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Artikel 2669
Ralf Hansen

Eine institutionengeschichtliche Heranführung an die Grundstrukturen des bürgerlichen Rechts

Eine Rezension zu:

Hans Hattenhauer

Grundbegriffe des bürgerlichen Rechts


Historisch-dogmatische Einführung

JuS-Schriftenreihe, Bd. 84

München: C.H. Beck, 2000, S.315, ISBN 3-406-47087-4

http://www.beck.de


Hans Hattenhauer hat die rechtsgeschichtliche Literatur in Deutschland um einige überaus anregende Darstellungen bereichert. Seine anderweitig erschienene Darstellung über "Europäische Rechtsgeschichte" etwa (3. Aufl., 1999) hat Maßstäbe gesetzt. Die erste Auflage seiner "Grundbegriffe" wurde im Adressatenkreis möglicherweise viel zu wenig beachtet. Es spricht für den Verfasser, daß er Kritik nicht verschweigt (AcP 185, 203 ff), die aber an der wissenschaftlichen Notwendigkeit einer solchen Darstellung zu Studienzwecken nichts ändern kann, mag man auch manches im einzelnen anders sehen. Wie Hattenhauer indessen selbst betont (Nachwort), lebt der rechtswissenschaftliche Diskurs vom Streitgespräch. Der Titel ist ein wenig irreführend, möglicherweise ist dies sogar beabsichtigt, wird aber durch den Untertitel konkretisiert. Keineswegs werden - wie der Haupttitel ein wenig suggeriert - nur "Grundbegriffe" dogmatisch aufbereitet, wie man es aus diversen Anfängerkursen zum Bürgerlichen Recht kennt. Für die Fallösungstechnik ist dieses Buch sicher weithin entbehrlich. Allerdings gebietet die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oftmals eine genealogische Herangehensweise. Statt dessen findet sich eine genealogisch operierende, dogmengeschichtlichen Einführung, deren wirklicher Gehalt sich aus dem bescheidenen Untertitel kaum erschließt. Erschließen wird sich dieses wunderbare Buch nur, wer weiterliest und den Faden aufnimmt. Der Verfasser hat - hier wie in anderen seiner Bücher - dafür gesorgt, daß der interessierte Leser sich festliest in einem faszinierenden Essay über den kulturellen Hintergrund unserer Privatrechtsordnung und ihrer Geschichte. Bedarf nach dogmengeschichtlicher Besinnung besteht - in Zeiten umfassender Reformansätze zumal - allethalben. Der kritische Unterton schon im Vorwort zur ersten Auflage (1982) ist unverkennbar und mit Recht erneut abgedruckt: "Bedarf nach dogmengeschichtlichen Grundkenntnissen im Bürgerlichen Recht scheint nicht nur bei den jungen Juristen zu bestehen. Aus Bonn ist der Ruf nach einer Reform des Schuldrechts zu hören. Er gründet sich auf die unzutreffende Behauptung, das Bürgerliche Gesetzbuch vernachlässige das Gemeinwohl. Er gipfelt in der Forderung, das "individualistische" Schuldrecht durch ein "soziales" zu ersetzen. So besteht genug Anlaß zur Information über die geschichtlichen und philosophischen Grundlagen unseres Privatrechtsystems". Das Streitgespräch auf das Hattenhauer indessen hoffte, ist bisher zwischen Politik und Wissenschaft (nicht innerhalb der Wissenschaft) weithin ausgeblieben, scheint sich aber jetzt unter dem Druck der öffentlichen Kritik aus Rechtswissenschaft und Rechtspraxis wieder zu beleben. Hattenhauer würde vermutlich dem Verdikt von Medicus zu den Reformentwürfen zustimmen: "Lieber ein altes BGB als ein schlechtes!".

