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Artikel 1134
Thilo Schulz

Ein kleines "Handbuch des Staatsrechts"

eine Rezension zu:

Ekkehart Stein
Götz Frank

Staatsrecht


17., neubearbeitete Auflage, 2000, Tübingen, Mohr Siebeck
494 S., 42,- DM
ISBN 3-16-147400-7

http://www.mohr.de


Das Lehrbuch zum Staatsrecht von Ekkehart Stein kann inzwischen auf eine lange Geschichte zurückblicken. Die Erstauflage im Jahr 1968 war ein so großer Erfolg, daß schon drei Jahre später die erste Neuauflage fällig war. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Werk im Durchschnitt alle zwei Jahre vom Verfasser aktualisiert. Man kann es also guten Gewissens als eines der Standardwerke des Staatsrechts bezeichnen. Nun liegt die 17. Auflage vor, die die Vorauflage auf den neuesten Stand bringt. Das bewährte Konzept als Lehrbuch, das eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten lehren soll, wurde beibehalten. Allerdings hat Ekkehart Stein erstmals die Unterstützung von Götz Frank in Anspruch genommen. Aus dessen Feder stammt der neu eingefügte § 22, der die Staatszielbestimmung Umweltschutz zum Thema hat.

Ein großes Anliegen der Autoren war und ist es, den Bezug des Rechts zur Wirklichkeit aufzuzeigen. Deshalb nehmen sie eine Klärung der Wechselwirkungen zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in Angriff. Dieser Ansatz ermöglicht auch eine kritische Beleuchtung der herkömmlichen Methoden der Verfassungsinterpretation. Der Leser wird durch diese Vorgehensweise im Idealfall in die Lage versetzt, über diese Interpretationsmethoden hinauszugehen und dennoch methodisch richtige eigene Lösungsansätze zu vertreten. Natürlich wurde auch das Europarecht berücksichtigt, soweit es Auswirkung auf das deutsche Verfassungsrecht hat.

Aus der Konzeption als Lehrbuch läßt sich nicht automatisch darauf schließen, daß das Werk für die Klausurbearbeitung nicht zu gebrauchen wäre; die Autoren geben dem Leser eine Reihe von Aufbauschemata an die Hand, die die Arbeit am konkreten Fall erleichtern. Für die Vorbereitung auf die mündliche Prüfung, eventuell auch im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft, sind die Kontrollfragen am Ende der Paragraphen hervorragend geeignet. Hier läßt sich testen, ob man das Gelesene tatsächlich aufgenommen und verstanden oder den Text nur überflogen hat. Die gezielte Angabe von Fundstellen an dieser Stelle fällt ebenfalls positiv auf. Meist nennen die Autoren nur einen Aufsatz, der aber das Thema dann umfassend behandelt. Das lästige Durchforsten und Auswerten vieler verschiedener Literaturangaben entfällt.

Die klare Strukturierung, die das Werk von Anfang bis Ende durchzieht, beginnt schon bei der Grobeinteilung. Die Autoren nehmen sich erst das Staatsorganisationsrecht vor; dann wenden sie sich den Grundrechten zu.

Selbst Anfänger werden mit dem Buch keine Probleme haben. Die Autoren nehmen den Leser quasi bei der Hand und führen ihn Schritt für Schritt an das Staatsrecht heran. Folgerichtig beginnt das Buch mit einem Gang durch das Grundgesetz. Die Autoren führen den Leser kurz und prägnant in Gliederung und Strukturprinzipien des Grundgesetzes ein. Schon an dieser Stelle wird das Begriffspaar organisatorisch (formell) - inhaltlich (materiell) erläutert, das ein grundsätzliches Ordnungsprinzip unserer Rechtsordnung darstellt, aber gerade im Staatsrecht große Bedeutung hat. Dem Leser wird schnell klar, daß sich der Aufbau des Buches an dieser Unterscheidung orientiert.

Um das heutige Staatsrecht verstehen zu lernen, muß man zumindest ein Minimum an verfassungsgeschichtlichem Hintergrundwissen haben. Die Autoren stellen den Kampf um eine verfassungsrechtliche Bindung des Staates anhand der wichtigsten Stationen dar. Sie gehen von der absoluten Monarchie aus, schildern die konstitutionelle Monarchie bevor sie zu den deutschen Umwegen zum demokratischen Verfassungsstaat gelangen.

Anders als andere Lehrbücher widmet Stein sich der Frage der normativen Kraft der Verfassung. Deshalb findet in § 3 eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Wechselwirkungen zwischen der Verfassung als der gesollten Ordnung des Staates und der Staatswirklichkeit statt. Gerade der Punkt, daß Rechtsnormen immer nur in Bezug auf die uns umgebende "Wirklichkeit" sinnvoll angewandt werden können und nicht um ihrer selbst willen existieren, wird ja von Juristen manchmal gerne übersehen. Breiten Raum nimmt die Erörterung des Staatsbegriffes ein. Am bekanntesten dürfte der Staatsbegriff der "Drei-Elemente-Lehre" sein: nach ihm konstituieren Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt den Staat. Stein nimmt aber auch den Staatsbegriff der Integrationslehre unter die Lupe und erörtert ausgehend von Hermann Heller eine Konzeption des Staates als "Wirkungseinheit". Stein erläutert darüber hinaus auch kurz die verfassungsgebende Gewalt und erklärt das Prinzip des Vorrangs der Verfassung.

