Ralf Hansen
Materialien zu einer politischen Justizgeschichte der Bundesrepublik
Deutschland (I):
Heinrich Hannover
Die Republik vor Gericht
1954 - 1974
Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwaltes
2. Aufl., Berlin, 1998: Aufbau-Verlag, 495 S., DM 49,80,-
ISBN 3-351-02480-0
http://www.aufbau-verlag.de
http://www.kiepenheuer.de
§
I.
Anwaltserinnerungen sind eine eigene Literaturgattung. Sie wird in Deutschland
relativ wenig gepflegt. Wenn, versinkt sie meist in Nostalgie, obwohl die
Lebenserfahrungen insbesondere der Kriegsgeneration wenig Anlaß zur
unbelasteten nostalgischen Reflexion bieten dürften. Heinrich Hannover
allerdings hat - erwartungsgemäß - keinen nostalgischen Rückblick
dieser Art niedergeschrieben. Aus seiner langen - über vierzigjährigen- Anwaltstätigkeit hat er Fälle ausgewählt, die Bruchstücke
zu einer politischen Justizgeschichte der Bundesrepublik Deutschland darstellen.
Dieser Ansatz erklärt sich aus dem politischen Bezug, der meisten
von ihm wahrgenommenen Mandate, die wohl kein Anwalt wahrnimmt, der die
Bequemlichkeit liebt. Mit seinen Erinnerungen (in zwei Bänden) ist
Hannover eine der bemerkenswertesten justizkritischen Veröffentlichungen
der letzten Jahre gelungen, die nicht ohne Grund zum „Seller“ geworden
sind, nachdem ein zweiter Teil die Jahre 1975 - 1995 behandelt (s. Materialien
zu einer politischen Justizgeschichte der Bundesrepublik Deutschland II,
unter http://www.jurawelt.de/literatur). Dennoch ist es nur eine Auswahl.
So mancher spektakuläre Fall mußte außen vor bleiben,
zumal auch private Belange betroffenener Mandanten zu beachten waren. Heinrich
Hannover hat seine Anwaltstätigkeit, nicht zuletzt aus gesundheitlichen
Gründen, auch angesichts der hohen Belastungen durch die von ihm wahrgenommenen
Mandate in „Großverfahren“, 1995 beendet und vollendet in diesem
Jahr am 31.10.2000 sein 75. Lebensjahr. Die von ihm begründete Kanzlei
besteht indessen weiter. In der düsteren Phase der Justizentwicklung
der 50er Jahre, die von der Pflege ungebrochener antidemokratischer Traditionen
geprägt war, die bis in die antiliberale preußisch-wilhelmische
„Justizpflege“ zurückgingen (so jetzt auch M. Stolleis, Furchtbare
Juristen, SZ v. 25./26.03.2000, Beilage) war die Akzeptanz einer bürgerrechtsorientierten
Verteidigungsstrategie gering. An die Strafverteidigerkultur der 20er Jahre
Anschluß zu finden, für die etwa Namen wie Paul Levi, Alfred
Apfel, Max Alsberg, Hans Litten und Kurt Rosenfeld stehen, und die vom
rechtsstaatlichen Widerstand gegen einen antidemokratischen Justizapparat
geprägt war, gelang erst nach „1968“. Dieses Datum markiert eine diskontiutive
Schwelle, der die neurechte Negation das Datum „1989“ entgegenzustellen
versucht, um eine differenzierte Betrachtung auch vom „68“ auszulöschen.
Nicht zuletzt der damalige „Protest“ hat Veränderungen der Bürgerrechtskultur
geradezu erzwungen, obgleich die Bewertung aus der Distanz von über
30 Jahren nicht in jeder Hinsicht positiv ausfällt. Auch für
eine derartige „Aufarbeitung“ bieten die beiden Bände hinreichend
Material. Hannover formuliert treffend: „Wie sehr die antiautoritäre
Jugendbewegung der sechziger Jahre - meist als Studentenbewegung bezeichnet- die Gesellschaft verändert hat, kann man sich nur bewußt machen,
wenn man weiß, wie es vorher war“. Doch mehr als 30 Jahre nach „68“
scheint der kritische Stachel weithin einer zweifelhaften postmodernen
Beliebigkeit zu weichen, in der emanzipatives politischen Handeln sich
in Gleichgültigkeit gegenüber der „res publica“ aufzulösen
beginnt. Es handelt sich bei diesem Text keineswegs um „Memoiren“, sondern
um eine Aufarbeitung der jüngeren Justizvergangenheit in pragmatischer
Absicht mit festem Blick auf eine bürgerrechtsorientierte Zukunft
für eine Generation, die den Faden einer Bürgerrechtspraxis in
kritischer Absicht wieder aufnehmen will, ohne die „revolutionstheoretischen“
Fehler der APO (= Außerparlamentarische Opposition) zu wiederholen.
Kein Grund aber besteht, die APO außerhalb der Kritik zu stellen
oder gar mytisch zu verklären.
Heinrich Hannover wurde im Verlauf seiner Tätigkeit mit zahlreichen
„freundlichen“ Attributen belegt: „Kommunistenanwalt“, „APO-Anwalt“; „RAF-Anwalt“
(in dieser Reihenfolge). In Deutschland besteht nicht erst seit dem Niederringen
der „1848er - Revolution“ durch die preußische Restauration, die
Tendenz Rechtsanwälte mit ihren Mandaten völlig zu identifizieren,
obwohl das deutsche Standesrecht dies keineswegs nahelegt, zumal der Strafverteidiger
nur „Beistand“ des Mandanten ist, nicht sein Rechtsvertreter, wie bei zivilrechtlichen
Mandaten. Ein Verdikt aus Kreisen der „Neuen Rechten“, gegen das sich der
amtierende Bundesinnenminister Dr. Otto Schily immer wieder wehren muß,
der in den 70ger Jahren in „Stammheim“ ebenfalls verteidigt hat und dessen
anwaltlicher Berufsweg sich wiederholt mit dem Heinrich Hannovers gekreuzt
hat (s. auch Heinrich Hannover, Terroristenprozesse, Hamburg, 1991). Die
Erinnerungen sind ein Streifzug durch die politische Justizgeschichte der
Bundesrepublik Deutschland, entlang den Bruchlinien ihrer politischen Legitimität.
Nicht zuletzt im Gerichtssaal fokussiert sich das soziale Leben eines Staates
in „pathologischer Form“. Deshalb wohl auch der etwas „reißerische“,
aber kaum „irreführende“ Titel, „Die Republik vor Gericht“ (anders
aber I. Müller, KJ 2000, 644). Auch Gegner sollten diesem couragierten
Anwalt ihren Respekt nicht versagen, auch wenn es in einer von Diffamierungen
nur zu geprägten politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland
dazu kaum reichen wird. Die fachliche Qualifikation dürfte allerdings
außer Zweifel stehen. Als Verteidiger ist Hannover geradezu eine
„lebende Legende“. Der bekannte Kinderbuch - Autor Heinrich Hannover ist
übrigens mit dem Rechtsanwalt identisch - jeder braucht seine kleinen
Fluchten, um die Realität zu verarbeiten. Es ist im übrigen,
etwa angesichts seitens der gegenwärtigen CDU/CSU-Opposition geplanter
„großer Videoangriffe“ gerade HEUTE der geeignete Zeitpunkt, die
Perspektive der Bürgerrechte fest im Auge zu behalten. Insbesondere
für das Recht auf Opposition und die Kommunikationsgrundrechte hat
sich Hannover immer wieder energisch eingesetzt. Die bürgerrechtsorientierte
Praxis, der nicht zuletzt durch Heinrich Hannover maßgeblich mitgeschaffenen
Verteidigerkultur, ist von den „Nachgeborenen“ kritisch aufzunehmen, um
das rechtsstaatliche Potential der „Bonner Republik“ in eine rechtsstaatliche
Zukunft der „Berliner Republik“ zu perpetuieren, denn tatsächlich
markieren die deutsche Vereinigung und der Zerfall der Staaten des „realexistierenden
Sozialismus“ eine diskontinuitive Schwelle. Angesichts seiner nicht eben
positiven Erfahrungen mit der bundesdeutschen Justiz der Nachkriegszeit
geizt Heinrich Hannover nicht mit dem Begriff der „Politischen Justiz“
(eingehend dazu der immer noch lesenswerte „Klassiker“ von Otto Kirchheimer,
Politische Justiz, dt., 1965, 1981; inzwischen wieder als Fischer TB verfügbar)
und greift mitunter sogar zum dem recht ungenauen Begriff „Klassenjustiz“,
um manch merkwürdige Entscheidung auch (rechts-) politisch zu (dis-)
qualifizieren, was ihm auch klar ist: „In Zeiten der Studentenbewegung
nannte man diese Ungleichheit der Rechtsanwendung >Klassenjustiz< -
etwas ungenau, aber traditionsbewußt“. Die politische Justiz der
Weimarer Republik hat er übrigens gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth
Hannover-Drück eingehend in einer heute noch lesenswerten rechtshistorischen
Analyse untersucht (Hannover/Hannover, Politische Justiz 1918-1933, Fischer,
1966; Neuauflage, Lamuv-Verlag, 1987). „Linke“ und „liberale“ Anwälte
hatten in der Frühzeit dieser Republik erhebliche Probleme sich im
Justizalltag mit Beweisanträgen durchzusetzen. Nicht wenige der Strafverteidiger,
die aus dem Aufbruch der Strafverteidigerbewegung in den 70er Jahren hervorgegangen
sind, sind heute anerkannte Vertreter ihrer „Zunft“ und mitunter sogar
sog. „Prominentenanwälte“ (was immer das sein mag). Auch dies spricht
für eine anhaltende „Normalisierung“. Diese Strafverteidigerbewegung,
die sich nicht zuletzt im Gründungsakt des „Republikanischen Anwaltsvereins“
(http://www.rav.de; s. auch http://www.vdj.de), dessen Gründungsmitglied
Heinrich Hannover war, manifestiert hat, hat heute durchaus eine auch rechtspolitisch
beachtliche Stimme, wie etwa der letzte Strafverteidigerkongreß in
Würzburg gezeigt hat, der unter anderem den aktuellen Plänen
des Bundesjustizministeriums für eine erneute „Reform“ der StPO eine
deutliche Absage erteilt hat.
