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Artikel 4694
Martin Bahr

Internet und Strafrecht - zwei gegensätzliche Welten ?

Eine Rezension zu:

Karsten Bremer

Strafbare Internet-Inhalte in internationaler Hinsicht

Ist der Nationalstaat wirklich überholt?

Peter Lang-Verlag, Frankfurt a.M. 2001, 279 Seiten, 42,50 €
ISBN 3-631-37419-4

http://www.peterlang.net


Das globale Medium Internet stellt die Rechtswissenschaft vor eines der größten Probleme der Neuzeit: Wie können nationale Gesetze und Rechtsvorschriften transnationale Handlungen und Geschehnisse wirksam erfassen? Dieser Frage geht auch Bremer in seiner Dissertation nach. Seine Betrachtung konzentriert sich dabei ausschließlich auf den strafrechtlichen Bereich.

Das Buch bleibt nicht bei der bloßen Bestandsaufnahme der derzeitigen Rechtssituation in Deutschland stehen, sondern geht rechtsvergleichend auf die Praxis in anderen Ländern, natürlich insbesondere den USA, ein. Dadurch gewinnt das Werk eine außerordentliche Qualität und bietet hinsichtlich der nach wie vor aktuellen und nicht beantworteten Frage neues Forschungs- und Argumentationsmaterial.

Die Arbeit beginnt mit einer 50seitigen Zusammenfassung der Arbeitsweise des Internets und den bestehenden Kontrollmöglichkeiten. Dabei stellt der Autor die einzelnen Teilbereiche des Mediums sehr detailliert dar. Zutreffend ist seine Ansicht, dass aufgrund der fehlenden zentralen Kontrolle und der simplen Bedienbarkeit das Internet der ideale Platz zur Verbreitung von Äußerungen mit kriminellem Inhalt ist. Das Medium wurde nun mal mit der Prämisse entwickelt, einen Atomschlag zu überstehen, so dass die Juristerei daran auch nicht Grundlegendes ändern wird können.

Dann beginnt der eigentliche Teil der Dissertation. Zunächst widmet sich Bremer dem besonderen Phänomen der strafbaren Inhalte (Straftatbestände, "opferlose" Kriminalität?) und erörtert die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens (rechtsfreier Raum?, Selbstregulierung, Netiquette). Seine Ausführungen sind an diesem Punkt klar kriminologisch, jedoch sehr hilfreich und auch notwendig, um später die vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten nachvollziehen zu können.

Es schließt sich die Darstellung der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts an. Hier werden natürlich das Territorialitäts- und das Ubiquitätsprinzip angesprochen. Insbesondere unter dem relevanten Haftungsmaßstab des § 5 TDG erfolgt dann die Subsumtion der einzelnen Straftaten (Pornographie, Beleidigungen usw.) unter den Besonderen Teil des Strafrechts. Kritisch angesprochen wird natürlich die Verurteilung des Compuserve-Chefs Somm durch das LG München (in 2.Instanz freigesprochen). Bei der Link-Haftung führt der Autor die Beispiele der PDS-Abgeordneten Marquardt (AG Tiergarten, MMR 1998, 49) und den Klassiker Steinhöfel ./.Best (LG Hamburg, CR 1998, 565) an. Die Darstellung ist durchgehend fundiert und sehr sachlich. Die Sprache ist bewusst einfach gehalten, der Autor verzichtet weitgehend auf fachbezogene Ausdrücke, so dass die Erörterungen auch für den nicht vorgebildeten Laien verständlich sind.

Im Anschluss an die deutsche Rechtsordnung betrachtet Bremer die Regelungen in den ausländischen Rechtsordnungen. Dabei geht er zunächst auf den europäischen Rechtsraum (Frankreich, England u.a.) ein, gefolgt von den sonstigen Staaten (hier interessanterweise insb. die islamische Welt). Der Schwerpunkt der Darstellung liegt bei den Beispielen aus den USA, dem Mutterland des Internets. Hier bringt der Autor mehrere anschauliche Beispiele, z.T. auch aus dem innerstaatlichen amerikanischen Recht, da in den USA die einzelnen Staaten unterschiedliche Strafgesetze besitzen. Besonders auffällig ist dabei, dass in sämtlichen Rechtsordnungen die Tendenz besteht, eine Allzuständigkeit für Straftaten im Internet zu bejahen. Glaubten bisher viele, dass dies insbesondere ein deutsches Phänomen sei, werden sie hier eines besseren belehrt. Als besonders negativ ragt hier das Beispiel eines Oberstaatsanwaltes aus dem US-Bundestaat Minnesota hervor, der auf seiner Webseite ausdrü! cklich darauf hinweist, dass er auf alle Internet-Straftaten das Recht von Minnesota anwendet. Dies ist nur ein Beispiel von vielen (der US-Bundestaat Georgia hat sogar z.T. inhaltsgleiche Gesetze erlassen).

Die außerordentliche Qualität dieses Buches setzt sich auch im folgenden fort. Gelungen zeigt Bremer auf, welche materiell-rechtlichen Konflikte bei bestimmten Straftaten auftauchen können, wenn unterschiedliche Rechtsordnungen aufeinanderprallen. Dies wird anschaulich anhand der Pornographie- und Beleidigungsdelikte präsentiert.

Erfreulicherweise bleibt der Band nicht an diesem Punkt stehen, sondern bietet auf über 70 Seiten einen eigenen Lösungsansatz. Die Grobgliederung teilt sich in eine internationale (rechtsangleichende) und eine nationale Lösung auf. Bei der rechtsangleichenden Ansicht differenziert der Autor zwischen zahlreichen Unterpunkten. Hier wäre es für den Leser vermutlich besser gewesen, nicht derartig akribisch die einzelnen Teilbereiche anzusprechen. Denn so besteht ein wenig die Gefahr, dass man ab und zu den großen, roten Faden ein wenig aus den Augen verliert. Die von Bremer gemachten Lösungsansätze sind geprägt von einem tiefgehenden Verständnis für den behandelten Stoff. So kommt der Verfasser zutreffend zu dem Schluss, dass bei bestimmten Delikten eine internationale Lösung aufgrund der einfach zu großen Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen wohl nahezu unmöglich sein wird. Er plädiert daher auch für eine moderate Anpassung der jeweiligen nationalen Regelungen, warnt jedoch zugleich davor, die momentan z.T. praktizierte Allzuständigkeit auch zukünftig fortzusetzen.

Gesamteindruck:
Ein außerordentlich interessantes Werk. Gerade der kriminologische und rechtsvergleichende Ansatz prägt die Qualität dieses Buch. Die zahlreichen Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass nicht nur die deutsche Rechtsprechung sich z.T. auf Abwegen befunden hat bzw. befindet, sondern, dass es sich dabei um ein internationales Phänomen handelt. Ein Band, der für das Verständnis von Strafrecht und Internet unerlässlich ist.

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