Dr. Martin Bahr
Computerspiele und Gewalt
Eine Rezension zu:
Hartmut Gieselmann
Der virtuelle Krieg
Zwischen Schein und Wirklichkeit im Computerspiel
Offizin-Verlag, Hannover 2002, 174 Seiten, 14,80 €
ISBN 3-930345-34-X
http://www.offizin-verlag.de
Spätestens seit den traurigen Ereignissen in Erfurt ist der Name des Spiels auch der
Erwachsenenwelt bekannt:
Counter-Strike. Nach dem Amoklauf des Jugendlichen wurde bundesweit ein
Verbot für das (angeblich)
gewaltverherrlichende Computerspiel gefordert. Insbesondere konservative Politiker
taten sich hier hervor.
Dabei wird der bestehende oder fehlende Zusammenhang zwischen Gewalt in
Computerspielen und in der Realität wohl niemals wissenschaftlich
einwandfrei nachgewiesen werden können. Weil eben monokausale Begründungen und
Ursachen in unser alltäglichen komplexen Realität nicht möglich sind.
Die Fronten in dem seit Jahrhunderten währenden Streit sind hinlänglich bekannt. Die
Befürworter von Gewaltdarstellungen in der Öffentlichkeit (im Mittelalter die
Hinrichtungen,
in der Neuzeit die Darstellung in Büchern, im Fernsehen, Kino und seit zwei
Jahrzehnten auf dem Computer) vertreten die Katharsis-Theorie, d.h. den Darstellungen
komme eine Ventil-Funktion zu, um die angestauten Aggressionen abzubauen. Ganz anders
die Gegner: Nach deren Ansicht rufe die mediale Gewalt erst die spätere, tatsächlich
verübte Gewalt hervor oder verstärke diese.
In diesem Spannungsfeld legt Hartmut Gieselmann, Redakteur bei der bekannten
und renommierten Computerzeitschrift c´t, sein aktuelles Buch "Der virtuelle Krieg"
vor. Einführend stellt er zunächst die Verbindungen zwischen Spiel und Wirklichkeit
her. Zutreffend kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass dem Spiel an sich eine
grundlegende sozialisierende
Bedeutung zukommt. Dies gilt grundsätzlich auch für Computerspiele. Dabei wird kurz
der Frage nachgegangen, ob durch die in der
letzten Zeit zunehmende Militarisierung gerade der Computerspiele (man denke nur an
die zahlreichen 2.Weltkrieg-Simulationen) eine schleichende Ideologisierung unserer
Gesellschaft stattfindet.
Dann stellt Gieselmann die Untersuchungsergebnisse dar, die bislang auf diesem
Gebiet stattgefunden haben. Er kommt zu dem traurigen Ergebnis, dass fast keines der
bisherigen Experimente harten wissenschaftlichen Kriterien standhält. Praktisch jede
Untersuchung ist in die eine oder andere Untersuchung ideologisiert. Viele
Untersuchungen,
die der Autor einer kritischen Würdigung unterzieht, beantworten das Problem mit einer
Schwarz-Weiß-Schablone. Dem Verfasser gelingt es hier auf etwas mehr als 30 Seiten
einen kompakten Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu geben, ohne dass der
Leser dazu sich durch zahlreiche Bände quälen muss.
Dann schließlich beginnt die dezidierte Auseinandersetzung mit der Gewalt in
Computerspielen. Dazu stellt Gieselmann
zunächst ausführlich die Entwicklungsgeschichte dieses Software-Genres dar. Er hat
sich dazu beispielhaft den Bereich der
First-Person-Shooter, der Militärsimulation und der Echtzeitstrategie herausgesucht.
Bei den First-Person-Shootern setzt er zeitlich beim bekannten, indizierten Spiel
"Wolfenstein" an, bei dem der Spieler in
einem Irrgarten Nazi-Soldaten töten muss. Die historische Betrachtung setzt sich von
"Doom" über "Quake" fort zu den neueren Ego-Shootern. Hier ist vor allem das
revolutionäre Half-Life zu nennen, aus dem schließlich das umstrittene "Counter-Strike"
hervorging. Bei den Echtzeitstrategien wird sich schwerpunktmäßig mit der
"Command&Conquer"-Reihe und im Rahmen der Militärsimulation mit "Falcon 4.0"
beschäftigt. Die Ausführungen von Gieselmann sind in diesem Teil außerordentlich
akribisch und sehr detailliert. Der bislang uninformierte Leser erhält hier zahlreiche
wichtige und notwendige Informationen.
In den beiden letzten Kapiteln versucht der Autor die Frage zu klären, welche
Erfahrungen, Einschätzungen und Emotionen Menschen von Computerspielen auf die Realität
transferieren. Er kommt dabei vor allem zu dem Ergebnis, dass insbesondere Spiele, in
denen
kriegerische Auseinandersetzungen eine tragende Rolle spielen, dem Spieler - bewusst
oder unbewusst - eine verharmlosende Darstellung vom realen Krieg imputieren.
Militärsimulationen - so der Autor - vertuschen de reale Gewalt des Krieges. Hieraus
aber die Tatsache ableiten zu wollen, dass Gewaltspiele Menschen aggressiver machen,
wäre falsch, so die Analyse. Vielmehr bedarf es einer weitaus differenzierteren
Betrachtung.
Gesamteindruck:
Ein Band, der eine leider in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bislang wenig
vorgenommene differenzierte Betrachtung von Gewalt und Computerspielen ermöglicht.
Gerade der Bereich über die geschichtliche Entwicklung der modernen Software-Spiele
bringt dem Leser zahlreiche Hintergrund-Informationen.
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