II.
Diese Biographie wurde Heinrich Hannover nicht in die Wiege gelegt.
Aus liberalkonservativ-bürgerlichem Elternhaus stammend (Vater: Chefarzt;
Mutter: Lehrerin) schien vieles auf eine „Durchschnittsbiographie“ zu deuten.
Heinrich Hannover stammt aus Anklam in Pommern und wurde dort 1925 geboren.
In dem Einleitungskapitel, dessen Titel bereits deutliche Distanz ausdrückt
(Noli me tangere: Eine Jugend in Deutschland: 1925 -1954), berichtet er
über seine persönlichen Erfahrungen während der Zeit des
Nationalsozialismus und beschönigt nichts, wo es in Deutschland wenig
zu beschönigen gab. Die Parole „Wo Recht zum Unrecht wird, wird Widerstand
zur Pflicht“ war sicherlich nicht der Leittopos der großen Mehrheit
der Bevölkerung, die für Recht hielt, was immer auch durch den
„Führer“ gesetzt wurde, der ja bekanntlich das Recht „schützte“,
wie Carl Schmitt es 1933 in seinem „großen Kotau“ vor dem „GRÖFAZ“
ausgedrückt hatte („Der Führer schützt das Recht“, DJZ 1934,
945). Sehr genau schildert Hannover das Klima des Antikommunismus - das
eben stets nicht nur „Kommunisten“ unter Verdikt stellte - in dem er aufgewachsen
ist und das nicht zuletzt ermöglicht hatte, den deutschen Faschismus
zu verharmlosen, bis es zu spät war. Tucholskys berühmter Satz
“Sage nicht, das man es nicht habe wissen können“ hat sich im Nachhinein
schaurig bewahrheitet. Das geringe demokratische Potential der „Republik
von Weimar“ ist zwischen den Fronten des Antidemokratismus zerrieben worden,
dessen kommunistischen Anteil Heinrich Hannover - wenn auch aus seiner
Sicht verständlich - etwas unterbewertet, der aber für die Entwicklung
der KPD der 20er Jahre keinesfalls mit der Entwicklung der NSDAP gleichgesetzt
werden kann (eingehend, H. Weber, Die Wandlungen des Kommunismus, Ffm.,
1967). Widerstand, wo er nicht gänzlich sinnlos war, beschränkte
sich auf Ausnahmen, von denen allerdings der kommunistische und sozialdemokratische
Widerstand, der am Ideal des Massenwiderstandes zunächst auch nach
der „Gleichschaltung“ festhielt, in der Frühphase sicher der Tatkräftigste
war (s. Barbara Beuys, Vergeßt und nicht. Menschen im Widerstand.
1933-1945, Reinbek, 1987), aber angesichts des hohen Blutzolls an der Funktionsfähigkeit
der Instititutionen der Nazidiktatur scheiterte. “Soldat zu sein und das
Vaterland zu verteidigen, schien uns das Höchste“ (Bd. I, S.16). Die
Nationalsozialisten waren die erste Bewegung, die Massenmedien systematisch
zur Indoktrinierung insbesondere der Jugend eingesetzt haben, wie etwa
das von Hannover genannte Beispiel des Filmes „Hitler-Junge-Quex“ zeigt,
dessen „Erziehungsgehalt“ die Seelen von Hunderttausenden Kindern in dieser
Zeit ideologisch verpestet hat. Bereits im Alter von acht Jahren kam die
Ernüchterung in Gestalt des Eintritts in die HJ („Hitler-Jugend“):
„Das kollektive Gehampel auf dem Exerzierplatz, wie überhaupt das
erzwungene Gemeinschaftsleben in Lagern, Heimen und Kasernen, war nicht
meine Sache; ich habe Hitler-Jugend und später Reichsarbeitsdienst
und Wehrmacht als deprimierenden Einbruch in die Privatheit meines Lebens
empfunden, noch nach Jahrzehnten in Alpträumen wieder auftauchend“
(S.16). Totalitärer Kollektivismus ist der Alptraum und das furchtbare
Gegenbild des neuzeitlichen Individualismus, ihm als „Fluch“ geradezu „fundamentalistisch´“
einbeschrieben, wie Hannah Arendt gezeigt hat (Elemente und Ursprünge
totalitärer Herrschaft, 1955). Der Kollektivismus auch der praktizierten
kommunistischen Ideologie (s. nur Marcuse, H., Die Gesellschaftslehre des
sowjetischen Marxismus, 1957) war allerdings kaum dazu angetan, sich für
einen Schutz der Privatheit zu empfehlen. Die bürgerlichen Parteien
lieferten in der letzten „demokratischen Abstimmung“ im Reichstag über
das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24.03.1933 die „Weimarer Republik“ den
Braunhemden vollends aus (abgedruckt bei Kühnl, Der deutsche Faschismus
in Quellen und Dokumenten, 6. Aufl., Köln, 1987, III. 104; Münch- Hrsg. -., Gesetze des NS-Staates, Paderborn, 1994, S.22; Hirsch/Majer/Meinck,
Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus, 2. Aufl., Baden-Baden,1997,
S. 92), nachdem KPD und KPO bereits zerschlagen und ihre Abgeordneten ermordet
oder interniert worden waren, sofern ihnen nicht die Flucht gelang. Nur
die SPD stimmte nach der letzten „freien Rede“ ihres damaligen Parteivorsitzenden
Otto Wels gegen dieses Gesetz und wurde wenig später selbst verboten
(eingehend, Kühnl, Die Weimarer Republik, Reinbek, 1987).
Eigentlich wollte Heinrich Hannover Förster werden, was 1942 nur
als Mitglied der NSDAP möglich war, weshalb er ohne Begeisterung mit
17 Jahren in diese Partei eintrat, was ihm noch bei einer Verteidigung
in „Stammheim“ vorgehalten werden sollte. Allerdings war die eingehende
Lektüre von Goethe, Schiller, Lessing, Karl May und Graf Luckner durchaus
dazu angetan im letzten Freiraum des Privaten eine innere Distanz zu einem
System zu schaffen, das den öffentlichen Raum „total“ ergriffen hatte
und die „Geschichte des privaten Lebens“ als Bewegung der „deutschen Revolution“
völlig umzugestalten in Anspruch nahm, um jede Form von >Humanität<
auszulöschen. Orwell hat in „1984“ eine furchtbare negative Utopie
entworfen, wie noch der letzte Bereich privater Lebensgestaltung von der
politischen Machstruktur ergriffen wird. Es bedarf keiner großen
Phantasie, sich auszumalen, wie eine totalitäre Herrschaftsstruktur
aussehen würde, die über die gegenwärtige Überwachungstechnik
politisch und rechtlich schrankenlos verfügen könnte. Statt in
den Forst ging es aber erst zum Reichsarbeitsdienst und dann in den Kriegsdienst,
bei einer Wehrmacht, die nachweislich vor völkerrechtswidrigen Kriegsverbrechen
schlimmster Art nicht zurückscheute - entgegen allen mythischen Verklärungen
reiner „soldatischer Pflichterfüllung“: „Schlimmer als die Erinnerungen
an das eigentliche Kriegsgeschehen verfolgen mich die an das militärische
Zwangssystem, diesen erzwungenen Verzicht auf Individualität und persönliche
Freiheit, der auch die Grundlage des KZ-Systems bildete. Diese Assoziation
taucht immer wieder auf, wenn ich Erlebnisberichte aus den Konzentrationslagern
lese. Ich weiß, das ich das wirkliche KZ nicht überlebt hätte“.
