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Artikel 4479
Ralf Hansen

Dimensionen des Majorats

Eine Rezension zu:

Bernhard Bayer

Sukzession und Freiheit


Historische Voraussetzungen der rechtstheoretischen und
rechtsphilosophischen Auseinandersetzungen um das Institut der
Familienfideikommisse
im 18. und 19. Jahrhundert

Duncker & Humblot, Berlin 1999, 411 Seiten
ISBN 3-428-09428-X

http://www.duncker-humblot.de


Die vielschichtige Kölner Dissertation verknüpft rechtstheoretische, rechtsphilosophische und rechtssoziologische Dimensionen zwecks Rekonstruktion der Hintergründe des - vom BGB verabschiedeten - Rechts der Familienfideikommisse und ist einem interdisziplinären, wenn nicht transdisziplinären Forschungsansatz verhaftet, der das Thema aus verschiedenen Forschungsperspektiven integrativ „anschneidet“. Als Ausgangspunkt wählt der Verfasser, heute Rechtsanwalt in Düsseldorf mit den Interessenschwerpunkten Familien- und Erbrecht, die rechtsphilosophischen Positionen Platons zur Testierfreiheit und zur Bindung der Familie an ein Grundvermögen wie sie in den nomoi zum Ausdruck kam, da Platons Gedanken nahezu alle Fragen bereits im Kern thematisieren, die sich um die Frage des dauerhaften Verbleibs von Grundvermögen in einer Familie stellen. Der Ausgangspunkt ist dabei die Annahme einer anthropologisch-kulturellen Situierung eines familiengebundenen Eigentums. Indessen ist die Rechtslehre Platons - wie das altgriechische Recht überhaupt - bis heute kaum aufgearbeitet, so daß es sich um eine sehr interessante Rekonstruktion der Rechtslehre Platons im Spannungsfeld der Gewährleistung der Freiheit des Individuums seinen Willen post mortem durchzusetzen mit dem Recht der Familie als Einheit und dem Recht der politischen Gemeinschaft handelt, hier regulierend einzugreifen, nicht zuletzt durch Steuerrecht, dessen europäische Anfänge in die griechische Antike reichen. Dabei ist das Bild von den nomoi, das den Ausführungen zugrundeliegt durchaus realistisch, denn der Staat der nomoi ist nicht gerade ein freier Staat - Popper hat das klar herausgearbeitet -, sondern von einem Regulationsdispositiv gekennzeichnet, das noch die letzten Lebensbereiche erfaßt, so daß man auch von einer im Kern totalitären Utopie sprechen kann. Von einer Konstitution des freien „Subjekts“ war Platon dabei weit entfernt, da die nomoi deutlich vom Vorrang der Familie ausgehen, so daß der Wille des einzelnen immer nur in der Familie zum Ausdruck gebracht werden kann und abhängig bleibt von der Substanz jenes Allgemeinen, das im idealen Staat zum Ausdruck kommt. Es wäre interessant, diesen Ansatz mit der gleichfalls durch Platon ausgebildeten Spur der Sorge um sich zu kontrastieren, die in der Stoa einen besonderen Platz fand. Der Verfasser betont zu Recht die Gefahr der Absorption des Individuums durch die Gemeinschaft und durch den Staat, dem die Idee der Gewinnung absoluter Totalität als latenter Gefahr ständig immanent ist. Indessen hat Platon den Blick als erster reflexiv auf die Reichweite der Testierfreiheit gelenkt, so daß der Verfasser versucht, dieses Problem aus dem metaphysischen Kontext der Philosophie Platons herauszulösen, um das Freiheitsproblem des Testierenden unter dem Aspekt postmortaler Herrschaft als Leitfaden der Darstellung zu gewinnen, was auch gelingt.

