dem neuen Skript aus einer neuen Reihe des Verlages zur Referendarliteratur soll ein neues Ausbildungskonzept zugrundeliegen. Es vermittelt den für das Assessorexamen in seinem zivilrechtlichen Teil wesentlichen Wissensstoff chronologisch (wenn auch mit didaktisch veranlaßten zeitlichen Durchbrechungen zur Verdeutlichung mancher Probleme) anhand des Studiums einer Zivilakte. Dieses Konzept ist allerdings nicht ganz so neu (s. nur Becht, Einführung in die Praxis des Zivilprozesses, 1995). Dies ändert aber nichts an der hohen Qualität der Darstellung, die aus der Feder eines erfahrenen Richters am OLG Schleswig stammt, der mit den betreffenden Fragen aus der Praxis als Prüfer und Arbeitsgemeinschaftsleiter nur zu vertraut ist. Das Skript ist sehr durchstrukturiert, die Ausführungen sind knapp, präzise und leicht nachvollziehbar, dabei aber stets auf den Inhalt der jeweiligen Aktenstücke bezogen. Über die Erläuterung einer Zivilakte hinaus, enthält der zweite Teil des Bandes ein Repetitorium in Fragen und Antworten, die sehr gut auf die Situation im zivilrechtlichen Teil des Assessorexamens einstimmen dürften.

Der Relationstechnik folgend, muß der Richter erster Instanz zunächst von der Klageschrift ausgehen, die entsprechend "informativ" gehalten sein sollte. Der Fall scheint auf den ersten Blick einfach: Ehepaar P hat bei der OBH-GmbH & Co. KG ein "Bausatzhaus" bestellt, beruft sich aber vorliegend auf "Widerruf". Bereits aus der Klageschrift ist ersichtlich, daß die Einzelheiten des Tatsachenvortrages streitig sind. Angesichts der "Bauunwilligkeit" der Beklagten, macht die Klägerin nach ihren AGB nicht die gesamte Forderungssumme von DM 300.000,- (Erfüllung), abzüglich der vorgesehenen Eigenleistungen von DM 100.000,-, sondern nur einen pauschalisierten Schadensersatz von 10% des Erfüllungsinteresses, , mithin DM 20.000,- geltend. Die Auftragsbestätigung ist zum Beweis als Anlage K1 beigefügt. Jedenfalls wird die Klageschrift unter allen für das Verfahren wesentlichen Gesichtspunkten "auseinandergenommen".

Jedem Kapitel vorangestellt sind weiterführende Hinweise, die auch relevante Aufsatzliteratur erfassen. Die Darstellung setzt ein mit der - allerdings wesentlichen - "Formalie" des Eingangsstempels der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts, die zum Anlaß genommen wird, die Unterschiede zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit zu erläutern, wobei auf die Besonderheiten der "Zustellung demnächst" der §§ 693 Abs.2, 270 Abs.2, 207 Abs.1 ZPO eingegangen wird. Sehr übersichtlich werden die fünf verschiedenen Zinsansprüche erläutert. Die Ausführungen geben zahlreiche Hinweise auf Standardprobleme des Assessorexamens, etwa auf die Frage der Zulässigkeit der Stellung eines PKH-Antrages durch die Partei selbst, bei sachlicher Zuständigkeit des Landgerichtes in erster Instanz (§ 117 Abs.1 S.1 Hlbs.2 ZPO als Ausnahme zu § 78 Abs.1 ZPO). Es werden alle Prozeßvoraussetzungen angesprochen. Eine Schema faßt die Sachentscheidungsvoraussetzungen übersichtlich zusammen. Wichtig ist der für die Relation entscheidende Hinweis, daß eine Klage bei Nichtvorliegen einer Sachentscheidungsvoraussetzungen auch dann als unzulässig abzuweisen ist, wenn sie offensichtlich unbegründet ist, da Prozeßurteile nicht in materielle Rechtskraft erwachsen, der gleiche Streitgegenstand daher noch einmal erneut anhängig gemacht werden kann.

