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Artikel 292
Ralf Hansen

Sachversicherungsrecht im Querschnitt

Eine Rezension zu:

Thomas Wente

Kernprobleme des Sachversicherungsrechts

Karlsruhe: VVW-Verlag, 1999, 381 S.
ISBN 3-88487-775-5


http://www./vvw.de


Das neue Werk versucht eine systematische Darstellung der Kernprobleme des Sachversicherungsrechts. Die Darlegungen beruhen auf einer umfassenden Analyse der Rechtsprechung und sprechen insbesondere den mit versicherungsrechtlichen Fragen befaßten Praktiker an, der sich schnell ein Bild über die Rechtslage machen muß, beispielsweise bei einem sachschadensrechtlichen Mandat, etwa im Zusammenhang mit der Rückforderung einer Versicherungsleistung oder deren Abwehr. Die Sachversicherung hat das Sachen betreffende Risiko der versicherten Person zum Gegenstand. Grundtypen sind etwa die Feuer- und Hausratsversicherung, deren Vertragspraxis durch AVB dominiert werden, da das VVG weitgehend dispositive Normen enthält. Der Aufbau orientiert sich am zeitlichen Ablauf von möglicherweise während der Vertragslaufzeit einsetzenden Problemen und beschäftigt sich insbesondere mit den Problemen der Vertragsverletzungen durch den Versicherungsnehmer nach Realisierung eines versicherten Risikos, etwa eines Brandes. Die einschlägige Rechtsprechung ist zusammengefaßt in die Darstellung eingearbeitet und wird teilweise mit Anmerkungen versehen. Soweit erforderlich wird die Kritik aus der Literatur in die Darstellung eingearbeitet.

Sehr ausführlich werden in diesem Zusammenhang Rechtsfragen der Obliegenheitsverletzung behandelt. Obliegenheiten sind keine echten, d.h. unmittelbar erzwingbare Verbindlichkeiten, sondern bloße Verhaltensnormen, die jeder Versicherungsnehmer aufgrund des abgeschlossenen Versicherungsvertrages oder aus gesetzlichen Gründen beachten muß, um sich seinen Versicherungsanspruch zu erhalten. Es handelt sich dabei um einen sehr weiten Pflichtenkreis, dessen Umfangsermittlung die genaue Lektüre der Versicherungsbedingungen voraussetzt. Die Rechtsfolgen ergeben sich allgemein aus § 6 VVG, sofern keine Sonderregelung vorliegt. Die Darstellung bewegt sich eng anhand der Systematik der Normen des VVG, arbeitet aber stets die Überlagerungen durch die verschiedenen in Geltung befindlichen Fassungen der AVB in die Darstellung ein. Liegt eine solche vertragliche Obliegenheitsverletzung vor, wird der Versicherer nach § 6 Abs.1 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei. In diesem Zusammenhang erörtert der Verfasser zunächst Rechtsfragen der Einbeziehung von AVB in den Vertrag, die inzwischen sicher als AGB anzusehen sind. Angesichts zahlreicher offener Fragen, die sich um die Abgrenzung von AVB zur bloßen Beschaffenheitsangabe ranken, rät der Verfasser zutreffend dazu, von einer maximalen Inhaltskontrollkompetenz der Zivilgerichte auszugehen.

