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Artikel 207
Ralf Hansen

Auf den Spuren eines römischen Lehrbuchautors:
Die Kontraktsobligationen der Gaius-Instititutionen

Eine Rezension zu:

Hein W. Nelson und Ulrich Manthe

GAI INSTITUTIONES III 88 - 181
Die Kontraktsobligationen
Text und Kommentar
Studia Gaiana VIII
Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen
Neue Folge - Band 35
Berlin: Duncker & Humblot, 1999, 605 S., DM 178,-
ISBN 3528-09883-8


http://www.duncker-humblot.de


Die Institutionen des Gaius sind ein Glücksfall für die Rechtsgeschichte. Sie sind der einzige Lehrtext des römischen Rechts, der mehr oder weniger vollständig überliefert worden ist. So flüssig sich etwa die Leydener Ausgabe der Institutionen (1964) oder eine deutsche Übersetzung (etwa in: Römisches Recht, Aufbau-Verlag, Berlin, 1989) lesen lassen, so schwierig sind Textgestalt und Überlieferungsgenese. Niebuhr war sich dieser Schwierigkeiten bereits bewußt, nachdem er den Text der Institutionen in einem Palimpsest unter den Briefen der Hieronymos 1816 in Verona entdeckte. Nicht wenige überlieferte Texte der Antike verdanken sich der Sparsamkeit christlicher Kopisten angesichts der Knappheit des teuren Gutes Pergament während des ganzen Mittelalters, die beschriebene Pergamente doppelt verwendet und einen älteren Text einfach überschrieben haben (Palimpsest). Die vorzügliche Kommentierung von Nelson und Manthe legt alle mit der Textgestalt verbundenen Probleme schonungslos offen. Wer einmal Fotographien des "Veroneser Kodex" gesehen hat (s. nur Dulckeit - Schwarz - Waldstein, Römische Rechtsgeschichte, 9. Aufl., München, 1995, S. 261 f), ahnt den Aufwand des Versuches, sich diesem Text in philologisch-kritischer Absicht zu nähern und den Text überhaupt erst "herzustellen", was nur erfahrenen Philologen möglich ist und jahrelange Forschungstätigkeit in Anspruch nimmt. Nelson/Manthe haben nunmehr einen weiteren Band ihrer berechtigt hochgelobten Institutionenkommentierung vorgelegt (nachdem 1992 bereits mit Band VII der Studia Gaiana eine Kommentierung zu Institutionen III 1 - 87: Intestaterbfolge und sonstige Arten von Gesamterbfolge vorgelegt wurde; Einzelheiten bei Hein W. Nelson - unter Mitwirkung von M. David -, "Überlieferung, Aufbau und Stil von Gai Institutiones, Leiden, 1981). Ein vollständiger Kommentar ist hingegen noch nicht Sicht (die von M. David und H.L.W. Nelson herausgebenen Commentarii IV, also zum vierten Buch der Gaius-Institutionen, datieren aus den Jahren 1954 - 1968).

