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Artikel 106
Ralf Hansen

Ein kurzer Gang durch die Geschichte des römischen Rechts

Eine Rezension zu:

Ulrich Manthe
Geschichte des römischen Rechts

Beck’sche Reihe Wissen, BsR 2132
München: C.H. Beck, 2000, 127 S, DM 14,80,-
ISBN 3-406-44732-5

http://www.beck.de

I.

Die Geschichte des römischen Rechts auf 127 Seiten im „Pocketformat“ abzuhandeln, ist eine Herausforderung. Das Resultat ist ein brillanter Essay über die Geschichte des römischen Rechts, dessen hoher Informationsgehalt angesichts des Seitenumfangs verblüfft. Damit reiht sich auch dieser Band positiv in die insgesamt sehr gelungene „Beck’sche Reihe Wissen“ ein, deren Bände auf hohem Niveau stehen. Ein Katalog, der sich inzwischen sehen lassen kann (zur römischen Geschichte s. den sehr informativen Band von Klaus Bringmann, Römische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Spätantike, 3. Aufl., 1997, BsR 2012). Die Reihe böte im übrigen die ideale Gelegenheit, endlich einmal wieder einen aktuellen Überblick über den Stand der parallelen Forschungen zum altgriechischen Recht (Hellenismus und Byzanz) auf neuestem Stand zu präsentieren, nachdem die letzte kompakte Übersicht dazu Jahrzehnte zurückliegt (zur altgriech. Geschichte allg., s. den Überblick von Detlef Lotze, Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Hellenismus, 2. Aufl., 1997, BsR 2014; ein Band zur neueren griech. Geschichte steht unterdessen noch aus).

II.

Der Verfasser (http//www.jura.uni-passau.de/fakultaet/lehrstuehle/Manthe/Index.html) macht dem Leser von vornherein deutlich, daß das römische Recht ein Weltrecht (für die mediterrane Antike war der Mittelmeerraum eine „Welt“) war, dessen universelle Wirkungen bis heute anhalten. Die Rechtskultur der Römer hat die höchst entwickelte Rechtswissenschaft hervorgebracht, die die Weltgeschichte kennt, wie Manthe treffend formuliert. Es hat Spuren in aller Welt hinterlassen, in deren Vollzug sich gemeinsame westliche Rechtstraditionen herausgebildet haben. Lange nach der Transformation des weströmischen Reiches in Germanenherrschaften (s. nur Brown, P., Making late Antiquity, Cambridge, 1978; dt., Die letzten Heiden, 1995, Einleitung), für die das Datum 476 n. Chr. steht. Auch die 1453 n. Chr. erfolgte Okkupationen des Restreiches von Byzanz durch die Osmanenherrschaft führte keineswegs zum „Untergang“ des römisch beeinflußten griechischen Rechts (zur byzantinischen Geschichte s. jetzt, Lilie, Byzanz, BsR 2085). Der Abstraktionsgrad des römisches Privatrechtes ist rechtsvergleichend betrachtet unerreicht. Die Arroganz der Moderne gegenüber der Antike entbehrt nüchtern betrachtet ohnehin jeder rationalen Grundlage.

Das erste in Europa systematisch gelehrte Recht, war damit nicht etwa herrschendes Recht, sondern ein Recht, das in einem alten Manuskript, der „Florentina“, enthalten war, das zudem eine Reihe von Kopistenfehlern enthielt und zunächst so scholastisch interpretiert wurde wie die Bibel, dessen Rezeption aber auch wesentlich wurde für die Herausbildung des kanonischen Rechts. Leider wird die Geschichte des kanonischen „Paralleluniversums“ zum corpus iuris in den einschlägigen Lehrbüchern meist nur gestreift. Auch hier wäre ein Band in der BsR zur Kirchenrechtsgeschichte sicher interessant. Immerhin wurde der Corpus Iuris Canonici im 16. Jahrh. in deutlicher Anlehnung an den Corpus Iuris Civilis kompiliert, dessen mittelalterlicher Kern, das Decretum Gratiani eindeutig die Handschrift der scholastisch inspirierten Rechtsschule von Bologna trägt. Die mittelalterliche Wiedergeburt des römischen Rechts vollzog sich im kanonischen Gewand. Nicht ohne Grund boten Corpus Iuris, die Bibel und die antiken Philosophenschriften die entscheidende Grundlage für die Herausbildung einer kritisch-hermeneutischen Textwissenschaft, nachdem das System der Scholastik im ersten „linguistic turn“ der Geistesgeschichte des Abendlandes im späten Mittelalters zerbrochen war. Im „Paradigmenwechsel“ zwischen den scholastisch operierenden Glossatoren (die die Digesten ebenso glossierten wie die Bibel) und den textkritisch ansetzenden Kommentatoren zeigt sich auch die Abhängigkeit der Methoden der Jurisprudenz von philosophischer und theologischer Erkenntnistheorie und Textkritik, deren Methode wesentlich von der Rezeption der Schriften des Aristoteles beeinflußt war, wie sich etwa an der mittelalterlichen Interpretation von D. 2.14.7.1 zeigen ließe (s. nur Berman, H. J., Law and Revolution. The Formation of the Western Legal Tradition, 1983; dt., Recht und Revolution, 1991, S. 199 ff, 327 ff).

