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"Verfassungsprozeßrecht und Verfassungsmäßigkeitsprüfung" von Hubertus Gersdorf    Bestellen Sie ohne Login & einfach per Rechnung! Onlinebestellung bei der Fachbuchhandlung Zeiser-Ress e.K.
Ralf Hansen

Grundversorgung im öffentlichen Recht I

Eine Rezension zu:

Hubertus Gersdorf

Verfassungsprozeßrecht und Verfassungsmäßigkeitsprüfung

JURATHEK: Grundversorgung im öffentlichen Recht

Heidelberg: C.F.Müller, 2000, 83 Seiten, DM 28,-
ISBN 3-8114-2212-X


http://www.huethig.de

Mit diesem Band setzt eine neue Serie in der eingeführten Reihe JURATHEK des C.F.Müller-Verlages in Heidelberg ein. Sie trägt den Namen "Grundversorgung im öffentlichen Recht" und wird nach und nach auf alle Bereiche erstreckt, die im ersten juristischen Staatsexamen prüfungsrelevant sind. Recht eindeutig wird mit dieser Reihe - und auch mit der 1999 begonnenen Serie UNIREP JURA - versucht, den juristischen Repetitorien Paroli zu bieten und verlorene Marktanteile zurückzugewinnen. Das ist zweifellos legitim und sollte Anliegen eines jeden angesehenen juristischen Fachverlages sein. Diesen Weg haben inzwischen auch alle namhaften juristischen Verlage mehr oder weniger intensiv eingeschlagen. Mit "jura light" hat dies angesichts des Zeitdrucks wenig zu tun, den insbesondere die "Freischuß-Zielsetzung" auf das Lerntempo und die Lernintensität ausübt und Vertiefungen in das Referendariat und ggf. in ein postgraduate Studium verschiebt. Der Trend geht zu kurzen, knappen Darstellungen, die struktur- und an der juristischen Fallösungsmethode orientiert, die wesentlichen Informationen lerngerecht aufbereitet darbieten. Diese Reihe hat zum Ziel, das Basiswissen im öffentlichen Recht studentengerecht zu vermitteln und gleichzeitig die Praxis der Fallbearbeitung "einzuschleifen", ohne deren zuverlässige Beherrschung das erste juristische Staatsexamen zum unkalkulierbaren Risiko wird. Insbesondere aber will der Verfasser, Gerd-Bucerius-Stiftungsprofessor in Rostock (materialreiche Homepage unter, http://www.uni-rostock.de/fakult/jurfak/Gersdorf/Welcome.html) dem fatalen "Trend" entgegenwirken, der zu dem Irrglauben führt, das Recht würde erst examengerecht "richtig" beim Repepitor gelernt, auch wenn diese Auffassung in Deutschland eine lange Tradition hat und keineswegs eine Besonderheit unserer Tage ist. In vorauseilendem Gehorsam hat sich allerdings bereits eine Gegenbewegung entwickelt, die alle juristischen Fakultäten zu Repetitorien umgestalten will. Gersdorf ist zuzustimmen: "Die Juraausbildung gehört in die Universität. Was der Repetitor leistet, muß der Hochschullehrer erst recht leisten können". Zu ergänzen wäre: Er muß letztlich mehr leisten, da in Seminaren regelmäßig mehr Themen zur Sprache kommen, als die Juristenausbildungsordnungen als Mindestniveau definieren. Was nicht auf dieses Niveau zugeschnitten ist, fällt im Examen allerdings als nicht wissensnotwendig weg, dazu gehört auch die Fähigkeit, eine Materie wissenschaftlich exakt in einer Themenarbeit darzustellen. Wenigstens die Erlangung der Übungsscheine sollte aber ohne Repetitor möglich sein, aber auch dann fragt sich, ob der Gang zum Repetitor nötig ist und die hohen Beträge für einen "Examenskurs" nicht statt dessen in die Anschaffung qualifizierter Literatur zur unmittelbaren Examensvorbereitung zum Selbststudium, unterstützt durch Arbeitsgemeinschaften, investiert werden sollte. Wer hier Wegweiser sucht, die einem etwas abnehmen, irrt sich: Entscheidungen kann man nur selbst treffen.