Die Institutionen des Gaius waren keineswegs das einzige Lehrbuch zum römischen Recht in der römischen Antike, aber vermutlich das Erste. Berühmtere (und sozial vermutlich höherstehende) Autoren wie Florentinus (12 libri), Callistratus (drei libri), Paulus, Ulpian (je zwei libri), Pomponius (enchiridium; D. 1.2.2.) und Marcianus (16 libri) haben - deutlich nach Gaius - ebenfalls Institutiones verfaßt, von denen aber bestenfalls Fragmente, weitgehend vermittelt über Digesten und Basilisken, überliefert worden sind. Aus den Digesten scheint sich zu ergeben, daß die "berühmten" Kollegen ihn weitgehend ignoriert haben, ihn jedenfalls aber kaum zitieren, die mutmaßlich von ihm geprägte literarische Form einer Vorlesungsnachschrift aber jedenfalls zur Kenntnis genommen haben. Nach allem, was wir wissen, scheint diese literarische Darstellungsform, Bedürfnissen des Unterrichts des juristischen Nachwuchses in den Rechtsschulen Rechnung tragend, gegen Mitte des 2. Jahrh. n. Chr. aufgekommen sein. In der nicht erhaltenen Schrift "de iure civili in artem redigendo" hatte bereits Marcus Tullius Cicero postuliert, man müsse das römische Recht in ein System mit Einteilungen, Definitionen und abstrakten Rechtssätzen bringen (Söllner, Einführung in die römische Rechtsgeschichte, § 16 I). Die Institutionenlehrbücher lieferten wenigstens Ansätze zu einer derartigen Systematisierung, die der am Fallrecht orientierten römischen Jurisprudenz weitgehend fremd geblieben ist, da deren literarische Hauptformen digesta und commentarii nebst responsa waren. Damit war die Distinktion ein Hauptmittel der juristischen Erkenntnisgewinnung, dem britischen Case-Law insoweit methodisch nicht unähnlich. Verbunden mit der Auflösung der römischen Rechtskultur in der Spätantike verliert sich die Spur der Institutionenlehrbücher wohl mit dem Werk von Marcian in der Mitte des 3. Jahrhunderts nach Chr. in der Unübersichtlichkeit einer Epoche, die von Machtzerfall, Kriegen und kulturellem Niedergang gekennzeichnet war (s. einerseits, Dodds, E.R., Pagan and Christians in an Age of Anxiety, Cambridge, 1965, dt. 1985, 1992; andererseits, Brown, P., The Making of late Antiquity, Harvard, 1978, dt., 1986, 1995). Erst im Vollzug der justianischen Bemühungen um eine Wiederherstellung der klassischen Rechtskultur wurde wieder ein an den Gaius-Instititutionen orientiertes Institutionenlehrbuch geschaffen, das für den Rechtsunterricht allein verbindlich sein sollte, wie aus der Constitutio "Imperatorum" deutlich hervorgeht (Const. Imp. 3). Es nahm jedoch auch Elemente anderer Werke auf, deren Spuren aber nur schwer zu rekonstruieren sind, da die Institutionen sich im Gegensatz zu den Digesten nicht ausdrücklich auf die verwendeteten Werke außerhalb der Gaius-Institutionen beziehen.

Über Gaius selbst ist nicht viel bekannt. Noch weniger, als über die meisten anderen römischen Juristen, deren Namen durch die Digesten zum Bestandteil der kulturellen Überlieferung ganz Europas geworden sind. Er war Rechtslehrer, vermutlich an der Rechtsschule zu Berytos in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts nach Chr. Doch nicht einmal dies ist sicher. Auch mehrere Kommentare zum Edikt, zu den Zwölftafeln und zum Provinzialedikt, werden ihm neben den "Rechtsaltertümern" zugeschrieben. Kein Träger des ius responsum wie seine berühmten Kollegen, aber der Einzige durch den wir eine - allerdings nicht vollständige - Darstellung des römischen Rechts erhalten haben - wenn der Text authentisch ist.

In ihrer ganz vorzüglichen textkritischen Einleitung machen die Autoren deutlich, welche Schwierigkeiten sich hier auftun. Die Textgrundlage des "Veroneser Codex" (Nr. 13, Veroneser Kapitelbibliothek, Siglum V) ist alles andere als verläßlich und durchaus lückenhaft (näher: Nelson, 1981, S. 1 - 46), zumal es kaum Vergleichsmanuskripte gibt, wie bei den Digesten (s. nur. Bretone, Geschichte des römischen Rechts, XIII.6). Als ausführliche Vergleichsgrundlage stehen letztlich nur die Institutionen des Iustinian von November 533 n. Chr. zur Verfügung, die auf den Gaius-Institutionen beruhen, wie die Constitutio "Imperatorum" ausdrücklich belegt (const. imp. 6). Dies erlaubt es angesichts der Textbasis von V und F, die Übernahmen in dieses Werk soweit möglich zu identifizieren. Den Verfassern der justianischen "Institutionen" scheint aller Wahrscheinlichkeit nach eine Textstruktur vorgelegen zu haben, die auf dem Überlieferungsstrang des Codex V (Veronensis) beruht. Jedenfalls liegt dies nach der stringenten Argumentation der Verfasser angesichts zahlreicher identischer Textfehler (Kopistenfehler) nahe, die der Veroneser Handschrift in hohem Ausmaße eigen sind und sich in den justianischen Institutionen wiederfinden. Dies schließt weitere Überlieferungsstränge in der Antike keineswegs aus. Wie die gai epitome (eine Zusammenfassung der Bücher 1 - 3 in der lex romana visigothorum) zeigen, muß es auch eine weit verbreitete westliche Textüberlieferung gegeben hat, so daß dieses Werk die Umstellung der "Schriftsysteme" von der Papyrus-Rolle zum Pergamentkodex in vielen Exemplaren überdauert haben wird. Bestechend an den Institutionen ist ihre einfache Form der Darstellung der komplexen Materie in einer Grobstruktur von personae, res et actiones. Sowohl die griechischen Glossen zum Codex F (s. David, Hrsg., Gai Institutiones, Secundum. Codices veronensis apographum studemundianum et reliquias in aegypto repertas, 1964), als auch die const. tanta legen nahe, daß Textformen der Gaius-Institutionen in den byzantinischen Rechtsschulen, etwa in Berytos, jahrhundertelang benutzt worden sind. Aus alledem ist zu schließen, daß das Lehrbuch des Gaius das verbreiteste Institutionenlehrbuch der Antike gewesen sein dürfte, auch wenn die Digesten zeigen, daß im Zeitpunkt ihrer Abfassung ein Zugriff auf andere Institutionenwerke noch möglich gewesen sein muß. Die Suche nach dem "Urtext" führt in die hermeneutische Irre, kann es doch nur darum gehen, die Regeln des Diskurses der antiken Rechtswissenschaft zu rekonstruieren und die Struktur des Textes von Unebenheiten zu befreien, die in diesem Diskurs hinzugefügt worden ist. Historische Textforschung in philologischer Absicht ist Genealogie.