Das justianische Gesetzeswerk (Codex, Digesten und Institutionen) bildeten ein in das Mittelalter erratisch hineinragendes Monument einer in Westeuropa längst verfallenen Kultur, die zunächst nur die Funktion eines „Ergänzungsrechtes“ hatte. Noch der erbitterte Streit der „Germanisten“ mit den „Romanisten“ im 19. Jahrh. zeugt von den Gräben zwischen den Lagern. Zwar entstanden in den „drei Ordnungen“ der Feudalkultur des Mittelalters von Ritter, Bauer und Priester, zahlreiche neue Gesetze, doch konnten nur die bereits vorliegenden Regeln des im justianischen Kodex überlieferten römischen Rechts systematisch harmonisiert werden, wovon die Glossa Ordinaria des Accursius und die Summa des Azo beredt Zeugnis ablegen. Der Verfasser erlaubt dem Leser auch einen Blick auf die damalige Zitierweise, die bis zum 19. Jahrhundert prägend blieb und die Digestenstellen nach dem Satzanfang zitierte - eine Methode, die genauste Kenntnis voraussetzt und ältere Schriften zum römischen Recht schwer lesbar macht.

Manthe bezeichnet dieses Recht in Anlehnung an Kant als ein „Recht der reinen Vernunft“. Seine Rezeption zu einem usus modernus pandectarum bot sich in einem Kontinent mit erheblich zersplittertem, regional differenziertem, Privatrecht geradezu an. Nichtsdestoweniger waren die etwa 80 namentlich überlieferten römischen Juristen Meister der Handhabung praktischer Vernunft in juristischen Diskursen im Dienste des Rechtsfriedens, deren hohe Kultur die Rezeption nie erreicht hat, so sehr sie sich auch bemühte.

III.

Diese Form der Darstellung setzt notwendig eine Auswahl des Stoffes voraus, die aber tatsächlich alles Wesentliche erfaßt und angesichts des Niveaus der Darstellung tief beeindruckt. Sie konzentriert sich auf das Privatrecht, allerdings mit zahlreichen Ausblicken auf Staatsrecht und Strafrecht, die im Hinblick auf das Verfassungsrecht auch unumgänglich sind. So wird die Verfassung der Republik ebenso eingehend erklärt wie die§ Verfassungsform des Prinzipats, der formal die Republik in ihren überkommenen staatsrechtlichen Formen aufrecht erhielt, wovon noch die Sammlung von Briefen zwischen Plinius Secundus und Trajan eingehend Zeugnis ablegt. Ein früher Beleg dafür, daß eine Verfassung, die nicht mehr „gelebt“ wird, es dennoch ermöglichen kann, in ihren formalen Rechtsstrukturen Machtformationen zu realisieren, die das bestehende Recht nur als Form benutzen, um das gesellschaftliche Dispositiv neuen sozialen Regulationsformen zu unterwerfen.