Der schmale Band verzichtet auf jeden unnötigen "Ballast" und geht sofort in medias res, indem der Blick sofort auf die Verfassungsbeschwerde geworfen wird, der praktisch wichtigsten Verfahrensart des Verfassungsprozeßrechts, gemessen an der Häufigkeit ihrer Erhebung (näher dazu: Blankenburg, KJ 1998, 203). Die Erörterung folgt einem ökonomischen Aufbau für die Fallprüfung und gibt zahlreiche Hinweise und Formulierungsvorschläge, die zudem durch einen "Zeigefinger" am Rande optisch hervorgehoben sind. Zur Ergänzung - insbesondere für die Nacharbeit - in einer Arbeitsgemeinschaft seien die Fälle zum Staatsrecht empfohlen, die der Verfasser auf seiner Homepage präsentiert und seit seiner Hamburger Assistentenzeit fortentwickelt worden sind (gleiches gilt für die Fälle zum Verwaltungsrecht, s. dazu die Rezension von Thilo Schulz unter http://www.jurawelt.com/literatur). Bei der Erörterung der Parteifähigkeit wird das Augenmerk schnell auf die Probleme des Art. 19 Abs.3 GG gelenkt. Wichtig ist der Hinweis auf Art. 101 Abs.1 S.2, 103 Abs.1 GG, wenn die Anwendbarkeit des Art. 19 Abs.3 GG auf juristische Personen verneint wird. In einzelnen ist der Fallaufbau bei einer Verfassungsbeschwerde teilweise umstritten. So spricht Gersdorf die Frage der Drittwirkung von Grundrechten, die zahlreiche Prüfer als Problem der Begründetheit betrachten, beim Angriff einer zivilrechtlichen Entscheidung letzter Instanz bereits bei der Prüfung der Beschwerdebefugnis an. Mit Recht: Ein derartiger Angriff wäre unzulässig - und die Verfassungsbeschwerde bereits deshalb zu verwerfen -, wenn den Grundrechten eine Drittwirkung im Privatrechtsverkehr nicht zukäme. Auch das Problem der spezifischen Verletzung von Verfassungsrecht wird bereits in diesem Rahmen angesprochen, da der Umstand einer Verletzung einfachen Rechts allein - gemessen an Art. 2 GG - nicht ausreicht, der Verletzungsakt sich vielmehr gegen den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts richten muß. So griffig und prägnant die Formulierungen sind, ist es dennoch dringend anzuraten, wenigstens die in den Fußnoten genannten Leading Cases des BVerfG nachzuschlagen (Online-Recherche unter http://www.glaw.de). Lesenswert sind insbesondere die dogmatisch klaren Ausführungen zur Differenzierung zwischen den Kriterien der Erschöpfung des Rechtsweges und dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde, die von der Lesart des § 90 Abs.2 BVerfG abhängen. Beide Kriterien werden oft vermengt, indem § 90 Abs.1 S.1 BVerfG in einem materiellen Sinne interpretiert wird, so daß die Notwendigkeit der Herbeiführung einer inzidenten Normenkontrolle als Frage der Rechtswegerschöpfung behandelt wird. § 90 Abs.2 BVerfG wird man in dieser Hinsicht aber bestenfalls analog anwenden können. Auch das Verhältnis der "Subsidiaritätshürde" zum Annahmeerfordernis des § 93 a Abs.2 lit b) BVerfGG wird eingehend thematisiert. Eine Verfassungsbeschwerde, die schon an der "Subsidiaritätshürde" scheitert, wird kaum jemals angenommen werden. Auf § 93 a BVerfGG wird es aber in einer Fallbearbeitung für das Referendarexamen kaum jemals ankommen, da dem Sachverhalt regelmäßig nicht entnommen werden kann, ob die Verfassungsbeschwerde grundsätzliche Bedeutung hat.

Behandelt werden indessen nicht alle Verfahrensarten, sondern nur die erfahrungsgemäß im ersten Staatsexamen geprüften Verfahrensarten, wie Organstreitverfahren, abstrakte- und konkrete Normenkontrolle und Bund-Länderstreitigkeit. Das Organstreitverfahren bietet seit langem einige "Prüfungsklassiker". Bekanntlich ist § 63 BVerfGG enger formuliert als Art. 93 Abs.1 Nr.1 GG. Überzeugend ist zunächst der Vorschlag im Rahmen der Parteifähigkeit auf den Begriff des Organteils zu verzichten und unmittelbar unter Rückgriff auf Art. 93 Abs.1 Nr.1 GG zu fragen, ob der Betreffende durch Grundgesetz, GeschOBT oder die GeschOBR mit eigenen Rechten ausgestattet ist. Dies ist etwa bei Abgeordneten eindeutig der Fall. Schwieriger liegt das höchst umstrittene Problem, ob politische Parteien als andere Beteiligte in diesem Verfahren parteifähig sind. Gersdorf folgt der deutlich im Vordringen befindlichen Auffassung, die dies verneint. In allen einschlägigen Verfahren geht es um die Wahrnehmung von Rechten aus Art. 21 GG. Wer aber grundrechtlich legitimiert ist, ohne in der Verfassung sonst mit eigenen Rechten ausgestattet zu werden, dem steht allein die Verfassungsbeschwerde zur Verfügung. Die betreffenden Ausführungen dürften allerdings für den Absolventen der "Anfängerübung" ohne intensive Nacharbeit kaum verständlich sein. Bei der konkreten Normenkontrolle wird sehr deutlich, welches Gewicht dem Kriterium der Entscheidungserheblichkeit der Vorlage zukommt, an dem zahlreiche Vorlagen in der Praxis scheitern.

