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Artikel 8572
Hannes Münchinger
22.11.2003

Sammelband mit Beiträgen von hochkarätigen Referenten aus Wissenschaft und Praxis

Eine Rezension zu:

Ulrich Everling / Peter-Christian Müller-Graff / Jürgen Schwarze (Hrsg.)

Die Zukunft der Europäischen Gerichtsbarkeit nach Nizza


1. Auflage

Nomos, Baden-Baden 2003, 127 Seiten, 29,- €
ISBN 3-8329-0249-X

http://www.nomos.de


Hatte der Europäische Gerichtshof 1980 noch 132 Urteile zu entscheiden, so mussten EuGH und Europäisches Gericht 1. Instanz 2002 mit 401 Urteilen gemeinsam mehr als die dreifache Menge bewältigen. Im vergangenen Jahr betrug die Verfahrensdauer für Vorlageverfahren, die allein die Hälfte der am EuGH anhängig gemachten Verfahren ausmachen, im Durchschnitt 24,1 Monate, wobei in 45% der Fälle eine noch längere Zeit benötigt wurde. Rechnet man noch die Dauer des Ausgangsverfahrens beim vorlegenden Gericht hinzu, so kann es durchaus bis zu drei Jahren dauern, bis der Kläger mit einem Urteil rechnen kann. Dass dies ein unerträglicher Zustand ist, wird allgemein nicht bezweifelt, sondern bietet vielmehr seit einiger Zeit Anlass zu umfassenden Reformdiskussionen. Bei diesen spielt auch der Aspekt, dass der EuGH auf die zum 1. Mai 2004 bevorstehende Osterweiterung der Europäischen Union um weitere 10 Mitgliedstaaten vorbereitet werden muss, eine entscheidende Rolle.

Mit dem Vertrag vom Nizza versuchte man eine Entlastung für die Europäische Gerichtsbarkeit herbeizuführen. Da die unmittelbar geltenden Änderungen überwiegend das Verfahren betreffen, haben sie allerdings nur beschränkte Wirkung. Von größerem Gewicht ist die Tatsache, dass Artikel 225 EGV in seiner alten Fassung gestrichen und durch eine neue Fassung ersetzt worden ist, wodurch nun auch das Gericht 1. Instanz für Vorabentscheidungsverfahren "in besonderen in der Satzung festgelegten Sachgebieten" zuständig ist. Sind auch in der dem Vertrag beigefügten neuen Satzung des Gerichtshofes diese Sachgebiete noch nicht benannt, so ist damit doch der Weg für die von vielen favorisierte Lösung der Übertragung von Zuständigkeiten im Rahmen des Vorlageverfahrens auf das Gericht 1. Instanz zumindest zukunftsweisend geöffnet. Auch der Vertragsentwurf über eine Verfassung für Europa ist diesen Weg weiter gegangen, in dem er mit Artikel III-263 (3) den Artikel 225 EGV n.F. übernommen hat.

Vor diesem Hintergrund hat sich im November 2002 die Wissenschaftliche Gesellschaft für Europarecht in Heidelberg zu ihrem XVII. Kolloquium zusammengefunden. Die Beiträge der aus Wissenschaft und Praxis sowie aus unterschiedlichen Ländern Europas stammenden Referenten wurden in dem hier besprochenen Band abgedruckt.

Zunächst gibt Prof. Everling, ehemaliger Richter am EuGH und Mitglied der von der Kommission zu diesem Thema eingesetzten Reflexionsgruppe, einen Überblick sowohl über die Problemlage als auch über mögliche Reformkonzepte. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass allein der durch den Vertrag von Nizza eingeschlagene Weg der Übertragung von mehr Verantwortung auf das Gericht 1. Instanz den Gerichtshof wirksam zu entlasten vermag. Dabei sollte auf lange Sicht das Gericht 1. Instanz idealer Weise als ordentliches Gericht der Union über grundsätzlich alle Verfahren durch fachlich spezialisierte Kammern entscheiden, während der Gerichtshof als Verfassungs- und Rechtsmittelgericht nur mit Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für Bestand und Einheit der Union und ihrer Rechtsordnung befasst werden soll.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommen zum Großteil auch die weiteren wie folgt benannten Beiträge: "Reform der Gerichtsbarkeit aus der Sicht nationaler Gerichte" (Dr. Reimer Voß, Präsident des Finanzgerichts Hamburg a.D.), "Vorabentscheidungsverfahren nach dem Vertrag von Nizza" (Prof. Dr. Grabenwarter, Universität Graz), "Nizza oder das Janus Dilemma: Für oder gegen eine zweiköpfige Gerichtsbarkeitsstruktur für Vorabentscheidungsverfahren?" (Prof. Waelbroeck, Universität Brüssel), "Direktklagen und Sonderbereiche beim Gericht 1. Instanz" (Dr. Josef Azizi, Richter des Gerichts 1. Instanz, Luxemburg), "Rechtsschutz in Wettbewerbssachen durch das Gericht 1. Instanz" (Rechtsanwalt Dr. Weitbrecht LL.M., Brüssel).

Dem Vorabentscheidungsverfahren kommt dabei als Kern der Diskussion die größte Aufmerksamkeit zu.

Gesamteindruck:
Im Hinblick auf die überschaubare Anzahl an Beiträgen und den dennoch insgesamt 127 Seiten dieses Bandes kann man leicht erkennen, dass die Beiträge umfassend und fundiert sind. Vor allem für eine Seminararbeit zu diesem Thema dürfte dieser Band die ideale Grundlage darstellen. Aber auch jede andere an Europäischer Gerichtsbarkeit interessierte Person findet hierin eine hervorragend Aufsatzsammlung zu diesem Thema.

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