Vermehrt um die Kapitel "Kapital" und "Arbeit" hat Hattenhauer seinen institutionengeschichtlichen Absatz weitergeführt, der bei Kernkategorien des bürgerlichen Rechts an- und bei der "Person" einsetzt. Die Hinführung zu dieser Kategorie setzt sich dabei auch intensiv mit der Differenz zwischen dem liberalen Personenbegriff und den Spielarten eines totalitär geprägten Personenbegriffes auseinander. In § 2, der der juristischen Person gewidmet ist, gelingt Hattenhauer eine "Archäologie" der juristischen Person, die ihresgleichen sucht, aber auch zeigt wie sehr die Heraufkunft dieser Rechtsfigur mit der Moderne verknüpft ist, da erst die freiheitliche Denkart der "Aufklärung" die Möglichkeit der Abstraktion vom rein personalistisch verfaßten Gemeinschaftsdenken in einer Verselbständigung rechtlicher Handlungsstrukturen von personaler Handlungsweise im Kampf zwischen staatlicher Bevormundung und privater Verfügung über Freiheitsrechte entbunden hat. So weist Hattenhauer etwa darauf hin, daß sich der Begriff der juristischen Person erstmals bei Gustav Hugo 1799 findet, gegen den noch Savigny im Sinne einer konservativen Gegenreaktion opponierte, um ironischerweise die dogmatische Bewältigung des Problems gleichzeitig zu ermöglichen, da er dem Staat die Möglichkeit eröffnete, entsprechende Abstraktionen in einer Fiktion der natürlichen Person zu gestatten. Die Diskussion um den Verein als Fiktion oder als "reale Verbandspersönlichkeit" ist bis heute nicht völlig verstummt, weshalb eine Auseinandersetzung mit v. Gierke geradezu zwangsläufig ist, deren unheilvolle Wirkungen im Nationalsozialismus Hattenhauer auch keineswegs verschweigt, auch wenn die Theorie von der realen Verbandspersönlichkeit aufgrund ihres liberalen Kerns im Nationalsozialismus der nationalsozialistischen Fiktionstheorie Sieberts weichen mußte, da ein Führerstaat einen freien Willen nicht dulden kann.

§ 3 unternimmt eine Genealogie des heutigen Eigentumsbegriffes, der in seinem heutigen Kern ebenfalls neuzeitlicher Natur allerdings mit mittelalterlichen Wurzeln ist. Auch dieses Kapitel zeigt die zentrale Bedeutung des preußischen Rechtswissenschaftlers von Savigny für die Konstruktion des Privatrechts des 19. (und des 20.) Jahrh, obwohl er allerdings kaum noch primär gelesen wird. Diesem Mangel an Kenntnis der Primärquellen der Rechtswissenschaftsgeschichte hilft Hattenhauer ab, indem er Kernstellen im Original bringt, sie systematisch einordnet und erläutert. Sehr schön dargestellt - wenn auch im römischrechtlichen Bereich vielleicht etwas zu knapp als Herleitung - ist etwa die Geschichte des Abstraktionsprinzips. Überaus lesenswert sind etwa auch die Ausführungen über das Rechtsgeschäft, ebenfalls einer Konstruktion der rechtswissenschaftlichen Moderne des Kontinents als einer enormen Abstraktionsleistung, die für den anglo-amerikanischen Rechtsraum keineswegs selbstverständlich ist. Gelegentliche Ausflüge in die "horizontale" Rechtsvergleichung würden die Darstellung vielleicht noch plastischer machen und den begrenzten Modellcharakter der Normen und ihren stets kontingenten Charakter noch besser herausstellen. Der Leser erfährt aber ungemein wissenswertes über die Geschichte der Vertragstheorie und der Ausdifferenzierung der Willenserklärung. Auch dieses Kapitel zeigt wie sehr die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts auch die heutige Rechtswissenschaft noch prägt und wie sehr die fatale Wissenschaftsgeschichte jener langen 13 Jahre des Nazi-Terrors die Tradition dieser Wissenschaftsgeschichte gebrochen hat, was beispielsweise bei der Erläuterung der "faktischen Vertragsverhältnisse" deutlich wird, mit der die Privatautonomie vollends unter Verdacht gestellt wurde. Noch die weitreichende Statuierung von "Fürsorge- und Treuepflichten" am Willen der Parteien vorbei, deutet auf Spuren dieses Verdachtes, wie Hattenhauer deutlich herausstellt. Die Auseinandersetzung des liberalen Rechtsstaates mit den Versuchungen totalitärer Herrschaft entlang privatrechtlicher Fragen führen wie ein roter Faden durch dieses Buch, dessen Lektüre der interessierte Leser durch die Lektüre des anderweitig erschienenen Buches von Hattenhauer über "Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts" (4. A., Heidelberg, 1996) ergänzen kann.