Wird der Sachversicherer nicht zutreffend über das zu versichernde Objekt informiert, kann dies einen Rücktritt des Versicherers vom Versicherungsvertrag zur Folge haben kann. Es handelt sich bei den hier in Rede stehenden Obliegenheiten um vorvertragliche Anzeigepflichten, die in §§ 16, 17 VVG normiert sind. Angesichts der unterschiedlichen Fassungen der AVB ergeben sich hier zahlreiche Auslegungsfragen im Detail, die eingehend erörtert werden. Im Brennpunkt steht die Frage, ob nur alle im Antragsformular genannten Fragen richtig beantwortet werden müssen oder ob darüber hinaus alle bekannten Umstände offengelegt werden müssen, sofern Kenntnis im Zeitpunkt der Vertragsschlusses (nicht der Antragstellung) überhaupt vorgelegen hat. Anhand der §§ 16, 17 VVG werden alle Probleme des Rücktritts nach dem VVG diskutiert. Allerdings kommt bei Vorliegen von Arglist auch eine Anwendung des § 123 BGB in Betracht, der im Privatversicherungsrecht zahlreiche spezifische Probleme aufwirft. Es ist inzwischen anerkannt, daß wissentlich falsche Angaben bei Vertragsschluß allein nicht ausreichen, soweit nicht der Versicherungsnehmer mit den falschen Angaben bewußt Einfluß auf die Annahmeentscheidung des Versicherers nehmen will und damit rechnet, daß der Versicherer bei Kenntnis dieser Umstände den Antrag nicht oder nur unter erschwerenden Bedingungen annehmen würde. In jedem Falle ist der Versicherer zu einer umfassenden Risikoprüfung verpflichtet, deren Fehlen zum Ausschluß des Anfechtungsrechtes führt. Auch bei erfolgreicher Anfechtung verfällt die Prämie nach wie vor nach § 40 VVG. Zur besseren Beurteilung auch der beweisrechtlichen Situation gibt der Verfasser im Anschluß an jedes Kapitel Tips für die Praxis.

Sehr eingehend diskutiert werden in Teil 3 und 4 die gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers. Auf Leistungsfreiheit nach § 6 Abs.1 VVG kann sich der Versicherer aber nur berufen, wenn er innerhalb eines Monats ab Kenntnis der Obliegenheitsverletzung das Versicherungsverhältnis gemäß § 20 Abs.1 VVG analog kündigt und der Vertrag endgültig aufgelöst wird. Es werden allerdings auch die anerkannten Ausnahmefälle diskutiert. Die gesetzliche Regelung ist lückenhaft und wird durch eine unübersichtliche Klauselpraxis ergänzt. Die Darstellung ermöglicht aber, sich ein geschlossenes Bild von der Rechtslage zu machen. So statuiert § 33 VVG zwar eine unverzügliche Anzeigepflicht, enthält aber keine Rechtsfolge. In der Praxis dürfte es sich bewährt haben, zunächst eine fernmündliche Schadensanzeige abzugeben und dieser dann eine schriftliche Schadensanzeige folgen zu lassen. Die Probleme der Schadensanzeige per E-Mail werden noch nicht diskutiert, dürften aber in der Praxis bereits Probleme aufwerfen, die allerdings lösbar sind. Die unverzüglichen Anzeigepflichten gegenüber der Polizei nach VHB 94/92 und AERB 87 werden eingehend diskutiert. Beispiele aus der Urteilspraxis zur Obliegenheitsverletzung runden den hohen Informationsgehalt der Ausführungen ab, die alle bekannten Probleme in jeder Hinsicht ausdiskutieren, so daß dieser Band insoweit auch handbuchähnlichen Charakter hat.

Der Eintritt der Sachschadensversicherung ist ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des § 61 VVG vorliegen, der lex specialis zu § 276 BGB ist. Vorsätzlich oder auch grob fahrlässig verursachte Schäden fallen nicht unter den Versicherungsschutz. Anders nach § 152 VVG bei der Haftpflichtversicherung (nur Vorsatz). § 61 VVG ist im Grundsatz dispositiv, aber nur in den Grenzen der Inhaltskontrolle von AVB. Hinsichtlich des Vorsatzes wird - unter Einbeziehung beweisrechtlicher Erörterungen - auf alle Problemkreise eingegangen, unter besonderer Berücksichtigung der 1998 geänderten Strafnormen über die Brandstiftungsdelikte, deren Voraussetzungen erheblich verschärft wurden. Praxisrelevanter, weil häufiger vorkommend, sind die Probleme der groben Fahrlässigkeit, insbesondere in Abgrenzung zur einfachen Fahrlässigkeit. Der privatversicherungsrechtliche Begriff der groben Fahrlässigkeit weicht dabei nicht unerheblich von der Begriffsbildung zu § 276 BGB ab, da auch subjektiv ein unentschuldbares Fehlverhalten des Versicherungsnehmers zu fordern ist. Diese Fragen werden insbesondere in Verfahren virulent, in deren Zentrum Brände stehen. Allerdings handelt es sich bei den zitierten Entscheidungen meist nicht um Verfahren zwischen den Parteien eines Sachversicherungsvertrages, sondern um Regreßansprüche eines Sachversicherers gegen den Schadensverursacher nach § 67 VVG, etwa wenn eine Wohngebäudeversicherung bei einem Brand gegenüber ihrem Versicherungsnehmer und Dritten vorleistet und anschließend den tatsächlichen oder vermeintlichen Verursacher in Anspruch nimmt. Derartige Fälle machen zudem plastisch, wie die einzelnen Versicherungsarten sich zueinander verhalten. Eine Verurteilung des Schadensverursachers im Regreßverfahren, erhöht die prozessualen Chancen etwa des Hausratsversicherers des Verursachers, der im Vertrauen auf das Vorliegen nur einfacher Fahrlässigkeit vorgeleistet hat. Die Probleme der Annahme grober Fahrlässigkeit werden in allen Facetten anhand der Rechtsprechung durchdiskutiert, so daß der Band anhand der Dichte der Nachweise diesbezüglich fast den Charakter eines Case-Books hat, den heranzuziehen bei einem entsprechenden Mandat sicher niemand bereuen wird. Es dürfte keine aktuelle Entscheidung vorhanden sein, die der Verfasser nicht wenigstens andiskutiert. Ob allerdings die ungemein problematische Strafrechtssprechung zur actio libera in causa sinngemäß auf die Sachversicherung zu übertragen ist, wirft erhebliche Zweifel auf, zumal die §§ 276, 828 BGB hinreichende Maßstäbe zur Lösung solcher Fälle zur Verfügung stellen.

