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Artikel 10370
Franz Christian Ebert, Hanse Law School
30.06.2005

Abwechslungsreiche Arbeit mit vielen Facetten

Eine Rezension zu:

Gabriel Seiberth

Anwalt des Reiches

Carl Schmitt und der Prozess "Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof

Dissertation

Duncker-Humblot, Berlin 2001, 318 Seiten, 34,- €
ISBN 3-428-10444-7

http://www.duncker-humblot.de


Ist ein Mythos erst einmal entstanden, wird man ihn so schnell nicht mehr los. Ein solcher entwickelt zuweilen eine erstaunliche Eigendynamik und es bedarf oft viel gewichtigerer Argumente zu dessen Entkräftung als zu seiner Erzeugung. Eben ein solcher Mythos rankte sich lange Zeit um die Weimarer Zeit des berühmten Staatrechtlers und Philosophen Carl Schmitt. Ausgehend von dessen Karriere während des Nationalismus zogen zahlreiche Rechtshistoriker den Rückschluss, dass Schmitt auch vor der Machtergreifung Hitlers schon den Nationalsozialisten in die Hände gearbeitet haben müsse. Auch wenn diese These mittlerweile in der heutigen Geschichtswissenschaft seltener vertreten wird, steht noch des Öfteren die Behauptung im Raum, Schmitt sei, wenn schon kein Wegbereiter Hitlers, dann doch wenigstens ein Mann Papens gewesen, welcher zwar nicht das NS-Regime, aber doch eine antidemokratische Restauration angestrebt habe.

Diesen Mythos sucht die vorliegende Arbeit von Gabriel Seiberth zu entkräften. Er vertritt die These, dass Schmitt mitnichten ein Mann Papens, sondern vielmehr ein Mitarbeiter Schleichers gewesen sei. Dieser habe anders als sein Vorgänger keine Überwindung der Weimarer Republik angestrebt, sondern vielmehr eine Fortentwicklung des Systems zu einer präsidialen Demokratie. Demnach sei auch Schmitts Handeln nicht als Hintertreibung, sondern als Versuch einer Rettung der Weimarer Demokratie zu verstehen. (S.260) Um diese Thesen zu belegen, konzentriert sich Seiberth weitgehend auf den politischen Akteur Carl Schmitt und dessen Vorhaben betreffend den Prozess „Preußen contra Reich„ sowie die Notstandsplanung. Hierbei kommt der ausführlichen Auswertung des Tagebuches Carl Schmitts eine besondere Bedeutung zu. Drei Schwerpunkten widmet Seiberth seine Aufmerksamkeit: Der generellen Problematik des sogenannten „Preußenschlages„ der Regierung Papen vom 20. Juli 1932, dem daran anknüpfenden Prozess „Preußen contra Reich„ sowie den Reformvorhaben und Notstandsplanungen der Reichsregierung. Diese Ereignisse werden den Tagebuchaufzeichnungen Schmitts gegenübergestellt, so dass die Geschehnisse auf anschauliche Weise aus zwei Perspektiven betrachtet werden.

Seiberth beginnt seine Ausführungen mit der umstrittenen Geschäftsordnung des preußischen Landtages vom 12. April 1932 und schildert von dort aus die Vorbereitungen der Reichsregierung zur Machtübernahme der Reichsregierung, dem sogenannten „Preußenschlag„. Die preußische Regierung enthielt sich zwar einer militärischen Gegenwehr, attackierte die Reichsregierung, unterstützt durch die Koalitionsfraktionen sowie durch die Länder Baden und Bayern, allerdings umso energischer auf dem Rechtswege.

Hieran anknüpfend, stellt Seiberth dar, dass die Reichsregierung zunächst von der juristischen Gegenwehr Preußens überfordert schien. Die Suche nach kompetentem rechtlichen Beistand und Strategien gestaltete sich schwierig, so dass Schmitts Engagement äußerst wohlwollend betrachtet wurde.(S.98 f.) Schmitt seinerseits hatte sich langsam aber stetig Zugang zu den Gewährsmännern des Reichswehrministers General von Schleicher verschafft und wurde auf diesem Wege Prozessvertreter im Rechtsstreit des Reiches gegen Preußen.

Seiberth zeigt detailliert, wie sich Schmitt für den Prozess wappnete. Wie darlegt wird, bestand das Dilemma darin, dass die Prozessvertreter für das Reich die Positionen Papens als Grundlage für die Verordnung nehmen mussten, obwohl dieser zwischenzeitlich bereits von einigen seiner Punkte abgerückt war. So wollte man etwa die Absetzung der Minister als vorübergehende Maßnahme verstanden wissen. Die Verordnung selbst gab hierzu jedoch keinen Anlass, sprach sie doch von einer Amtsenthebung und nicht etwa von einer „vorübergehenden Beurlaubung„. Entsprechend gab der Staatsgerichtshof der Argumentation der Reichsvertreter nur begrenzt statt. Er verneinte eine Pflichtverletzung, womit folglich die Voraussetzungen für eine Reichsexekution nach Art. 48 Abs. 1 WRV nicht erfüllt waren. Der Staatsgerichtshof hielt lediglich den „Notverordnungsartikel„ Art. 48 Abs. 2 WRV für einschlägig. Auch diese Aussage schränkte der Staatsgerichtshof allerdings ein: Eingriffe in den Aufbau oder die Stellung eines Landes im Reich, wie die Vertretung des Landes im Reichsrat oder die endgültige Absetzung der Regierung dürfe der Reichspräsident nicht vornehmen.