Hannover schildert nur wenige Kriegserlebnisse, die aber zeigen, wie tief
ihn diese Kriegserfahrung geprägt und zum überzeugten Pazifisten
gemacht hat: „Wir jungen Kriegsheimkehrer von 1945 waren die Generation,
mit der sich künftig kein Krieg mehr machen ließ. So sah ich
es damals. Und ich gehöre zu denen, die auch bei dieser Haltung geblieben
sind“ (S.31). Diese Haltung, die im kurzen, aber schwerwiegenden Kosovo-Krieg
bei vielen Menschen mit ähnlichem biographischem Hintergrund wieder
ins Bewußtsein getreten ist, sollte auch respektieren, wer unter
dem Eindruck neuer autoritärer, politischer Zwangsherrschaften, die
„humanitäre militärische Intervention“ als allerletztes Mittel
unter strikter Wahrung des völkerrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
für die letzte Möglichkeit der Unterbindung fundamentaler Menschenrechtsverletzungen
in einer Pflichtenkollison hält, was im „Kosovo-Krieg“ aber eindeutig
nicht der Fall war. Kriege wieder „hoffähig“ zu machen, besteht keinerlei
Anlaß - sie zu ächten angesichts des völkerrechtlichen
Gewaltverbotes schon.
Stunde Null - Am Nullpunkt des Lebens - „Draußen vor der Tür“.
Nach kurzer Kriegsgefangenschaft von US-amerikanischen Truppen in die Freiheit
entlassen, erfährt er vom Freitod seiner Eltern, die sich aus Furcht
vor Repressalien der russischen Besatzer, nach Denunziation durch einen
früheren „Freund“ und Enteignung ihres Vermögens das Leben nahmen.
Der Versuch die Enteignung des (Grund-) Vermögens der Eltern rückgängig
zu machen, wurde das erste voranwaltliche Mandat. Der Versuch scheiterte
und führte zur Berufswahl: Jurastudium mit dem Ziel der Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft - von Anfang an. Studium in Göttingen, Referendariat
in Bremen, 1954 Niederlassung als Einzelanwalt in der Nähe des Bremer
Marktplatzes, zunächst unter anderem Wahrnehmung zivilrechtlicher
Mandate für den Bremischen Haus- und Grundbesitzerverein.. Dann die
erste Pflichtverteidigung, die zur Reflexion auf die „strukturelle Koppelung“
von Recht und Politik führte und zur Auffassung, daß das Recht
ein Machtinstrument der jeweils Herrschenden ist, das zu politischen Zweck
mißbraucht werden kann, und einen ständigen Kampf um das Recht,
zur Herstellung materieller Gerechtigkeit erfordert. Das gesellschaftstheoretische
Modell, daß hinter diese Annahme durchscheint, ist sicherlich nicht
völlig geeignet die soziale Komplexität der Transformationsprozesse
zwischen Recht und Macht angemessen zu analysieren, aber darum geht es
nicht. Die Lektüre dieser beiden Bücher ist nicht zuletzt auch
deshalb selbst dann anregend, wenn der Leser manches anders sieht und den
Text damit erst regelrecht herstellt, wie die neostrukturalistischen Literaturtheoretiker
dies nennen würden. Jedenfalls eröffnen die geschilderten Fälle
eine kritische Reflexion auf die politische Justizgeschichte der Bundesrepublik
Deutschland - auch in ihrer Konfrontation mit dem anderen Deutschland,
das den Begriff „Sozialismus“ zum Schimpfwort verkommen ließ, das
aber leider von Hannover nicht mit der kritischen Intensität betrachtet
wird, die von einem derartig kritischen und unabhängigen Geist zu
erwarten wären, auch wenn er Mißstände durchaus eingesteht.
§
III.
Eines der ersten Mandate des jungen Bremer Anwaltes war die Pflichtverteidigung
eines organisierten Kommunisten, also eines Mitgliedes der KPD, die damals
(1954) noch nicht verboten war, deren Verbot sich aber deutlich anbahnte
(zu den Verfahren gegen Kommunisten s. insbesondere Gössner, R., Die
vergessenen Justizopfer des kalten Krieges). Es ging um die Folgen einer
Demonstration gegen Arbeitslosigkeit, ein Thema, das auch zu dieser Zeit
noch oder schon wieder aktuell war und in der Bundesrepublik Deutschland
bis heute aktuell geblieben ist. Nach planmäßiger Auflösung
der Demonstration, die sich auf Zuteilung einer existenziell relevanten
Beihilfe in Form von Kohlen- und Kartoffelgeld richtete, wurde die Bremer
„Bischofsnadel“ von übereifrigen Polizisten gesperrt. Es kam zu einem
Handgemenge, in dem die Polizisten einen bestimmten Demonstrationsteilnehmer
festnehmen wollten, jedoch von anderen Passanten vermeintlich daran gehindert
wurden. Tatsächlich lagen Zeugenaussagen vor, das der spätere
Angeklagte von den Polizisten geschlagen worden war, der bei dieser Handlung
fast die ganze Sehkraft eines Auges eingebüßt hatte. Die benannten
Zeugen wurde ausgeschaltet, indem ihnen Teilnahme an einer „öffentlichen
Zusammenrottung“, eine Tatbestandsvoraussetzung des Landfriedensbruches,
§ 125 StGB a.F., vorgeworfen wurde. Die juristischen Zusammenhänge
werden für nichtjuristische Leser übrigens in einem ganz ausgezeichneten
Glossar eingehend erklärt. Keineswegs richtet sich dieses Buch nur
an Juristen, was angesichts der politischen Brisanz der Fälle auch
zu begrüßen ist. Recht geht nicht nur Juristen an. Es ist aber
gerade auch für angehende Juristen äußerst lehrreich. Der
zeithistorische Hintergrund wird für insbesondere für jüngere
Leser entsprechend erklärt und dies in einer leicht verständlichen,
höchst spannenden Erzähldramatik, die der Kultur einer qualifizierten,
kritischen Prozeßberichterstattung verpflichtet ist.
Entlastende Zeugenaussagen wurden in der Beweiswürdigung mit einem
Satz abgetan, der Angeklagte zu zwei Monaten Haftstrafe ohne Bewährung
verurteilt, die später auf dem Gnadenweg in eine Bewährungsstrafe
umgewandelt wurde. Eine eingelegte Revision wurde seitens des BGH als offensichtlich
unbegründet zurückgewiesen, obwohl die Rechtsfehler auf der Hand
lagen. Da Hannover am zweiten Verhandlungstag auch noch die Verteidigung
von fünf anderen Angeklagten übernommen hatte (was bis in die
siebziger Jahre hinein noch strafprozessual zulässig war), die freigesprochen
worden waren, wurde ihm bald der Stempel eines „Kommunistenverteidigers“
aufgedrückt, der die aussichtsreichen Mandate aus der Bremer Bürgerschaft
zunichte machte. Allerdings war die Beteiligung von Kommunisten in den
westlichen Demokratien stets von der Restriktion gekennzeichnet, daß
sie im „kapitalistischen Westen“ Bürgerrechte wenigstens einfordern
konnten, die ihnen in der Verfassungswirklichkeit der Staaten des „real
existierenden Sozialismus“ strikt verwehrt wurden. Von diesem Widerspruch
ist nicht zuletzt auch dieser Band gekennzeichnet, in dessen Ausführungen
Sympathien für einen kritischen Marxismus jenseits „realsozialistischer“
Orthodoxie deutlich durchscheinen, der aber gegenüber dem Unrecht
durch die kommunistische Parteidiktatur eigentlich indifferent bleibt,
was der Lektüre aber nichts von ihrer bürgerrechtlichen Brisanz
nimmt. Die Weiche war mit diesem ersten Strafprozeß gestellt: zum
„Anwalt der kleinen Leute, der politisch oder religiös verfemten Minderheiten,
der gegen das kapitalistische System und neue Einmischung in Krieg und
Völkermord aufbegehrenden Generation“, eine „Aufgabe, die ich dann
mit zunehmender innerer Begeisterung wahrgenommen habe“.
IV.
1959/60 verteidigte Hannover in seinem ersten „Großverfahren“,
dem sog. „Düsseldorfer Friedenskomittee - Prozeß“, der sich
über 56 Prozeßtage hinzog und international erhebliches Aufsehen
erregte. Den Angeklagten wurde „Rädelsführerschaft“ in einer
verfassungsfeindlichen Organisation (§ 90 a StGB a.F.), Bildung einer
kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB a.F.) und Bildung eines Geheimbundes
(§ 128 StGB a.F.) vorgeworfen, dessen Druckschriften ironischerweise
allerdings öffentlich zugänglich waren und teilweise noch sind.