Der zweite Teil des Buches widmet sich der Verfassungsmäßigkeitsprüfung, ausgehend von der üblichen Trennung in formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit. Im Rahmen der Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit eines Bundesgesetzes kommt es primär auf eine klare Darlegung der Gesetzgebungskompetenzen an. Greift Art. 74 GG nicht ein, kommt es auf die anspruchsvolle Prüfung des Art. 72 GG an, der eingehende Darlegungen zur Erforderlichkeit der geplanten bundesgesetzlichen Regelung verlangt. Es wäre sinnvoll, diese Kriterien in der nächsten Auflage etwas näher zu erläutern. Auch die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Bundesrechtsverordnung wird eingehend und sehr strukturiert vorgeführt. Ein besonderes Gewicht liegt aber immer wieder auf der Prüfung der Verletzung von Freiheitsgrundrechten, die immer zweistufig zu erfolgen hat, indem der Eingriff in den Schutzbereich und die mögliche Rechtfertigung des Eingriffs geprüft werden. Mit den wenigen Zeilen zur Verletzung des persönlichen und sachlichen Schutzbereiches wird der studentische Leser, insbesondere in der Examensvorbereitung nicht auskommen. Der Hinweis auf Pieroth/Schlink, Grundrechte, 1999, ist daher als Einladung zur Vertiefung unbedingt zu beherzigen, da Fragen der Verletzung von Freiheitsrechten im gesamten öffentlichen Recht eine erhebliche Rolle spielen und auch das Privatrecht nicht unbeeinflußt gelassen haben. Sehr hilfreich sind die Formulierungshilfen in diesem Buch, die aber nicht dazu genutzt werden sollten, sie einfach ohne Blick auf den konkreten Fall zu übernehmen, zumal dieses Buch (wie der Parallelband zum Verwaltungsprozeßrecht) von zahlreichen Korrektoren sicher intensiv gelesen werden wird und nicht kenntlich gemachte wörtliche Übernahmen dem urheberrechtlich Vorgebildeten unter Umständen negativ auffallen. Nichtsdestoweniger ist der didaktische Nutzen groß. In Freiheitsrechte darf nur eingegriffen werden, wenn eine verfassungsmäßige Ermächtigungsnorm besteht. Ist dies fraglich, ist sowohl die formelle Verfassungsmäßigkeit (Rückgriff auf das Schema zu den Bundesgesetzen) als auch die materielle Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, in deren Zentrum die Prüfung der Verhältnismäßigkeit steht. Besonders schön erklärt wird dies im Zusammenhang mit der Wechselwirkungslehre zu Art. 5 Abs.1 GG, dem elementarsten Grundrecht für eine funktionierende demokratische Öffentlichkeit. Kurz, knapp, knackig sind auch die Ausführungen zu Art. 12 Abs.1 GG, zu dem jedem Studenten der Rechte das Stichwort "Dreistufenlehre" mit assoziativer Verknüpfung des Fallaufbaus präsent sein sollte. Bei der Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs.2 GG lediglich auf den gängigen Kommentar von Jarass/Pieroth zu verweisen, scheint indessen das Verständnis für diese weithin überflüssige Norm - die Studenten (und Politikern) immer wieder Probleme macht -, kaum zu erhöhen. Sehr zu begrüßen ist ein eigener Abschnitt zur Prüfung des Art. 14 GG, der eine sehr komplexe Dogmatik aufweist, die sich insbesondere im Staatshaftungsrecht zeigt und sicher eine Vertiefung erfordert. Im Vordergrund steht dabei die Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung, die sich bestens anhand der "Naßauskiesungsrechtsprechung" vom BVerfG und BGH studieren läßt. Wichtig ist der Hinweis, daß es auf die Abgrenzung immer nur dann ankommt, wenn eine Enteignung wirklich im Raum steht. Ausführungen zur Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes runden die Darstellung ab, bei der es immer um die Zulässigkeit von Differenzierungen zwischen Personengruppen, also um Ungleichbehandlung geht, für die es keinen vernünftigen, sachlich nachvollziehbaren Grund gibt. Auch hier erscheint eine Vertiefung anhand von Pieroth/Schlink angezeigt.

Der schmale, aber inhaltsreiche Band kann die Konkurrenz mit den einschlägigen Skripten der außeruniversitären Lehreinrichtungen allemal aufnehmen und ist bestens geeignet, sich das notwendige Rüstzeug für staatsrechtliche Fallbearbeitungen in aller Kürze anzueignen.


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