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Artikel 7101
Ralf Hansen

Eine Geschichte des Wettbewerbs und seiner Beschränkungen

Eine Rezension zu:

Oliver Volckart
Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung im vormodernen Deutschland 1000 - 1800

Die Einheit der Geisteswissenschaften, Band 122

Tübingen, Mohr Siebeck, 2002, 269 S., E 69,-

ISBN 3-16-14690-5

http://www.mohr.de

Die wirtschaftshistoristische Jenaer Habilitationsschrift beleuchtet einen wenig erforschten Bereich der deutschen Wirtschafts- und Wirtschaftsrechtsgeschichte, ausgehend vom Befund Max Webers, daß sich marktwirtschaftliche Strukturen ausschließlich in Europa entwickelt haben und sich die Modelle der wirtschaftlichen Rationalisierung aus vormodernen Strukturen heraus entwickelt haben. Kurz gesagt geht es darum, wie marktwirtschaftliche Strukturen genetisch entstanden sind. Eine Forschungsperspektive, die bislang – auch rechtsgeschichtlich – weitgehend vernachlässigt wurde. Die theoretischen Schlüsselkonzepte werden so verständlich entfaltet, daß auch der Nichtfachmann eine interessante Lektüre findet. Ein Umstand, der übrigens die gesamte Darstellung prägt. Die Darstellung erfolgt keineswegs chronologisch, sondern entlang gut gewählter Strukturpunkte, so daß Berührungspunkte mit der Gesellschaftssoziologie und der „Theorie der sozialen Differenzierung„ keineswegs zufällig sind.

Kapitel I widmet sich der Rekonstriktion der vormodernen Gesellschaftsordnung, im vollen Bewußtsein des Umstandes, das der moderne Staatsbegriff, der die Monopolisierung von Sicherheit voraussetzt insoweit nicht ohne weiteres anwendbar ist. Der Verfasser geht davon aus, daß vormodernen Gesellschaften ein Sicherheitsmonopol fehlte, das den modernen Staat auszeichnet. Der Verfasser wählt eine kontrakthereotische Herangehensweise, die es erlaubt die Entwicklung der Kategorien von Sicherheit und Sozialordnung unter Vermeidung entsprechender Friktionen zu analysieren. Im Zentrum steht das Institut des Schutzvertrags („Munt„) aus dem heraus sich die Staatlichkeit genetisch entwickelt hat. In diesem Rahmen entfaltet der Verfasser die Hervorbringung von Schutzorganisationen. Der Ansatz ist insbesondere geeignet, das hochmittelalterliche Lehnswesen plausibel zu erklären. Sehr klar wird hierbei der Zusammenhang von Kommunikation und Herrschaft herausgestellt: die mittelalterliche Gesellschaft verfügte noch über keine anschlußfähigen Kommunikationsstrukturen, die die Errichtung einer souveränen Territorialherrschaft erlaubt hätte, weil die Kosten der Kommunikation zwischen den Kommunikationsebenen der verschiedenen Ebenen des Lehnsgebildes zu hoch waren. Er zeigt dies auf an der schwierigen Durchsetzung des Urteils von Friedrich I. von Staufen gegenüber Heinrich dem Löwen wegen verweigerter Heerfolge.

Sehr klar rekonstruiert werden die Bedingungen des Wettbewerbs in der hochmittelalterlichen Gesellschaft, in der militärische und rechtliche Sicherheit Gegenstand des Güteraustausches wurden, die damit noch kein öffentliches Gut waren wie in modernen Gesellschaften. Gezeigt wird, wie knapp das Gut „Sicherheit„ um das Jahr 1000 herum war, das (mangels Vorhandensein) von keinem Staat gewährleistet werden konnte, um den Preis der Herausbildung eines Marktes für Sicherheit, dessen Akteure der Verfasser klar bestimmt: Grundherren, Klöster, Bauernorganisationen. Die Beschaffung von Sicherheit geschah durch Unterwerfungsverträge, bei geringer Wirksamkeit hierarchischer Organisationen aufgrund zu hoher Kontroll- und Sanktionskosten. Wettbewerb um Sicherheit gab es das gesamte Mittelalter hindurch. Die Intensivierung des Wettbewerbs prägte diese Epoche, auch hinsichtlich der Migration aus einem Sicherheitsverbund in einen anderen. Dieser Wettbewerb um Sicherheit verhinderte die Entstehung zentraler Machtinstitutionen, wie sich an der Abhängigkeit der hochmittelalterlichen Herrscher von den Vasallenversammlungen zeigt, die indessen die Entwicklung der Stadt als lokalen Ballungsraum von Wirtschaftsmacht erheblich begünstigte. Die Geschichte des hochmittelalterlichen Wettbewerbs ist auch eine Geschichte der Herausbildung wirtschaftlicher Kooperationen insbesondere der Zünfte und Stände, die Kartellcharakter hatten. Der Verfasser zeichnet sehr klar nach, wie diese Entwicklung im 14. Jahrhundert zu einer Schwächung der Marktwirtschaft durch Herausbildung von Wettbewerbsbeschränkungen führte. Aus der Beschränkung der Korrespondenz bildeten sich nach Auffassung des Verfassers territoriale Monopole heraus, die einen allgemeinen Schutz hervorbrachten und die Anfänge des öffentlichen Rechts als Ordnungsrecht markieren. Die Bedingungen der Staatsbildung werden – unter intensiver Auseinandersetzung mit den Lehren Brunners – sehr klar nachvollzogen, indem auch gezeigt wird wie Sicherheit mehr und mehr zur Bedingung marktwirtschaftlichen Handelns wurde, das die marktwirtschaftlichen Akteure angesichts der Raum-Zeit-Distanz nicht mehr selbst gewährleisten konnten. Die Staatsbildung war jedoch im Heiligen Römischen Reich bis zu dessen Ende nicht völlig abgeschlossen, da es an effektiven Kontroll- und Sanktionskompetenzen für alle Herrschaftsbereiche fehlte. Die Entstehung der modernen marktwirtschaftlichen Strukturen führt der Verfasser indessen nicht auf die Herausbildung des Bürgertums zurück, sondern auf den entstandenen zwischenstaatlichen Wettbewerb, der die Potentiale für die Mobilität von Kapital, Arbeit und Wissen als den entscheidenden Produktionsfaktoren entband.

Der interessante Band ist auch als Essay überaus lesbar und versucht die Vorgeschichte der Wettbewerbsgesellschaft aus einer wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive heraus zu rekonstruieren.

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