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt konsequenterweise auf Frühzeit und Republik. Insbesondere die Entwicklungen der Spätantike lassen sich ohne das genealogisch angeleitete Verständnis der Herausbildung der Rechtsinstitute und Aktionen kaum zutreffend verstehen. Die grundlegenden Institutionen des römischen Privatrechts waren spätestens zum Zeitpunkt des faktischen Endes der Republik ausdifferenziert. Ulrich Manthe geht aber noch einen Schritt weiter und entfaltet die Geschichte des römischen Privatrechts anhand der Entwicklung eines Rechtinstitutes: der manicipatio, zu dessen Verständnis die Institutionen des Gaius wesentlich beitragen. Immerhin hat F.C. von Savigny aus Jul. D 41.1.36 gegen Ulp. 12.1.18 pr. aus der Manzipation das deutsche Abstraktionsprinzip entwickelt. Ein Umstand, auf den hingewiesen wird, dessen Berechtigung aber in diesem Band nicht diskutiert werden konnte. Er zeigt deutlich, wie dieses Rechtinstitut als „Allzweckmittel“ für alle Teilgebiete des Rechts eingesetzt wurde, etwa auch im Familien- und Erbrecht, wie die Beispiele einer Manus-Eheschließung und der Erwachsenenadoption zeigen. Unter der Geltung des römischen Rechts der Republik war kaum ein Sachverhalt denkbar, für den dieses Rechtsinstitut keine Problemlösung bereitgestellt hätte. Erst mit der zunehmenden Vulgarisierung einer originär römischen Rechtskultur im dritten Jahrhundert n. Chr. verfiel dieses Rechtsinstitut und wurde nach und nach mit der traditio verschmolzen, bis es unter Justinian ganz- und das heißt auch aus den Digesten - gestrichen, sprich „interpoliert“ wurde. Völlig berechtigt kritisiert Manthe, daß hier eine entscheidende Schwachstelle mancher Darstellungen zum römischen Recht liegt, die mehr postpandektisch-konstruktiv als genealogisch-rekonstruktiv ansetzen und das römische Recht darzustellen versuchen, wie das geltende Recht einer vergangenen Epoche.
§

IV.

Das Rom nicht erst 753 v. Chr. aus dem Ei gekrochen kam, hat sich inzwischen herumgesprochen. Das Datum ist reine Mythologie, enthält aber wie jeder Mythos einen rationalen Kern, dessen Geschichtlichkeit durch die Annahme eines Ursprungsaktes mythisch verklärt und damit zur traditionalen Legitimation einer Herrschaftsordnung abgewandelt wird. Die Gründung verliert sich im Dunkel der etruskischen Geschichte, deren wenige erhaltene Schriftzeugnisse, nicht entzifferbar sind (s. Friedhelm Prayon, Die Etrusker. Geschichte - Religion - Kunst, 1996, BsR 2059). Jedenfalls aber hat sich ein ius civile frühzeitig herausgebildet, das durch rational motivierte Einsicht in seine allgemeine Geltung eine überragende Friedensfunktion ausgeübt hat. Die materiale Rationalisierungsfunktion dieses Rechts zeigt sich insbesondere an der frühen Ächtung der Blutrache und der „Erfindung“ von „Sündenböcken“, die anstelle von Menschen geopfert wurden. Manthe verwendet in dieser knappen Darstellung mit Recht viel Raum auf die Erläuterung des altrömischen „Zwölftafelrechts“ aus dem Jahr 451 v. Chr. (nach römischer Überlieferung). Vermutlich in einem Akt früher Verfassungsvergleichung wurde es bereits athenisch beeinflußt, was auf gewisse Interdependenzen zwischen den Kulturen in einem frühen Stadium verweist, da die Formulierungen altrömischer Formensprache weithin entbehren (zu Athen jetzt, Funke, Athen in klassischer Zeit, BsR 2074). Das Original ging bereits beim Galliersturm 387 v. Chr. verloren, wurde neu aufgestellt und ging dann endgültig in den Wirren des Bürgerkrieges unter, der faktisch zum Untergang der Republik führte. Der Umstand, daß sie danach nicht mehr neu aufgestellt wurden, zeigt, daß dieses Recht zu diesem Zeitpunkt seine regulative Kraft weithin verloren hatte, was auch im Jahre 17. v. Chr. in der weitgehenden Abschaffung des Legisaktionen-Verfahrens zum Ausdruck kam. Für manche Stellen bilden die durch Kopistenfehler unsicher überlieferten Institutionen des Gaius (um. 160 n. Chr.) die einzige Quelle, der noch zu diesem Zeitpunkt einen Zwölftafelkommentar verfaßt hatte, dessen Text aber verloren ist. Digesten und Institutionen des Justinian haben das römische Recht der Klassik und Spätklassik wie mit einem Brennglas eingefangen, aus dem alles ausgeblendet wurde, was dem selektiven Blick der Kompilatoren entgegenstand und schließlich nach Fertigstellung vernichtet wurde, zum Ruhme eines Herrschers, der etwa gleichzeitig mit Verabschiedung seines Gesetzeswerkes die berühmten Philosophenschulen von Athen schließen ließ (bereits 529 n. Chr.), um als „allerchristlichste Majestät“ und als Erbauer der Hagia Sophia zu Byzanz in Geschichte und Ewigkeit einzugehen.