Die philologische "Feinarbeit" beginnt bereits beim Versuch der Datierung der vorliegenden Handschriften. Nach 533 n. Chr. war die Herstellung einer Kopie des Gaius-Textes angesichts der überarbeiteten justianischen "Institutionen" unnötig, genaugenommen sogar verboten (Const. Imp. 3). In der constitutio tanta wurden überdies siglen schlicht verboten (etwa "q" für "quo"). Beide Textgestalten weisen jedoch zahlreiche Siglen auf. Nicht selten, so auch hier, tauchen in lateinischen Rechtstexten (auch in den Digesten) altgriechisch geschriebene Einschübe auf. Die kritische Textwiedergabe im Teil II dieses Buches zeigt dies deutlich. Bereits dies deutet jedenfalls auf eine Abfassung vor 533 n. Chr. Aus einer Verwendung einer bestimmten, in dieser Epoche üblichen, Form von Unizialschrift, die etwa im vierten Jahrh. N. Chr. aufgekommen ist, folgern die Autoren angesichts von Textvergleichen eine Abfassung um 500 n. Chr., die aber in zeitlicher Nähe zur Abfassung des Digestenkodexes liegen muß, wie ein Vergleich der Schriftformen insbesondere der griechischen Glossen nahelegt. Auch die Digesten enthalten griechischen Text, so daß dieses Werk auch ein Monument der Verflechtung römischen Rechtsdenken mit der hellenischen Kultur ist, die in den Basilisken vollends verschmolzen sind.

Genauestens wird zudem registriert, in welchen Bereichen die Florentiner Bruchstücke (deren Entzifferung nicht leichter gewesen sein dürfte, als die "Decodierung" mancher Rollen aus Quamram) eine Zweitüberlieferung bieten. Zwar sind die Fassungen keineswegs identisch. Eine erhebliche Abweichung findet sich jedoch nur bezüglich der altrömischen societas ercto non cito (zur Wortbedeutung s. Exkurs VII des Kommentars). Ein Textabgleich und die Art der Vornahme der Änderungen spricht für die These der Autoren, daß diese nicht von dem Kopisten des Veroneser Codex stammen können, sondern von einem Autor mit außerordentlicher Sachkunde, da der Übergang sich perfekt in die Veroneser Fassung einpaßt. Diese Form der societas war bereits zu den Zeiten des Gaius nur noch überliefert, jedoch längst außer Gebrauch. Der Zwölfttafelkommentar und die "res cottidianae sive aurea" könnten allerdings auf "rechtshistorische" Interessen des Gaius schließen lassen. Allerdings ist die Wortbedeutung von societas für die römische Antike durchaus doppeldeutig, da der Begriff auch Vereine und Körperschaften meinen konnte, deren Behandlung die römischen Juristen allerdings kein gesteigertes Interesse entgegenbrachten. Nichts anderes gilt für die Institutionen des Gaius. Aus dem Zusammenhang ist jedoch eindeutig auf die privatrechtliche Codierung zu schließen. Die Möglichkeit, daß Gaius wenigstens eine Überarbeitung seines Textes vorgenommen hat und diese Stelle aus didaktischen Gründen selbst gestrichen hat, ist nur zu wahrscheinlich. Dann aber waren bereits in der Antike mehrere Fassungen des Textes im Umlauf, so daß unterschiedliche Überlieferungen existieren, ähnlich verschiedenen Buchauflagen.

