Martin Bahr
Ausgezeichnete Arbeit mit interdisziplinärem Ansatz
Eine Rezension zu:
Michael Funk
Kfz-Vertrieb und EU-Kartellrecht
Status quo und notwendige Veränderungen für Vertragshändler und Handelsvertreter
Erich Schmidt Verlag, Bielefeld 2002, 445 S., 49,80 €
ISBN 3-503-06614-4
http://www.erich-schmidt-verlag.de
Vor kurzem kritisierte Bundeskanzler Schröder die von der EU-Kommission geplante Liberalisierung des Autoverkaufs in
der EU in äußerst scharfer Form. So forderte er den EU-Wettbewerbskommissar Monti auf, seine Pläne noch einmal
grundlegend zu überarbeiten, da die geplanten Veränderungen nicht dazu führen würden, dass Autos billiger würden. Statt
dessen würden vielmehr bewährte Vertriebs- und Servicestrukturen zerschlagen. Die Spitzenvertreter der deutschen
Autoindustrie schlossen sich dieser Kritik an.
Funk setzt sich in seiner ausgezeichneten Dissertation mit dieser hochaktuellen Problemlage auseinander. Bis zum
30.09.2002 ist die derzeitige Freistellungsverordnung noch gültig, dann läuft diese aus. Und es gilt, eine neue Regelung zu
finden, ansonsten droht den derzeitigen Vertriebsstrukturen aufgrund der engen EU-Kartellrechtsvorschriften das Aus.
In Teil A des Werkes geht Funk der Frage nach, welche Möglichkeiten und Grenzen es bei der Gestaltung von
Vertriebssystemen ganz allgemein gibt. Hier wird insbesondere die Wahl der Absatzstruktur, das System der Partner und
Vertragstypen in Vertriebssystemen besprochen. Als konkretes Beispiel dient das Vertriebssystem vom Daimler Chrysler.
Es schließt sich die Darstellung des Europäischen Kartellrechts als wettbewerbspolitisches Regulativ von vertraglichen
Vertriebssystemen an. Hier beleuchtet der Autor die Grundzüge der wichtigsten kartellrechtlichen Vorschriften, insbesondere
das Kartellverbot des Art. 81 EG.
Teil B stellt die geschichtliche Entwicklung des Kfz-Marktes dar.
Der Verfasser fängt Anfang des 19. Jahrhunderts an und beschreibt den zunächst vorsichtigen, ja zögerlichen Beginn der
heutigen Vertriebsstrukturen. Hier leistet Funk Außerordentliches: Auf hohem wissenschaftlichen Niveau und zugleich
in laiengerechter, verständlicher Sprache gelingt es ihm, die Gründe und Ursachen aufzuzeigen und die komplexen
Zusammenhänge anschaulich zu verdeutlichen.
Einen ebenso wichtigen Meilensteil stellt die "BMW-Entscheidung" des EU aus den 70er Jahren dar. Es handelte sich dabei um
die erste Freistellungsentscheidung auf dem Kfz-Sektor. Anhand von Grafiken und Schaubildern widmet sich der Autor
ausführlich diesem Beschluss. Auch an dieser Stelle vermittelt Funk zahlreiche Details der Regelung, verliert jedoch
nie den Überblick. Ihm gelingt es immer, den Gesamtzusammenhang herzustellen und die Beziehung zur derzeitigen Situation
aufzuzeigen. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich der interdisziplinäre Ansatz dieses Werkes. Neben den rechtlichen
Regelungen wird hier vor allem der Bereich der Wirtschaft und Politik angeschnitten.
Es schließt sich die Darstellung der Gruppenfreistellungsverordnung aus den 80er Jahren (123/85) an. Der Abschnitt endet
mit dem Status quo der derzeitigen Gruppenfreistellungsverordnung (1475/95), die Ende September 2002 ausläuft.
Anhand zahlreicher Tabellen und Statistiken zeigt Funk auf, in welchem Umfang Unterschiede in der EU bei den
Netto-Kfz-Preisen bestehen. Schwankungen bis zu 50% sind keine Seltenheit. Deutschland steht dabei bei den meisten Kfz an
erster Stelle. Ebenso interessant sind die Verstöße der Hersteller gegen die GVO 1475/95. Immer wieder geistern riesige
Unsummen durch die Presse. So verhängte die Kommission gegen Volkswagen 1998 eine Geldbuße von 102 Mio. Euro (vom EuG
auf 90 Mio. reduziert), gegen Opel Niederland B.V im September 2000 eine Strafe von 43 Mio. Euro, gegen Daimler
Chrysler 72 Mio. Euro usw. Die festgestellten Verstöße sind dabei manigfaltig. Zumeist handelt es sich dabei um
irgendeine Form von Knebelverträgen, die die Vertragshändler an die Kfz-Hersteller binden. Wie groß dadurch die Behinderung
des freien Kfz-Marktes ist, lässt sich nur schätzen.
Diese derzeitigen Probleme im Hinterkopf macht sich Funk in Teil C auf die Suche nach dem Kfz-Vertrieb der Zukunft.
Diese Erörterung nimmt fast die Hälfte des Buches ein und zeigt den besonderen Stellenwert dieser Arbeit. Der Autor macht
zahlreiche Vorschläge und stellt jeweils die Vor- und Nachteile dar. Rechtsvergleichend berücksichtigt er z.B. die
amerikanischen Regelungen. Ebenso erörtert werden die auf dem Tisch liegenden Vorschläge beteiligter Institutionen. Einen
breiten Raum nimmt dabei zutreffender auch die Darstellung des Handelsvertreters als Absatzmittler im Kfz-Vertrieb ein. Von
manchen Vertretern wird nämlich nur dann eine Lösung der bestehenden Probleme für möglich gehalten, wenn es gelingt, die
Bedeutung und Gewichtung des Handelsvertreters in der Praxis grundlegend zu erhöhen.
Die Frage, welche Regelung nach dem Auslauf der GVO 1475/95 kommen wird, beantwortet Funk wohl zutreffenderweise mit
der Antwort, dass sich alle Beteiligten auf eine Verlängerung der dann leicht modifizierten GVO 1475/95 einigen werden.
Wünschenswert wäre dies angesichts des bestehenden Ungleichgewichts zwischen Kfz-Herstellern und Vertragshändlern
sicherlich nicht, da so kaum die grundlegenden Probleme beseitigt werden.
Gesamteindruck:
Ein überaus gelungenes Buch, das sowohl für den Laien als auch für den Kenner der Materie uneingeschränkt empfohlen werden
kann. Gerade der interdisziplinäre Ansatz
und die durchgehend mit zahlreichen Praxisbeispielen angereicherte Darstellung machen die besondere Qualität dieses Werkes
aus. |