V.

Das schmale Büchlein ist aber auch deshalb sehr lesenswert, weil es äußerst exakte philologische Argumentationsführungen enthält und der Autor auch vor rational begründeter Hypothesenbildung glücklicherweise nicht „zurückschreckt“, um Wissenslücken zu überbrücken und damit einer eher positivistisch operierenden Romanistik eine deutliche Absage erteilt. Tatsächlich kann eine historisch operierende Wissenschaft, die sich stets auf den Spuren eines verblichenen Geistes befindet, derartiger Erklärungsansätze nicht entbehren. Eine schönes Beispiel bietet die etymologische Herleitung des Begriffes der Vindikation, die von einer wohl „herrschenden Meinung“ als säkularisierte Form der Gewaltansage begriffen wird, die von Manthe aber mit guten Gründen nicht geteilt wird, da ein derartiger „Gewaltansager“ altlateinisch als Vi-dex zu bezeichnen gewesen wäre, nicht als Vin-dex. Eine an einer vergleichenden indogermanischen Sprachforschung ansetzende Argumentation weist nach, daß vindex§ nichts anderes bedeutet, als jemand, der etwas als zu seiner Sippe gehörig bezeichnet. Damit bedeutet vindizieren aber nichts anderes, als etwas für seine Sippe zu beanspruchen. Ein Ansatz, der in der Moderne nur individualistisch transformiert werden mußte, um zum Einzigen und seinem Eigentumsrecht zu gelangen. Auch die manicipatio nummo uno von der uns Gaius berichtet (I 1.119), wird einer interessanten abweichenden Deutung unterworfen, da die überlieferte Formel einige immanente Widersprüche enthält. Es spricht einiges für die Argumentation des Verfassers, daß es sich um eine Art „Umgehungsgeschäft“ handelte, um den Eigentumsübergang an Gegenständen zu ermöglichen, deren Austausch ursprünglich aus sakralen Gründen tabuisiert war. Der hohe Informationsgehalt dieses schmalen Bandes ist erstaunlich und macht die Lektüre zu einem intellektuellen Vergnügen, da eben nicht nur Gemeinplätze wiedergegeben werden, sondern auch eigenständige Erklärungsansätze geboten werden. So werden etwa auch die Grundlagen der Auctoritas-Haftung ebenso deutlich skizziert, wie nexum und stipulatio. Zur Erklärung der sozialgeschichtlichen Grundlagen der stipulatio setzt der Verfasser bei Cicero (de devinatione 2.71/2) an und macht überaus plausibel, daß es sich um ein überkommenes Relikt einer Forderung staatlicher Würdenträger an den Augur hinsichtlich einer bestimmten Richtung der Vogelschau handeln könnte. Mehr als Annäherungen an ein einvernehmlich verbürgtes Verständnis der Institutionen in ihrer Zeit ist aus dem Abstand von über zwei Jahrtausenden kaum mehr möglich.

