Herzlich willkommen auf jurawelt.com

Zur neuen Webseite: jurawelt.com

Zum Forum: forum.jurawelt.com


Artikel 190
Ralf Hansen

Eine Einführung in die Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts

Hirte, Heribert

Kapitalgesellschaftsrecht

2., neubearbeitete Aufl.,
Köln: RWS-Verlag Kommunikationsforum,
1999, 332 Seiten, DM 59,-
ISBN 3-8145-0863-7


http://www.rws-verlag.de


Der nunmehr in zweiter Auflage neu aufgelegte Band von Heribert Hirte (Ordinarius in Jena; http://www.recht.uni-jena.de/z02) will eine profunde Einführung in die Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts geben. Es steht außer Frage, daß dies dem Autor vollständig gelungen ist. Nicht behandelt werden Fragen des Konzernrechts (auf die Problematik der Haftung im qualifizierten faktischen (GmbH-) Konzern analog § 302 AktG wird allerdings eingegangen, Rdrn. 790 ff) und der Typenvermischung. Nur soweit wie nötig thematisiert werden Probleme der Auflösung und Beendigung dieser Gesellschaften sowie Fragen der Rechnungslegung und Gewinnermittlung. Die Besonderheit der Darstellung besteht darin, die Probleme von GmbH und AG im Aufriß parallel darzustellen, zumal ohnehin in der Praxis erhebliche strukturelle Konvergenzen festgestellt werden können, die diese Vorgehensweise nahelegen und sich im Gesetzgebungsprozeß niedergeschlagen haben. Diese Form der Darstellung macht auch den Reiz des Buches aus, da die angeschnittenen Problemkreise der Gründung, der Organisationsverfassung, der Mitgliedschaft, der Finanzverfassung sowie der Satzungs- und Strukturänderungen unter Einschluß umwandlungsrechtlicher Probleme sich sinnvollerweise im Zusammenhang darstellen lassen. Weitere aktuelle Informationen und Ergänzungen sollen unter http://www.rws-verlag.de (“buecher”) zu finden sein. Dort findet sich bisher aber nur der Verschmelzungsvertrag zwischen Krupp und Thyssen, dessen Lektüre aber allemal lohnenswert ist. Auf weitere Ergänzungen online ist zu hoffen. Der Weg der Verknüpfung des Buchmediums mit dem Internet wird sich durchsetzen. Im übrigen ist der Besuch dieser Site für den wirtschaftsrechtlich Interessierten auch angesichts des ausgezeichneten ZIP-Urteilsdienstes (mit einer ausgezeichneten Volltextsuchfunktion) stets ein Gewinn.

Einführungscharakter hat zunächst das erste Kapitel über die Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts. Die Gründung einer Kapitalgesellschaft setzt den Willen zur Aufbringung eines bestimmten Eigenkapitals für die juristische Person voraus. Entweder als Stammkapital (GmbH) oder als Grundkapital (AG). Es haftet den Gläubigern im Krisenfall im Sinne einer “Mindestreserve” und muß selbstredend mit der Höhe der Einlagen nicht identisch sein. Bereits die Funktion des Haftkapitals verweist damit auf die Möglichkeit und die Folgen der Insolvenz. Die eingehende Beachtung der Insolvenzproblematiken zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch diesen hoch interessante Band, der den Charakter eines “Skriptums” bereits verlassen hat. Der Verfasser differenziert deutlich zwischen den Funktionen der Körperschaft als einer primär organisationssoziologischen Kategorie (die sich durch Unabhängigkeit von Personen auszeichnet) und der rechtlichen Verfassung der Kapitalgesellschaft als Körperschaft und juristischer Person (Rdnr. 4 ff, 9 ff). Genaugenommen ist der Begriff “Gesellschaft” für diese Unternehmensorganisationen fehl am Platze. Es handelt sich angesichts der körperschaftlichen Struktur um “Vereine”, so daß als “allgemeiner Teil” des Kapitalgesellschaftsrechts die §§ 21 ff, 55 ff BGB fungieren und eben nicht die §§§705 ff BGB (Rdnr. 7). Dies zeigt noch heute deutlich § 6 Abs.2 HGB. Im Gegensatz zur BGB-Gesellschaft können sie auch nie reine Innengesellschaften sein.

