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Artikel 343
Ronald Moosburner

Nils Sternberg

Der Rang von Menschenrechtsverträgen im deutschen Recht unter besonderer Berücksichtigung von Art. 1 Abs. 2 GG

Duncker & Humblot, Berlin, 1999

http://www.duncker-humblot.de

Die vorliegende Arbeit, die als Band 18 der Hamburger Studien zum Europäischen und Internationalen Recht bei Duncker & Humblot erschienen ist, wurde im April 1998 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg als Dissertation angenommen.

Der Verfasser unternimmt in ihrem Rahmen eine umfassende Bestandsaufnahme des Meinungsstands zur ranglichen Einordnung von Menschenrechtsverträgen in der deutschen Rechtswissenschaft und in der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und den obersten Bundesgerichten, kritisiert die derzeit ganz überwiegende Auffassung und stellt einen eigenen Lösungsansatz vor, der Menschenrechtsverträgen generell und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im besonderen ein größeres Gewicht im innerstaatlichen Normengefüge beimißt.

Dieser Problemkreis kann zum einen im eventuellen Fall einer Kollision zwischen einer internationalen Menschenrechtskonvention und dem deutschen Grundgesetz relevant werden, zum anderen muß er berücksichtigt werden, um die Frage nach der Derogierbarkeit einer Konvention durch nachträglich geschaffenes Bundesrecht zu beantworten. Die Arbeit beschreibt erstere Problematik nur im ersten Teil zusammen mit einer Aufzählung der innerstaatlichen Praxis hinsichtlich der Rangproblematik in mehreren europäischen Staaten. Der anderen Frage wird eine deutlich größere Bedeutung beigemessen, sie wird insbesondere im zweiten Teil anhand der Beschreibung verschiedener Ansätze im Grundgesetz zur Einordnung von Menschenrechtskonventionen als Vergleichspunkt herangezogen. Ausgangspunkt dafür ist, daß der Autor Menschenrechtskonventionen eine besondere Bedeutung für die Legitimität staatlichen Handelns zurechnet und von dieser ausgehend Ansatzpunkte im Grundgesetz für eine Überordnung dieser Konventionen über das einfache Bundesrecht herauszuarbeiten sucht.

Im ersten Teil der Arbeit zeigt der Autor zunächst mögliche Normenkonflikte zwischen Menschenrechtskonventionen und dem deutschen Recht auf. Im Verfassungsrecht, insbesondere bei den Grundrechten, sind mögliche Konfliktpunkte Art. 10 EMRK, der u.a. im Bereich der Meinungs- und Informationsfreiheit weiter geht als Art. 5 Abs. 1 GG. Auch sein Schrankenbereich ist enger gefaßt als der allgemeine Gesetzesvorbehalt von Art. 5 GG. Außerdem sind die vom Grundgesetz nur Deutschen gewährten Grundrechte in der EMRK als Jedermannrechte ausgestaltet. Entsprechende Kollisionen wären natürlich genauso mit anderen Menschenrechtsverträgen, insbesondere dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte denkbar.
Ein bekannter Fall der Kollision zwischen der EMRK und einfachem Bundesrecht war das umstrittene Verhältnis zwischen Art. 8 Abs. 1 EMRK und § 1705 BGB a.F., eine ebenfalls ausführlich erläuterte Konstellation. Auch im prozessualen Bereich gibt es schwierige Konfliktbereiche. Insbesondere ist dies die Frage, ob die Feststellung der Konventionswidrigkeit eines innerstaatlichen Urteils durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einen Wiederaufnahmegrund im Strafprozeß darstellt. Dies wurde von der deutschen Rechtsprechung bisher verneint (OLG Stuttgart MDR 85, 605, OLG Koblenz MDR 87, 254). Eine Einfügung einer entsprechenden Regelung für diesen sehr praxisrelevanten Bereich - die EMRK geht in ihren prozessualen Garantien wesentlich weiter als der Wortlaut des Grundgesetzes, wo namentlich Art. 19 Abs. 4 GG deutlich hinter den entsprechenden Normen der EMRK zurückbleibt - in die StPO läßt nach wie vor auf sich warten, während sie in anderen europäischen Ländern längst existiert (vgl. exemplarisch nur in der Schweiz den nachträglich eingefügten § 139a OG).