Die wechselhaften Umweltbedingungen unseres Rechtssystems werden unter der Überschrift "Gesellschaft und Staat im Wandel" geschildert und sind, wenn schon nicht unverzichtbares Klausurwissen, so doch sehr interessant. Die Bezüge des Verfassungsrechts zum Völker- und Europarecht werden in § 5, "Nationale Verfassung und internationale Ordnung" dargestellt, ohne zu viel Raum auf Einzelfragen zu verwenden.

Besondere Erwähnung verdient § 6, der den Methodenfragen der Verfassungsanwendung gewidmet ist. Stein schildert den allgemeinen Aufbau juristischer Gedankengänge, bevor er auf die Verfassungsinterpretation näher eingeht. Gerade dieser Aufbau macht das Buch auch für den Anfänger so wertvoll. Durch Stein's klaren Stil (vgl. die Rezension zu "Die rechtswissenschaftliche Arbeit") muß man keine Literatur zur juristischen Methodenlehre zu Rate gezogen haben, um das juristische Instrumentarium zur Auslegung von Rechtstexten zu verstehen. Wie schon in seinem Methodiklehrbuch "Die rechtswissenschaftliche Arbeit" gelingt es Stein auch hier, teleologische Interpretation, Auslegung nach dem Wortlaut, historische Auslegung und systematische Interpretation mit all ihren Tücken und den wichtigsten Kritikpunkten anschaulich darzustellen. Das Problembewußtsein des Lesers für Methodenfragen wird dadurch sicher geschärft. Interessant ist auch Stein's Ansatz bei der Verfassungskonkretisierung: angelehnt an die ökonomische Analyse des Rechts räumt er der Folgenbewertung von Entscheidungsalternativen weit größeren Raum ein, als es in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur sonst der Fall ist.

Der Rest des ersten Teils enthält natürlich alle für ein Lehrbuch des Staatsrechts nötigen Informationen über die obersten Staatsorgane, Demokratieprinzip, Gewaltenteilung und Bundesstaatsprinzip und Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip. Er endet mit einem sehr lesenswerten Kapitel über Verfassungstheorie.

Der zweite Teil des Buches widmet sich dem materiellen Verfassungsrecht: den Grundrechten. Er ist etwas stärker gewichtet als der erste Teil. Wie schon im ersten Teil des Buches führen die Autoren den Leser Schritt für Schritt an die Materie heran. Den Anfang macht ein Überblick über das System der Grundrechte. Im Anschluß wird die Frage erörtert, wer überhaupt Träger und Adressat der Grundrechte sein kann. Auch die Durchsetzung der Grundrechte wird natürlich nicht übersehen: die Verfassungsbeschwerde ist hier der entsprechende Rechtsbehelf, ihr ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Unverletzlichkeit der Menschenwürde als Leitprinzip unserer Verfassung mit ihren geistesgeschichtlichen Grundlagen wird ebenfalls in einem eigenen Abschnitt behandelt, bevor die Autoren sich den einzelnen Grundrechten zuwenden.

Die Grundrechte werden herkömmlicherweise in Freiheits- und Gleichheitsrechte unterschieden, und dieser Unterteilung folgen auch die Autoren. Darüber hinaus findet man die Aktivbürgerrechte (wie etwa das Wahlrecht) und die prozessualen Grundrechte (etwa das Recht auf den gesetzlichen Richter) in eigenen Abschnitten. Am Ende des Grundrechtsteils arbeiten die Autoren eine sozialwissenschaftliche Fundierung der Grundrechtsanwendung aus. Auch dieser Abschnitt kann jedem zur Lektüre empfohlen werden, der sich mit dem unserer Verfassung zu Grunde liegenden Vorverständnis vom Menschen, von Macht und Herrschaft und der Funktion der Grundrechte kritisch auseinandersetzen möchte!

Hilfe für die praktische Arbeit geben die Autoren im Anhang. Zum einen findet man gute Erläuterungen zu Gutachten und Urteil, zum anderen Lösungshilfen zu den im Buch eingestreuten Übungsfällen. Wer in einer Haus- oder Seminararbeit spezielle Probleme bearbeiten muß, sollte sich das umfangreiche, gut strukturierte Literaturverzeichnis näher ansehen. Er wird hier schnell die passende Literatur finden.

Fazit: Mit dem "Staatsrecht" von Ekkehart Stein und Götz Frank macht Rechtswissenschaft Spaß. Stein's prägnanter Stil, der alle wichtigen Aspekte selbst komplexer Themen behandelt ohne in Detailfragen abzuschweifen, sucht seinesgleichen. Man würde sich mehr Lehrbücher wünschen, die eine so gelungene Verbindung von Form der Darstellung und Inhalt vorweisen können. Dieses Buch sollte sich jeder (nicht nur Studenten!) kaufen, der das deutsche Staatsrecht verstehen und sich mit ihm kritisch auseinandersetzen möchte.

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