Die Grenze zu den Personengesellschaften wird jedoch immer fließender. Wie sich aufgrund der im Verhältnis weitreichenderen Privatautonomie im Personengesellschaftsrecht zeigt, die sich oftmals eine deutlich “kapitalistische” Struktur geben (Rdnr. 19). Dies zeigt sich etwa an Gebilden, wie der von Hirte auch erörterten sog. “GbRmbH” (die es als “Rechtsform” nicht gab und nicht gibt). Derartig zweifelhaften Konstruktionen hat der BGH nunmehr einen deutlichen Riegel vorgeschoben (BGH, ZIP 1999, 1705). Hirte lehnt diese “Rechtsform” aus drei Gründen ab. Einmal läßt sich durch diese “Firmierung” eine allgemeine Haftungsbeschränkung nicht erreichen, wenn der Vertragspartner keine Kenntnis erlangen konnte, da es sich nicht um eine eigenständige juristische Person handelt. Des weiteren besteht nach dem Handelsrechtsreformgesetz kein praktisches Bedürfnis für diese “Rechtsform”, da auch Kleingewerbetreibenden inzwischen die Rechtsform der KG (und damit auch der GmbH & Co. KG) offen steht. Meist geht es darum die Vorteile eines fehlenden Haftkapitals ohne Geltung von zwingenden Kapitalerhaltungsvorschriften mit weiteren Vorteilen einer umfassenden Haftungsbeschränkung zu verbinden und damit das geringst mögliche Niveau an Gläubigerschutz zu realisieren. Im übrigen besteht wegen § 4 GmbHG in der neuen Fassung eine deutliche Verwechslungsgefahr, so daß die “Firmierung” nach § 37 Abs.1 HGB zu untersagen ist (so hat auch das BayObLG in NJW 1999, 297 entschieden). Auch hier besticht die Darlegung durch einen deutlichen Aktualitätsbezug, der auch in den zahlreichen Nachweisen zum Ausdruck kommt, die den jeweiligen Streitstand unter intensiver Einbeziehung der Rechtsprechung eingehend dokumentieren.

Für Praktiker von hohem Interesse sind vor allem die Ausführungen über die Gründung (die aber oftmals durch Umwandlung erfolgt, dazu Rdrn. 889 ff). Hier sind die Stadien der Vorgründungsgesellschaft (als GbR bei übereinstimmenden Willen zur Gründung einer Kapitalgesellschaft ohne Betrieb eines Handelsgewerbes; als OHG bei Vorliegen dieser Voraussetzung, § 123 Abs.2 HGB), der Vor-Gesellschaft (nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages) und der Vollgesellschaft (nach Eintragung in das Handelsregister) zu unterscheiden. Diese Stadien werden angesichts der stets sehr klaren Darstellung derart transparent gemacht, daß im Grunde keine Verständnisschwierigkeiten auftauchen können (Rdnrn. 53 ff). Diese Klarheit der Diktion zeichnet das ganze Buch aus und macht es auch für Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer empfehlenswert, die sich mit dieser Materie befassen müssen. Gerade das Kapitalgesellschaftsrecht bildet eine Schnittstelle zwischen Jurisprudenz und Wirtschaftswissenschaften. Auf Vorgesellschaften finden alle Vorschriften des GmbHG oder des AktG Anwendung, sofern sie nicht die Eintragung voraussetzen.