Dieser Beschreibung schließt sich eine allgemeine Aufzählung der Ansichten in Literatur und Rechtsprechung zum innerstaatlichen Rang von Menschenrechtskonventionen an. Der herrschenden Ansicht in der Literatur werden dabei die Positionen von Echterhölter (JZ 55, 689ff), Frowein (FS Zeidler, Band 2, S. 1763ff.), Klug (GS Peters, S. 434ff.) und Bleckmann (EuGRZ 94, 149ff.; Staatsrecht II, S. 50ff.) gegenübergestellt und die Tendenz aufgezeigt, daß die bisher herrschende Meinung in den letzten Jahren verstärkter Kritik ausgesetzt wird. Die Rechtsprechung hat, wie der Autor in der Folge darstellt, bis dato eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der Rangproblematik insbesondere hinsichtlich der EMRK weitestgehend vermieden. Gewisse Ansätze wurden von Teilen der Literatur im sog. Pakelli-Beschluß des BVerfG (ZaöRV 46 (1986), 289, 290) gesehen. Es handelte sich dabei um die als unbegründet verworfene Verfassungsbeschwerde im Anschluß an das ebenerwähnte Urteil des OLG Stuttgart (MDR 85, 605) bzgl. der Wiederaufnahme eines Strafprozesses wegen der Konventionswidrigkeit der vorhergehenden Revisionsentscheidung des BGH (vgl. EuGHMR EuGRZ 83, 344ff.). Hier wurde erstmals die Zulässigkeit einer auf die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG und der EMRK gestützten Verfassungsbeschwerde anerkannt, dieser Ansatz wurde jedoch später nicht wieder aufgegriffen. Auch der Entscheidung BVerfGE 58, 1ff. wurde eine Ausdehnung der Zuständigkeit des BVerfG auf die EMRK entnommen. Die Anerkennung der Zuständigkeit in Fällen, in denen durch völkerrechtswidriges Verhalten die Auslösung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Bundesrepublik droht, bedeutet jedoch keineswegs zugleich, daß Einzelpersonen in diesem Zusammenhang die Verletzung der EMRK, sei es auch im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 1 GG, rügen können. Denn Völkerrecht ist ganz überwiegend immer noch zwischenstaatliches Recht und seine Verletzung kann von Einzelpersonen nur in ganz eng begrenzten Fällen und vor eigens dafür geschaffenen Instanzen wie etwa dem EuGHMR gerügt werden.
Eine Stärkung des Rangs der EMRK wurde schließlich in der zuletzt dargestellten Entscheidung BVerfGE 92, 91ff. (Feuerwehrabgabepflicht Baden-Württemberg) gesehen, der die Bereitschaft entnommen wird, der EMRK Übergesetzesrang einzuräumen (vgl. Bleckmann, EuGRZ 74, 149, 152). Der Autor entgegnet dem allerdings zu Recht, daß die Derogierbarkeit der EMRK durch Bundesrecht immer noch nicht explizit ausgeschlossen worden ist.

Im Anschluß an diesen Abschnitt werden verschiedene Integrationsmöglichkeiten von Menschenrechtskonventionen in mehreren europäischen Staaten. Hierfür wäre es vielleicht hilfreich gewesen, die inhaltlich im zweiten Teil angesiedelte allgemeine Rangproblematik zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht vorzuziehen, um die ohnehin bereits knappe Vorstellung der einzelnen Länder besser verständlich zu machen. Denn ein solches Verständnis ist ohne eingehende Auseinandersetzung mit den hier in den unterschiedlichsten Varianten umgesetzten Haupt- und Unterströmungen von Monismus und Dualismus kaum möglich.

Der zweite Teil des Buches enthält insgesamt acht verschiedene Anknüpfungspunkte zur Rangproblematik und zwar jeweils unter besonderer Berücksichtigung der Frage, ob ein in deutsches Recht integriertes Abkommen entsprechend der lex-posterior-Regel durch ein späteres Bundesgesetz derogiert werden könnte. Wenngleich diese Ansätze aufgrund des beschränkten Rahmens hier nicht allesamt beschrieben werden können, so kann doch aus der Gesamtschau hervorgehoben werden, daß Ihre Darstellung eine große Vielfalt relevanter Kreuzungspunkte von Menschenrechtskonventionen mit dem innerstaatlichen Recht enthält. Den Rahmen dafür bilden die wenigen Einfallpunkte, die das Grundgesetz für völkerrechtliche Normen vorsieht, insbesondere die Art. 23 - 25 GG, sowie der in seiner Auslegung sehr umstrittene Art. 59 II GG. In allen Fällen gelangt der Autor jedoch zu dem Schluß, daß diese Normen entweder nicht auf Menschenrechtskonventionen anwendbar sind oder aber keine Regelung zu dessen Rang in der Normenhierarchie enthalten.

Stattdessen entwickelt er am Ende des Buches einen eigenen Lösungsansatz, der auf Art. 1 Abs. 2 GG und seiner Formulierung, wonach sich das Deutsche Volk zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekenne, basiert. Diese Norm sei weder ein Grundrecht noch ein Verfassungsauftrag, eine Staatszielbestimmung oder ein bloßer Programmsatz sondern vielmehr ein Prinzip im Sinne eines eigenen Normtyps. Als solches müsse sie zu einer "menschenrechtsfreundlichen" Auslegung des Grundgesetzes, insbesondere von Art. 59 Abs. 2 GG, herangezogen werden. Unmittelbar anwendbare Konventionen besäßen wegen ihrer dadurch hervorgehobenen Bedeutung sogar mindestens Verfassungsrang. Diese Auffassung wird mit nicht wenig argumentativem Aufwand eingehend begründet, wobei auch mögliche Kritikpunkte, die sich dagegen vorbringen lassen, bereits im Voraus eingebracht werden.

In ihrer Gesamtheit wird die Arbeit sowohl für Anfänger als auch für Experten im Gebiet der Menschenrechtsverträge von Interesse sein. Erstere können in ihr einen sehr guten Überblick über aktuelle Entwicklungen in diesem Rechtsgebiet gewinnen, das in neuerer Zeit so sehr in Bewegung geraten ist, und auch einen interessanten Blick über den Tellerrand in andere europäische Rechtsordnungen werfen. Letztere finden einen sehr interessanten und in vielen Punkten überzeugenden Ansatz für eine Begründung des Übergesetzesrangs von Menschenrechtskonventionen in der deutschen Verfassungsordnung, der mit Selbstkritik nicht spart und dadurch argumentatorisch doch nur an Größe gewinnt.

09/00, Ronald Moosburner, ronald.moosburner@jurawelt.com


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