Nicht zuletzt angesichts der sich anbahnenden Reform des Schuldrechtes an "Haupt und Gliedern" ist das Kapitel über das Schuldverhältnis von überragendem Interesse, zumal sich hier die Dynamik des Privatrechts als "kommunizierendes Recht", als normative Ausformung von Kommunikationsverhältnissen umfassend zeigt. Auch hier zeigt sich wieder die Bedeutung Savignys, der in seinem Obligationenrecht das Schuldverhältnis maßgeblich dogmatisch durchdrungen hat. Leider geht Hattenhauer die die Schuldrechtsreform nicht näher ein, auch nicht in seinem Nachwort. Die Chancen der Zukunft angemessen ergreifen kann indessen nur, wer sich der Herkunft bewußt ist. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob der Weg die romanistische Tradition zugunsten einer noch weithin unreflektierten Rezeption anglo-amerikanischer Vertragslehren zu verlassen, der richtige Weg sein wird. Interessant zu lesen ist etwa die "Aufklärung über den Eigentumsbegriff", die Hattenhauer im siebten Kapitel unternimmt, wobei rechtsphilosophische Hintergründe mit Recht nicht ausgespart werden. Sehr weitreichend sind zudem die Ausführungen zu Ehe, Familie und Erbrecht. Ein derart konsequenten historischen Abriß über die Geschichte der Ehe findet sich in dieser Form selten. Auch wenn man über die Folgen der "Privatisierung der Ehe", die Hattenhauer abschließend kritisiert, sicher verschiedener Auffassung sein kann, stellt sich mit Hattenhauer sicher die Frage, wie unter den "Bedingungen einer Privatisierung der Ehe ein staatlicher Rechtsschutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG noch verwirklicht werden kann".

Ganz neu sind die Kapitel über "Kapital" und "Arbeit". Beides keineswegs von Haus aus marxistische Schlüsselbegriffe, obwohl lange begrifflich marxistisch besetzt. Grundsätzlich verbirgt sich in diesem interessanten Kapitel eine Archäologie des Handelsrechts als einer Urgeschichte des Kaufmannsrechts, die richtigerweise beim römischen Recht ansetzt, das mittelalterliche Verständnis reflektiert, um vom Bild des christlichen Kaufmannes des hohen Mittelalters den Weg in die Moderne zu suchen. Entsprechend findet sich im komplementären Kapitel über Arbeit ein Abriß der Geschichte des Arbeitsrechts, dessen Begriff erst Anfang dieses Jahrhunderts aufkam und dessen vielschichtige Vorgeschichte sehr lesenswert aufbereitet wird. In einem weiteren Kapitel über "Bürgerliches Recht" versucht Hattenhauer eine Summe zu ziehen und die Fäden der Einzeluntersuchungen zusammenzuführen, indem dargelegt wird, was seit dem römischen Privatrecht, über das Kirchenrecht und das Recht der Neuzeit das "bürgerliche" am "bürgerlichen Recht" ausmacht, nämlich der Erkenntnis der Trennung von Recht und Moral, Staat und Gesellschaft, im Sinne der Garantie eines Raums der privaten und wirtschaftlichen Freiheit, der im Rahmen der Geltung dieser Normen staatlich verbürgt wird. In einem interessanten Nachwort setzt sich Hattenhauer mit Möglichkeiten und Grenzen der Dogmatik auseinander, deren geschichtliche Bedingtheit er klar herausstellt. Das Buch schließt mit einem Aufruf den Reflexionsgewinn nicht zu verspielen, der durch die Verwissenschaftlichung des Rechts im juristischen Diskurs der Moderne errungen worden ist. Er sieht in der Abwehr der Gefahr des Rückfalls in einen neuen Irrationalismus mit Recht die wichtigste Aufgabe des Rechts der Gegenwart dessen "Einheit" im Wirrwarr der Subsystembildung aber längst verloren zu gehen droht, nachdem die Rechtserzeugung teilweise derart virtualisiert ist, daß selbst der "Experte" sich oft noch vergewissern muß, "was" gilt. Insoweit versteht er das Bürgerliche Recht als die entscheidende dogmatische Klammer für ein zeitgemäßes "gemeines Recht". Eine Gefahr sieht er insbesondere in der "Entdeckung" der herrschenden politischen Moral als einer "neuen" Rechtsquelle. Die Sicherung der Grundlagen ihrer selbst kann indessen keine Rechtsdogmatik leisten, die nicht Anschluß findet an rationale politische Diskurse unter Offenlegung der Verzerrungen der Kommunikationsbedingungen durch Macht.

Hattenhauer hat mit der Neuauflage ein ungemein lesenswertes Buch geschaffen, das mehr Essay als Lehrbuch, aber allemal anregend und spannend zu lesen ist, zumal hier Hintergründe geschildert werden, die im "Tagesgeschäft" der Normenanwendung unreflektiert untergehen, aber gerade bei der Folgenabschätzung dieser Rechtsanwendung bedacht werden sollten.

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