Dr. Thorsten Kuthe
Organhaftung im Rechtsvergleich
Eine Rezension zu:
Krämer, Hans-Jörg
Das Unternehmensinteresse als Verhaltensmaxime der Leitungsorgane einer Aktiengesellschaft im Rahmen der Organhaftung
Tenea Verlag, Berlin 2002, 228 S., 26,- €
ISBN 3-936582-46-7
http://www.tenea-verlag.de
Die schlagzeilenträchtigen Krisen von
Aktiengesellschaften in den letzten Jahren (etwa von Enron, Worldcom,
Comroad oder Ahold) führten zu einem verstärkten Interesse auch der
Medienöffentlichkeit an der Haftung von Organmitgliedern. Als Reaktion
hierauf wird aus juristischer Sicht einerseits die Verschärfung bestehender
oder Einführung neuer gesetzlicher Tatbestände diskutiert (so das 10-Punkte
Programm der Bundesregierung zur persönlichen Haftung von Organmitgliedern
für die Abgabe von Falscherklärungen), andererseits sollen die bestehenden
Generalklauseln konkretisiert werden - hierzu wird man letztlich auch die
Einführung des Deutschen Corporate Governance Kodex und die damit im
Zusammenhang stehende Erklärungsverpflichtung in § 161 AktG rechnen müssen.
In den letztgenannten Zusammenhang gehört auch die vorliegende
Dissertation. Thema ist die Konkretisierung des Begriffs des
Unternehmensinteresse. Dieser teilweise auch vom Gesetzgeber verwandte
Begriff bezeichnet in der juristischen Diskussion die Richtschnur für das
Handeln von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Dissertation von Krämer
untersucht rechtsvergleichend in Bezug auf die US-amerikanische business
judgement rule Inhalt und Umfang des Unternehmensinteresse. Hierzu werden
einleitend zunächst die Grundlagen der Haftung von Vorstand und
Aufsichtsrat in der Aktiengesellschaft dargelegt. Hierbei wird mit Blick
auf das Thema der Arbeit aufgezeigt, an welchen Stellen das
Unternehmensinteresse von Relevanz ist, nämlich bei der Bestimmung der
Sorgfaltspflicht ebenso wie im Rahmen von Treuepflichten und der
Verschwiegenheitspflicht.
Abschnitt C klärt zunächst den Begriff des Unternehmensinteresse.
Es wird aufgezeigt, was überhaupt unter einem Unternehmen verstanden wird
und welche verschiedenen Parteien ein Interesse in bezug auf das
Unternehmen aufweisen können, nämlich Anteilseigner, Gläubiger,
Arbeitnehmer und die Allgemeinheit. Anschließend werden die verschiedenen
Begründungsansätze für das Unternehmensinteresse dargelegt. Hierbei wird
zwischen Ansätzen, die von dem Unternehmen als Rechtsobjekt ausgehen, und
dem unternehmensrechtlichen Ansatz, der das Unternehmen als selbständige
Rechtssubjekt versteht, unterschieden. Nach der dogmatischen Begründung
wendet sich Krämer dem Inhalt des Unternehmensinteresses zu. Hierbei werden
verschiedene, teilweise konträre Ansätze vorgestellt, die vom
Gesellschaftsinteresse - insbesondere wird hier auch der Einfluss der
sogenannten shareholder-value-Theorie diskutiert - bis zu prozessualen
Ansätzen reicht.
Nachdem vorstehend der Meinungsstand im deutschen
Gesellschaftsrecht zum Begriff des Unternehmensinteresse aufgearbeitet
wurde, wendet sich Kapital D dem rechtsvergleichenden Teil zu. Es werden im
Überblick die Grundzüge der Haftung der directors und officers dargestellt
und die Auswirkungen der in den USA vertretenen Auffassungen zur business
judgement rule hierauf erläutert.
Kapital E stellt die praktische Auswirkung der verschiedenen
unterschiedlichen Ansätze zu Inhalt und Begründung des
Unternehmensinteresse dar. Behandelt werden überobligatorische Aufwendungen
für Arbeitnehmer, Unternehmensspenden und das Verhalten der
Geschäftsleitung bei Übernahmeversuchen. Untersucht wird, zu welchen
Auswirkungen sowohl die Ansätze im deutschen Gesellschaftsrecht (das
Kapitalmarktrecht wird ausdrücklich ausgenommen) als auch im amerikanischen
Gesellschaftsrecht in den verschiedenen Einzelfallkonstellationen führen.
Letztlich sind die in der vorliegenden Dissertation gefundenen
Ergebnisse weitgehend wenig überraschend, wie sich insbesondere bei der
Anwendung auf die praktischen Fallgruppen zeigt. Dies räumt auch der Autor
in seinem Fazit selber ein. Das Buch bietet einen Überblick über den
aktuellen Meinungsstand zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs in
Deutschland und den USA. Hervorzuheben ist die kritische Bewertung der
business judgement rule, die oft in der Literatur unreflektiert als
Schlagwort auch auf die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs im deutschen Recht
als für anwendbar erklärt wird. Kritisch anzumerken ist, dass durch das
Fehlen von Zwischen- und Gesamtergebnissen das Lesen des Buches erschwert
wird und teilweise die am Einzelfall herausgearbeiteten Ergebnisse nicht in
ihrer großen Linie deutlich werden.
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