Bayer geht vom biologischen Faktum des sicheren Todes aus, der die Möglichkeit der Verfestigung des eigenen Willens post mortem geradezu herausfordert und im römischen Erbrecht der „Klassik“ einen kaum je wieder erreichten Höhepunkt gefunden hat, der indessen nicht zu einem Schwerpunkt der Darstellung geworden ist, die eher rechtsphilosophisch angelegt ist. Das Thema des Verfassers ist die Gewinnung rechtsgeschäftlicher Unsterblichkeit angesichts der vom Simmel genauestens analysierten Vorwirkungen des Todes im Leben, die das Leben ständig begleiten, da der Tod als Grenze des Lebens allgegenwärtig ist. Die römische fidei-comissa wird der byzantinisch-spätantiken, bereits von christlichem Gedankengut durchdrungenen piae causae (dem Beginn des gemeinnützigen, privaten Stiftungswesens) kontrastiert, nachdem Justinian in der Novelle 159 die fideicomissa erstmals auf vier Generationen beschränkte. Wenig bekannt ist, daß das islamische Recht diese Rechtsinstitute rezipierte, die im wakf aufgingen, das konkreten Widmungszwecken zu gottgefälligen Zwecken dienen muß. Der Verfasser deckt hier interessante Parallelen auf, um endlich die Grundstrukturen des Fideikommiss zu charakterisieren und einen entscheidenden Blick auf die rechtssoziologische Betrachtung dieses Problems zu werfen, die ihren Ausgangspunkt bei Georg Simmel findet, der auf die Stabilisierung der Familie - und deren Erschütterung durch Mobilisierung - durch das sachliche Substrat des Familienguts im Rahmen seiner Theorie der „socialen Differenzierung“ hingewiesen hat. Der Versuch dieses Rechtsinstitut in die Moderne zu „retten“, ist bekanntlich mißlungen, da derartige an ein sachliches Substrat gebundene Bindungen unter dem Mobilisierungsdruck der Moderne notwendig der Auflösung ausgesetzt sein mußten. Der Verfasser untersucht denn auch sehr eingehend das Familienfideikommiss als Wirtschaftshemmnis, was eng mit dem Aufkommen der freien Zirkulation von Geld und Kapital zusammenhängt. Schon hier und erst recht im Kapitel über den Zusammenhang von Wald und Fideikommiss deutet sich die fundamentale Auseinandersetzung mit der politischen Romantik an, die den weiteren Gang der Darstellung prägt. Doch zunächst reflektiert die Darstellung die Positionen der Aufklärung in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand, nicht zuletzt die differenzierte Position Kants. Die Philosophie der Aufklärung hat dem Gedanken der Befähigung des Menschen zu eigener gesellschaftlicher Mobilität derart zum Ausdruck verholfen, daß auch die Mobilisierung des Bodeneigentums gefordert wurde. Vor dem späten 18. Jahrhundert wurde mit Immobilien und Grundstücken auch kaum systematisch Handel getrieben. Damit entstand für den Familienfideikommiss die letztlich entscheidende, doppelte Bedrohung: die Zerstörung des Familienzusammenhalts und der Immobilität des Familienbesitzes durch soziale Fragmentierung. Damit stellt sich die Frage der Macht des Testators unter diesen kulturell vollständig veränderten Bedingungen neu, die unter Auflehnung der Lebenden gegen die Macht der Toten zum Einzug des Freiheitsproblems in das Erbrecht führte, mit der Folge der Bekämpfung des überkommenen Rechtsinstitutes des Fideikommiss, dessen Geschichte im erblichen Lehen des Mittelalters leider nur gestreift werden. Dies gab Anlaß, sehr detailliert die Positionen von Montesquieu und Adam Smith zu reflektieren, um schließlich eine hochinteressante Untersuchung der Thesen von Thomas Jefferson vorzunehmen, die durch und durch „modern“ sind, da sie letztlich jede Bindung der Lebenden an die Akte vorhergehender Generationen verneinen, was letztlich auch zur strikten Verneinung des Rechtsinstituts der entails im US-amerikanischen Recht geführt hat, auf dessen Entwicklung die Positionen Jeffersons nachhaltigsten Einfluß ausgeübt haben. Auch der Code Civil hat in Art. 896 I, 913 dieses Rechtsinstitut in die Rechtsgeschichte scheinbar verabschiedet - es gibt auch heute noch durchaus erbrechtliche Gestaltungsformen, die einem Fideikommiss angenähert sind, wenn auch nicht mit „unbegrenzter“ Dauer -, um ab 1807 in Frankreich unter der napoleonischen Majoratsverfassung wieder zugelassen zu werden, wie § 3 des Art. 896 CC zeigt. Dies deutet bereits auf eine Gegenbewegung zur Aufklärung, die in der politischen Romantik zum Ausdruck kam.