Scheinbar pflegten und pflegen sich Geheimdienste nicht zuletzt aus öffentlichen
Quellen zu unterrichten. Die Angeklagten waren sämtlich Mitglied dieser
berechtigt um den Weltfrieden besorgten pazifistischen Vereinigung, der
neben Christen und Sozialdemokraten allerdings auch Kommunisten angehörten
und dies brachte diese Vereinigung in das Blickfeld der um der um den Bestand
der verfassungsmäßigen Ordnung besorgten staatsanwaltlichen
Ermittler, die hinter der „Tarnung“ Aktionen für eine „kommunistische
Weltrevolution“ aufgespürt zu haben glaubten, die dann ja bekanntlich
ausgeblieben ist (eine parallele Darstellung dieses Prozesses stammt aus
der Feder eines anderen Mitverteidigers, Diether Posser, Anwalt im kalten
Krieg. Deutsche Geschichte in politischen Prozessen 1951 - 1968, 3. Aufl.,
1999). Nun muß man wissen, daß die Nachkriegszeit nicht nur
durch den „Cold - War“ geprägt war, sondern der harten Phase dieses
bipolaren Entwicklungsprozesses ein Morgengrauen vorausging, das immerhin
die Implementation der UN-Charta ermöglicht hatte, deren zentrales
Anliegen die endgültige Ächtung des Krieges (Kimminich, Einführung
in das Völkerrecht, 6. Aufl., 1997, S. 81 - 83; 253 - 305) und die
Herstellung einer Friedensordnung war, die mehr sein sollte, als ein „Nicht-Krieg“
(die komplexen Mechanismen der gegenseitigen „Abschreckung“ wurden mustergültig
analysiert von Dieter Senghaas, Abschreckung und Frieden, Ffm., 1969, 1972,
1987). Diese unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf Regierungsebene
trotz sich abzeichender Systemkonfrontation herrschende Linie insbesondere
auch der USA nach der Administration Truman ging mit der weiteren Eskalation
im Verlauf des Korea - Krieges (dessen Ursachen insbesondere im Westen
mythisch verklärt und teilweise verdreht wurden) und der Suez-Krise
immer mehr verloren. So geriet unter Verdikt, wer nur an Kommunikationsforen
teilnahm, an denen auch Kommunisten beteiligt waren. Eine Entwicklung,
die nach dem Verbot der deutschen KPD 1956 (BVerfGE 5, 85) sich fortsetzte
und zu einem Klima führte, in dem der Meinungsfreiheit als zentralem
Kommunikationsgrundrecht keine wesentliche Funktion zukam, wenn ein „Kommunismusverdacht“
bestand. Antikommunismus zeichnete sich wesentlich durch ein Klima des
Verdachts aus. Die nach innen gewendete Abschreckung ließ keine Differenzierung
in der politischen Urteilsbildung zu. Jede Beteiligung an derartigen Aktionen
führte zu einer Vollidentifikation mit den - allerdings deutlich antidemokratischen- Positionen der KPDSU, einer staatsautoritären Parteidikatur, zumal
der Prozeß in die Phase der deutschen Wiederbewaffnung fiel. Beweisanträge,
die die Fragwürdigkeit der Wiederaufrüstungspläne von Adenauer
und Strauß zum Gegenstand hatten, wurden sämtlich zurückgewiesen,
nachdem die Anklageschrift auch bei einer angesehenen Düsseldorfer
SPD-Stadträtin mit dem inflationären Begriff der „Staatsfeindlichkeit“
nicht gegeizt hatte, obwohl es in erster Linie um die Freiheit der politischen
Bestätigung auf dem Boden des Grundgesetzes ging, das keinen Bürger
darauf verpflichtet, die Linie einer amtierenden Regierung zu teilen, solange
nicht die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ selbst nachhaltig in
Frage gestellt wird, die unterschiedliche Auffassungen über den richtigen
politischen Kurs aushalten können muß und aushalten kann. Im
Nachhinein wird man aus der Distanz des historischen Analytikers sagen
müssen, daß dieser Nachweis nicht geführt worden ist. Zahlreiche
Aussagen von Zeugen aus dem In- und Ausland, die mit Sicherheit keine Kommunisten
waren, etwa des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann,
sowie von Pfarrer Martin Niemöller und Wilhelm Elfes, einem Mitbegründer
der CDU, wurden ignoriert. Dem Urteil des LG Düsseldorf vom 08.04.1960
konnte man derartige Abwägungen nicht entnehmen. Es verurteilte die
Angeklagten wegen Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen
Vereinigung, die vom BGH zwar letztlich abgemildert, aber§ nicht aufgehoben
wurde (BGHSt 17, 344). Heute ist eine grundrechtsfremde Rechtsfindung glücklicherweise
eher in eine Ausnahmeposition geraten, in der bürgerrechtsblinde Entscheidungen
schnell unter Legitimationsdruck geraten können. Der „Stockholmer
Appell“ der Weltfriedensbewegung von März 1950, den fünf Millionen
Menschen unterzeichnet haben und der das absolute Verbot von Atomwaffen
zum Inhalt hatte, ist auch heute noch weit von der Realisierung entfernt,
zumal sich nach Ende des Ost-West-Konfliktes kaum mehr jemand für
die atomare Abrüstung öffentlich interessiert - ungeachtet ihrer
weiter fortbestehenden Gefahren. Auch nach der Ratifikation von START II
durch die Russische Föderation.
V.
Der sehr persönlich gehaltene Text enthält Berichte über
28 Fälle, mit denen der Verfasser betraut worden ist und durch die
ereignisreiche Rechts(-zeit-)geschichte dieser Republik führen. Geht
man die Kapitel einzelnen durch, trifft man auf manchen „Klassiker“ der
Nachkriegsrechtsprechung, ohne das immer recht präsent ist, welcher
Anwalt die Mandate wahrgenommen hat. Einer dieser bahnbrechenden Fälle
ist der Fall Lorenz Knorr, der zeigt wie wenig Bedeutung die Meinungsfreiheit
des Art. 5 Abs.1 GG in der Frühzeit der Republik hinsichtlich der
Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit besessen hat. Der betreffende
Mandant hielt am 22.07.1963 in Solingen eine Rede, bei der namentlich genannte
Generale der deutschen Bundeswehr als Nazi-Generäle „geoutet“ wurden.
Knorr war langjähriges Mitglied der SPD, nach Verabschiedung des „Godesberger
Programms“ aber ausgetreten und Mitbegründer, der „Deutschen Friedensunion“
(DFU), die heute noch existiert, aber bereits früh als „prokommunistisch“
diffamiert wurde. Die Generale Speidel, Foertsch, Heusinger und Admiral
Ruge, sowie der damalige Bundesverteidigungsminister Strauß erstatteten
Strafanzeige wegen Ehrverletzung. Es kam erwartungsgemäß zum
Prozeß. Hannover teilt interessante Fakten über die Prozeßbeteiligten
mit. So war der Ankläger während der Nazi-Zeit Sonderankläger
am Sondergericht in Prag gewesen. Der Vorsitzende Richter war als Sonderankläger
am Sondergericht Wuppertal tätig gewesen. Scheinbar kein Grund an
der Verfassungstreue derartiger Juristen zu zweifeln, die nachher kaum
weniger „furchtbar“ urteilten, wie zuvor, wenn auch auf einer für
ihr autoritäres Denken weniger bekömmlichen Rechtsgrundlage.
Die „Ehre“ der mit der nicht unzutreffenden Bezeichnung „Massenmörder“
bedachten Nazi-Generäle bewertete das LG Wuppertal mit DM 300,- Geldstrafe
für den Angeklagten, ohne den angebotenen Wahrheitsbeweisen nachzugehen.
Die Verletzungen des Haager Kriegsrechts, die in diesem Verfahren in Rede
standen, sind inzwischen historisch belegt. Auch der damalige Angeklagte
gab eine betreffende Dokumentation heraus, die Grundlage der Beweisanträge
wurde. Das Rechtsmittel war erfolgreich. Das OLG Düsseldorf ordnete
die Beweiserhebung an. Doch in der Sache geschah nichts, bis am 05.05.1972
das Verfahren nach § 153 StPO sang- und klanglos eingestellt wurde.
In der Festschrift zum siebzigsten Geburtstag für Lorenz Knorr (1991)
zog Heinrich Hannover in einem noch heute lesenswerten Beitrag mit dem
Titel „Hitlers Generäle und deutsche Richter“ folgendes Fazit: „Es
ist an der Zeit, die Weltbrandstifter von heute und morgen zu benennen.
Eine richtig verstandene freiheitliche Verfassung gibt uns das Recht dazu...“.
Heinrich Hannover hat zahlreiche (Fach-) Beiträge geschrieben, die
aber (in teilweise kaum mehr greifbaren Zeitschriften) derart verstreut
sind, das sie kaum mehr zugänglich sind, aber in Auswahl ihre Wiederveröffentlichung
in einem Sammelband verdient hätten.
VI.
Die von Heinrich Hannover begründete Kanzlei war (und ist) in Kriegsdienstverweigerungsangelegenheiten
eine „erste Adresse“, nachdem 1956 die Wehrpflicht wieder eingeführt
worden war. Die zahlreichen Verfahren vor diversen Verwaltungs- und Strafgerichten,
hätten sicherlich einen eigenen Band verdient. Über einen Fallkomplex
hat Hannover hier berichtet: Die Totalverweigerung der „Zeugen Jehovas“
(früher: „Ernste Bibelforscher“). Eine Glaubensgemeinschaft, die intern
sicher deutlich autoritär strukturiert ist, was diese Glaubensgemeinschaft,
die dem „Kaiser gibt, was des Kaisers ist“ gibt, mangels jeglicher politischen
Ambition aber sicher nicht zu „Feinden der Verfassung“ macht, wie dies
etwa bei der „Scientology Church“ naheliegt, der Ambitionen auf die Erringung
weltlicher Macht wohl kaum abgesprochen werden können. Entsprechend
deutlich ist auch die Distanzierung des Anwaltes, dem aber die konsequente
Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe zutreffend persönlichen
Respekt abgenötigt hat, zumal diese Glaubensgemeinschaft unter der
Nazi-Herrschaft schwer zu leiden hatte und viele Glaubensangehörige
im KZ verloren hat, nicht zuletzt weil sie das „dienen“ nicht lernen wollten.
