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Artikel 5195
Ralf Hansen

Das Standardwerk über die römischen Juristen

Eine Rezension zu:

Wolfgang Kunkel

Die Römischen Juristen

Herkunft und soziale Stellung

Unveränderter Nachdruck der 2. Auflage von 1967

Köln: Böhlau - Verlag, 2002, 415 S., € 20,50
ISBN 3-412-15000-2

http://www. boehlau.de


Wolfgang Kunkel, einer der bedeutendsten deutschen Romanisten dieses Jahrhunderts, hat mit seinem zuletzt in zweiter Auflage 1967 erschienen Werk zu den römischen Juristen Maßstäbe für weitere Forschungen gesetzt. Die erste Auflage war 1951 veröffentlicht worden, auf der Basis von Vorarbeiten aus den 40er Jahren, deren umfassende Publikation seinerzeit nicht möglich war. Es ist eine begrüßenswerte Entscheidung, daß der Verlag sich entschlossen hat, einen unveränderten Nachdruck dieses Werkes vorzulegen, dem ein bemerkenswertes Vorwort des Freiburger Rechtshistorikers Detlef Liebs vorangestellt ist. Ein solches Vorwort ist bereits deshalb nötig, um den Leser wenigstens über die Grundlinien der Entwicklung der Herkunftsforschung zu orientieren, die sich seit 1967 ergeben haben. Es war und ist das bleibende Verdienst des berühmten Rechtshistorikers Wolfgang Kunkel (verstorben 1981), die Prosopografie in die Wissenschaft vom römischen Recht integriert zu haben. Die seither gewonnenen Erkenntnisse haben manchen Irrtum Kunkels zutage gefördert und manche Annahme korrigiert. Das Vorwort beleuchtet auch den Hintergrund mancher Irrtümer, die streckenweise zeitbedingte Ursachen hatten. So stand Kunkel - wo es eben möglich war - einer orientalischen Herkunft der römischen Juristen skeptisch gegenüber. Wohl nicht zuletzt, um der seinerzeit vorherrschenden Identifikation der spätklassischen römischen Jurisprudenz als dem maßgeblichen Überlieferungsträger für das Verständnis der Gegenwart mit dem von den Nazis verfehmten Semitismus entgegenzutreten, was allein schon bemerkenswert ist. Wir wissen heute, daß dies nicht der richtige Weg sein konnte. Hinzu kommt, daß wir über die wichtigsten Juristen, deren Lebensdaten in die Phase zwischen 100 - und 300 n. Chr fallen, aus der Quellenüberlieferung heraus sehr wenig wissen, so daß vieles begründete Spekulation ist. Inzwischen haben sich in der historischen wie sozialwissenschaftlichen Forschung Erkenntnisse ergeben, daß es den genuinen Patrizierstand in der früher vermuteten verfestigten Form nicht gegeben haben kann. Der römische Staat des Prinzipats zeichnete sich auch dadurch aus, daß er fortwährend neue Eliten aufnahm und integrierte, um personelle Probleme zu lösen, die der Größe des verwaltenden Reiches geschuldet war, dessen Kommunikationsstrukturen noch zu wenig untersucht sind. Dies führt zu einer differenzierteren Beurteilung der Provinzjuristen als sie Kunkel möglich war. Hinzu kommt, daß die Inschriftenforschung sich - nicht zuletzt angesichts neuerer Funde - erheblich entwickelt hat. Gerade sie erlaubte die Korrektur mancher liebgewordener Spekulationen, nicht zuletzt über unseren Hauptgewährsmann Ulpian oder über den von Kunkel als Provinzjuristen ignorierten Gaius. Allerdings hat Kunkel die Inschriftenforschung als Erkenntnisquelle schon sehr intensiv benutzt. Es ist erstaunlich, in welcher Gedrängtheit es Liebs gelingt, die Forschungen der letzten Jahrzehnte - an denen er mit eigenen Beiträgen maßgeblich beteiligt war - unter Hinweis auf die Fundstellen zu referieren. Dieser Überblick erlaubt zu jedem Augenblick der Lektüre des Textes von Kunkel die Möglichkeit der Überprüfung und des Anknüpfens an den neueren Forschungsstand. Dies alles nimmt dem Buch nichts von seinem Wert und macht es als Ausgangspunkt der kritischen Erkenntnisgewinnung nicht weniger wertlos, zumal es weithin einzigartig geblieben ist. Kunkels Werk zerfällt in zwei Teile, die jeweils wiederum zweigeteilt sind. Im ersten Teil widmet er sich der Untersuchung der römischen Juristen in republikanischer Zeit, an die sich nach der Darstellung der einzelnen Juristen Schlußfolgerungen für die Geschichte der republikanischen Jurisprudenz anschließen. Der Aufbau folgt im einzelnen der Chronologie, die selbstredend auf der Basis einer wenigstens teilweise unsicheren Datierung erfolgt, zumal wir nach wie vor über die Juristen der frühen Republik sehr wenig wissen, wenn auch teilweise mehr als über die Juristen des Prinzipats. Interessant ist es dennoch, wie sich mit den Namen der später in den Digesten der klassischen und nachklassischen zitierten Juristen, Bruchstücke von Biographien verbinden. Für den geringen Wissensstand spricht denn auch die Kürze dieses Teiles, dessen Fußnoten unbedingt zur Lektüre gehören, weil der Text sonst teilweise nicht aus sich heraus verständlich ist. Der zweite Teil dieses Abschnitts setzt bei der pessimistischen ciceronischen Reflexion über den Juristenstand der späten Republik in de. off. 2.65 ein, der über seine gesellschaftliche Funktion viel aussagt. "Juristische Formulare zu entwerfen, Ratschläge zu erteilen und mit dieser Art von Kenntnissen möglichst vielen nützlich sein, ist in hohem Maße dienlich zur Mehrung des Vermögens und zur Gewinnung der Gunst des Publikums", die ursprünglich der Nobilität vorbehalten war. Von diesem Ausgangspunkt aus rekonstruiert Kunkel die Bruchstücke der Biografien der republikanischen Juristen von der frühen Republik mit der Vormachtstellung der pontices hin zum Einbruch des Ritterstandes in die römische Jurisprudenz unter Augustus aus, die mit der These endet, daß die römische Jurisprudenz der späten Republik einen ähnlichen sozialen Wandel durchgemacht hat, wie die Zusammensetzung des Senatorenstandes hin zu einer neu zusammengesetzten, augusteischen Nobilität.

