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Artikel 3441
Ralf Hansen

Was alles ist Recht?

Eine Rezension zu:

Uwe Wesel

Fast alles, was Recht ist
Jura für Nicht-Juristen

6. Aufl., Frankfurt/Main: Eichborn-Verlag, 1999
ISBN 3-8218-4473-6
http://www.eichborn.de

Dieses Buch dürfte zu den meistgelesenen Büchern über das deutsche Recht zählen. Angeblich nur für Nicht-Juristen geschrieben, dürfte es auch Juristen durchaus interessieren, eben weil Wesel den essaiartig informierten Blick auf das Ganze wagt. Sicher ein Wagnis - aber in dieser Form ein gelungenes, auch wenn man sicher manches anders sehen kann. Nicht ganz ohne Grund kritisiert Wesel gleich eingangs die Sprache der Juristen, zumal "Recht im wesentlichen Sprache ist". Die Rechtsmacht der Juristen ist immer auch Sprachmacht. Es fragt sich indessen, ob das Prinzip Einfachheit, das Wesel pointiert vertritt, nicht lediglich nur Abmilderungen bringen kann in einer hochkomplexen Gesellschaft der reflexiven Moderne, deren Kommunikationen maßgeblich durch Rechtsnormen gesteuert werden sollen. Auf das nur soziologisch zu erfassende Komplexitätsproblem geht er indessen kaum ein, das durch das Medium der Macht hindurch auch die Rechtssprache prägt und den Spezialisten mit Übersetzerfunktion fordert. Dieses Recht ist manchmal eher fiktional an einen Bürger adressiert, der es ohne juristische Übersetzerarbeit kaum noch reflexiv machen kann. Was in vielen Bereichen auch für Juristen selbst gilt, da die "Einheit der Rechtsordnung" nur noch durch das Verfassungsrecht repräsentiert wird. Indessen ist dies kein Grund dem Credo der Unverständlichkeit zu frönen. Darin ist Wesel zuzustimmen und die historischen Gründe sind treffend skizziert.

Wie eingangs erwähnt, wagt Wesel den Blick auf die essentialia unserer Rechtsordnung, einsetzend mit dem Staatsrecht. Es gelingt ihm in der Tat - ein wenig wie seinerzeit (1968) in dem berühmten Funkkolleg von Rudolf Wiethölter - auf wenigen Seiten die tragenden Prinzipien teilweise anhand von maßgeblichen Fällen des BVerfG zu skizzieren. Hier stechen etwa die Ausführungen zur "Staatsfundamentalnorm" des Art. 20 GG heraus. Auch "KPD-Urteil" und "Parteienfinanzierung bekommen ihr "Fett weg" und dies in einem überaus schönen Stil, dessen Hang zur Vereinfachung indessen manchmal etwas bemüht wirkt und dann manchmal zu sehr vereinfacht. Selbstredend setzt er sich auch mit dem immer wieder beschworenen "starken Staat" - hier im Streit mit dem späten Ernst Forsthoff (dessen "Staat der Industriegesellschaft" er aber merkwürdigerweise nicht in Bezug nimmt) auseinander und kommt zu folgender Schlußfolgerung, die für sich alleine stehen kann: "Wir brauchen ihn nicht, den starken Staat. Er kann ruhig noch ein bißchen mit der Gesellschaft zusammenrücken". Von Zeit zu Zeit steht er indessen wieder vor der Tür der Zivilgesellschaft und klopft an.

Im Privatrecht ist Wesel naturgemäß zu Hause. Auch hier das Wesentliche auf knappsten Raum, einfach dargestellt, allgemeinverständlich. Niemand muß Jura studiert haben, um dies zu verstehen, daher ist das Buch auch für Schüler der Oberstufe anregend zu lesen. Manche Lehrer behandeln es denn auch im Unterricht, was zu begrüßen ist. "Der Einzige und sein Eigentum" (Stirner) steht am Anfang der Ausführungen, denn dieser Begriff ist der Kernbegriff der liberalen Marktordnung als einer Eigentumsmarktgesellschaft. Auf engsten Raum gelingt eine sehr strukturierte Darstellung der §§ 985, 1004 BGB. Etwa beim Kaufvertrag werden auch die römischrechtlichen Hintergründe erläutert, ohne die die Regelungen kaum verständlich sind. Unbedingt lesenswert sind die Ausführung zu Delikt und ungerechtfertigter Bereicherung und schließlich: den "Elektroherde-Fall" des BGB muß jeder Jurastudent kennen. Auch die Grundbegriffe des Familien- und Erbrechts werden zusammenfassend sehr klar erläutert.