Dies wirft zahlreiche Fragen hinsichtlich der Haftung der Vorgesellschaften auf, die sich bei beiden Rechtsformen parallel stellen. Ursprünglich nahm man (nach der Aufgabe des Vorbelastungsverbotes) eine Haftung auf die Einlage an, folgte also einem Außenhaftungskonzept (Rdnr. 79). Davon ist der BGH in der umstrittenen Entscheidung BGHZ 134, 333 zugunsten eines Innenhaftungskonzeptes mit Unterbilanzhaftung bei der Vor-GmbH abgedrückt, und hat damit ein einheitliches Haftungskonzept installiert, das sich am Grundsatz der unbeschränkten Haftung orientiert (Rdnr. 80). Hirte übt deutliche Kritik an diesem Ansatz, der ohne zahlreiche Ausnahmen nicht auskommt, die praktisch eher die Regel sein werden (Rdnr. 81). Etwa im Falle der Vermögenslosigkeit der Gesellschaft, die immer noch zur unmittelbaren Außenhaftung führt. Wobei aber noch nicht deutlich ist, ob pro rata oder unbeschränkt gehaftet werden soll. Eine Rückkehr zum Außenhaftungskonzept scheint aber auch Hirte gegenüber einer durchaus noch deutlich vertretenen Gegenauffassung nicht zu favorisieren. Allerdings geht er auf die interessante Kritik von Altmeppen nicht weiter ein. Hirte spricht sich mit guten Gründen für die letztgenannte Alternative aus: Wenn man mit dem Grundsatz der unbeschränkten Haftung als dem grundlegenden gesetzlichen Regelungsmodell - dem primären Ansatz für das Innenhaftungskonzept des BGH - ernst macht, kann die Haftung nur unbeschränkt erfolgen, da mit der Vor-GmbH der unzutreffende Rechtsschein einer Verpflichtung zur Aufbringung des Stammkapitals erzeugt wurde, der suggeriert, ein Haftkapital würde zwingend gebildet. Erst von diesem Ansatz aus dürfte es darauf ankommen, wie Hirte dann ausführt, daß eine Überwälzung des Risikos auf die Gläubiger nicht statthaft ist (Rdnr. 81). Die entscheidende Frage ist aber, wie man diese Folgerung dogmatisch anknüpft. In engem Zusammenhang damit steht die Statuierung einer Unterbilanzhaftung analog § 9 Abs.1 GmbHG, die immer schon unbeschränkt war (Rdnr. 85). Knapp erörtert wird auch die immer wichtiger werdende Problematik der “Vorratsgründung” (Rdnr.95), die bei Offenlegung des Unternehmensgegenstandes wenigstens bei der AG nach der BGH-Rspr. zulässig ist. Eine Entscheidung für die GmbH steht hingegen noch aus. Verdeckte “Mantel-Gründungen” sind dagegen immer noch unzulässig und sollten es auch bleiben (trotz hoher “Dunkelziffer”).

Die Übernahme der Tätigkeit eines GmbH-Geschäftsführers oder des Vorstandes einer AG ist angesichts der Möglichkeiten persönlicher Inhaftnahme durch die Gesellschaft und Dritte riskant (s. nur Hübner, Ulrich, Managerhaftung, München, 1992). Sich in dieser Situation über diese Risiken nicht angemessen zu informieren ist “grob fahrlässig”. Die entsprechenden Ausführungen von Hirte zu den betreffenden Pflichtenkreisen (Rdnrn. 167 ff), dürften daher auch bei Geschäftsleitern eingehende Beachtung finden. Bei Kapitalgesellschaften ist die Vertretungsmacht von Geschäftsführern/Vorständen im Außenverhältnis nicht beschränkbar, wie aus §§ 37 Abs.2 GmbHG, 82 AktG im Gegensatz zu § 26 Abs.2 S.2 BGB folgt (Rdnr. 169). Etwaige Einschränkungen können nur das Innenverhältnis betreffen. Hirte erwähnt auch die viel diskutierte Ausnahme, wenn im Vertrag mit dem Dritten die Zustimmung der Gesellschafterversammlung als Abschlußvoraussetzung statuiert wird (Rdnr. 179). Auch die Frage, ob der neue § 91 Abs.2 AktG auch analog für die GmbH gilt (betreffend die Etablierung geeigneter Controllingsysteme in Unternehmen), wird zutreffend angesichts seiner Klarstellungsfunktion bejaht (Rdnr. 186).

