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Artikel 6733
Dr. Martin Bahr

Kollektivklagen in Deutschland und den USA

Eine Rezension zu:

Stephanie Eichholtz

Die US-amerikanische class action und ihre deutschen Funktionsäquivalente


Mohr Siebeck, Tübingen 2002, 355 S., 74,- €
ISBN 3-16-147721-9

www.mohr.de



Das zumeist größte Problem rechtsvergleichender Dissertationen ist die Darstellung und rechtliche Einordnung eines ausländischen Rechtsinstitutes, das das Inland gar nicht oder nicht in dieser Weise kennt. Das gilt auch für das vorliegende Werk von Stephanie Eichholtz.

Aber schon die Aufnahme in die Schriftenreihe des Hamburger Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Privatrecht zeigt, dass ihr die Lösung dieses Problems außerordentlich gut gelungen ist.

Das amerikanische Rechtsinstitut der class action ist in Deutschland vor allem in Fällen von Massenschädigungen (Arzneimittel-Skandale, große Verkehrsunfälle) bekannt geworden. Deutsche Zivilrechtler haben anfänglich über diese prozessuale Möglichkeit die Nase gerümpft und es als klaren Vorteil gewertet, dass eine derartige Ausgestaltung im deutschen Recht nicht existiert.

Eichholtz` vorzügliches Werk widerlegt umfänglich diese bestehenden Vorurteile und beweist, dass dieses Rechtsinstitut, zumindest im amerikanischen Rechtsraum, durchaus seine Berechtigung hat. Zunächst stellt die Autorin die US-amerikanische class action in all ihren Facetten dar. Dabei legt sie einführend viel Wert auf den historischen Kontext und die Entstehung dieser prozessualen Besonderheit. Sie geht dabei insbesondere auf die derzeitige praktische Bedeutung und unterschiedlichen Anwendungsgebiete ein. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit den prozessualen und materiell-rechtlichen Voraussetzungen. Sehr anschaulich sind auch der konkrete Verfahrensverlauf und die eintretenden Rechtsfolgen beschrieben.

Dem stellt die Autorin im zweiten Teil ihrer Arbeit die Rechtslage in Deutschland gegenüber. Anders als in den USA, wo ein Kläger als Repräsentant die Ansprüche aller gleichermaßen Betroffenen gerichtlich geltend macht, kennt das deutsche Recht derartige Kollektivierungsmöglichkeiten nur sehr eingeschränkt. Lediglich die Verbandsklage, der Musterprozess und die gewillkürte Prozeßstandschaft sind eine Ausnahme. Eichholtz arbeitet sehr schön heraus, dass sich der Anspruch im deutschen Recht in aller Regel auf ein Unterlassen (z.B. in Verbrauchersachen) richtet, während die class action auf Schadensersatz gerichtet ist. Eine weiterer, eher rechtssoziologische Unterschied besteht in der Tatsache, dass Großschäden in der Bundesrepublik über das Sozialversicherungsrecht und freiwillige Leistungen abgewickelt werden, während die class action in den USA hier eine herausragende Stellung einnimmt.

Der Band besticht durch seine fundierte wissenschaftliche Ausgestaltung, seinen inhaltlichen Tiefgang und durch seinen dennoch zugleich jederzeit interessanten, abwechslungsreichen Schreibstil. Eichholtz versteht es, die historischen und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge, die mit diesem Rechtsinstitut verbunden sind, dem Leser anschaulich zu vermitteln. Dabei lässt die Autorin in ihren Anmerkungen zahlreiche praktische Erfahrungen einfließen, die sie im Zuge der Verhandlungen über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter machen konnte. Hier zeigt sich, dass es sich um kein abstraktes Elfenbeinturm-Thema, sondern es sich vielmehr um eines von aktueller politischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Brisanz handelt.

Aufsehen erregt hat auch der Aufruf der deutschen Wirtschaft, sich kollektiv gegen die Einführung eines Dosenpfandes zu wehren. So "sammelte" der Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels mehr als 8.000 der betroffenen Getränke-Händlern ein und klagte im Namen dieser Unternehmen vor den Verwaltungsgerichten. Ob dies eine Tendenz auch im deutschen Recht hin zu eine Art von Sammelklage ist und ob eine derartige Ausgestaltung rechtlich zulässig ist, wird die Zukunft zeigen.

Gesamteindruck:
Ein überzeugendes Werk, das durch seinen wissenschaftlichen Tiefgang und seine dennoch durchgehend praxisnahen Erörterungen besticht. Es wäre zu wünschen, dass noch viele rechtsvergleichende Dissertation diese Qualität erreichen. Wer sich über die amerikanische class action informieren will, wird keinen annähernd vergleichbaren Band finden.

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