Glänzend sind auch die Ausführungen zur Geschichte des römischen Zivilprozesses, in dessen Zentrum das prätorische Edikt (später: edictum perpetuum) steht. Das aktionenrechtliche Denken des römischen Rechts wird erstmals mit den Zwölftafeln überhaupt faßbar, das nur fünf verschiedene Klagearten kannte. War eine Subsumtion unter eine dieser Klagearten nicht möglich, entfiel eine Klagemöglichkeit und ein Rechtsschutz konnte nicht gewährt werden. Der Text macht sehr deutlich, wie sich aus der legis actio per iudiciis arbitrive postulationem die Strukturen des römischen Formularprozesses ausdifferenziert haben. Die Legisaktionen des Zwölftafelrechts waren aber mit einer Förmelei (wer sich versprach, hatte schon verloren) behaftet, die ihre Brauchbarkeit im Rahmen einer mediteranen „Globalisierung“ (manches ist nicht ganz so neu, wie es scheint) der Antike und erheblicher wirtschaftlicher Kontakte mit Nichtrömern erheblich eingeschränkt haben, da sie nur römischen Bürgern zugestanden wurden (kaum jemand hat dies klarer analysiert als Moses I. Finley, in, Die antike Wirtschaft, 1977). Gegen 200 v. Chr. wurde dieses Modell des nichtrituellen Verfahrens vor dem praetor peregrinus durch eine lex aebutia auf das Verfahren vor dem praetor urbanus übertragen. Um dieses Verfahren zu verdeutlichen, greift der Verfasser erneut auf die Vindikation zurück, die ja noch heute oftmals Gegenstand von Examensarbeiten ist, aber im Gegensatz zum römischen Recht nicht zur Geldkondemnation führt, sondern zur Sachherausgabe. Eine Rechtsfolge, die dem anglo-amerikanischen Recht noch heute weitgehend so wesensfremd geblieben ist, wie der deutsche Erfüllungsanspruch, der inzwischen aber in das CISG Eingang gefunden hat. Hervorzuheben ist auch die überaus präzise Darstellung zu traditio und usucapio, aus der sich der heutige Gutglaubensschutz des BGB entwickelt hat, dessen Funktionen das römische Recht noch über die Ersitzung herstellte, die heute daher kaum mehr eine praktische Rolle spielt. Insbesondere die Funktion der usucapio aber war bereits im Mittelalter zwischen Romanisten und Kanonisten ungemein umstritten. Ein Umstand, der auch den machtpolitischen Stellenwert der Interpretation des römischen Rechtes zeigt. War die Ersitzungsfrist noch nicht abgelaufen und konnte der Anspruchsteller sein Eigentum nicht beweisen, mußte er auf die actio publicana ausweichen, die die Voraussetzungen der usucapio§ fingierte. Das römische Recht ist in vieler Hinsicht durch die konstruktive Überwindung institutioneller Schranken durch Rechtsschöpfung gekennzeichnet. Die Ausführungen zum materialen Gehalt des römischen Rechts sind derart klar, daß jeder sie nachvollziehen können sollte, der sich für dieses Fragen der Herkunft unserer Rechtsregeln interessiert.

§§§ VI.

War die Rechtsauslegung ursprünglich Sache der pontifices, ging diese Kompetenz bereits in der frühen Republik auf den Prätor über, der wiederum nach den Regeln des römischen Formularprozesses nach Gewährung einer actio einen privaten iudex zur Entscheidung berief, gegen die es in der Regel keine Berufung gab. Mit der Erweiterung seines Herrschaftsgebietes setzte sich aber das römische Reich der Republik (insbesondere durch den „Sklavenimport“) immer stärker anderen kulturellen Einflüssen aus, insbesondere der hochentwickelten hellenistischen Kultur, die auch den römischen Staat erheblich verändert haben (s. nur N. D. Fustel de Coulanges, Der antike Staat, dtv 4487). Erst die griechische Philosophie brachte System und Methode nach Rom. Es ist sicher kein Zufall, daß die juristische Reflexion auch der Institutionen des Rechtssystem, deren systematische Darstellung bereits Cicero vergeblich gefordert hatte, maßgeblich erst nach dem intensiven Kontakt mit den hellenistischen Wissenschaften einsetzte, jedoch nie zu einer „Systembildung“ geführt hatte. Manthe schließt sich der im Vordringen befindlichen Auffassung an, daß der Einfluß der griechischen Philosophie nicht hoch genug bewertet werden kann. Insbesondere in der Ethik wurden rechtssystematische Reflexionen vorgenommen (für die etwa einige Passagen von Cicero, De Officiis, schöne Beispiele liefern) die allerdings im Schulenstreit zwischen skeptischer Akademie, Peripatos, Stoa und Epikureismus streitig verblieben (einen noch heute lesenswerten Überblick dazu bietet Walther Kranz, Die Griechische Philosophie, 1941, 1992) jedoch gemeinsam die Suche nach einem materiellen Begriff von Gerechtigkeit hatten, der im Begriff des positiven Rechts nicht aufgehen kann und dieses fortwährend in Frage stellt. Weitgehend unerforscht ist zudem der Einfluß antiker Kosmologie auf das Weltbild der ethischen Systeme, da fast kein antiker Philosoph reiner Ethiker war. Gleichwohl ließen sich die Ergebnisse der Fallösungen regelmäßig aus dem materialen Gehalt des tradierten römischen Rechts begründen, dem immanente Gerechtigkeitserwägungen zugrunde lagen, die von der philosophischen Reflexion nur bewußt gemacht und weiterentwickelt wurden, zumal dem Recht in praxi erst durch Rhetorik zur Geltung verholfen werden konnte (s. Gerd Ueding, Klassische§ Rhetorik, 2. Aufl., 1996, BsR 2000).