Sie wurde aber auch in der DDR erheblich diskriminiert. Es mag verwundern,
aber Heinrich Hannover geizt insoweit durchaus nicht mit Kritik am „real
existierenden Sozialismus“ der anderen deutschen Republik, die alles, nur
kein demokratischer Rechtsstaat war, obwohl entsprechende Grundrechte dem
Worte nach in ihrer Verfassung von 1968 verbürgt waren. In derartigen
Prozessen pflegte Hannover auf die „Behandlung“ dieser Glaubensgemeinschaft
im „Dritten Reich“ stets hinzuweisen, deren Verweigerung in der Frühzeit
der Nazidiktatur noch teilweise zum Freispruch führte, bis eine Urteilsanmerkung
von Eduard Dreher (DJW 1935, 1949 f) erschien, der diese „staatsfeindliche
Haltung“ als für den „totalen Staat“ (begriffsprägend, Forsthoff,
Der totale Staat, Habilitation, 1933) als untragbar befand, als Ankläger
am Sondergericht in Innsbruck aber kaum eine Möglichkeit verstreichen
ließ, auf Todesurteile zu drängen. Dreher bearbeitete später
den maßgeblichen Praktikerkommentar zum Strafrecht, den jeder Strafjurist
im Regal stehen hatte. Die Klage scheiterte in allen Instanzen. Berühmt
wurde die - ebenfalls abgeschmetterte - Verfassungsbeschwerde. Das Problem
wurde 1969 durch die Einführung des § 15 a in das Kriegsdienstverweigerungsgesetz
durch den Gesetzgeber gelöst. Nichtsdestoweniger sind Fragen der Totalverweigerung
aus Gewissensgründen in anderen Fällen ungebrochen aktuell und
bei der Verteidigung in solchen Fällen ein Blick in diese Rechtsprechung
sicher kein Fehler.
VII.
Das Jahr 1963 war der erste Höhepunkt der sog. „Ostermarschbewegung“,
die aus der Bürgerbewegung gegen die Wiederbewaffnung hervorgegangen
war und im übrigen im „real existierenden Sozialismus“ unter dem Duktus
der imperialistischen „Feind-Doktrin“ gegenüber dem „faschistischen
Feind“, dort keineswegs gut gelitten war. Am 12. April 1963 wurde am Flughafen
Düsseldorf-Lohausen 54 britische Atomkraftgegnern die Einreise nach
Deutschland verweigert. Parallel fand auf der Königsallee zu Düsseldorf,
der „Prachtstraße“ dieser Stadt, eine friedliche „Spontandemo“ statt,
die zu Kravallen bei dem Versuch der Auflösung dieses „Sit-ins“ durch
Polizeikräfte führte, die schließlich durch massiven Wasserwerfereinsatz
erzwungen wurde. Wer mit Wasserwerfern einmal Bekanntschaft gemacht hat,
weiß sicher die Bemerkung von Heinrich Hannover zu würdigen,
daß deren Strahl aus nächster Nähe Gliedmaßen brechen
und Pflastersteine aus der Verankerung reißen können. Aber es
ging hier nicht um eine verwaltungsrechtliche Bewertung dieser unverhältnismäßigen
Aktion, sondern um die Verteidigung zweier junger Frauen, die sich der
Unzucht des Gebrauchs ihrer politischen Kommunikationsrechte im Zusammenhang
mit der Versammlungsfreiheit „strafbar“ gemacht hatten. Den Verlauf der
Verhandlung vor einem eher autoritären Richter faßt Hannover
wie folgt zusammen: „Man redet verschiedene Sprachen, man hat zwei verschiedene
Grundgesetze gelesen. Man hat sicher verschiedene Meinungen über Atomwaffen
und über Menschen, die über Staatsgrenzen hinweg eine internationale
Protestbewegungen gegen dieses Teufelszeug in Gang zu bringen versuchen“.
Die beiden Angeklagten wurden verurteilt, ohne grundrechtliche Argumente
in Betracht zu ziehen. Art. 8 GG hatte insoweit bisher kaum eine positive
Rolle bei der Bewertung derartiger Vorgänge gespielt. Auch gegen dieses
Urteil erhob Hannover nach erfolgloser Revision Verfassungsbeschwerde,
die zwar zunächst nicht abgelehnt wurde (1966), aber 1973 wegen erheblicher
Veränderungen des Demonstrationsrecht verworfen wurde, nachdem eine
neue deutsche Bundesregierung etwas mehr Demokratie gewagt hatte.
VIII.
Der Weg der radikaldemokratischen Bürgerbewegungen führte
im Verlauf der sechziger Jahre von der Ostermarschbewegung zur „Außerparlamentarischen
Opposition“ (APO). Ein Kapitel dieses an rechtsstaatlich brisanten Fällen
nicht armen Buches trägt den Titel: „Der 2. Juni 1967 und die Folgen.
Die Störung schahfreundlicher Jubelperser im Hamburg“. Am 02.06.1967
besuchte der Schah-in-Schah, nicht gerade ein sanfter orientalischer Despot,
offiziell die Bundesrepublik Deutschland. Dieser Besuch löste entsprechende
Demonstrationen aus, die Geschichte geschrieben haben. Jahrelang angestaute
Wut eines Großteils der jüngeren Bevölkerung gegen eine
als autoritär empfundene Staatspraxis kam zur Entladung. Bei der Demonstration
in Berlin am 02.06.1967 wurde der Student Benno Ohnesorg durch einen Schuß
des Polizisten Kurras getötet, ohne das diese Tat je gesühnt
wurde. Ein entsprechendes Szenario, aufgeheizt durch die Tötung, spielte
sich anderntags in Hamburg ab. Ein Student stand friedlich mit einem Plakat
vor dem Hotel „Atlantic“ im Hamburg („02.06.1967 - Benno Ohnesorg zum Schutzes
des Schahs erschossen“), wurde festgenommen, angeblich, um ihn vor den
persischen Leibwächtern des Schah in Schutz zu nehmen, so daß
die Ausübung des Grundrechtes auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
als Störung der öffentlichen Ordnung anzusehen war. Die Strafanzeige
wegen Freiheitsberaubung, der Sache nach handelte es sich um „Schutzhaft“,
blieb erfolglos. Ein ähnliches Szenario spielte sich 1968 in Bremen
anläßlich der „Bremer Straßenbahnunruhen“ ab, bei der
ein Gastwirt während der Demonstration aus seinem Auto gezerrt und
„polizeilich verprügelt“ wurde, was von zahlreichen unabhängigen
Zeugen bestätigt wurde. Der Mandant wollte dagegen vorgehen und beauftragte
Hannover mit der Wahrnehmung seiner Interessen (Strafanzeige wegen Körperverletzung
im Amt), der seine diesbezüglichen Erfahrungen wie folgt zusammenfaßt:
„Ich habe im Laufe meiner Anwaltspraxis vielen Menschen ausreden müssen,
sich gegen prügelnde Polizeibeamte mit Strafanzeigen zu wehren, weil
mir das Muster, nach dem solche Verfahren abzulaufen pflegten, zur Genüge
bekannt ist. Regelmäßig löst eine solche Strafanzeige wegen
Körperverletzung im Amt eine Anzeige der beschuldigten Beamten aus,
in der behauptet wird, der Verprügelte habe Widerstand gegen die Staatsgewalt
geleistet und dadurch Anlaß zum Einsatz des Schlagstocks gegeben.
Und diese Gegenanzeige der Beamten hat sehr viel größere Aussichten,
zu einer Bestrafung zu führen, als die Anzeige des geschlagenen Zivilisten.
Denn Polizeibeamte haben bei deutschen Gerichten einen kaum einholbaren
Glaubwürdigkeitsvorsprung, gleichviel ob sie als Zeugen oder als Beschuldigte
auftreten“ (S.216). Trotz scheinbar guter Aussichten in diesem Ausnahmefall,
war auch hier nichts zu erreichen. Diese Straßenunruhen hatten Nachspiele.