Kapitalgesellschaften sind im Interesse eines effektiven Gläubigerschutzes zur Kapitalerhaltung verpflichtet. Im Krisenfall hat dem Insolvenzantrag die Verlustanzeige im Innenverhältnis vorauszugehen (Rdnr. 192). Bereits die Befolgung dieser Pflichten setzt implizit geeignete Controllinginstrumente voraus. Daran schließt sich die Frage nach dem zutreffenden Zeitpunkt der Stellung des Insolvenzantrages an (Rdnr. 196), wenn Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung gegeben sind. Er ist innerhalb von drei Wochen zu stellen (§§ 92 Abs.2 AktG, 64 Abs.1 S.2 GmbHG i.V.m. §§19 Abs.1 S.2 InsO). Die Unterlassung zum fraglichen Zeitpunkt ist strafbar (§§ 401 AktG, 84 GmbHG). Dies wirft Fragen nach den haftungsrechtlichen Folgen der Handlungen bei fehlerhaftem Management auf, die Hirte ebenfalls eingehend erörtert (Rdnrn. 249 ff). Hier wurde früher - insbesondere für den GmbH-(Gesellschafter-) Geschäftsführer - insbesondere die Haftung aus c.i.c. breit erörtert, nachdem die Rechtsprechung des Kaufrechtssenates des BGH die Anforderungen an die Beachtung von Pflichten fortlaufend erhöht hat und insbesondere eine Verpflichtung des Geschäftsführers angenommen hat, auf die Überschuldung gegenüber dem Gläubiger hinzuweisen (Rdnr. 254), ohne daß der Gesellschaftsrechtssenat des BGH dies nachvollzogen hätte. Er ist diesen Grundsätzen aber auch nicht ausdrücklich entgegengetreten, wohl um eine Anrufung des Großen Senats zu vermeiden (Rdnr. 257). Es handelt sich bei diesen von Hirte eingehend erörterten Fragen, um einen zentralen Bereich der zivilrechtlichen Dogmatik im Bereich der Risikohaftung für fehlerhaftes Management. Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der unbeschränkten Haftung des Gesellschafters und der Rechtsformwahl einer beschränkt haftenden Gesellschaft in Form einer juristischen Person (BGH, ZIP 1994, 1103). Diese ältere Rechtsprechung wird auch nach der Auffassung von Hirte so nicht mehr fortgesetzt werden können, da sich inzwischen ein - dogmatisch wesentlich konsistenteres - deliktisches Haftungskonzept durchgesetzt haben dürfte, dessen Ansatzpunkt die persönliche Haftung des Managements für die verspätete Stellung von Insolvenzanträgen, § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 64 Abs.1 GmbHG (Rdrn. 262 ff) ist. Allerdings enthält dieses Haftungskonzept unterschiedliche Schutzinhalte für Altgläubiger (Quotenschaden hinsichtlich der Verminderung des Gesellschaftsvermögens zwischen Begründung der Forderung und Insolvenzeröffnung) und Neugläubiger (voller Ersatz des negativen Interesse nach dem Zeitpunkt der Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrages). Präziser als Hirte kann man diese komplexe Entwicklung nicht nachzeichnen. Sehr knapp erörtert - ohne Hinweis auf die Diskussionen der letzten Jahre - wird allerdings die Haftung von Aufsichts- und Beiratsmitgliedern (Rdnr. 358 f), die allerdings dogmatisch zur Managementhaftung parallel liegt und angesichts der aktuellen Brisanz im Bankenbereich (etwa der Fall der Bayerischen Raiffeisenzentralbank gab hier zu denken) eine breitere Diskussion verdient hätte.

Ein weiterer Schwerpunkt der aktuellen Diskussion liegt bei den Rechten der Gesellschafter/Aktionäre, insbesondere hinsichtlich der Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Beschlüssen der Haupt- und Gesellschafterversammlung, die selbstredend eingehend erörtert werden (Rdnrn. 431 ff) und in engem Zusammenhang mit der Mitgliedschaft stehen (Rdnrn. 489 ff). Unabhängig vom Vorliegen von Nichtigkeitsgründen bedarf die Geltendmachung praktisch stets noch der Anfechtung (Rdnr. 436), wobei allerdings nur die Durchsetzung von Anfechtungsgründen ausdrücklich eine Klage voraussetzt. Es wird gelegentlich von Aktionären übersehen, daß nur der auf der Hauptversammlung erschienene Aktionär auch in dieser Weise vorgehen kann, wenn er seine Anfechtungsgründe zum Widerspruch des Versammlungsleiters erklärt hat, wie §§245 AktG zeigt. Klagen des nicht erschienenen oder nicht vertretenen Aktionärs sind unzulässig. Anfechtungsklagen von Aktionären gegen Managemententscheidungen insbesondere hinsichtlich der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, der Entlastung des Vorstandes und der Gewinnverwendung (Stichwort: Dividendenausschüttung) häufen sich allerdings zunehmend, oftmals allerdings in “gewinnbringender” Mißbrauchsabsicht (Rdrn. 451 ff). In diesem Zusammenhang geht es regelmäßig um Anfechtungsklagen, die erhoben werden, um dann vergleichsweise einen “Interessenausgleich” anzubieten, da die beschlossenen Maßnahmen während einer Klage nicht umgesetzt werden können. Hier könnte man noch auf die Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes eingehen. Derartige Klagen sind wegen Rechtsmißbrauch als unbegründet abzuweisen, allerdings ist der Nachweis nicht leicht zu führen, was zu einer komplizierten Kasuistik geführt hat, die eingehend referiert wird und die aktienrechtliche Dogmatik erheblich voran gebracht hat.