VII.
§

Immer wieder spürt der Autor in den römischen Rechtsregeln die Anfänge heute noch geltender Rechtsregeln und Prinzipien auf. So führen die Spuren der heutigen kontinentaleuropäischen Strukturen der deliktischen Verschuldenshaftung deutlich zur lex aquilia des 3. vorchristlichen Jahrhunderts. Besonders interessant ist auch die Sachmängelgewährleistung des § 463 BGB, dessen Frühformen sich im Vieh- und Sklavenedikt der kurulischen Ädilen finden. Auch für eine grundlegende Systemproblematik des Leistungsstörungsrechts findet sich eine plausible Erklärung: „Die heute kaum verständliche dogmatische Trennung der Sachmängelansprüche (§§ 459 ff BGB) von den Nichterfüllungsansprüchen (§ 325 BGB) geht letztlich darauf zurück, daß das römische Recht zwei verschiedene Rechtswege (Prätor und Ädil) hatte, die heute natürlich in der ordentlichen Gerichtsbarkeit vereinigt sind“. Im Zentrum der Fallpraxis der römischen Juristen stand allerdings das Erbrecht. Entsprechend eingehend ist vom römischen Erbrecht die Rede, dessen Entwicklung so eingehend wie möglich nachgezeichnet wird. Eine umfassendere Darstellung aus der Feder des Autors wird sich der interessierte Leser beinahe zwangsläufig wünschen. Hier spielen auch zahlreiche leges eine entscheidende Rolle, obwohl das römische Privatrecht sonst weitgehend Juristenrecht war. Eine gewisse „Frauenfeindlichkeit“ konnte man der patriarchalischen römischen Rechtskultur nicht absprechen, konnte eine Frau doch nicht gesetzliche Erbin werden, ohne der Vormundschaft ausgesetzt zu sein, weshalb das Vermächtnisrecht eine hohe Bedeutung hatte, aber bereits durch eine lex voconia deutlich eingeschränkt wurde, bis im Jahre 41 v. Chr. die lex falcidia eine moderatere Regelung traf, den Nachlaß aber hinsichtlich des falcidischen Quart des Erben schützte. Es konnte nicht ausbleiben, daß auch die römische Kautelarpraxis Auswege gegen unerwünschte Schranken des Rechtssystems suchte, noch weithin unbelastet von steuerrechtlichen Restriktionen. Es wäre allerdings unhistorisch, die Antike an Wertstandards der „radikalisierten Moderne“ (A. Giddens)§ zu messen. Dieser oft gegen Theodor Mommsen erhobene Vorwurf, trifft den Text von Manthe in keiner Weise, da stets versucht wird, die tragenden Wertstrukturen immanent aus der historischen Entwicklung zu rekonstruieren. Die Regelung der lex falcidia, wurde im Gemeinen Recht Allgemeingut, jedoch von den Verfassern des BGB nicht übernommen (s. jetzt, Michael Hennig, Die lex Falcidia und das Erbrecht des BGB, Berlin, 1999 - Rezension auf http://www.jurawelt.de/literatur im Verlauf der nächsten Monate). Eine Darstellung, die auf knappstem Raum derartig komplexe Fragen erörtert, muß das hochinteressante Rechtsinstitut des Fideikommisses- das übrigens auch im englischen Recht rezipiert wurde -§ wenigstens streifen (s. jetzt umfassend, Bernhard Bayer, Sukzession und Freiheit, Berlin, 1999 - Rezension unter http://www.jurawelt.de/literatur in Kürze), das ursprünglich nicht verbindlich gemacht werden konnte, da es kein Legat darstellte. Der Erbe war nur nach der Sitte gehalten, eine derartige „Auflage“ zu erfüllen, wie Cicero in einem Fall plastisch darstellt (de finibus bonorum et malorum, 2.55) und keinen Zweifel daran läßt, daß es der seinerzeitigen „herrschenden Auffassung“ unter Juristen entsprach Fadia gegen P. Sextilius Rufus keine actio zu gewähren, da sie nach der lex voconia nichts zu erhalten hatte, was Cicero Gelegenheit gibt, die Frage nach der materialen Gerechtigkeit aufzuwerfen, dem Hauptthema dieses interessanten Buches. Erst unter Augustus (s. dazu jetzt, Eck, Augustus und seine Zeit, BsR 2084) wendete sich das Blatt, da dieser Fideikommisse ohne wenn und aber zu erfüllen pflegte, bis diese Praxis in der Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. durch einen Senatsbeschluß wieder eingeschränkt und den Regeln des ius civile unterworfen wurde. Die erbrechtlichen Passagen dieser Einführung gehören sicher zu den lesenswertesten Teilen dieses an Höhepunkten nicht gerade armen Werkes, das auch kurz die römischen Juristen und ihre Literaturgattungen wenigstens kurz behandelt.