So mußte sich die Redaktion einer Schülerzeitung dafür
verantworten, daß sie gegen den Polizeipräsidenten, der die
diensttuenden Polizisten zum „Draufhauen“ ermutigt hatte, einen Faschismusvorwurf
erhob, der zudem mit einer satirisch-pornographieverdächtigen Zeichnung
unterlegt wurde. Über den Begriff Faschismus wird bekanntlich in der
Geschichts- und Politikwissenschaft viel gestritten (gute Übersicht
bei Kühnl, Hrsg., Texte zur Faschismusdiskussion I. Positionen und
Kontroversen, Reinbek, 1974). Die liberale Satire - Rechtsprechung des
Ersten Senates des BVerfG neuerer Zeit, gab es damals noch nicht. Es kam
zur Anklage, die im legendären „Bremer-Türenknall“ kulminierte,
für den sich Heinrich Hannover Jahre später auch ehrengerichtlich
verantworten mußte. Der Bericht über die Verhandlungsführung
müßte als Satire gelesen werden, wäre sie nicht ernsthaft
geschehen. Ein paar Sätze des verhandlungsführenden Jugendrichters
mögen das belegen: “Es kann in einer bestimmten Gemeinschaft nur einer
der Chef sein, ob das nun ein wirtschaftliches Unternehmen ist oder ein
Krankenhaus oder eine Ehe oder ein Gericht. - Ich glaube, dieser Herr mit
der Zeitung hat eben gelacht!“ (S. 230). Die Folge konnte nur ein Ablehnungsantrag
sein, nachdem einige Monologe dem Thema gewidmet waren, was von einem „Kommunistenverteidiger“
zu erwarten war. Ein Prozeßklima, daß im Vorwurf gipfelte:
„Es ist einmalig, wie Sie sich hier verhalten, Herr Rechtsanwalt. Es ist
doch zu erkennen, daß in dieser Methode System liegt. Der Prozeß
soll hier offensichtlich zum Platzen gebracht werden“, worauf der Verteidiger
mit den Worten „Das lasse ich mir nicht bieten!“ den Saal mit einem lauten
Türenknall verließ, über dessen Lautstärke dann im
Ehrengerichtsverfahren sogar Beweis erhoben wurde. Die Meinungsfreiheit
hingegen blieb wieder einmal auf der Strecke.
§
IX.
Auch das Thema „Vietnam“ konnte nicht ausgespart werden, das einige
Jahre später zum entscheidenden „Trauma“ der US-amerikanischen Außenpolitik
und des rechtsbürgerlichen Spektrums in den Vereinigten Staaten werden
sollte. Protest gegen den Vietnamkrieg war allerdings keine deutsche „Spezifizität“,
sondern Ausdruck weltweiter Ablehnung der US - amerikanischen Außenpolitik.
Der Protest der US - amerikanischen Bürgerrechtsbewegung dürfte
zu den effektivsten Aktionsformen zivilen Ungehorsam gehört haben,
die bisher praktiziert worden sind (prägnant analysiert von Piven/Cloward,
Aufstand der Armen, dt., 1986).
Am 15.04.1968 fand in Bremen eine Demonstration für Frieden und
Völkerverständigung statt. Es kam, wie es kommen mußte,
das kurze Sit - in auf einer Kreuzung paßte einem Autofahrer nicht,
der auf seine „Autofahrer-Bürgerrechte“ pochte und in die Menge hineinfuhr.
Der verletzte Demonstrant erstattete aufgrund des Hinweises eines etwas
voreiligen Jura - Studenten (der dann später Arzt wurde) Strafanzeige
und das „Verhängnis“ nahm seinen Lauf. Ermittelt wurde schließlich
gegen den „Demonstranten“ wegen schweren Landfriedensbruches, Sachbeschädigung
und falscher Anschuldigung. Gegen den Autofahrer wurde nicht weiter ermittelt.
Ergebnis erster Instanz: zwei Wochen Jugendarrest. Die Berufung kam vor
eine Kammer, dessen Vorsitzenden mit dem Herrn Verteidiger eine gegenseitige,
wohl auch politisch motivierte, tiefe Abneigung verband: „Die Art, in der
dieser Richter mit Äußerungen des Angeklagten und seines Verteidigers
umging, kennzeichnete ihn als eine autoritäre Persönlichkeit,
der es auf ständige Demonstration seiner Machtfülle ankam. Das
gab Reibungsflächen, von denen ich, wenn die Stimmung im Saal entsprechend
war und ich sicher sein sein konnte, daß es meinem Mandanten nicht
schaden konnte, gern Gebrauch machte. Ich habe es einmal so ausgedrückt:
Ich werde in meinem Beruf tagsüber so viele Aggressionen los, daß
ich abends ein netter Mensch sein kann“ (S. 288 f). Das Urteil war ein
Skandal, zumal es die Strafe um eine Woche erhöhte. Hannover entschied
sich nach Verkündung des Tenors zu einem symbolischen Protest, der
nicht unbedingt oder nur sehr streitbaren Rechtsanwälten zur Nachahmung
empfohlen werden kann: „Nach der Verlesung des Urteilstenors durch den
Vorsitzenden blieb ich stehen, packte, während Dr. P begann, das Urteil
zu begründen, in aller Ruhe meine Handakte in die Aktentasche, verabschiedete
mich mit Handschlag von meinem Mandanten und durch freundliches Kopfnicken
von dessen Mutter und verließ lautlos den Saal“. Ein vermeintlicher
Türenknall blieb streitig und war unter anderem später Gegenstand
eines größeren Ehrengerichtsverfahrens, das mit einer Geldstrafe
von DM 3.000,- endete. Hannovers Fazit stimmt noch heute nachdenklich,
wenn er fragt, ob der Angeklagte unter den Talaren, den Muff von tausend
Jahren verspürt haben mag.
Zu Heinrichs Hannovers Mandanten jener Zeit gehörte aber auch heutige
„Polit-Prominens“ wie Daniel Cohn-Bendit, der nach seiner Ausweisung aus
Frankreich am 17.09.1968 wegen Landfriedensbruches verhaftet wurde, weil
er eine Polizeiabsperrung vor der Frankfurter Paulskirche übersprungen
hatte. Die beigefügten Fotos sprechen eine beredte Sprache über
das aufgeheizte Klima der Gewalt dieser Phase. Die vom Landgericht verhängten
acht Monate ohne Bewährung hatten vor dem OLG Frankfurt keinen Bestand.
Doch erkannte das LG Frankfurt/Main nach Zurückverweisung auf sechs
Monate mit Bewährung. Ein erneutes Rechtsmittel war angesichts der
Amnestie von 1970 überflüssig. Ohnehin verleitet das zahlreiche
Bildmaterial, das in diesem (und dem Nachfolgeband) eingearbeitet ist,
zu der Idee aus dem Material einen Dokumentarfilm zu erstellen, da es dazu
meist auch interessantes Filmaterial gibt. Nicht weniger spektakulär
waren die Szenen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke, der Ende 1979
an den Folgen dieses Anschlages verstarb. Es ging um eine Blockade der
Auslieferung von Presseerzeugnissen des Springer-Verlages, hier in Hamburg,
dessen antidemokratische Hetze nicht zuletzt zu einer Aufheizung des Klimas
in dieser Republik beigetragen hat. Folgte in erster Instanz noch ein Freispruch,
waren die Richter des OLG Celle anderer Auffassung (NJW 1970, 206). Auch
den Schriftsteller Günter Wallraff hat Hannover zweimal erfolgreich
verteidigt, u.a. nach der Strafanzeige wegen der „privaten Ermittlungen“
beim Gerling-Konzern Mitte der 70er Jahre, die heute noch lesenswert sind,
wahrscheinlich heute aber nur noch als Satire verstanden werden dürften.
Nicht ganz so satirisch ging es im Verfahren gegen MDB Otto Freiherr
von Fircks (CDU) zu, gegen den ein Lehrer den Vorwurf erhoben hatte, er
hätte während seiner Tätigkeit für die SS in Polen
an der Tötung zahlreicher Menschen aus Polen mitgewirkt, die er „Wanzen“
zu nennen pflegte, was zu einer Anklage nach § 187 a StGB, da die
Ehre von Politikern in Deutschland höher steht, als die Ehre „normaler“
Bürger, was in unseren Tagen ein ironisches Lächeln mancher Bürger
hervorrufen dürfte. Die Beweiskette war derart dicht, das selbst die
StA den Wahrheitsbeweis der Verteidigung als erbracht ansah. Die eingelegte
Berufung des Freiherrn, deren mitgeteilte Begründung kaum nachvollziehbar
ist, war erfolgreich, die Revision zum OLG Celle durch den Angeklagten
weniger. Auch hier mußte wieder zur Verfassungsbeschwerde gegriffen
werden, die überaus erfolgreich war und der Meinungsfreiheit als Kommunikationsgrundrecht
erneut zum Durchbruch verhalf (BVerfGE 43, 126). Die Bilanz der Verfassungsbeschwerden
von Hannover kann sich sehen lassen.
§
§
X.
