Martin Bahr
Internet-Recht mit interdisziplinärem Ansatz
Eine Rezension zu:
Michael Hohl / Stefan Leible / Olaf Sosnitza (Hrsg.)
Vernetztes Recht
Das Internet als Herausforderung an eine moderne Rechtsordnung
Richard Boorberg Verlag, Stuttgart u.a. 2002, 188 S., 25,- €
ISBN 3-415-02985-9
http://www.boorberg.de
Der Band präsentiert die Ergebnisse des ersten Kongresses des Bayreuther Arbeitskreises für
Informationstechnologie-Neue-Medien-Recht e.V. (@kit) aus dem Jahre 2001.
Der @kit ist im Jahre 2000 gegründet worden und hat sich zum Ziel gesetzt, das Recht der neuen Informationsmedien näher
auszuleuchten und hierbei gewonnene Erkenntnisse in praxistauglicher
Form der interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. Besonderen Wert wird dabei auf einen interdisziplinären Ansatz gelegt.
Vernetztes Recht enthält 9 Beiträge. Es wird dabei die ganze Bandbreite des Internets angesprochen.
Wuermeling widmet sich im ersten Teil den aktuellen rechtspolitischen Vorhaben des Europäischen Parlaments. Ist der
Artikel auch schon etwas älter, so ist er dennoch
sehr lesenswert. Denn der Autor verliert sich nicht in der Darstellung einzelner Umsetzungsvorhaben, sondern erläutert
vielmehr die Grundzüge und Tendenzen im allgemeinen. Gerade dieser gesamtheitliche Ansatz fördert das Verständnis des Lesers
für die durch das Internet aufgeworfenen Rechtsprobleme.
Drei Bereiche stehen aus Sicht des Europäischen Parlaments im Vordergrund: (1) Verbraucher- und Datenschutz, (2) Stärkung
des Binnenmarktes
und (3) Computerkriminalität.
Der zweite Aufsatz stammt von Pfeiffer und geht der Frage nach, welches Recht bei grenzüberschreitenden
Internet-Verträgen anzuwenden ist (vgl. zu diesem Thema grundlegend
Junker, RIW 1999, 809). Bei der anfänglichen Darstellung der in Betracht kommenden Rechtsquellen setzt sich der
Autor vor allem mit der schon beinahe legendär gewordenen Frage
auseinander, ob die E-Commerce-RiL kollisionsrechtliche Bedeutung hat und wenn ja, welche. Es folgen die Erörterungen über
das Vertragsstatut (Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Form,
Vertragsschluss). Entsprechend den Art. 27ff. EGBGB stellt der Verfasser zunächst das Prinzip der engsten Verbindung dar.
In den darauffolgenden Abschnitten werden die
Ausnahmen von diesem Prinzip anschaulich besprochen: Rechtswahl durch Parteien, Besonderheiten bei Verbraucherverträgen,
zwingendes deutsches Recht (Art. 34 EGBGB).
Der dritte Aufsatz von Ann beschäftigt sich mit den Besonderheiten des elektronisches Vertragsschlusses im Internet.
Der Verfasser setzt sich damit mit einem
Problem auseinander, das bis zur Ricardo.de-Entscheidung durch das LG Münster in der Literatur ein Schattendasein
führte. In einem ersten Schritt
wird die Wirksamkeit elektronischer Willenserklärungen (Erklärungsinhalt, Erklärungsabgabe unter An- und Abwesenden,
Zugang) besprochen, in einem zweiten Schritt die mögliche
Anfechtung nach §§ 119, 120 BGB. Erfreulicherweise hat der Autor in einem weiteren Kapitel die elektronische Vertragsform
nach dem Schuldrechtsreformgesetz (§ 311f BGB n.F.)
mit eingearbeitet.
Teil 4 entspringt der Feder von Ernst und trägt den Titel: "Verbraucherschutz bei Rechtsgeschäften im Internet". Es
handelt sich dabei um eine außerordentlich
praxisnahe Darstellung. Inhaltlich werden die Anforderungen nach dem AGBG und dem FernabsatzG besprochen. Die Ausführungen
sind trotz des nur knappen Umfangs von 25 Seiten
sehr detailliert. So werden im Bereich des AGBG nach einer Allgemeineinführung (Einverständnis, Umfang, Positionierung,
Lesbarkeit, dauerhafte Verfügbarkeit, Sprache) einzelne
Bereiche gesondert angesprochen: (1) Nachträgliche Einbeziehung von AGB, (2) Inhaltkontrolle, (3) E-Mail-Werbung, (4)
Datenschutz und (5) Schriftform.
Im Rahmen des FernabsatzG erfolgt zunächst eine Abgrenzung zum VerbrKrG. Es schließen sich die Erörterungen zum
Widerrufrecht (Frist, Ausnahmen, Rückgaberecht) an.