Erst unter dem mittleren Prinzipat erteilten die Kaiser herausragenden Juristen das Recht, öffentliche Gutachten zu erteilen und damit mit kaiserlicher Autorität zu entscheiden. Eine Praxis, die später zur Verleihung des ius respondendi führte. Die „Gesetzeskraft“, mit der diese Juristen sprechen konnten, dürfte - ein kühner, aber wohl zutreffender Schluß von Manthe - auch dazu geführt haben, daß ihre Schriften die Zeiten bis Justinian überdauert haben und überhaupt Eingang in die Digesten gefunden haben, die keineswegs eine reine Sammlung privater Juristenmeinungen waren, sondern ein Kompendium der Meinungen von Juristen, deren Auffassung „Gesetzeskraft“ hatte, nicht erst seit dem Zitiergesetz des Theodosius.

VIII.

§
Der Schwerpunktsetzung nach entsprechend knapp sind die Ausführungen zu den nachklassischen Entwicklungen. Nach Ulpian, Paulus, Marcian, Macer, Iulius Aquila, Modestin, Furius Antinius, Arcadius Carisius und schließlich Hermogenian, dessen Schriften schon in die Regierungszeit Diokletians fallen, sind uns keine Juristen mehr namentlich bekannt.§ Über die Ursachen wird seit Jahrhunderten viel gestritten. Manthe bringt die nicht unplausible These ins Spiel, daß mehr oder weniger alles Wesentliche zu diesem Zeitpunkt kommentiert und dargestellt war und schließlich die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Verelendung des 3. Jahrhunderts eine zentrale Rolle spielte, zumal Bücher in derart verelendeten Zeiten auch für die Oberschicht absolute Luxusgüter darstellten und öffentliche Bibliotheken (die in Rom des frühen Prinzipats „erfunden“ wurden) kaum mehr existierten. Tatsächlich spielte Rom bereits zu diesem Zeitpunkt kaum mehr eine entscheidende Rolle, da das römische Reich in Despotien versank, die vom klassischen Rom kaum mehr als den Namen im Titel führten. Später wurde die weströmische Residenz ohnehin nach Ravenna verlagert. Das 3. Jahrhundert n. Chr. war eine der dunkelsten Epochen der europäischen Geschichte. Wie der berühmte Gräzist E.R. Dodds es genannt hat, ein „Zeitalter der Angst“ (Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst, 1992). In Zeiten permanenten Krieges hat das Recht seine Friedensfunktion ausgespielt und weicht der nackten Gewalt, wenn es als Postulat der Gerechtigkeit nicht behauptet werden kann und den Charakter der Gewalt in rechtlichen Formen nur wiederspiegelt. Der noch recht liberale Prinzipat, von den Auswüchsen eines Nero, Domitian oder Commodus abgesehen, war bereits unter den Serverern einer Militärdiktatur gewichen, die so endete, wie sie begonnen hatte. Aber bereits unter dem mittleren Prinzipat war Griechisch die Umgangssprache der gebildeten Stände geworden, die damit den Boden der römischen Tradition schon verlassen hatten. Einer Festigung unter Diokletian und Konstantin (s. dazu Manfred Clauss, Konstantin der Große und seine Zeit, 1996, BsR 2042), folgten, wie Manthe es ausdrückt, „zwei dunkle Jahrhunderte bis Justinian“, die angesichts der unsicheren Quellenlage auch wissenschaftlich zuwenig erforscht sind (s. aber Peter Brown, Macht und Rhetorik in der Spätantike, 1993). Das Formularverfahren wich einem Verwaltungsverfahren, über dessen Einzelheiten wenig bekannt ist. Jedenfalls wurden die Klagformeln 342 n. Chr. endgültig abgeschafft. Ohne Klagformeln aber bedurfte es auch keines Juristenstandes mehr, der diese „Formeln“ mit Leben ausfüllte, sondern eines Beamtenapparates, der die Gesetze „verwaltete“, zum Schaden privatautonomer Lebensgestaltung. Mit der Jurisprudenz geriet aber nahezu parallel auch die antike Philosophie in einen Niedergang, deren Leistungsfähigkeit mit der „Philosophiae Consolationis“ des Boethius, wenige Jahrzehnte nach dem „Untergang“ des weströmischen Reiches, letztmalig in Wahrnehmung der „parrhesia“ aufflackerte, um in der Bedeutungslosigkeit eines frühen Mittelalters endgültig zu versinken, zumal alle Philosophenschulen durch kaiserliches Dekret verboten wurden.
§
Die beiden letzten Kapitel beschäftigen sich schließlich mit der justianischen Kodifikation und deren Nachleben, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer wahren „Interpolationenjagd“ ausuferte. Dem Verdikt Manthes, daß die deutsche Zwischenkriegsliteratur zum römischen Rechte aus heutiger Sicht weitgehend wertlos ist, kann man sich nur anschließen. Dem Zeitgeist wohl entsprechend wurde nahezu alles und jedes der „Unwahrhaftigkeit“, der Abweichung von „reinen Lehren“ verdächtigt. Tatsächlich wurde- wohl nicht zuletzt aus Verneigung vor der fachlichen Autorität der Vorfahren noch im 6. Jahrh. n. Chr. - weitaus weniger interpoliert, als angenommen worden ist, was Kopistenfehler nicht ausschließen kann, die abschrieben, was sie meist nicht verstanden und von Kopisten abschrieben, die ihrerseits schon kopiert hatten. Ein Problem, das sich aber bei allen antiken Literaturgattungen als philologisches Problem in gleicher Weise stellt. So wurde in allen einschlägigen Stellen der Digesten der Begriff manicipatio durch traditio ersetzt, ohne größere inhaltliche Änderungen sonstiger Art vorzunehmen. Besonders interpolationenverdächtig sind noch heute Stellen der Digesten, in denen der Begriff humanitas verwendet wird. Einem Begriff, von dem die römischen Juristen - wohl beeinflußt von Stoa, Skepsis und später dem Neuplatonismus - einen völlig anderen Begriff hatten, als die modernen deutschen „Humanisten“.