Vorzüglich gelungen ist auch das Kapitel über die Finanzverfassung der Kapitalgesellschaften (Rdnrn. 586 ff). Die grundlegende - gesetzlich nirgends deutlich fixierte - Unterscheidung von Eigen- und Fremdkapital wird von Hirte kritisch hinterfragt, da sie je nach Abgrenzungszweck schwankt. Eigenkapital der Gesellschaft ist wenigstens nötig, um das Haftkapital zu bilden. Insoweit ist die Notwendigkeit der Aufbringung eingehend reguliert. Dies ändert nichts daran, daß es für die Gesellschafter selbst Fremdkapital sein kann, da jeder Gesellschaftsbeitrag fremdfinanzierbar ist (sog. “Bargründungen” sind eher die Ausnahme). Auch hindert niemand die Gesellschafter, der Gesellschaft das Eigenkapital nur darlehnsweise zu überlassen (die Regeln über den Eigenkapitalersatz bei der GmbH aktivieren sich erst im Krisenfall, s. Rdnrn. 704 ff). Unter diesen Umständen kann nur eine funktionale Abgrenzung vorgenommen werden, wie von Hirte vorgeschlagen (Rdnr. 590), demzufolge sich Eigenkapitel im Anschluß an seinen Lehrer Herbert Wiedemann durch seine Investitionsfunktion, seine Haftungsfunktion und seine Nutzungsfunktion auszeichnet. Diese Bestimmung ist für alle vorzunehmenden Abgrenzungen tragfähig, wie sich bei der ausgezeichneten Erörterung der Mischformen zeigt, die bei der AG mit der bedingten Kapitelerhöhung der §§ 192 ff im Zusammenhang stehen, wie die Ausgabe von Optionsscheinen - und Wandelanleihen zur Fremdfinanzierung zeigt (Rdnr. 591 ff). Diese Mischformen sind nur in § 221 AktG geregelt und sind wiederum von Gewinnschuldverschreibungen in Form von verbrieften Genußrechten abzugrenzen (Rdnr. 506 ff).

Die Vorschriften über die Kapitalaufbringung sollen den Mangel der persönlichen Haftung ausgleichen, der als Grundsatz das deutsche Gesellschaftsrecht beherrscht. Von diesem Grundsatz ausgehend, unternimmt Hirte eine ausgreifende Kritik - auch unter rechtsvergleichenden Aspekten - des gesetzlichen Systems des festen Garantiekapitals und versucht dessen Mängel offenzulegen. Sie bestehen vor allem darin, daß die Aufbringung des Grundkapitals zwar den “Eintritt” in das Tor zur Haftungsbeschränkung ermöglicht, keineswegs aber den fortwährenden Erhalt dieses Reinvermögens als “bilanztechnischen Sparstrumpf” (Wiedemann) garantiert (Rdnrn. 610 - 615). Die Gefahren der Gewinnverwendungen liegen nach Hirte in der Gefahr der Gewinnausschüttung lediglich bis hin zum Erhalt der Höhe des Mindesthaftkapitals. Dies führt - mit einem kurzen rechtsvergleichenden Ausblick auf das US-amerikanische Kapitalgesellschaftsrecht - zur gegenwärtig wohl bedeutsamsten Frage des deutschen und europäischen Kapitalgesellschaftsrechts: Korrespondiert der gesetzlichen Gewährung der Haftungsbeschränkung als Ausnahme vom Grundsatz der unbeschränkten Haftung eine Verpflichtung zur fortwährenden materiell angemessenen Kapitalausstattung und führt der Verstoß zur persönlichen Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung? (Rdnr. 619). Diese Frage wird insbesondere im Zusammenhang mit der Durchgriffshaftung zu § 13 Abs.2 GmbHG diskutiert und ist vollständig umstritten (Rdnrn. 781 ff). Natürlich können die diesbezüglichen Ausführungen in einem einführenden Skript nur skizzenhaften Charakter haben. Sie machen aber die Eckpunkte der Diskussion auf einer Skala von der Annahme absoluter persönlicher Haftung bis hin zur vollständigen Respektierung der Haftungsbeschränkung nur zu deutlich, ohne aber eigenständige Problemlösungen in diesem Rahmen anbieten zu wollen. Wie nicht selten, dürfte auch hier die angemessene Lösung etwa in der Mitte zu finden sein, um flexible Lösungen für die “individuelle” Unternehmenskrise und mögliche Sanierungsmaßnahmen finden zu können. Allerdings hat der BGH die Vorschläge aus der Literatur bisher nicht aufgegriffen. Hier bringt Hirte die interessente Überlegung des richtigen Maßstabs ins Spiel, da die §§ 238 ff HGB auf Handels- und Industrieunternehmen zugeschnitten sind, wohingegen die “Durchschnittsinsolvenz” eher anders strukturierte Unternehmen trifft (Rdnr. 786). Eher süffisant erfolgt der Hinweis, daß gegenüber Kreditinstituten als Finanzier die Haftungsbeschränkung regelmäßig leerläuft: Sie lassen sich personale Sicherheiten in Form von Bürgschaften der Gesellschafter bestellen, sofern nicht dingliche Sicherheiten bei den Gesellschaftern möglich sind. Die typische Insolvenzproblematik betrifft daher regelmäßig völlig ungesicherte Gläubiger dieser Unternehmen, oftmals Warenkreditlieferanten, deren einzige Sicherung in verlängerten Formen des Eigentumsvorbehaltes besteht. Hier kann ein Schutz nur durch die Grenze der Insolvenzantragspflicht realisiert werden. Diese Grenze - ab der die Höhe des eingebrachten Kapitals keine Rolle mehr spielt - wird in der Unternehmenskrise durch die Insolvenzantragspflicht markiert, die allerdings nicht unter allen Umständen auf Managementfehler deuten muß.

