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Artikel 7633
Ralf Hansen

Betriebswirtschaftliche Erkundungen der Unternehmenskrise

Eine Rezension zu:

Ute Zisowski

Grundsätze ordnungsgemäßer Überschuldungsrechnung


Schriften zur Rechnungslegung, Bd. 1 Bielefeld: Erich-Schmidt-Verlag, 2001, 208 S. ISBN 3-503-05790-0

www.erich-schmidt-verlag.de


Die neue Verlagsreihe startet mit einer überaus interessanten Duisburger Dissertation, die auch wirtschaftsrechtlich tätige Juristen sehr interessieren wird, da die spezifisch wirtschaftsrechtliche Begriffsbildung etwa des Insolvenzrechts unmittelbar wenigstens auch auf betriebswirtschaftlich zu klärende Fragen verweist. Der maßgebliche Insolvenzgrund bei "Beschränkthaftern" ist - neben der Zahlungsunfähigkeit - die Überschuldung. Wird deren Vorhandensein festgestellt, ist das Insolvenzverfahren zu eröffnen. Wird dies unterlassen, liegen grundsätzliche Insolvenzstraftaten vor. Juristisch ist die Phase der Überschuldung der Phase der Zahlungsunfähigkeit vorgelagert. Die Verfasserin untersucht das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Überschuldung des § 19 II InsO aus betriebswirtschaftlicher Perspektive und arbeitet in diesem Rahmen an der Beantwortung der Frage, wann Überschuldung im ökonomischen Sinne vorliegt. Sie geht dabei vom üblichen zweistufigen Bewertungsverfahren aus, das zunächst nach der Möglichkeit einer Fortführung des in die Krise geratenen Unternehmens fragt und auf der Basis der Beantwortung dieser Frage entweder das Fortführungsvermögen oder das Liquidationsvermögen ermittelt, und kommt im Verlauf der Argumentation zu einer interessanten Kritik dieses Modells. Die entscheidenden Probleme ergeben sich bereits auf der ersten Stufe, da die Insolvenzordnung keinerlei Rechnungslegungsvorschriften enthält. Die aufgrund dieses fehlenden Systems der Überschuldungsrechnung entstehenden Probleme - die auch immer Rechtsprobleme sind - versucht die Verfasserin durch die Entwicklung betriebswirtschaftlich abgestützter Grundsätze ordnungsgemäßer Überschuldungsrechnung zu verringern, wählt als analytischen Ansatz eine betriebswirtschaftlich-deduktive Methode und zeigt auf, daß die Überschuldung anders als die Zahlungsunfähigkeit ein rein normativer Begriff ist, der ein Unternehmen ab bestimmter Überschreitung normativer Grenzen für "krank" erklärt. Nach ihrer klaren Darlegung bilden die Kriterien einer betriebswirtschaftlich effizienten Überschuldung den Rechnungszweck der Überschuldungsrechnung, der den Rechnungsinhalt der Überschuldungsrechnung bestimmt, ohne allein von rechtlichen Kriterien abzuhängen. Dieser Rechnungsinhalt wird durch die Grundsätze der Überschuldungsrechnung kodifiziert, die im Verlauf der weiteren Argumentation herausgearbeitet werden.