Möglicherweise liegt im Rekurs auf die - oft zu Unrecht ignorierte - politische Romantik der maßgebliche Verdienst des Buches, da jedenfalls eine derartige Auseinandersetzung in dieser Dichte bisher kaum erfolgt ist. Der Verfasser beschäftigt sich hervorgehoben mit den Positionen Adam Heinrich Müllers, in deren Kern die Kritik am neuzeitlichen Individualismus steht, in einem durchaus konservativen Gegenkurs gegen die Positionen der Aufklärung. Müller versuchte den Einzelnen und sein Eigentum wieder in den Kontext von Familie und Staatsgemeinschaft zurückzuholen, um wieder zu einem überindividuellen Kontinuum zurückzufinden, was auch die Anerkennung eines Kontinuität erst stiftenden Geburtsadels beeinhaltet. Darin drückt sich durchaus ein sehr deutsches Verständnis von Nation aus, zumal diese Positionen durchaus im Kontext der Herausbildung der deutschen Nationalidee stehen: „Die Politische Romantik setzt an die Stelle der atomistischen Gesellschaftsauffassung der Aufklärung die historische Individualität der Nation in ihrem geschichtlichen Herkommen“ (S.240). In diesem Kontext mußte man die Familie als Urbild staatlichen Daseins begreifen, die überindividuelle Züge erhält, unter deutlicher Ablehnung römischer Einflüsse, die den späteren Streit zwischen „Romanisten“ und „Germanisten“ bereits andeuten. Eine solche Auffassung muß dem Rechtsinstitut des Familienfideikommiss wieder einen hohen Rang zubilligen, die mit Hilfe religiöser Begrifflichkeit diesem Rechtsinstitut eine Art merkwürdiger Dignität verliehen, wie der Verfasser zu Recht bemerkt. Der Verfasser sieht indessen unter dem Aspekt „nachhaltiger“ Umweltzerstörung die Notwendigkeit an die Überlegungen Müllers anzuknüpfen, die der Verfasser gegenüber dem Zukunftsoptimismus der Aufklärung als wohltuend konservativ empfindet. Gewisse Parallelen zur Wiederbelebung des Allmendegedankens in Umweltökonomie drängen sich auf. Es stellt sich indessen die Frage, ob insoweit wirklich ein Rückgriff auf die politische Romantik nötig ist.

Besonders interessant ist die Auseinandersetzung des Verfassers mit dem sybillinischen Text des § 180 von Hegels „Grundlinien der Philosophie des Rechts“. Insbesondere Hegel zählte zu den schärfsten Kritikern des Familienfideikommiss, wie sich etwa aus § 63 des betreffenden Textes ergibt. Hegels Auffassung steht dabei in krassem Gegensatz zu Positionen des Politischen Romantik, die den Gedanken von sich weist, Ehe und Familie könnten auf vertraglicher Grundlage und nicht als über solche Rechtsverhältnisse hinausgehenden Liebesverhältnissen beruhen. Eine Auffassung, deren Spuren, sich noch heute im deutschen Familienrecht auffinden lassen. Indessen verwirft auch Hegel die Vertragslehre, die in der Tat zu kurz greifen muß, da sich komplexe Kommunikationsstrukturen nicht auf Vertragsstrukturen reduzieren, geschweige denn in ihnen abbilden lassen. Allerdings ist sein Rückgriff auf den „sittlichen Geist“ in der Totalität der Familieneinheit als Fundament der Familie nicht weniger fragwürdig, führt allerdings zur Akzeptanz des Familiengutes an sich. Die Stufen der komplexen Argumentation Hegels werden hier ausgezeichnet rekonstruiert. Sie weisen sehr treffend auf gewisse Ähnlichkeiten der Überlegungen Hegels mit den Gedanken Platons zu den Grenzen der Testierfreiheit hin, da auch Hegels Blick dem sittlichen Allgemeinen gilt, das seinen Ausdruck im Staat findet, der diesen Willen als Willensinstanz der Gesellschaft gelten lassen muß. Hegel sieht den entscheidenden Widerspruch darin, daß in diesem Rechtsinstitut nicht der salus familiae, sondern das Abstraktum ihres splendor maßgeblich ist, so daß es sich letztlich nicht um den Schutz der Familie handelt, sondern um den verzweifelten Akt eines einsamen Testierers, der postmortale Bindungen der Lebenden an seine Vorstellungen vornimmt und damit Herrschaft ausübt, die über seinen Tod hinausreicht. Diese privatrechtliche Delegitimation hebt Hegel indessen in § 306 wieder staatsrechtlich auf, indem er eine staatsrechtliche Legitimation vornimmt, die keineswegs konsequent ist. Es mag dabei durchaus sein, daß der Hegel dieser Fassung der Grundlinien politische Rücksichten auf den preußischen Staat genommen hat, die im Text nicht deutlich zum Ausdruck kommen. Dies leitet über zu einem Kapitel über die Kritik des frühen Karl Marx am Staatsrecht Hegels von 1847, die allerdings erstmals 1927 veröffentlicht wurde und in den Kontext der „Frühschriften“ gehört. Im Zusammenhang dieses exegetischen Kommentars wird insbesondere § 306 einer harschen Kritik unterworfen. Die Darstellung zu Hegels § 306 erhellt sich letztlich erst durch die Lektüre dieser Ausführungen, da Marx Hegel nicht mehr und nicht weniger vorwirft, unzulässig Rechtsebenen getrennt zu haben, die letztlich zusammengehören, weil die Eigentumsverfassung den bürgerlichen Staat nach der materialistischen Rechtsauffassung von Marx konstituiert. Dieser Erklärungsansatz ist verkürzt und letztlich in dieser Enge nicht haltbar, wirft aber ein Licht auf interessante Aspekte der Staatstheorie Hegels, da nach Marx der Fideikommissbesitzer gar keinen Willen bilden kann, durch Veräußerung seine Freiheit gegen die Scholle zur Geltung zu bringen und zum Sklaven der Scholle wird, zum „Eigentum des Eigentums“, schon als Person durch die Eigentumsverhältnisse verdinglicht. Darin drückt sich durchaus schon die marxistische Variante jener Dialektik von Herr und Knecht aus, die Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ erstmals entfaltet hatte. Damit wird das Majorat zum politischen Sinn des Privateigentums, zum Paradigma für die Verfassung des Grundeigentums, von dem sich der Kapitalismus allerdings gerade löste, indem die Verwertung des Kapitals von der Gebundenheit an die Scholle gelöst wurde. Bayer kritisiert diese materialistische Verkürzung, die jedem Materialismus eigen sei, wegen der Reduzierung der Persönlichkeit jedes Menschen zu einer Marionette des Eigentums, womit die soziologische Unzulänglichkeit des marxistischen Ansatzes indessen nur gestreift wird, die indessen nicht Gegenstand dieser Studie sein konnte.