Die „APO“ verlor bereits 1969/70 nicht zuletzt aufgrund ihrer inneren
Widersprüche (s. etwa Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform,
1969) erheblich an Dynamik, auch aufgrund von - später teilweise enttäuschten- Hoffnungen auf die neue Regierung Brandt, deren politische Leitlinien
unter Bundeskanzler Helmut Schmidt in vieler Hinsicht nicht weitergeführt
worden sind. Der extremistische Rand der APO, die die Bürger zu ihrem
Glück mit Waffengewalt zwingen wollte, ging nach und nach in den Untergrund
und endete in terroristischen Bewegungen, deren bekannteste der „2. Juni“
und die „RAF“ waren. Es verwundert wenig, daß ehemalige „Anführer“
der APO wie Bernd Rabehl heute extrem neurechten Kreisen nahestehen. Das
fatale Moment bestand darin, daß die APO keine Bürgerrechtsbewegung
ausgebildet, sondern in einer unausgegorenen Rezeption marxistischer Texte
in ihrer Hochphase über das Thema Gewalt und Gegengewalt in einer
Weise reflektierte, die eine freiheitliche Bürgerrechtspraxis jenseits
einer utopischen „Revolution“ nicht entbinden konnte. Die APO mytisch zu
verklären besteht unter diesen Umständen kein Anlaß. Die
Ausführungen von Hannover tragen denn auch einiges zur „Entmythologisierung“
bei. Wenn der Begriff „Terroristenprozeß“ im Zusammenhang mit Verteidigung
zur Sprache kommt, fällt§ in aller Regel auch der Name des Verfassers
dieser Erinnerungen. Mit der Verteidigung in „Terroristenprozessen“ erreichte
Hannover einen „Höhepunkt“ seines Bekanntheitsgrades, sicherlich ohne
mit derartigen Zielen zu „sympathisieren“. Insbesondere für die „Springer - Presse“ war jeder „Terroristenverteidiger“ ein „Komplize“. Hannover Komplizenschaft
zu unterstellen, entbehrt indessen jeglicher Grundlage, definitiv aber
jedes Beweises. Hannover will die Leser denn auch damit „enttäuschen“,
indem er erzählt wie es - aus seiner Sicht - wirklich war.
Im Verlauf einer Großrazzia wurde Werner Hoppe festgenommen und
dessen Begleiterin unter allerdings merkwürdigen Umständen von
Polizeibeamten erschossen. Die Anklage lautete auf Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung und vierfachen Mordversuch. Ein schwieriger
Mandant, der zur Sache nicht aussagte, aber im Gerichtssaal pseudorevolutionäre
Reden an das Publikum richtete und sich damit hinreichend selbst schadete,
mit entsprechendem Ergebnis, trotz aller Zweifel, die sich in der Beweisaufnahme
hinsichtlich der Rekonstruktion des Tathergangs zugunsten des Angeklagten
ergeben haben. Am Ende beantragte selbst die StA Verurteilung „nur“ wegen
einer versuchten Tötung. Das Urteil lautete jedoch auf dreifachen
Mordversuch. Das Logik folgte im Strafmaß nahezu ausschließlich
der „Logik“ der Generalprävention, weniger der konkreten Beweislage,
deren zweifelhafte Einschätzung Hannover sehr plausibel macht. Nicht
wenige Strafurteile dieser Zeit erzeugen aus der Distanz der Geschichte
Unbehagen. Allerdings haben nicht wenige der Angeklagten, die sich im Untergrundumfeld
der RAF bewegt haben, zu einem rüden Prozeßklima auch selbst
durch Verklärung ihrer „avantgardistischen“ Rolle als „Berufsrevolutionär“
beigetragen. Bezüglich einer Verteidigung im anarcho-syndikalisten
Umfeld erkennt Hannover dies auch selbst: „So sympathisch die Ideen Michail
Bakunins, des Klassikers des Anarchismus,§ sein mögen, so erbärmlich
kleinkariert sind die Worte und Taten mancher seiner Jünger. Aber
von welchen Klassikern und welchen Jüngern ließe sich dies nicht
sagen?“. Letzterer Umstand sollte dazu zu führen „Jüngerschaft“
und „Nachbeterei“ unter den Verdacht politischer Dummheit zu stellen und
statt dessen lieber selbst versuchen zu denken.
Dies gilt für niemand weniger, als für die „Rote Armee Fraktion“
und die „Bewegung 2. Juni“, die es sich zum Ziel gesetzt hatten die Bürger
einer freien Republik zu ihrem „Glück“ zu zwingen. Tatsächlich
wird, wenn der Name Hannover fällt, dieser immer mit Ulrike Meinhof
in Verbindung gebracht, die er außerprozessual vertreten hat, weil
er sie von früher her aus Zusammenhängen der außerparlamentarischen
Opposition kannte. Einer Zeit in der Ulrike Meinhof bemerkenswerte Texte
verfaßt hat (s. U. Meinhof, Die Würde des Menschen ist antastbar).
Besonders von der „Springer - Presse“ aber wurden alle Verteidiger von
Mandanten aus dem terroristischem Umfeld zu „Komplizen“ abgestempelt. Rechtliche
Gegenwehr hatte von Ausnahmen abgesehen kaum Aussicht auf Erfolg, zumal
diese Art von Presse „einstweilige Verfügungen“ und Unterlassungsansprüche
einkalkuliert, die allerdings erst in den 90er Jahren deutliche Konturen
in der Rechtsprechung gefunden haben, die ironischerweise insbesondere
im Auftrag des europäischen Hochadels erstritten wurden. Der Ansatz
der „RAF“ hatte letztlich mehr vom Kampf Don Quichottes gegen Windmühlenflügel
an sich, als eine reale theoretische oder praktische Basis. In der Bevölkerung
kam die Zustimmung zu diesem „bewaffneten Kampf“ über den überschaubaren
Kreis einer „Sympathisantenszene“ nie hinaus. Vieles hängt zusammen,
mit einer völlig unzureichenden Rezeption der politischen Philosophie
des späten Herbert Marcuse (s. ders, Schriften in 9 Bänden, Bd.
8 und 9), der einer Gegengewalt dort Geltung verschaffen wollte, wo gesetzliche
Mittel sich als unzureichend erwiesen. Marcuse hatte allerdings primär
den bewaffneten Kampf in sog. „Entwicklungsländern“ im Blick. Indessen
kann ein derartig „naturrechtlich“ ansetzender moraltheoretischer Ansatz
keine Maßstäbe dafür angeben, wann rechtliche Mittel unzureichend
sind. Ein Umstand, der auch etwa die Handhabung der sog. „Radbruch-Formel“
kennzeichnet und sie problematisch macht. Wohl auch ein Grund, warum Herbert
Marcuse, von einer kleinen gegenwärtigen Renaissance in den USA abgesehen,
kaum noch rezipiert wird, nachdem er diese Aporie nicht auflösen konnte
und nicht unerheblich zu einer Ästhetisierung der Gegengewalt beigetragen
hat. Tatsächlich haben die Theoretiker der APO sich kaum auf eine
Reflexion eines Kampfes um das Recht (nach einem Begriff von Jhering) eingelassen
und dort Revolution gepredigt, wo bürgerrechtliche Aktionen zur Durchsetzung
des Grundgesetzes angezeigt gewesen wären, um es in praxi durchzusetzen,
statt es zu ignorieren. Diese Erkenntnis setzte sich erst später beim
„langen Marsch durch die Institutionen“ nach dem Scheitern der „Revolution“
durch. Mancher „Revolutionstheoretiker“ hätte aus den Schriften eines
Ernst Fraenkel, Franz Leopold Neumann, Otto Kirchheimer und Wolfgang Abendroth
sicher manches lernen können. Der Zerfall der APO hatte nicht zuletzt
ebenso auch theoretische Gründe, wie das Scheitern des Marxismus an
der Verwirklichung des „realexistierenden“ Experiments.
Hannover, den Kampf um das Recht Schritt für Schritt gewohnt, macht
aus seiner ablehnenden Haltung gegen derartige „revolutionäre“ Ansätze
einer Praxis der Gewalt keinen Hehl: „Der 14. Mai 1970 - der Tag der Baader-Befreiung- war auch der Tag, an dem sich unsere politischen Wege trennten“. Ulrike
Meinhof bat Hannover nach ihrer Festnahme 1972 die Verteidigung wahrzunehmen,
obwohl er scheinbar nicht ihre erste Wahl war, nachdem ihr tagelang die
Rücksprache mit einem Rechtsanwalt verweigert wurde und nachdem er
in der Sorgerechtssache um ihre Kinder, über deren Einzelheiten sich
Hannover erfreulich ausschweigt, sie bereits vertreten hatte. In der Phase
der Antiterror-Hysterie kam immer mehr ein Rechts-Denken auf, das von der
Eingebung beseelt war, daß gegenüber „Terroristen“ die rechtsstaatlichen
Prinzipien nicht buchstabengetreu einzuhalten seien, da diese selbst sich
außerhalb des Rechtsstaats gestellt hatten. Eine Auffassung, die
wohl auch den Deutschen Bundestag erreicht hatte, als er dem Kontaktsperregesetz
zustimmte, ohne den konkreten Inhalt der Normen auch nur zu kennen. Dieses
Mandat brachte Heinrich Hannover berufliche und private Nachteile ein,
zumal an der Sache nichts zu verdienen war: „Es war für mich eine
neue, verstörende Erfahrung, als Angehöriger eines Berufsstandes,
der ein hohes Sozialprestige genießt, und in dem sicheren Bewußtsein,
alle Berufspflichten gewissenhaft beachtet zu haben, plötzlich als
potentieller Verbrechenskomplize behandelt und diffamiert zu werden“ (S.