Derartige Fälle führen regelmäßig zur Kündigung der Versicherung aus wichtigen Grund, für die das VVG jedoch keine allgemeine Norm zur Verfügung stellt, die aber seitens der Rechtsprechung über eine analoge Anwendung des § 96 VVG gelöst wird. Die damit zusammenhängenden Fragen sind höchst umstritten. Dies hängt nicht zuletzt davon ab, wie man § 61 VVG liest. Der Verfasser teilt im Ergebnis die Auffassung, daß es sich bei § 61 VVG um einen subjektiven Risikoausschluß handelt, der die objektive Seite nicht berührt, so daß das schuldhaft herbeigeführte Ereignis einen Versicherungsfall darstellt, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Dem ist auch unter den Aspekten der Abgrenzung der Risikosphären und entsprechender Zumutbarkeitserwägungen zuzustimmen, da es unter diesen Umständen dem Versicherer nicht zuzumuten ist, am Versicherungsvertrag festzuhalten, so daß gegebenenfalls sogar auf §§ 626, 723 BGB analog und § 242 BGB zurückzugreifen ist. Ein derartiges Kündigungsrecht will der Verfasser überdies dem Versicherer einräumen, wenn eine arglistige Täuschung vorliegt. Täuscht der Versicherungsnehmer arglistig im Versicherungsfall, ist völlige Leistungsfreiheit die Folge, die zur Kündigung aller mit dem Versicherungsnehmer abgeschlossenen Verträge führen kann. Auch hier liegt eine souveräne Darstellung der Materie vor.

Hinsichtlich der Ausschlußfrist des § 12 Abs.3 VVG beschreitet der Verfasser eigene Wege, da er diese Frist nicht als materiell-rechtliche Ausschlußfrist, sondern als Leistungsverweigerungsrecht liest, auf das sich der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer erst schriftlich berufen muß, um sie in Gang zu setzen. Ob diese Auffassung in der Judikatur Aussicht auf Durchsetzung hat, muß abgewartet werden, zeigt aber die Eigenständigkeit der meist sehr abgewogenen Argumentationen des Verfassers. Ein letztes Kapitel beschäftigt sich mit den Rückforderungen des Versicherers aus § 812 Abs.1 S.1 Alt.1 BGB und spielt die einzelnen Fallgruppen durch.

Mit dieser Querschnittsdarstellung liegt eine systematische Aufarbeitung der Kernprobleme des Sachversicherungsrechtes vor, die in ihrer stringenten Argumentation überzeugt und alle Aussichten hat, zu einer führenden Darstellung zu werden, zumal sie Handbuch und Repetitorium in einem bietet. Die Neuveröffentlichung erfüllt höchste Ansprüche und dürfte von der Praxis mit Interesse aufgenommen werden.



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