Davon deutlich zu unterscheiden ist die Haftung für eine nominelle Unterkapitalisierung (Auszehrung des Mindesthaftkapitals) in der Krise des Unternehmens, die den Haftungsrahmen über das Gesellschaftsvermögen hinaus erweitert (Rdnrn. 704 ff). Im Zentrum der Problematik stehen die “eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen”, die in § 32 a/b GmbHG nur rudimentär geregelt sind, so daß auf die BGH-Rspr. weiter ergänzend zurückzugreifen ist. Allerdings dürften sich die Akzente seit der Einführung des § 32 a Abs.3 GmbHG zugunsten einer stärkeren Orientierung am gesetzlichen Regelungsmodell verschoben haben. Die Verzahnung der gesetzlichen Vorschriften mit dem Richterrecht zum Eigenkapitalersatz analog §§ 30, 31 GmbHG wird von Hirte eingehend dargestellt, so daß von zwei gekoppelten Schutzsystemen auszugehen ist. Dieser Schutz wurde für die Situation einer GmBH entwickelt, in der ein ordentlicher Kaufmann dem Unternehmen Eigenkapital zugeführt hätte (Kapitalerhaltungsgrundsatz). Der als Innenverhältnislösung angelegte Schutz der §§§30, 31 GmbHG erwies sich als unzureichend, weshalb zunächst eine richterrechtliche Lösung etabliert wurde, die in § 32 a/b GmbHG weitgehend kodifiziert wurde. Auch die Lösung des § 32 a GmbHG entpuppte sich als unzureichend, weshalb der Gesetzgeber 1998 mit der umfassenden Änderung des Absatzes 3 dieser Norm reagiert hat. Insbesondere mit eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen in der Unternehmenskrise sind zahlreiche Streit- und Verständnisfragen verbunden, die diese Materie schwer nachvollziehbar macht, zumal sie einige bilanzrechtliche Voraussetzungen hat. Die Darstellung von Hirte ist ein vortrefflicher Führer durch diese schwierige Materie, deren Examensrelevanz bekannt ist. Auf deutliche und sehr berechtigte Kritik stößt dabei das “Witwen- und Erbtantenprivileg” des § 32 a Abs.3 S.2 GmbHG, sowie das “Sanierungsprivileg“ (Rdnrn. 757 ff). Der Gesetzgeber verfolgte damit das Ziel, die GmbH für Investoren zugänglicher zu machen und den Risikokapitalmarkt zu beleben. Dieser Markt hat sich tatsächlich belebt, allerdings nicht wegen der genannten Regelungen, zumal sich ein deutliches Spannungsverhältnis zu §§§264 InsO ergibt. Hirte unterzieht diese Regelung einer harschen rechtspolitischen Kritik, da durch die Privilegierung von Beteiligungen in Höhe von 10% und weniger der Insolvenzmasse Substanz zu Lasten der Gläubiger entzogen wird und der Gläubigerschutz des GmbHG damit erheblich aufgeweicht wird. Tatsächlich läßt sich ein rationaler Grund für diese Privilegierung angesichts des unternehmerischen Versagens nicht ausmachen. Diese Regelung erschwert höchstens die Möglichkeit der Kreditaufnahme. Selbstredend erörtert Hirte auch die zu erwartenden Umgehungsversuche (Rdnr. 767).