Mit dem Kapitel über Lasalle, einem der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, tritt das Buch ein in die Rekonstruktion der Endphase des Kampfes um das Majorat, deren politische Geschichte deutlicher hätte akzentuiert werden können. Nicht zuletzt Lasalle und die Sozialdemokratie des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben sich vehement für die Aufhebung des Majorats eingesetzt. Lasalle indessen wollte die Nutzung auf alle Familienmitglieder erstrecken, was letztlich eine Erweiterung dieses Rechtsinstituts unter Aufhebung des ursprünglichen Inhalts zur Folge gehabt hätte, da die Familie zu einer schwer handhabbaren juristischen Einheit geworden wäre, allerdings unter voller Anerkennung der Erbfolge von Frauen, immerhin. Das „System der erworbenen Rechte“ von Lasalle wurde weitgehend verworfen. Historisch blieb es nicht mehr als eine rechtspolitische Anregung zu einer kollektivistisch informierten Rechtssetzung, der eine liberal informierte individualbezogene Rechtssetzung notwendig widerstreiten mußte, insbesondere da der Staat sich zum Mittel der Durchsetzung von Forderungen emporschwang, die den individuellen Willen negierte. Die gesellschaftspolitische Tendenz deutete jedoch am Ende des 19. Jahrhunderts in eine andere Richtung: die Aufhebung der Majorate in Verabschiedung der letzten Reste der Strukturen der Feudalherrschaft. Dies wirft die Frage nach dem Eingriff in den Schutzbereich sog. „wohlerworbener Rechte“, der Rechtfertigung des Eingriffs und den Ausgleich bei einem staatlich gerechtfertigten Eingriff auf, einer Forderung Kants folgend, der die Aufhebung der Fideikommisse an eine Entschädigung gekoppelt wissen wollte. Diese Fragen werden eingehend unter Aufarbeitung der zeitgenössischen Positionen dargestellt, um schließlich die Frage der Aufhebung zu thematisieren, die eine staatliche Befugnis voraussetzt. Eine Diskussion, die sich in den noch heute relevanten Enteignungstheorien durchaus niedergeschlagen hat. Allerdings wurde dieses Rechtsinstitut entschädigungslos in die Rechtsgeschichte verabschiedet, weil es mit den liberalen Auffassung von Freiheit und Gleichheit nicht mehr zu vereinbaren war und dem Gesetzgeber zugebilligt wurde eigentumsgestaltend zu operieren. Die gesetzgeberischen Akte der Aufhebung und deren politische Vorgeschichte in Deutschland werden indessen eher am Rande thematisiert. Auch wird nicht näher untersucht, ob und welche erbrechtlichen Konstruktionen quasi surrogierend an die Stelle dieses Rechtsinstituts getreten sind, etwa in Ansehung der „Hausverfassungen“ mancher Adelshäuser, deren Bindungen fideikommissarischen Konstruktionen gefährlich nahe kommen. Interessant wäre es, an anderer Stelle die Spur des Schutzes der „wohlerworbenen Rechte“ im Rahmen einer Untersuchung der Notwendigkeit der Entschädigung des Staates für gesetzgeberische Eingriffe aufzunehmen. Diese Dissertation setzt im Bereich ihres Untersuchungsgegenstandes Maßstäbe und dürfte zu den interessantesten rechtshistorischen Untersuchungen der letzten Jahre zählen.

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