Von dem was nach Abschluß der Kompilation vernichtet worden ist, ist kaum etwas erhalten, es sei denn durch historischen Zufall. Die wesentlichen dieser Texte werden von Manthe genannt. Besonders Urkunden und Inschriften sind für die Forschung von Interesse. Deutlich wird aber auch auf die Bedeutung nichtjuristischer Quellen hingewiesen. Interessant sind die abschließenden Ausführungen zum Weiterleben der justianischen Kodifikation in Byzanz, deren lateinische Substanz auf Griechisch gelehrt und ausgelegt wurde, bis die Verbindungen zu den lateinischen Texten völlig verloren gingen. Auch die Florentina enthält partiell griechischen Text. Insbesondere Basilisken und Scholien sind für die Interpretation auch der Digesten unersetzlich, da dort weitere Texte antiker Juristen in griechischer Sprache - teilweise parallel - überliefert worden sind. Immerhin hat die Tradition des griechischen Rechts die Osmanenherrschaft überdauert und in Form der Hexabilien bis 1946 überlebt. Tatsächlich steht Europa auch jetzt wieder privatrechtlich an einem Scheideweg: Entweder wird dem Globalisierungsdruck nachgegeben und das europäische Privatrecht nicht zuletzt durch EG-Richtlinien erheblich „amerikanisiert“ oder aber es erfolgt eine Rückbesinnung auf die kontinentaleuropäischen Traditionen entlang der Leitlinien des römischen Rechts, eine Art Wiederbesinnung Europas auf sich selbst. Wer die Verbindungen zum römischen Recht aber „kappen“ will, sollte sich der möglichen Folgen bewußt sein: der Zerstörung der Wurzeln des kontinentaleuropäischen Privatrechts und ihrer Preisgabe in vergangenheitsloser Beliebigkeit.
§


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