Wesentlich umfassender ist die Untersuchung der kaiserlichen Juristen, die anderen Methoden folgen muß als für die Zeit der Republik, da die Quellenlage, was das Leben der Juristen betrifft, im wesentlichen noch schlechter ist, auch wenn die Werke selbst stärker hervortreten. Die Forschung stützt sich viel stärker auf Inschriften, deren Herstellung unter dem Prinzipat eine Frage des Prestiges und der Symbolisierung der kaiserlichen Macht war. Inschriften waren als frühe Medien Träger von Kommunikationsleistungen, in denen sich die Ausübung von Macht und die Teilhabe daran schriftlich fixiert ausdrückte, nicht zuletzt um den eigenen Genius zu verewigen. Auch aus heutiger Sicht sind die Ausführungen von Kunkel über die Methoden der Erkenntnisgewinnung bahnbrechend. Er setzt sich zunächst mit der begrenzten Reichweite der Beweisführung aus den Fragmenten der Juristenschriften auseinander, um nachzuweisen, daß es unumgänglich ist, diese Beweisführung durch Rückgriff auch externe Quellen zu ergänzen, ja oftmals erst aus diesen externen Inschriftenquellen diese Erkenntnisse überhaupt zu gewinnen. Seine Ausführungen zur Inschriftenforschung sind denn auch von kaum überschätzbarer Bedeutung. Aber auch über die Namensforschung finden sich hochinteressante Ausführungen, die durchaus auch zeigen, daß sich wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn nicht auf Falsifikation von Hypothesen beschränken kann. Die Darstellung der einzelnen Juristen folgt wiederum der Chronologie, die selbstredend Unsicherheiten in sich birgt. Dort findet sich einiges über jene Juristen, die etwa in der Auslegung der romanischen Rechte - so etwa in Spanien - teilweise heute noch zitiert werden. So findet sich beispielweise interessantes zu Celsus pater et filius, Salvius Julianus, Pomponius - den ersten Rechtshistoriker -, natürlich über Gaius, Paulus, Ulpian, Papinian, Hermogenian und viele andere, auch weniger berühmte Juristen, auf die einzelnen einzugehen hier fehl am Platze ist. In den Wirren der Spätantike verschwindet die namentliche Überlieferung, nachdem die Namen seit Diokletian hinter dem Amt der Kanzleijuristen, verbunden mit einen Niedergang der Honorarjurisprudenz vollständig zurücktraten. Interessant sind auch hier die Schlußfolgerungen im folgenden Abschnitt. Der Zugang ist hier viel schwieriger, nicht zuletzt deshalb, weil eine Analyse wie die von Cicero für diesen Zeitraum nicht existiert, sieht man von Pomp. D 1.2.2. ab. Kunkel versucht eine Typologie der römischen Juristen der Kaiserzeit in sozialgeschichtlicher Absicht zu entwerfen, die von ihrer Stellung ausgeht, etwa vom Umstand der Innehabung des ius respondi. Auch die Herkunft der assessoris wird aufgedeckt bei Paul. D. 1.22.1 und prägnant beschrieben. Mit einiger Vorsicht sollte die Lektüre zur römischen Jurisprudenz in den Provinzen erfolgen, da Kunkels Ausführungen hier sehr selektiv angelegt sind, aus den bereits genannten Gründen. Heute wissen wir, daß die Kultur der Metropolen in den - vor allem oströmischen Provinzen - eine Höhe erreicht hat, die hinter Rom nicht mehr zurückstand und die - etwa in Berytos - auch Byzanz wenig nachstand.

Die Lektüre des nach wie vor hochinteressanten Buches von Kunkel dürfte für alle interessant sein, die sich dafür interessieren, wer sich hinter den Namen der römischen Juristen verbirgt, wer sie waren, was sie taten und wie sich ihre Tätigkeit gesellschaftlich einordnen ließ. Derartige Darstellungen finden sich gegenwärtig fast nur in Einzelanalysen. Allein schon deshalb hat Kunkels Werk nichts von seiner Brisanz verloren, mögen auch Details heute anders beurteilt werden.

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