378 f). Nichts von diesem Gerede „über 45 namentlich bekannte linksradikale
Anwälte“ (Originalton: BILD) ist je bewiesen, geschweige denn auch
nur plausibel gemacht worden. Morddrohungen auch gegenüber seinen
Kindern blieben nicht aus. Der Kollege Franz - Josef§ Degenhardt hat
in seinem Stück „Kleine Schimpflitanei“ derartige Erfahrungen literarisch
verarbeitet (...„Sehr geehrter Linksanwalt - gehörst ganz einfach
abgeknallt...“). Tiefe Zerwürfnisse überschatteten dieses Mandat,
nicht zuletzt auch wegen der „Anspruchshaltung“ der innerhalb des „Kaders“
eher „autistisch“ gewordenen Mandanten aus der „Szene“, die aber sicher
auch der langen Isolationshaft in einem „toten Trakt“ der Gefängnisanstalt
Köln - Ossendorf geschuldet war, die einem Rechtsstaat übel anstand.
Die Weigerung von Hannover gegen den geschätzten Kollegen Dr. Diether
Posser, damals Justizminister von NRW, eine Strafanzeige wegen Körperverletzung
im Amt zu erstatten, führte zu einem erheblichem Zerwürfnis.
Diese Zerwürfnisse führten nach einigem hin und her schließlich
im Februar 1975 zur Mandatsniederlegung durch Heinrich Hannover. Der Rest
ist Justizgeschichte geworden. Der erste Stammheim - Prozeß hat dem
deutschen Rechtsstaat nicht zur Zierde gereicht. Insbesondere die Urteilsbegründung,
aber auch die Durchführung des Verfahrens war nicht gerade ein Höhepunkt
bundesdeutscher Justizkultur. Die Mandantin selbst hat später - unter
mythenerweckenden Umständen, ähnlich wie später Baader,
Ensslin und Raspe - den Freitod gewählt.
§
§XI.
Aber Hannover hat nicht nur in politischen Fällen verteidigt, wie
das letzte Kapitel zeigt, daß den berühmten Bremer Mordfall
Carmen Kampa behandelt, für den ein nachweislich Unschuldiger büßen
sollte. Auch dieser Fall hat Justizgeschichte geschrieben. Es ging um eine
17-jährige Frau, die an einem Bahndamm vergewaltigt, anschließend
erwürgt und überdies mit mehreren Messerstichen erdolcht worden
war. Zwar hatten Reisende aus einem nahen Zug noch Hilferufe gehört,
den Schaffner informiert, der die Polizei informierte, die aber nichts
vorfand und erst nach über zwei Tagen durch Zufall auf der Suche nach
zwei ausgebrochenen Strafgefangenen die Leiche fand. Ein Fall, der von
zahlreichen Ermittlungspannen gekennzeichnet war. Unterschiedliche Zeugenaussagen,
die alle das gleiche anders wahrgenommen hatten, taten ein Übriges.
Erst vier Monate nach dem Mord wurde eine überaus vage Personenbeschreibung
veröffentlicht. Es sprach manches für zwei Tatverdächtige.
Gesucht wurde nach einem Verdächtigen aus einer Gaststätte, die
schließlich zu einem „Ergebnis“ führte: „Ich weiß nicht,
ob man auf der richtigen Spur war. Ich weiß nur, daß man aus
der Fülle der Spuren die falsche ausgewählt und zur Anklage gebracht
hat“. Was sich in der Folge ereignete, war ein Justizskandal ersten Ranges,
der die Presse intensiv beschäftigt hat. Man kam auf einen Alkoholiker,
der regelmäßig durch die betreffenden Kneipen zog und gelegentlich
durch kleine Diebstähle und Führen eines KfZ ohne Fahrerlaubnis
„polizeiauffällig“ geworden war, was einige Aufenthalte im Gefängnis
nach sich brachte. Die „Auswahl“ des Verdächtigen wies nur einen „Schönheitsfehler“
auf: er war homosexuell und hatte an jenem Abend überdies die Zeche
geprellt, der Wirtin aber zum Schein einen Autoschlüssel als „Pfand“
hinterlassen. Der Vernehmung durch „ergebnisorientierte“ Kripobeamte war
der Verdächtige ohne rechtsanwaltlichen Beistand nicht gewachsen.
Auf die Veröffentlichung der Polizeifotos in der Tagespresse meldeten
sich mehrere Zeugen, die manches ganz genau wußten, was sie eben
nicht genau wußten, zumal der Verdächtige sich „mustergültig“
verhielt, um besten Gewissens um der Wahrheitsfindung willen einer „Wahrheitsfalle“
zu verfallen, die einer selektiven Sicht der Ermittlungsbeamten geschuldet
war, denen ein Täter um jeden Preis scheinbar recht war. Sicher ein
Fall für Heinrich Hannover, der lange vor Gerhard Strate der Mann für scheinbar auswegslose Fälle war. Wie
Hannover diesen Mandaten „herausgehauen“ hat, ist ein Lehrstück, das
angehenden Strafverteidigern dringend zur Lektüre zu empgehlen ist.
Tatsächlich prallten im Gerichtssaal Welten aufeinander. Der Angeklagte
wies nur eine geringe sprachliche und logische Kompetenz auf, was einem
Beteiligten vor Gericht noch selten zum Vorteil gereicht hat, waoraus Hannover
schlußfolgert: „Die Kriminalbeamten hatten die Grenzen Beckerscher
Logik mit sicherem Instinkt erkannt und darauf ihre Vernehmungsstrategie
aufgebaut. Daß ein solcher Mensch dann an Juristen geraten kann,
die nicht fähig sind, die von ihrem eigenen logischen Apparat abweichenden
Verständnishorizonte und Verhaltensmotivationen eines Otto Becker
zu erkennen, gehört zu den ungeheuren Gefahren unserer Strafjustiz“.
Das Urteil erster Instanz lautete auf Mord in Tateinheit mit Vergewaltigung,
gemildert nach § 21 StGB, lautend auf zwölf Jahre Haft. Ein Rechtsmittel
lag nahe und wurde auch eingelegt, aber Hannover entschied sich zu einem
mutigen Schritt an die Öffentlichkeit: „Ich habe in meinem Strafverteidigerleben
manches Fehlurteil erlebt, aber über dieses war ich wegen der unglaublichen
Leichtfertigkeit seiner Indizienlogik besonders empört. Ich entschloß
mich deshalb zu einem ungewöhnlichen Schritt. Ich lud zu einer Pressekonferenz
ein, in der ich an die Öffentlichkeit appellierte mir bei der Suche
nach dem Mörder Carmen Kampas zu helfen...“ (S.453). Angesichts des
Erfolges war von einem ursprünglich wieder einmal angedrohten Ehrengerichtsverfahren
keine Rede mehr. Zum einen fand ein Referendar einen absoluten Revisionsgrund,
da ein Schöffe vertauscht worden war (damals noch relevant). Zum anderen
war eine Spurenakte dem Gericht nicht als Beiakte vorgelegt worden, wie
sich aus einer „Indiskretion“ eines jungen Staatsanwaltes bei einem geselligen
Anlaß folgern ließ, die ein Kollege am Nebentisch zufällig
mitbekam. Tatsächlich wies diese Akte auf einen mit allen Wassern
gewaschenen Berufsverbrecher, der die Ermordete übrigens zurvor schon
kannte: „Als ich die Akte las, wurde mir klar, daß Otto Becker gerettet
war“. Der betreffende Zeuge in der Wiederholungsverhandlung hatte bei einem
Aufenthalt im Gefängnis einen Roman verfaßt, der diesen Mordfall
ziemlich genau schilderte. Ein Hinweis, den der Verteidiger einem Tip aus
dem Bekanntenkreis des Zeugen verdankte. Erneutes Urteil nach 21 Indizien:
Freispruch. Es ist nicht verwunderlich, daß der Verteidiger von diesem
Mandanten lebenslang zu Ostern und Weihnachten Grußkarten bekommt.
Der wahre Mörder wurde nie ermittelt, was heute mit Hilfe des „genetischen
Fingerabdrucks“ erheblich leichter fallen würde. Das Fazit ist bitter:
„Wir müssen ... weiterhin mit einer Strafjustiz leben, der, weil sie
von Menschen gehandhabt wird, Fehler und Irrtümer unterlaufen, die
aber aber, weil dies dem Ansehen der Justiz schadet, möglichst nicht
entdeckt und an die große Glocke gehängt werden sollen. Und wie bei allen Katastrophen, die nur einzelne betreffen, beruhigt sich die große von Nichtbetroffenen gebildete Öffentlichkeit denn auch bald wieder, wenn der Reiz der empörenden Sensation verflogen ist“. Das Reaktionsschema der Medien bleibt einem Rechtsanwalt, der Fälle mit öffentlicher Relevanz bearbeitet, kaum verborgen. Geändert hat es sich nicht.
20.04.00
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