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"Verwaltungsprozeßrecht" von Hubertus Gersdorf
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Thilo Schulz

Grundversorgung im Öffentlichen Recht II

Eine Rezension zu:

Hubertus Gersdorf

Verwaltungsprozeßrecht

JURATHEK: Grundversorgung im Öffentlichen Recht
Heidelberg: C.F.Müller, 2000, 156 Seiten, DM 24,80,-
ISBN 3-8114-2213-8




Das Buch "Verwaltungsprozeßrecht" von Hubertus Gersdorf ist Teil der neuen Reihe "Grundversorgung im Öffentlichen Recht". Ziel ist es, einmal alle Rechtsgebiete des Öffentlichen Rechts darzustellen, die Prüfungsgegenstand des ersten Staatsexamens sind. Die Reihe will dabei in Konkurrenz zu den kommerziellen Repetitoren treten, die immer noch großen Zulauf haben: viele Studenten meinen, erst hier das öffentliche Recht "richtig" beigebracht zu bekommen. Hubertus Gersdorf ist der Meinung, daß dies nicht sein muß: "Was der Repetitor leistet, muß der Hochschullehrer erst recht leisten können". Deshalb hat er sich vorgenommen, die Erfahrungen aus seiner Lehrtätigkeit für die Reihe fruchtbar zu machen und möglichst gut auf die Bedürfnisse der Jurastudenten einzugehen.

Welche Bedürfnisse dies sind, läßt sich an den häufig geäußerten Klagen über dicke Lehrbücher und der großen Beliebtheit der Skripten kommerzieller Repetitoren ablesen: gut strukturierte Stoffvermittlung mit Hinweisen zur konkreten Fallbearbeitung, ohne wichtige Faktoren auszulassen. Denn viele Lehrbücher behandeln den Stoff zwar umfassend, aber in einer Breite, die das Auffinden der wichtigen Informationen stark erschwert. Auch Aufbauhinweise, d.h. Hinweise, an welcher Stelle die Informationen in der Klausur relevant sind, sucht man in klassischen Lehrbüchern vergeblich. Im Gegensatz dazu beschränken sich die Skripten von Repetitoren wie Hemmer nach eigenen Angaben auf den examensrelevanten Stoff. Die Stoffvermittlung geschieht in diesen Skripten tatsächlich oft übersichtlicher, allerdings meist ohne kritische Auseinandersetzung mit der Materie und nicht weniger ausführlich als in einem Kurzlehrbuch. Das verführt dazu, einfach die angebotenen Aufbauschemata auswendig zu lernen und gebetsmühlenartig abzuspulen. Gerade das tiefere Verständnis für Rechtsprobleme, das in den Klausuren des ersten Staatsexamens oft der Weg zur gut vertretbaren Lösung ist, bleibt dabei auf der Strecke. Hubertus Gersdorf hat dies erkannt und will den "goldenen Mittelweg" zwischen Lehrbuch und Skript einschlagen: die wichtigen Prüfungspunkte einer Klausur mit verwaltungsprozeßrechtlichen Schwerpunkten ansprechen, zeigen, an welcher Stelle der Klausur welche Information eine Rolle spielt, und gleichzeitig das Verständnis für die Materie wecken.

Die praktische Umsetzung des Stoffes an Hand von Fallbeispielen zu demonstrieren würde den Rahmen des Buches bei weitem sprengen. Auf der Website von Prof. Gersdorf findet man aber eine Reihe von typischen verwaltungsrechtlichen Fallgestaltungen mit Lösungen, die man sich unbedingt ansehen sollte. Diese Fälle eignen sich gut zum Üben der Falllösungstechnik im Rahmen einer privaten Arbeitsgemeinschaft oder allein. Anders als die Fälle in Ausbildungszeitschriften sind sie nicht mit der erschöpfenden Behandlung dogmatischer Probleme überfrachtet. Nur hin und wieder wird man (wie im Buch) mit Symbolen (dem erhobenen Zeigefinger) auf besonders schwierige Problem hingewiesen.