Aber auch der zweite Fund von 1933, die in Ägypten aufgefundenen Fragmente (sie betreffen nicht das Obligationenrecht, sondern Buch IV), weisen keine erheblichen inhaltlichen Abweichungen auf. Buch IV ist die Hauptquelle für die Kenntnis des klassischen römischen Zivilprozesses. Der Pap. Oxy. 2103 ist zudem - angesichts der verwendeten Kapitalkursivschrift - auf eine Entstehungszeit um 200 n. Chr. zu datieren und rückt damit eng an die Lebenszeit des Gaius selbst heran, der nach 178 n. Chr. verstorben ist. Interpolationen sind hier so gut wie ausgeschlossen. Auch der Fundort deutet auf eine weite Verbreitung des Textes bereits in der Antike, vermutlich schon zu Lebzeiten des Verfassers. Es handelt sich um den bisher einzigen authentischen juristischen Textfund, der unmittelbar aus der antiken Lebenswelt stammt und nicht erst durch spätere Handschriften überliefert ist, die selbst auf Überlieferung beruhen. All dies untermauert die gegen Wieacker geltend gemachte Auffassung der Autoren, daß dem Veroneser Codex eine weitgehend authentische Textstruktur zugrundeliegt, deren Spuren unmittelbar zu Gaius führen, ohne das wesentliche inhaltliche Änderungen vorgenommen worden sind. Damit wird der radikalen Interpolationenkritik der Romanistik der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine deutliche Absage erteilt, deren Anhänger aber ohnehin schwinden.

Die dargebotene Textgestalt von Gaius Inst. III 88 - 181 ist denn auch in jeder Hinsicht vorbildlich. Alle Abweichungen der erreichbaren Textfassungen werden hinreichend berücksichtigt und im kritischen Apparat verglichen. Die Fehler des Veroneser Kopisten sind nach dem heutigen Stand der Forschung "ausgemerzt", der Text daher soweit möglich bereinigt. Soweit die Florentiner Bruchstücke eine Parallelüberlieferung bieten, wird diese dem am Veroneser Codex orientierten Text, in einer parallelen Spalte gegenübergestellt, wobei die schon erwähnte Stelle G. Inst. III 154 a/b (F) ins Auge sticht. Es geht darum, daß die societas der Klassik (eine reine Innengesellschaft) auf ius gentium beruht, somit also auch Menschen ohne römisches Bürgerrecht offen gestanden hat. Nur die Handschrift F enthält darüber hinaus die Feststellung, daß es früher noch eine originäre societas des ius civile gegeben hat, die in zwei Formen vorkam. Zum einen in Form der bereits genannten societas ercta non cito (vergleichbar einer ungeteilten Erbengemeinschaft), zum anderen in einer Form prätorischen Rechts aufgrund Gewährung einer legis actio als den ältesten aktionenrechtlichen Handlungsformen. Grammatisch deutet viel darauf hin, daß die Verbindung der Partikel "quidem...autem" die ursprünglichere gewesen sein muß, die später einer Streichung zum Opfer fiel, die aber zu keinem inhaltlichen Argumentationsbruch geführt hat. Ein Umstand, der zahlreiche Interpolationen auszeichnet. Die Kommentierung (S. 321 ff) ist hier wie auch sonst vorbildlich und läßt kaum eine Frage offen, zumal es sich hier quasi um eine "Archäologie" des europäischen Gesellschaftsrechts handelt, die für das Verständnis der Genese der nur rudimentär entwickelten organisationsrechtlichen Rechtsformen des römischen Rechts von hoher Bedeutung ist. Ohnehin weckt der Gaius-Text deutliche Erinnerungen an geltende Rechtsregeln "...si modo opera eius tam pretiosa uideatur, ut aequum sit eum cum hac pactione in societam admitti..." (G. Inst. III 149), beherrscht noch heute die Auslegung zu § 706 BGB, da der Beitrag des Gesellschaft auch in Einbringung seiner Arbeitskraft liegen kann. "Soluitur adhuc societas etiam morte socii, quia societam contrahit, certam personam sibi eligit" (G. Inst. III 152), bildet heute noch den Inhalt des ersten Satzteiles von § 727 Abs.1 BGB, dessen zweiter Satzteil aus "nisi si in coeunda societate aliter convenerit" der justianischen Instititutionen (3.25.5) gebildet worden ist. Die bei Gaius breit erörterte Frage der gerechten Gewinn- und Verlustverteilung hingegen ist heute eine Frage der Sittenwidrigkeit der Vertragsgestaltung, wonach eine - von Gaius gar nicht erst erörterte - "societas leonina" (einer nimmt den Gewinn, der andere trägt den Verlust) nach wie vor deutlich rechtswidrig ist. Die wenigen Beispiele zeigen, wie deutlich die §§ 705 ff BGB - von der Einbeziehung der deutschrechtlichen Gesamthand abgesehen - vom römischen "Gesellschaftsrecht" geprägt sind.