Seiberths Bewertung des Urteils orientiert sich weitestgehend an verschiedenen Urteilsrezensionen. Hierbei legt er einen besonderen Augenmerk auf die Stimmen der Urteilsgegner. Während er die überpositivistischen Ansätze Johannes Heckels als ungeeignet einstuft, hält Seiberth die „streng positivrechtliche (...) Argumentation„ (S.204) von Heinrich Triepel für effizienter als die Schmitts und seiner Mitarbeiter. Seiberth versäumt es jedoch, an dieser Stelle auch auf die Schwachpunkte in der Argumentation Triepels hinzuweisen, die teilweise bereits von damaligen Juristen wie Schwalb und Civis erkannt wurden. Bei der rückblickenden Bewertung des Urteils enthält sich Seiberth weitgehend einer eigenständigen Beurteilung. Statt dessen konzentriert sich Seiberth maßgeblich auf die Wiedergabe der Bewertung des Juristen Henning Grunds aus dessen bekannter Dissertation Preußenschlag und Staatsgerichtshof im Jahre 1932. Leider bleibt die These Grunds, der Staatsgerichtshof habe die bestmögliche Entscheidung des Prozesses gefunden nahezu unwidersprochen. Seiberth begnügt sich hier mit der Bemerkung, für dieses Urteil spreche vieles und Grund begründe seine Auffassung schlüssig. (S.202) So findet etwa die Haltung deutlich kritischere Haltung des Rechtshistorikers Wolfgang Wehler keine Berücksichtigung.

Zuletzt geht Seiberth auf die Einbindung Schmitts in die Pläne zur Reichsreform ein, die den Dualismus Reich-Preußen beheben sollte. Schon vor der Ernennung Schleichers hatte sich Schmitt mit den Optionen im Falle eines Notstandes, etwa eines Misstrauensvotums gegen die Regierung beschäftigt. (S.215 ff.) Ausgehend von seiner Tätigkeit als Prozessvertreter und von seinen Kontakten zum Reichswehrministerium wurde Schmitt gebeten, auch die Notstandspläne der Reichsregierung juristisch abzusichern. Seiberth stellt heraus, dass Schmitt auch in dieser Frage auf der Linie Schleichers lag. So hatte Schmitt bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dass es mehr als riskant sei, in kritischen Zeiten wie diesen, eine umfassende Verfassungsreform vorzunehmen. Stattdessen solle man lieber den Spielraum nutzen, den die gegenwärtige Verfassung mit ihrem Art. 48 WRV biete. (etwa S. 222 ff.) Im Falle eines Notstandes ergaben sich drei Optionen: Die Zwangsvertagung des Reichstages, die Auflösung des Reichstages mit unbestimmtem Neuwahltermin oder das Ignorieren eines Misstrauensvotums des Reichstages gegen die Regierung. (S.255) Schmitt votierte, wie herausgearbeitet wird, eindeutig für die dritte Lösung. Weshalb Schleicher letztendlich jedoch nicht diese Lösung, sondern dem Reichspräsidenten die der Auflösung des Reichstages ohne Neuwahltermin vorschlug, kann auch Seiberth nicht klären.

Zur Klärung der Frage, ob der „Preußenschlag„ als Dienst an die Nazis gesehen werden muss, stellt Seiberth vor allem auf die Reaktion der NSDAP ab. Seiberth arbeitet heraus, dass die Nationalsozialisten, nachdem sie erkannt hatten, dass Papen ihnen keinesfalls die preußische Exekutive überlassen wollte, eine hemmungslose Agitation gegen die Regierung Papen betrieben. Er kommt zu dem Schluss, dass der Preußenschlag letztendlich gegen die NSDAP gerichtet war und folglich auch Schmitt gegen Hitler agierte. Den verschiedentlich angeführten Einwand, dass Schmitt in Aufsätzen und auch vor Gericht zwischen der verfassungsfeindlichen KPD und der legalen NSDAP differenziere, weist Seiberth zurück. Der Staatsrechtler sei mit der „schweren Hypothek„ (S.143) beladen gewesen, die Argumentation Papens zu wiederholen, um diesen nicht unglaubwürdig zu machen. Dem ist insofern zuzustimmen, als man Schmitt nicht zutrauen wird, an einem Verbot gegen die NSDAP zu arbeiten (S.144) und ihr zugleich Staatskonformität zu bescheinigen.

Zudem gelingt es Seiberth recht überzeugend, den Tagebucheintrag Carl Schmitt „traurig, deprimiert, der 20. Juli ist dahin„ als Indiz für eine Gegnerschaft des Staatsrechtlers zum aufstrebenden Nationalsozialismus zu deuten. (S.263) Die These, dass mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler vieles hinfällig wurde, wofür sich Schmitt in den vergangenen Monaten stark gemacht hatte, ist vor allem deshalb glaubwürdig, weil Seiberth im Vorfeld (S.215 ff.) dargelegt hat, dass Schmitts Ansichten sich auch im Vorfeld mit den Interessen Schleichers deckten. Daher liegt es nahe, dass Schmitt die Aufträge Schleichers nicht nur aus Opportunismus, sondern mit einer gewissen Überzeugung ausführte.

Gesamteindruck:
Insgesamt kann Seiberth die Diskussion um die Ziele Carl Schmitts um einige bedeutende Aspekte erweitern, die sich insbesondere im Hinblick auf die Auswertung des Schmittschen Tagebuches ergeben. Obgleich die Bewertung der staatsgerichtlichen Entscheidung Schwächen aufweist, gelingt Seiberth eine abwechslungsreiche Arbeit mit vielen Facetten: Durch die Referierung der persönlichen Eindrücke Schmitts fühlt sich der Leser im Zentrum des Geschehens. Auf eine Interpretation Schmitts, die sämtliche Teile des Mosaiks zusammenfügt, wird die Wissenschaft hingegen noch warten müssen.

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