Vorzüglich auch die Darstellung des Strafrechts. Hier sind etwa die Ausführungen zu "Mord und Totschlag" und zum "Türkenmord-Fall" des BGH sehr lesenswert. Das Problem "Politische Justiz" in der Bundesrepublik Deutschland wird kurz angesprochen, auch wenn man Wesels Wertung, daß der Stammheim-Prozeß ein "Monstrum der deutschen Justizgeschichte (ist), das an Gnadenlosigkeit nur durch die grausamen Prozesse gegen politische Gegner im Dritten Reich übertroffen wird", bestenfalls im Ansatz hinsichtlich der prozeßrechtlichen Situation zu teilen vermag, zumal der Vergleich trotz allem hinkt. Es ist offen, wenn auch wahrscheinlich, daß die Terrorismusgesetzgebung der 70er Jahre durch die jetzt drohenden Anti-Terror-Regelungen noch weit in den Schatten gestellt werden. Auf dem Weg in einen "Sicherheitsstaat", der zahlreiche Individualrechte bis zur Suspendierung außer Kraft zu setzen droht. Er klopft wieder an, der starke Staat des "Leviathan", dem hoffentlich nicht aufgetan wird.

Interessant auch das Kapitel über das Verwaltungsrecht, das Wesel als Recht des Bürgers gegen die Verwaltung begreift, mit der Anfechtungsklage als Grundmodell. Sehr klar wird herausgearbeitet, daß auch im Verwaltungsrecht das Privatrecht als Grundmodell dient. Der Überblick ist eher kursorisch, aber sehr informativ und anregend. Er macht dabei die interessante Entdeckung, daß in jüngeren Verfahrensordnungen die Anforderungen an Förmlichkeiten höher sind als in tradierten Verfahren wie dem Zivilprozeß. Eine Einsicht, die aus der Geschichte des römischen Formularprozesses informiert sein könnte. Kurze Überblicke finden sich zu einigen Materien des Wirtschaftsrechtsrechts. Nähere Ausführungen zum Arbeitsrecht. Hier werden so ziemlich alle "Reizthemen" angesprochen, die quer durch die Lobbies umstritten sind und diese "Frontlinien" werden auch deutlich offengelegt, so daß auch ein arbeitsrechtliche Ideologiekritik praktiziert wird.

Ein letztes Kapitel widmet sich dem Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit, die in ihrem ständigen Spannungsverhältnis nie vollständig zur Deckung kommen können. Ausgehend von der "ius est ars boni et aequi" entwickelt Wesel eine kurze Geschichte der Rechtsphilosphie, die in Teilen etwas oberflächlich geraten ist, aber einen ersten Eindruck gibt. Insbesondere die spätmittelalterliche Philosophie hat durchaus wichtige Texte hervorgebracht (etwa Texte des Marsilius und des William of Ockham), die sich mit einem Satz nur schwer übergehen lassen. Hier geht manches etwas fix: "Wir verlassen die Antike, überspringen das Mittelalter, dessen Rechtsphilosophie, entwickelt vor allem von Thomas von Aquin, religiös geprägt war und daher heute keine große Rolle mehr spielt...". Ob dies allüberall so ist und ob dies so bleiben wird, ist noch die Frage. Immerhin werden die maßgeblichen Ansätze der Gegenwart wenigstens knapp skizziert, auch wenn etwa Habermas auf der einen Seite und Derrida auf der anderen Seite nicht vorkommen.

Das Buch verschafft entweder einen ersten Einblick oder aber einen zusammenfassenden, notwendig unvollständigen, Blick auf das Ganze der deutschen Rechtsordnung, die interessant zu lesen ist.


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