Bei der Erörterung der Wahl des frühen ersten Termins (§ 275 ZPO) oder des schriftlichen Vorverfahrens (§ 276 ZPO) nach § 272 Abs.1 ZPO durch den Kammervorsitzenden (§ 217 ZPO) werden zunächst allerdings die umstrittenen Fragen der Präklusion bei verspätetem Vorbringen beim frühen ersten Termin ebenso ausgespart, wie die umstrittene Frage der Anforderungen an den frühen ersten Termin als mündliche Verhandlung. Sie werden in einem eigenen Kapitel (§ 1 XV) ausgiebig erörtert. Relevant für die praktische Arbeit sind die Erörterungen zu § 273 ZPO und § 358 a ZPO. In die Darstellung eingearbeitet sind jeweils die einschlägigen, von den Gerichten benutzten Formulare, die der praktisch tätige Jurist kennen muß, so daß dieses Skript auch eine ausgezeichnete Formularsammlung enthält. Gut erläutert werden auch die Rechtsfragen der Zustellung, unter Einschluß der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis, das unverzüglich gegenzuzeichnen und zurückzugeben ist.

Erwartungsgemäß geht der eingangs geschilderte Fall nicht "glatt durch". Es folgt nicht einfach die Klageerwiderung, sondern es erfolgt ein Säumnisurteil, da beim frühen ersten Termin für die Beklagten niemand erschienen ist. Dies gibt Anlaß, auf die zahlreichen Rechtsprobleme des Versäumnisurteils einzugehen, mit einem Seitenblick auf die Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil nach § 513 Abs.2 ZPO, die nur zulässig ist, wenn Säumnis eben nicht vorgelegen hat. Die Beklagten, die bei der plötzlichen Heirat ihrer Tochter in Italien weilen, wollen gegen die Entscheidung vorgehen und beauftragen einen örtlich zugelassenen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Der Fall wird noch etwas komplizierter, da die Sekretärin des Anwaltes, die den Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil wenige Stunden vor Fristablauf zum Gerichtsbriefkasten bringen soll, einen Verkehrsunfall erleidet, ins Krankenhaus verbracht wird und die Frist schließlich nicht gewahrt werden kann. Es geht also auch um die schönen Probleme der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, gekoppelt mit einem Antrag auf Aufhebung des Versäumnisurteils, dem Antrag auf Klageabweisung und der Erlangung des Vollstreckungsschutzes gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil durch die Klägerseite. Fintenreich sind in die mitgeteilten Schriftsätze teilweise Fehler eingebaut, die allerdings mitunter sofort ins Auge stechen. So ist der Antrag des Beklagtenvertreters nach § 707 Abs.1 S.2 ZPO hinsichtlich des abzuwendenden Nachteils nicht näher begründet und damit sicher abzuweisen.

Die Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO wird richtigerweise gewährt. Eine Begründung des Einspruches war wegen Abwesenheit der Mandanten nicht möglich und wird nunmehr nach Rücksprache gekoppelt mit einem PKH-Antrag nach § 114 ZPO. Wie man Prozeßkostenhilfe erlangen kann, wird anschließend genau erörtert. Aber auch in diesen Schriftsatz ist ein "Standardfehler" eingebaut: Die Bestreitung von Tatsachen, die Gegenstand eigener Handlungen der Partei gewesen sind, können nicht mit "Nichtwissen" bestritten werden, so daß die Ausführungen als einfaches (unsubstantiiertes) Bestreiten zu deuten sind (§ 1 VII Rn.4).

Um die Sache noch etwas weiter zu komplizieren, wird in einem weiteren Schriftsatz des Beklagtenvertreters hilfsweise die Aufrechnung erklärt und ebenfalls hilfsweise Widerklage für den Fall des Nichtverbrauchs der Aufrechnungsposition bei Unbegründetheit der Klage erhoben. Die Probleme der Primär- und Hilfsaufrechnung sind elementarer Bestandteil des Vorbereitungsprogramms für das Assessorexamen. Der Verfasser gibt sehr interessante Tenorierungsempfehlungen. Die hilfsweise geltend gemachte Aufrechnungsposition wird von der Klägerin in Höhe von DM 2000,- anerkannt, was Gelegenheit bietet, auf die Rechtsprobleme des Anerkenntnisses einzugehen. Anschließend wird die hilfsweise erhobene Widerklage in Höhe von DM 1000,- zurückgenommen (Kostenersparnis!) und der Rechtsstreit in Höhe von DM 2.000,- wegen Rückzahlung für erledigt erklärt. Die Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO erfährt eine detaillierte Erläuterung, wobei es hier selbstredend um die analoge Anwendung des § 93 ZPO geht, der anwendbar ist, weil die Klägerin bereits nach eigenem Vorbringen und vorprozessualer Aufforderung zur Rückzahlung keinen Anspruch hatte, den inzwischen zurückgezahlten Betrag zu behalten.

