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Artikel 9660
Daniel Ebinger
10.10.2004

Das Lehrbuch zum Thema:
Bezüge des Staatsrechts zum Völker- und Europarecht


Eine Rezension zu:

Michael Schweitzer

Staatsrecht III

Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht

8. Auflage

schwerpunkte-Reihe

C.F. Müller, Heidelberg 2004, 280 Seiten, 21,- €
ISBN 3-8114-9024-9

http://www.cfmueller-campus.de


"Staatsrecht III", oder ausführlich: "Die Bezüge des Staatsrechts zum Völker- und Europarecht", gehört in vielen Bundesländern zum Pflichtstoff im Staatsexamen. Oft wird es im Studium vernachlässigt, da es für unübersichtlich oder unwichtig gehalten wird. Wer es daher verpasst hat, die entsprechende Vorlesung zu besuchen, und diese Lücke schließen will, dem kann dieses Lehrbuch des Passauer Professors für Staats-, Europa- und Völkerrecht empfohlen werden. Dem Autor gelingt es, dieses sehr vielschichtige Rechtsgebiet, das großenteils von sehr gegensätzlichen Meinungen geprägt ist, im Großen und Ganzen übersichtlich und gut verständlich darzustellen und seine große Bedeutung zu vermitteln. Allerdings beschränkt sich das Buch nicht auf den Pflichtstoff, sondern geht an vielen Stellen darüber hinaus. Das macht es zwar geeignet als Grundlage für Studenten mit dem Wahlfach Europa- und Völkerrecht; andererseits ist es für Studenten, die ein anderes Wahlfach gewählt haben und sich nur Grundwissen aneignen wollen, manchmal schwierig, zwischen den vielen Detailfragen den Blick für das Wesentliche zu behalten oder sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Für eine schnelle Aneignung einiger der wichtigsten Probleme können zwar die 19 Fälle und Lösungen empfohlen werden, die entsprechend dem Konzept der schwerpunkte-Reihe grau hervorgehoben sind und durch Querverweisungen leicht ausfindig gemacht werden können. Doch fehlen leider Übersichten und Zusammenfassungen, die es Anfängern leichter machen würden, sich den Stoff anzueignen.

In § 1 des Buches werden die Begriffe "Völkerrecht" und "Europarecht im weiteren und engeren Sinn" kurz und gut verständlich erklärt. Ein wertvoller Überblick bietet die Auflistung der 18 wichtigsten europäischen Organisationen, die zusammen das Europarecht im weiteren Sinn prägen. Bei den folgenden Ausführungen des Buches bezieht sich der Begriff Europarecht in der Regel auf das Europarecht im engeren Sinn, also das Recht der EU, vor allem aber das der EG.

In den §§ 2-4 werden die Kernfragen des Themas des Buches behandelt, nämlich das Verhältnis des nationalen Rechts zum Völker- und zum Europarecht (§ 2), die Quellen (§ 3) und der innerstaatliche Vollzug des Völker- und Europarechts (§ 4). Dabei wird in jedem Paragraph zuerst das Völkerrecht, dann das Europarecht behandelt. Eine solche parallele Behandlung erscheint insoweit sinnvoll, als das Europarecht im engeren Sinn "völkerrechtlichen Ursprungs" ist (S. 17). Bisweilen bekommt man allerdings den Eindruck, dass eine parallele Behandlung nicht unbedingt erforderlich wäre, da das Europarecht doch eine vom Völkerrecht weitgehend unabhängige Entwicklung genommen hat. Durch eine gesamte Darstellung des Völkerrechts an einer Stelle und des Europarechts an einer anderen hätten vielleicht manche Doppelungen vermieden werden können. Andererseits beeinträchtigt die parallele Behandlung aber weder die Übersichtlichkeit noch die Verständlichkeit des Buches.

In § 2 geht es um die Grundfragen des Verhältnisses des nationalen Rechts zum Völker- und Europarecht. Beim Völkerrecht (S. 10-16) stehen dabei Ausführungen zu den Theorien des Monismus und des Dualismus, jeweils in radikaler und gemäßigter Ausprägung, im Mittelpunkt. Beim Europarecht (S. 16-38) wird die herrschende, fast einhellige Meinung vorgestellt, die vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts ausgeht. Dann werden ausführlich die konkreten verfassungsrechtlichen Fragen erörtert, die sich aus diesem Vorrang des Gemeinschaftsrechts ergeben. Geht das Gemeinschaftsrecht dem deutschen Grundgesetz vor, also auch den deutschen Grundrechten, und den in der deutschen Verfassung verankerten Strukturprinzipien? Es werden die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts kritisch dargestellt (z.B. Solange I- und Solange II-Beschluss, Maastricht-Urteil).