Gaius argumentiert zwar öfters mit dem ius gentium, ohne dieses jedoch begrifflich schärfer zu fassen. Dabei bietet sich die von den Kommentatoren herangezogene Parallelstelle D. 41.1.1 pr. geradezu an. Dort wird das ius gentium als geltend, "quod ratione naturali inter omnes homines peraque seruatur" bezeichnet. Eine der wenigen Stellen, die auf die Konstruktion des Rechts als einem rationalem Vernunftrecht verweisen. Den Kommentatoren ist zuzustimmen, daß ein solcher Argumentationstopos auf die philosophische Schule des Zenon (Stoa) verweisen dürfte. Nichtsdestoweniger finden sich derartige Konstruktionen aber auch im epikureischen Denken und in vorsokratischem Gedankengut, soweit es uns über die Schriften des Platon und des Aristoteles, einiger weniger eigenständiger Fragmente und anderer Überlieferungen vertraut ist (sehr lehrreich: Gadamer, H.-G., Der Anfang der Philosophie, 1996). Der Schluß ist, wie die Autoren deutlich zeigen, aber keineswegs zwingend, da aufgrund des (auch geschäftlichen) Kontaktes mit Nichtrömern unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspraxis bestanden, Rechtsformen für die Kooperation (etwa im Seehandel, beispielsweise bei der Absicherung von Risiken von Schiffsverlusten) zu finden, für den die societas sich geradezu anbot, zumal es keine Parallelstelle bei Gaius gibt, der auf eine vertiefte rechtsphilosophische Reflexion des Rechts hindeutet. Derartige Betrachtungen wurden weit eher von (meist hellenischen) Philosophen aufgenommen, die das Recht philosophisch reflektiert haben, ohne Juristen zu sein. Der "Juristenphilosoph" war der römischen Jurisprudenz fremd, was philosophische Einflüsse aufgrund der kommunikativen Einbindung in den Hintergrund einer intersubjektiv geteilten Lebenswelt aber nicht ausschließt. Die "Rechtsphilosophie" hingegen ist deutlich eine "Teildisziplin" der philosophischen Ethik aller Schulen (s. nur Brown, P., Macht und Rhetorik in der Spätantike,1993). Die Folgerung liegt nahe, daß es sich bestenfalls um "Versatzstücke" zur Ausschmückung der Argumentation gehandelt hat, die bestenfalls philosophisch inspiriert waren und bestenfalls auf das intersubjektiv geteilte Weltbild des Autors verweisen, dessen akademisch geprägte Lebenswelt an einer Akademie (parallel zu gleichfalls vorhandenen philosophischen Akademien) allerdings deutlich von stoischen Einflüssen geprägt worden sein dürfte. Philologisch zwingende "Beweise" dürften sich in diesem Bereich kaum erbringen lassen. Der rechtsphilosophische Gehalt des juristischen Diskurs der römischen Antike ist von der Philosophie aus zu rekonstruieren, nicht von der Jurisprudenz her und stellt sich als komplexer Transformationsprozeß dar, dessen Umarbeitungsprozesse jenseits einfacher Umsetzungen durch "Rezeption" philosophischer Texte durch Juristen liegen.