Eingehende Erörterung finden auch innergesellschaftliche Strukturänderungen (wie die Kapitalherabsetzung), von denen gegenwärtig insbesondere die Umwandlung von erheblicher Bedeutung ist. Das Kapitel über das Umwandlungsrecht reißt alle Probleme dieses schwierigen Teilbereiches des Gesellschaftsrechts wenigstens an. Das seit 1995 in Kraft befindliche Umwandlungsrecht enthält (fast) alle notwendigen Regelungen zur Umstrukturierung von Rechtsträgern in Form der Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung und des Formwechsels. Von besonderer Bedeutung sind heute die Regeln über die Verschmelzung (Fusion), die immer einen Konzentrationsvorgang darstellt (Rdnrn. 903 ff), regelmäßig aber weniger die Erhöhung der - nunmehr - gebündelten Marktanteile im Auge hat, sondern eine Senkung der Betriebskosten, die regelmäßig mit Personalabbau erkauft wird. Selbstredend werden auch die Rechtsfragen der Spaltung intensiv erörtert (Rdnr. 954 ff).

Hirte diskutiert die einzelnen Formen der Verschmelzung - bei der ein neuer Rechtsträger nicht notwendig entstehen muß - sehr eingehend. Von besonderer Bedeutung sind hier auch steuerliche Aspekte, die allerdings nur am Rande thematisiert werden können. Zusammenfassend wird versucht, eine Typologie der Verschmelzungsformen zu entwickeln (Rdnr. 910), in deren Zentrum die Differenzierung zwischen einer rechtsformwechselnden und einer nicht rechtsformwechselnden Verschmelzung steht. Auch der vom Umwandlungsgesetz erstmal eingehend kodifizierte unternehmensinterne Anlegerschutz hinsichtlich von Minderheitsbeteiligungen findet hinreichende Beachtung. Allerdings finden sich hinsichtlich der Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe keine speziellen Vorschriften. Hier muß das allgemeine Gesellschaftsrecht Anwendung finden. “Feindliche” und “freundliche” Übernahmen (und angemessene Abwehrstrategien) sind intensiv in der Diskussion (spätestens seit “Mannesmann - Vodafone”). Sie bieten Chancen, diesen umwandlungsrechtlichen Minderheitenschutz zu aktivieren, da Anfechtungsklagen auch die notwendigen handelsregisterrechtlichen Eintragungen sperren. Leider wird die Abwehr “feindlicher” Übernahmen nicht weiter thematisiert, dürften aber auf großes Interesse des Leserkreises der nächsten Auflage stoßen. Selbstredend liegt in derartigen Klagen ein gewisses “Erpressungspotential”. Allerdings können zwischen den Interessen der professionellen Kapitalanleger und dem “Publikum” durchaus Interessendivergenzen bestehen, die die Statuierung eines derart hohen Schutzniveaus rechtfertigen, so daß die Rspr. mit § 16 Abs.3 UmwG wohl durchaus berechtigt sehr verhalten operiert (Rdnr. 937 f). Allerdings sind Verschmelzungen nicht reversibel, § 20 Abs.2 UmwG, sondern lösen bei Rechtsverstößen nur Schadensersatzansprüche aus. Die diesbezüglich rechtspolitische Kritik von Hirte in schweren Fällen eine Rückabwicklung ex nunc zu statuieren ist unter dem Gesichtspunkt eines umfassenden Anlegerschutzes gerechtfertigt (Rdnr. 940), da die beschränkung auf Schadensersatzansprüche zu mißbräuchlichen Klagen geradezu einlädt.

Der Band schließt eine deutliche Lücke der kapitalgesellschaftsrechtlichen Einführungsliteratur und wird erneut intensive Beachtung finden.



Impressum | Datenschutz