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Artikel 4033
Martin Bahr

Rechtsvergleichende Dissertation im Internetrecht

Eine Rezension zu:

Andrea Schmoll

Die deliktische Haftung der Internet-Service-Provider

Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Deutschland,
Frankreich, England und den USA

Peter Lang, Frankfurt a.M. u.a. 2001, 220 S., 35,- Euro
ISBN 3-631-37439-9


Das Buch ist zugleich die Dissertation der Autorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Doktorvater war Prof. Dr. Spickhoff, der neben dem Medizinrecht vor allem auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts lehrt.

Dies merkt man dem Werk sofort an: Wie sich aus dem Untertitel schon ergibt, behandelt die Verfasserin nicht nur die deutsche Rechtsordnung, sondern zudem die französische, englische und amerikanische. Mittels des Instruments der Rechtsvergleichung werden an zahlreichen Stellen Parallelen und Unterschiede dargestellt.

In einem gesonderten Teil wird die E-Commerce-Richtlinie ausführlich behandelt. Da das Buch aber den Bearbeitungsstand von etwa Herbst 2000 hat, ist nicht die endgültige, am 01.01.2002 in Kraft getretene Fassung berücksichtigt.

(1) Die deutsche Rechtsordnung:

Spätestens seit der erstinstanzlichen Verurteilung des CompuServe-Chefs Felix Somm (AG München, K&R 1998, 406) – in der 2. Instanz schließlich aufgehoben (LG München, K&R 2000, 193) – dürfte auch dem breiten Publikum das Problem der Haftung von Service-Providern für bestimmte Internet-Inhalte bekannt geworden sein. Betraf dieser Sachverhalt noch die strafrechtliche Seite, so wurde die zivilrechtliche Problematik spätestens seit der Entscheidung des OLG München gegen AOL wegen Einspeisens von urheberrechtlich geschützten MIDI-Files (OLG München, Urt. v. 08.03.2001, Az.: 29 U 3282/00) aufgeworfen. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist die Verurteilung von Microsoft durch das LG Köln (Urt. v. 07.12.2001, Az: 28 0 346/01), da es den ungehinderten Online-Zugang zu vermeintlichen Nacktfotos der Tennis-Größe Steffi Graf vermittelt hatte.

Diese wenigen Beispiel zeigen schon, wie äußerst praxisrelevant und zugleich interessant das Thema der Promotion ist.

Die Ausführungen zum deutschen Recht sind mit 70 Seiten verständlicherweise die ausführlichsten.

Zuerst klärt die Autorin den jeweiligen Anwendungsbereich des TDG und MDStV. Sie erörtert dabei anschaulich das in Deutschland nach wie vor große Problem, dass eigentlich für ein und dieselbe Materie zwei unterschiedliche Gesetzeswerke existieren, was auf den föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik zurückzuführen ist. Denn für den MDStV sind die Länder zuständig, für das TDG der Bund.

Es folgt die Klärung, für wen denn überhaupt diese Gesetze gelten. Dabei werden die unterschiedlichen Provider-Arten (Content, Host, Access) angesprochen.

Dann folgt das eigentliche Hauptthema der Arbeit, nämlich die deliktische Haftung.

Bei den Content-Providern wird zunächst die Haftung für Äußerungsdelikte (Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB, § 824 BGB) problematisiert. Besonderen Wert legt die Autorin dabei auf die Voraussetzung des Verschuldens. Insbesondere welcher Maßstab im Rahmen der „publizistischen Sorgfaltspflicht„ anzulegen ist. Es schließen sich die Ausführungen über fehlerhafte Informationen im Internet an. Darunter sind nicht etwaige Inhalte zu verstehen, die rechtswidriger ins Internet eingestellt wurden, sondern Informationen, die fehlerhaft sind und die beim einzelnen dadurch einen Schaden verursachen (z.B. ein Börsen-Informationsdienst). Hier werden § 823 BGB, eine mögliche Beweislastumkehr und die Anwendbarkeit des ProdHaftG problematisiert.

Bei der Deliktshaftung wird das äußerst praxisrelevante Problem der Zumutbarkeit bei den §§ 5 Abs. 2 TDG, MDStV und die konkreten Pflichten im Einzelfall dargestellt.

(2) Französische und englische Rechtsordnungen:

Die Verfasserin erörtert jeweils zu Beginn eines Abschnitts in der gebotenen Kürze die Allgemeinheiten des jeweiligen länderbezogenen Deliktsrechts. So z.B. für Frankreich das Vorhandensein einer bloßen Generalklausel oder das non-cumul-Prinzip. Dann wird sehr anschaulich und fundiert auf die Besonderheiten der einzelnen Rechtssysteme eingegangen.

Auffallend ist, dass sowohl in Frankreich als auch in England kein spezielles Internet-Haftungsrecht bekannt ist. Ein TDG oder ein MDStV mit einer entsprechenden Haftungsbestimmung gibt es in diesen Ländern nicht. Dort werden weitestgehend die schon vor dem Zeitalter des Internets bestehenden Grundsätze auf dieses neue Medium übertragen.

Die Ausführungen dieser Kapitel sind ein absolutes Muss für jeden, der sich für die Problematik der deutschen Regelung interessiert. Sehr, sehr lesenswert.

(3) Rechtsvergleichende Betrachtung / E-Commerce-Richtline:

Es schließt sich der rechtsvergleichende Teil an. Die Autorin lässt hier die USA bewusst außen vor (die USA-Regelungen werden erst ganz am Ende des Werkes besprochen) und konzentriert sich auf einen Vergleich der europäischen Regelungen.

Im Rahmen dessen geht sie – auf fast 20 Seiten - auf die E-Commerce-Richtlinie ein und welche Veränderungen dadurch zu erwarten sind. Wie schon oben gesagt: Da das Buch auf dem Bearbeitungsstand von etwa Herbst 2000 ist, ist nicht die endgültige, am 01.01.2002 in Kraft getretene Fassung berücksichtigt, was dem Lesen und dem Verstehen aber absolut keinen Abbruch tut, da alle wichtigen, relevanten Fragen aufgeworfen werden und so der Leser sich eine eigene Meinung bilden kann.

(4) Amerikanisches Recht / Rechtsvergleichende Betrachtung:

Im letzten Teil werden die Regelungen aus dem Mutterland des Internets erörtert, den USA. Bei der Darstellung zeigt sich, dass das amerikanische System – alleine schon durch die Quantität der Streitfälle – wesentlich ausdifferenzierter ist als die französische oder englische Ordnung. Sowohl in den USA als auch in Deutschland zeigt sich an zahlreichen Stellen das Bemühen, eine hinreichende Rechtssicherheit in diesem neuen Bereich zu gewährleisten.

In der rechtsvergleichenden Betrachtung tritt klar zu Tage, dass der amerikanische Gesetzgeber andere Wertentscheidungen als der deutsche getroffen hat. Im Mutterland des Netzes der Netze wird der Meinungsfreiheit (und damit auch zwangsläufig rechtswidrigen Inhalten) eine überragende Bedeutung zugesprochen. Für Deutschland ergibt sich ein weitaus differenzierteres Bild, bei der die Abwägung der Interessen und die Beurteilung des Einzelfalls im Vordergrund stehen.

Gesamteindruck:

Eine gelungene Dissertation zu einem überaus praxis-relevanten Thema. Das Werk gewinnt vor allem durch die Rechtsvergleichung mit Frankreich, England und den USA enorm an Wert, beschränkt es sich doch nicht auf die rein deskriptive Darstellung der deutschen Rechtsordnung.

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