Wie an diesem Beispiel gezeigt werden sollte, greift die Kommentierung die Probleme des Textes unter allen Aspekten auf. Unter Rückgriff auch auf "außerjuristische" Texte der Antike und natürlich auch den vulgarrechtlichen Paraphrasen des Gaius-Textes, sowie unter Auswertung aller verfügbaren einschlägigen Literatur. Hochinteressant sind auch die sieben Exkurse, deren erster einen systematischen Versuch der Reflexion über den Terminus "contractus" enthält, dessen Sprachpragmatik keineswegs einheitlich zu nennen ist. Einbegriffen ist eine schöne Exegese zu D. 2.14.7 pr. 2 (Ulp. 4 ad. ed.), in der sich der prägende Rechtssatz des "debi tibi rem, ut mihi aliam dares" findet (kurz: do ut des), in der Ulpian gleich vier klassische Juristen zitiert, jedoch die Bezeichnung contractus für zweiseitig verpflichtende Verträge in Form eines Synallagmas (ein Begriff der auch im Original altgriechisch ist) mangels unmittelbarer Klagbarkeit nach dem prätorischen Edikt nicht verwenden will. Ein heftiger Juristenstreit war darum entbrannt, ob es notwendig sei, den riskanten Weg der actio in factum zu beschreiten oder aber, ob es möglich sei nach der ciulis incerti actio praescriptis uerbis zu klagen. Erst in nachklassischer Zeit vereinigte sich die Semantik von contractus und Synallagma, dessen rechtliche Funktion und Semantik sich mangels eingehender Erforschbarkeit des altgriechischen Rechtes nicht recht klären lassen will. Wird römisches Recht an den deutschen Fakultäten glücklicherweise noch betrieben, sind Veranstaltungen zum griechischen Recht mehr als eine Rarität. Jedenfalls aber handelte es sich um einen klagbaren Schuldvertrag kraft Übereinkunft. Für die justianischen Juristen war die Wortbedeutung jedenfalls erheblich weiter, als noch für Gaius. Der betreffende Exkurs könnte auch als "Aufklärungen über die Grundlagen des europäischen Vertragsrechts" überschrieben werden. Lehrreich ist auch der Exkurs II zur stipulatio. Er zeigt insbesondere wie die römische Rechtspraxis mit der Ausdehnung des römisches Reiches auch Eingang in die hellenistische Rechtspraxis gefunden hat und die Trennlinie zwischen den Kulturen sich immer weiter aufgehoben hat. Eingehende Beachtung verdient auch der Exkurs III zur Sesterzenberechnung bei Gaius. Geradezu bahnbrechend ist der Exkurs IV zum römischen Hausbuch als einer Urgeschichte der Buchhaltung, dem ein interessanter Exkurs zur antiken Urkundenpraxis folgt. Überhaupt fällt an diesem Kommentar äußerst positiv auf, das stets der - rechtsvergleichende - Seitenblick auf hellenistische Rechtsentwicklungen gewagt wird, soweit deren Diskurse überhaupt rekonstruierbar sind, da die Überlieferungslage noch schlechter ist, als bei den römischen Rechtstexten, da es eine spezifische hellenische Jurisprudenz nur in Ansätzen gegeben hat. Einen Höhepunkt, der auch philosophische Entwicklungen der Antike aufnimmt, stellt auch Exkurs VI dar, der das Verhältnis von Kauf und Tausch reflektiert und damit auch notwendig auf die Wirtschaftsverhältnisse der Antike eingeht und eine "Theorie des Geldes" in der Antike wenigstens ansatzweise entwirft.

Es ist die Aufgabe eines Kommentars "das schließlich zu sagen, was dort schon verschwiegen artikuliert war" (Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 1970, 1996, S. 19). Jeder Kommentar steht unter der - uneinlösbaren - Voraussetzung der "Textvollendung". Die Texte der Antike "sagen" sich nicht selbst. Sie müssen exegetisch zum Sprechen gebracht werden. Dies gelingt diesem Kommentar in einer Weise, die auch für den "modernen" Juristen höchst anregend ist, wenn er sich denn nur für die rechtsgeschichtlichen Grundlagen seines juristischen "Daseins" interessiert. Die ausgezeichnete Veröffentlichung der beiden international anerkannten Experten auf dem Gebiet der Gaius-Forschung verdient höchste Beachtung und Anerkennung. Auch wenn es angesichts des Forschungsaufwandes noch Jahre dauern wird, bis ein vollständiger Instititutionenkommentar vorliegt, ist nur zu wünschen, daß diese hervorragende Arbeit mit der angekündigten Kommentierung von. G. Inst. III 182 - 225 bald fortgesetzt wird, auch wenn die Autoren angesichts des Arbeitsaufwandes verständlicherweise keine terminlichen Zusagen abgeben können.



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