Die Darstellung setzt konsequent bei einer Analyse des betriebswirtschaftlichen Zwecks der Überschuldung anhand der institutionenökonomischen Fragestellung ein, ob das normative Raster der Überschuldung die Unvollkommenheit einer Principal-Agent-Beziehung verringert, indem sie das Verhalten von Wirtschaftssubjekten eigennutzenorientiert, rational und opportunistisch steuert. Das Insolvenzrecht hat handlungsbeschränkende Wirkungen für den Schuldner, angesichts der Reichtumsverschiebung zu Lasten des Gläubigers aber auch für diesen. Den betriebswirtschaftlichen Zweck der Überschuldung sieht die Verfasserin unter diesen Umständen in einer Begrenzung der Reichtumsverschiebung durch vermögenslose Zahlungsunfähigkeit zu Lasten eines Gläubigers aufgrund der Kreditbeziehung mit einem beschränkt haftenden Schuldner, so daß Überschuldung eine Institution im betriebswirtschaftlichen Sinne ist. Auf der Basis dieser betriebswirtschaftlichen Begriffsbestimmung wird der Rechnungszweck der betriebswirtschaftlichen Überschuldungsrechnung herausgearbeitet. Das neoklassische Hybridmodell lehnt die Verfasserin ab, so daß die Überschuldung nur mit dem Werturteil zu begründen ist, daß Reichtumsverschiebungen zu verringern sind, weil sie ungerecht sind. Die Gerechtigkeitskriterien des Überschuldungsmodells werden klar herausgearbeitet und mit der Frage der betriebswirtschaftlichen Effizienz konstrastiert. Sie kommt auf der Basis der betreffenden Überlegungen zu dem Schluß, daß auch eine betriebswirtschaftliche effiziente Überschuldungsrechnung wie alle Institutionen mit dem Risiko mangelner Kalkulierbarkeit behaftet ist, also den einen nützt und den anderen schadet. Effizient ist der Rechnungszweck, wenn die Überschuldungsrechnung objektiviert wird und damit auch gerichtlich nachprüfbar ist, weil nur dann ein Eingriff in die Vermögensposition des Schuldners erfolgt, wenn eine objektivierte prospektive Zahlungsunfähigkeit gegeben ist und mildere Mittel des Gläubigerschutzes nicht mehr greifen können. Der Rechnungsinhalt der Überschuldungsrechnung hängt daher von einer effizienten Überschuldungsdefinition und effizienten konkreten Rechnungszielen ab, für die sie fallgruppenspezifische Grundsätze entlang der Argumentationsstufen der Überschuldungsdefinition, der Fortbestehensprognose, des Fortführungsvermögens oder des Liquidationsvermögens herausarbeitet. Es gelingt der Verfasserin dabei, diese wertungsausfüllungsbedürftigen Begriffe inhaltlich so zu präzisieren, daß die Begriffe betriebswirtschaftlich operationalisierbar werden. Dieser betriebswirtschaftlich gewonnene Rechnungsinhalt ist danach auch insoweit effizient, als er auch die Wertungen des Gesetzgebers ausfüllt und insoweit folglich auch juristische Relevanz besitzt. Damit geht es letztlich um die effiziente Operationalisierung von Werturteilen, da eine Agency-Costs-minimierende Funktion der Überschuldung nicht bestätigt werden konnte. In einem letzten Kapitel bezieht die Verfasserin daher konsequenterweise ihren Analyserahmen auf die juristische Interpetation des § 19 II InsO und fragt, ob sie in diesem Rahmen verwertbar sind. Damit sucht und findet der Ansatz den Anschluß an einen fachjuristischen Diskurs, der durch die betriebswirtschaftliche Untersuchung der Materie erheblich gewinnt, indem ermöglicht wird, die juristische Interpretation nunmehr auch betriebswirtschaftlich zu untermauern und ihrerseits Anschluß zu suchen an den betriebswissenschaftlichen Diskurs. Dabei wird klar herausgearbeitet, daß dem gesetzlichen Überschuldungstatbestand auch zugleich Werturteile des betriebswirtschaftlichen Zwecks der Überschuldung zugrundeliegen. Anhand ihres betriebswirtschaftliche gewonnenen Ergebnisses schlägt die Verfasserin daher vor, § 19 II InsO dahingehend teleologisch zu reduzieren, daß Überschuldung nicht bereits dann vorliegt, wenn bei positiver Fortbestehensprognose das Fortführungsvermögen negativ ist, sondern erst dann, wenn bei positiver Fortbestehungsprognose neben dem Fortführungsvermögen auch das Liquidationsergebnis negativ ist. Dies überzeugt juristisch schon deshalb, weil damit der Wertungsrahmen des gesetzlichen Überschuldungsbegriffes, wie er durch die geänderten Zwecke der Insolvenzordnung gegenüber der Konkursordnung gekennzeichnet ist, ausgeschöpft wird und diese Zwecke zur Geltung gebracht werden. Die nach dem Wortlaut der Norm offenen Fragen lassen sich daher anhand einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise beantworten, die sich auf rationale Grundsätze einer ordnungsgemäßen Überschuldungsrechnung stützt. Damit bringt die Verfasserin Rechtsbegriff und betriebswirtschaftliche Grundsätze dieser Überschuldungsrechnung zu einer überzeugenden "kongruenten" Deckung, auch wenn sie selbst am Schluß mit einiger Ironie die Skepsis äußert, ob die Institutionenanalyse nicht letztlich oftmals Vorfindliches als sinnvoll qualifiziert.

Diese brilliante Studie bringt einen der unklarsten Bereiche des Wirtschaftsrechtes einer betriebswirtschaftlichen wie juristischen Klärung näher und ist bereits deshalb für den Interessierten unbedingt lesenswert.

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