Das Buch selbst beginnt ohne Umschweife mit dem ersten Prüfungspunkt einer Klausur des Verwaltungsprozeßrechts: der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. § 40 VwGO eröffnet den Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Da die Klage von Amts wegen an das zuständige Gericht verwiesen wird, wenn der Weg zum Verwaltungsgericht nicht eröffnet ist (§ 17a II GVG i.V.m. § 173 VwGO) und nicht durch Prozeßurteil verworfen wird, ist die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Deshalb wird sie quasi "vor die Klammer" gezogen und auch in diesem Buch vorweg erschöpfend für alle Klage- und Antragsarten behandelt. Der Überblick über aufdrängende Sonderzuweisungen (etwa § 126 I S.2 BRRG i.V.m. § 172 BBG) und die drei Tatbestandsmerkmale des § 40 I S.1 VwGO erleichtert den Einstieg sehr. Schon beim ersten Tatbestandsmerkmal "öffentlich-rechtliche Streitigkeit" kann es zu Problemen kommen. Gersdorf unterteilt die Prüfung nochmals: er zeigt in der gebotenen Kürze, welche Fallgruppen das Vorliegen einer rechtlichen Streitigkeit fraglich erscheinen lassen und nennt hier Organstreitverfahren, Streitigkeiten in besonderen Gewaltverhältnissen, Gnadenakte und Regierungsakte. Fußnoten ermöglichen die vertiefte Behandlung der einzelnen Problemkreise. Anschließend behandelt er den öffentlich-rechtlichen Aspekt. Dabei geht er verstärkt auf die Sonderrechtstheorie ein, da sie in den Fällen der Eingriffsverwaltung eine schnelle Abgrenzung von öffentlichem und Privatrecht ermöglicht. Subordinationstheorie und Interessentheorie werden nur in einem "Hinweis" abgehandelt, ohne den Leser dabei mit Details zu verwirren. Da die Sonderrechtstheorie für den gesetzlich nicht geregelten Bereich der Leistungsverwaltung keine Ergebnisse liefern kann, stellt Gersdorf für verschiedene Fallgruppen ausführlich die jeweiligen Abgrenzungskriterien dar. Zu nennen sind hier Fälle, in denen es um die Benutzung öffentlicher Einrichtungen geht, Fälle zum Subventionsrecht oder Fälle zum gemeindlichen Vorkaufsrecht. Nach der Darstellung des Prüfungspunktes "nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit" sind abdrängende Sonderzuweisungen wie etwa Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB bei Amtspflichtverletzungen oder die Fälle des § 40 II S.1, 1.Alt und § 40 II S.1, 2.Alt VwGO an der Reihe. Sehr hilfreich für das Verständnis des Verwaltungsprozeßrechts ist der abschließende Hinweis auf die Rechtsfolgen bei Unzulässigkeit des vom Antragssteller gewählten Rechtswegs.

Da es in verwaltungsprozeßrechtlichen Klausuren häufig um die Aufhebung von Verwaltungsakten geht, beginnt Gersdorf mit der Darstellung der Anfechtungsklage. Alle Aspekte, die im Rahmen der Zulässigkeit der Anfechtungsklage wichtig sind, werden in der gebotenen Kürze abgehandelt, ohne die problematischen Fälle zu vernachlässigen. Sehr hilfreich sind die Formulierungsvorschläge, die man bei jedem Prüfungspunkt angeboten bekommt. Um dem "Herunterbeten" von Aufbauschemata entgegenzuwirken, gibt Gersdorf immer wieder Hinweise, wann man bestimmte Prüfungspunkte wie Rechtsschutzbedürfnis oder die Möglichkeit der Verwirkung überhaupt ansprechen sollte. Im Rahmen der Begründetheitsprüfung werden die Punkte dargestellt, die bei der Fallbearbeitung häufig problematisch sind. Zu nennen sind hier etwa der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen VA bei Veränderung der Sach- und Rechtslage oder der gerichtliche Überprüfungsumfang bei Ermessensentscheidungen und unbestimmten Rechtsbegriffen. Das Verständnis wird durch die aufbautechnischen Hinweise und gute Strukturierung der Informationen sehr gefördert.

Nächste Klageart ist die Verpflichtungsklage. Es handelt sich hier um eine Leistungsklage, die auf den Erlass eines VA gerichtet ist. Sie kommt als Versagungsgegenklage auf Vornahme eines beantragten, aber abgelehnten VA oder als Untätigkeitsklage auf Vornahme eines beantragten, aber unterlassenen VA vor. Gersdorf setzt hier Schwerpunkte und handelt nur die problematischen Konstellationen ab.

Auch die Darstellung der Fortsetzungsfeststellungsklage gem. § 113 I S.4 VwGO direkt bzw. analog erfolgt sehr komprimiert auf nur sieben Seiten. Nur die Ausführungen zur Begründetheit erscheinen etwas knapp. Für die nachfolgende Auflage wären hier ein wenig umfangreichere Angaben wünschenswert.