Waldenberger stellt in Teil 5 die Informationspflichten der Internet-Diensteanbieter dar. Nach einer kurzen
Beschreibung der herkömmlichen Informationspflichten (Angaben auf Geschäftsbriefen, klare und wahre Preisauszeichnung) wird
auf die Besonderheiten im Bereich des Internets eingegangen. Der erste große Bereich ist der Anbieter-Kennzeichung gewidmet.
Hier werden der MDStV und das TDG gesprochen. Der Autor berücksichtigt dabei auch die inzwischen in Kraft getretenen
Änderungen durch das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr (EGG). Der zweite große Bereich ist der Datenschutz. Hier
wird neben dem MDStV vor allem auf das TDDSG und die Neuerungen durch das EGG eingegangen.
Gerade die in der letzten Zeit stark zunehmenden Abmahnungen wegen einer fehlerhaften Anbieterkennung nach § 6 TDG zeigen,
wie praxisrelevant dieses Thema ist.
In Teil 6 beschäftigt sich Spindler mit dem Dauerbrenner: "Die Verantwortlichkeit von Diensteanbietern im Internet
nach der E-Commerce-RiL". Spindler führt hier seine schon früher geäußerten Ansichten (MMR 1999, 199; MMR 2000,
Beil. Nr. 7/2000, 4) auf gewohnt hohem wissenschaftlichen Niveau fort. Der von ihm getroffenen Analyse, dass insbesondere
das Herkunftslandprinzip einigen Sprengstoff für die nationale Rechtsprechung und Gesetzgebung beinhaltet, ist voll und ganz
zuzustimmen.
Thematisch nahtlos schließen sich die Ausführungen von Dannecker zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von
Diensteanbietern im Internet an. Der Verfasser stellt zunächst ausführlich die aktuelle Rechtslage dar (§ 5 TDG) und zeigt
dann auf, welche Änderungen durch die E-Commerce-RiL eintreten. Die Aufsätze von Spindler und Dannecker
ergänzen sich in fundierter Weise.
Grond begibt sich im vorletzten Aufsatz auf die Wege des Datenschutzes und der Datensicherheit. Der Autor spielt
dabei zahlreiche Angriffsszenarien durch (EMail-Bomben, DDoS-Attacken, Würmer und Viren, Trojanische Pferde) und zeigt auf,
welche technischen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen sinnvoll und möglich sind. Leider werden die
Sicherheitsmaßnahmen sehr stark vertieft und setzen ein überdurchschnittliches technisches Wissen voraus. Hier wird vom
Leser auf zu geringem Raum (3 Seiten) zu viel verlangt.
Es wäre vielleicht besser gewesen, die allgemeine Ausrichtung darzustellen und lieber nur an einzelnen Stellen derart
konkret zu werden.
Das Buch schließt mit den "Rechtlichen Möglichkeiten zur Gewährung von Datenschutz und Datensicherheit im Internet" von
Preiß.Hoch anzurechnen ist dem Autor, dass er die wichtige Unterscheidung von Hacker und Cracker nicht unerwähnt
lässt. Diese beiden Tätertypen werden in der kriminologischen Literatur (soweit überhaupt vorhanden) leider oftmals nach
wie vor gleichgestellt, was aber in keiner Weise den Realitäten entspricht (vgl. nur Giseke, Anti-Hacker-Report,
2001, 16). Nach den Erörterungen zum BDSG widmet sich der Autor dem Phänomen der Computerkriminalität, namentlich den
Delikten §§ 202a, 303a,b StGB und §§ 17ff. UWG. Leider bleibt der Verfasser an dieser Stelle sehr stark an der Oberfläche,
auch die in den Fußnoten aufgelistete Literatur ist nur sehr mager. Dies ist weniger auf den Autor, denn auf die derzeitige
Literaturlage zurückzuführen: Nach wie vor sind zum strafrechtlichen Bereich nur vereinzelte Werke zu finden, während die
Mehrheit der Publikat!
ionen zivilrechtlicher Natur ist.
Gesamteindruck:
Ein überaus erfreuliches Buch, das sich mit der ganzen Bandbreite der rechtlichen Probleme auf hohem Niveau
auseinandersetzt. Gerade der überschaubare Rahmen von ca. 20 Seiten pro Aufsatz ermöglicht auch dem Anfänger einen schnellen
und zugleich interessanten Zugang zu dieser Materie. Ein Kauf kann nur dringend angeraten werden. Es ist zu hoffen, dass der
2. Band dieser Reihe (zum im März 2002 stattgefundenen Kongress "Domain, Frames & Links") diese Qualität beibehält.
|