§ 3 behandelt die Quellen des Völker- und Europarechts. Zunächst wird auf einer halben Seite der Begriff "Rechtsquelle" erklärt; diese Ausführungen scheinen – wohl wegen ihrer Kürze – weder schlüssig noch aufschlussreich. Umso ausführlicher werden danach die Rechtsquellen des Völkerrechts (S. 39-108) und des Europarechts (S. 108-151) dargestellt. Insbesondere bei den Rechtsquellen des Völkerrechts kommen viele zentrale Fragen der Bezüge des deutschen Staatsrechts zum Völkerrecht zum Tragen: Durch welche Organe wird die Bundesrepublik völkerrechtlich vertreten? Welche Verfahren sind auf deutscher Seite beim Abschluss der Verträge anzuwenden? Wie werden Verträge ausgelegt und beendigt? Im zweiten Teil des § 3, in dem es um die Rechtsquellen des Europarechts geht, werden viele Fragen behandelt, die man aus dem allgemeinen Europarecht kennt: Was ist primäres, was sekundäres Gemeinschaftsrecht? Was sind Verordnungen, was Richtlinien? Wann gelten letztere ausnahmsweise unmittelbar? Wie kommt das sekundäre Gemeinschaftsrecht zustande und wie können die deutschen Gesetzgebungsorgane sich daran (indirekt) beteiligen?

§ 4 hat den innerstaatlichen Vollzug von Völkerrecht (S. 151-186) und Europarecht (S. 186-201) zum Gegenstand. Im Rahmen des Völkerrechts werden zunächst Adoptionstheorie und die herrschende Transformationstheorie einander gegenübergestellt. Dann werden die einzelnen Fragen behandelt, wie nach dem Grundgesetz und nach den Landesverfassungen die verschiedenen Arten von Völkerrecht umgesetzt werden. Bei den Ausführungen zur Umsetzung des Europarechts wird deutlich dargestellt, wie sich der Vorrang des Europarechts auswirkt.

In § 5 finden sich Ausführungen zu den Völkerrechtssubjekten. Sie konzentrieren sich auf die beiden bedeutsamsten Gruppen von Völkerrechtssubjekten, nämlich Staaten (S. 201-249) und internationale Organisationen (S. 249-259). In den Ausführungen zu den Staaten liegt ein Schwerpunkt auf der Definition von Staat (Staatsvolk, Staatsgewalt und Staatsgebiet), ein anderer auf der Rechtslage Deutschlands (Deutsches Reich, Bundesrepublik, DDR, Wiedervereinigung). Im letzten Paragraphen, dem § 6, wird schließlich überblicksartig dargestellt, wie sich die auswärtige Gewalt in Deutschland auf die drei Gewalten und auf die Bundesorgane Bundespräsident, Bundestag und Bundesrat, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht aufteilt.

Gesamteindruck:
Das Buch Staatsrecht III, das das Verhältnis des deutschen Staatsrechts zum Völkerrecht und zum Europarecht behandelt, kann allen empfohlen werden, die sich in dieses Gebiet einarbeiten wollen – sei es für den Pflichtstoff im ersten Staatsexamen oder für die Grundlagen im Wahlfach. Allerdings sollte viel Zeit mitgebracht werden. Wer sich nur einen Überblick verschaffen oder nur einzelne kleinere Problemkreise herausgreifen will, wird mit diesem Buch nicht unbedingt glücklich werden, da die Ausführungen vielfach ins Detail gehen, Schaubilder und Zusammenfassungen aber fast nicht vorhanden sind. Dennoch ist das Buch insgesamt verständlich und gut lesbar geschrieben. Dass es – trotz der etwas abgelegeneren Materie – seit 1986 inzwischen schon die 8. Auflage erfahren hat, spricht für sich. Konkurrieren kann mit ihm noch das Werk von Rudolf Geiger "Grundgesetz und Völkerrecht" (3. Aufl. 2002, 422 Seiten).

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