Allgemeine Leistungsklage und Allgemeine Feststellungsklage werden verständlich dargestellt, wobei der Autor nur auf die Besonderheiten der jeweiligen Klageart und typische Konstellationen eingeht, ansonsten auf frühere Ausführungen verweist. Ergänzende Literaturhinweise erleichtern dem Leser die Vertiefung ausgewählter Problemkreise.

Bei der Darstellung des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO fallen die Hinweise auf die gegenüber den Klagenarten abweichende Terminologie sehr positiv auf. Die wichtigsten Fälle des Normenkontrollverfahrens, in erster Linie Bebauungspläne, die regelmäßig in Form von Satzungen ergehen, werden vorangestellt und erleichtern die Orientierung. Bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Statthaftigkeit des Antrags, Antragsbefugnis, Antragsfrist, Zuständigkeit, Antragsgegner, Beteiligtenfähigkeit und Rechtsschutzbedürfnis sind immer wieder Hinweise für die praktische Fallbearbeitung gegeben, die das Verständnis fördern und in dieser Weise in herkömmlichen Lehrbüchern nicht zu finden sind. Gut gemacht ist auch die tabellenartige Übersicht über die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eines Bebauungsplans, die am Ende der Begründetheitsprüfung zu finden ist. Hier findet man auch eine griffige Merkformel für die Abwägungsfehlerlehre des BVerwG.

Ein weiterer klausurrelevanter Bereich ist der einstweilige Rechtsschutz, vor allem der Antrag nach § 80 V VwGO auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO. Die Wichtigkeit läßt sich auch an der Gewichtung der Materie im Buch ablesen: Gersdorf widmet der Darstellung über ein Drittel des Buches. Den Anfang macht dabei der Antrag nach § 80 V VwGO. Bevor die Darstellung des Prüfungsaufbaus beginnt, gibt der Autor eine Einführung in Hintergründe und Zweck dieses Antrags. Bei der Prüfungsfolge selbst wird der Ansatz durchgehalten, der schon bei den Klagearten zu sehen war: bei besonders schwierigen Punkten erhält der Leser Hintergrundinformationen und Hinweise für die Klausurpraxis. Als Beispiel seien hier nur die Ausführungen zur Statthaftigkeit des Antrags nach § 80 V S.1 VwGO genannt. Das schwierige Feld des einstweiligen Rechtsschutzes bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung im Rahmen von § 80a VwGO folgt direkt im Anschluß. An dieser Stelle werden die im Text behandelten Fallkonstellationen an Hand von grafischen Übersichten visualisiert. Die Rechtsbeziehungen der jeweils Beteiligten werden so dargestellt, daß man sie auf den ersten Blick erfassen kann, und die jeweils relevante Norm wird angegeben. Im Text ist dies so nicht möglich. Gerade in diesem 9. Abschnitt des Buches findet man viele hilfreiche Formulierungsvorschläge. Den Abschluß bildet die Einführung in das Verfahren nach § 123 VwGO, das von den beiden anderen Anträgen abgegrenzt wird.

Zwei weitere Bereiche, die immer wieder Gegenstand von Klausuren des ersten Staatsexamens sein können, bilden den Abschluß des Buches: das Vorverfahren nach § 68 ff. VwGO und Organ- bzw. Kommunalverfassungsstreitigkeiten. Gerade das Widerspruchsverfahren wird dabei im Rahmen von Anfechtungsklagen oft ausführlich behandelt. Deshalb stellt Gersdorf es hier in der gebotenen Tiefe dar. Bei Organ- bzw. Kommunalverfassungsstreitigkeiten ist meistens die statthafte Klageart der Prüfungspunkt, der besondere Probleme aufwirft. Er nimmt in der Darstellung den meisten Raum ein. Da die streitgegenständlichen Maßnahmen regelmäßig wegen fehlender Außenwirkung keine Verwaltungsakte darstellen, scheiden Anfechtungs- und Verpflichtungsklage aus. Von der Rechtsprechung wurde deshalb früher zum Teil die Auffassung vertreten, daß bei Kommunalverfassungsstreitigkeiten eine Klage sui generis statthaft sei. Heute wird diese Auffassung nahezu einhellig abgelehnt mit der Konsequenz, daß je nach Klageziel die allgemeine Leistungsklage oder die allgemeine Feststellungsklage die statthafte Klageart darstellen. Da die anderen Prüfungspunkte keine spezifischen Probleme aufwerfen, werden sie nur noch knapp abgehandelt. Damit schließt das Buch.

Wer einen ersten Einstieg in das Verwaltungsprozeßrecht sucht oder schon erworbenes Wissen schnell wiederholen will, ist mit diesem knappen, aber inhaltlich sehr gut gelungenen Buch bestens bedient.


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