Anschließend wird dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH wegen Eigenverschulden aus CIC und Delikt (§§ 823 II BGB, 263 StGB) für den Fall des Unterliegens gegen die OBH GmbH & Co. KG der Streit verkündet, um ggf. Ansprüche gegen den Geschäftsführer zu wahren (Verjährungsunterbrechung; Rechtskrafterstreckung, Interventionswirkung). Es kommt im frühen ersten Termin nach Erörterung des Sach- und Streitstandes (vollgültige mündliche Verhandlung) zu einem Prozeßvergleich, der erwartungsgemäß widerrufen wird, den sonst käme man ja nicht mehr zur Beweisaufnahme, die aufgrund eines jetzt nötigen Beweisbeschlusses nach § 358 a ZPO erfolgt. Die benannten Zeugen werden geladen, persönliches Erscheinen der Beklagten angeordnet. Sehr hilfreich sind die Ausführungen zur Beweiswürdigung nach § 286 Abs.1 ZPO, die insbesondere die praktischen Probleme auch des "non liquet" thematisieren. Es kommt nunmehr zum (vollständig mitgeteilten) Urteil. Das Versäumnisurteil wird aufgehoben, die Klage abgewiesen. Das überzeugende Urteil setzt sich unter Offenlegung der Maßstäbe der Beweiswürdigung eingehend mit den Zeugenaussagen auseinander und bietet geradezu eine philologische Analyse der Zeugenaussagen in Bezug auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen. Anschließend wird das Urteil unter allen rechtlichen Aspekten erläutert. Besonders hervorzuheben sind die examensrelevanten Fragen der Kostenentscheidung und der vorläufigen Vollstreckbarkeit. Die Erläuterungen zeigen auch die Formalien auf, die bei Abfassung eines Zivilurteils zu beachten sind, so etwa welche Zeitform bei der Abfassung des Tatbestandes benutzen werden muß (Imperfekt, ggf. Plusquamperfekt, nicht aber Perfekt bei zurückliegenden Tatsachen; Präsens, ausnahmsweise Perfekt bei der Schilderung gegenwärtiger Zustände). Nur Tatsachen werden behauptet, nicht hingegen Rechtsmeinungen. Sehr klar wird bei dieser Gelegenheit die Relationstechnik erläutert. Am Ende stehen Ausführungen zur Rechtskraft. Der Vertiefung der durch die Lektüre erworbenen Kenntnisse dient das sich anschließende Repetitorium. Dort werden in erster Linie Standardfragen gestellt: "Wird ein Zeuge regelmäßig vereidigt? (§ 391 ZPO); Was ist der Sinn des selbständigen Beweisverfahrens?; Aus welchen Abschnitten setzt sich das Urteil zusammen?; Wozu dient die Sicherheitsleistung?", etc. Die Fragen sind zur Vertiefung und Wiederholung des examensrelevanten Stoffes überaus geeignet. Der Lerneffekt der Lektüre dieses Skriptes kann als sehr hoch eingeschätzt werden.

Mit der JA Zivilakte liegt eine Neuerscheinung vor, deren Konzept überzeugt und sicherlich eine weitere Bereicherung der Referendarausbildungsliteratur darstellt, um deren Angebotsverbreiterung sich der Luchterhand Verlag überaus verdient macht. Es wäre sicher sinnvoll, diese Reihe um einen vollstreckungsrechtlichen Band zu erweitern und vergleichbare Bände auch zum Straf- und Verwaltungsprozeß anzubieten. Jedenfalls dürfte das Konzept der JA-Zivilakte vornehmlich bei Rechtsreferendaren auf ein breites Interesse stoßen und sich durchsetzen, auch wenn die Idee vielleicht nicht ganz so neu ist.


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