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Artikel 5153
Ronald Moosburner

Ein ausgezeichnetes Kurzlehrbuch!

Eine Rezension zu:

Klaus-Dieter Borchardt

Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union


2. Auflage

UTB, Verlag C. F. Müller, Heidelberg, 2002, Preis: 22.90 EUR
ISBN 3-8252-1669-1

http://www.utb.de


Der Autor ist Abteilungsleiter in der Europäischen Kommission und Honorarprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sein für ein Taschenbuch recht umfangreiches Lehrbuch liegt seit kurzem in der 2. Auflage vor.

Das Werk folgt weitgehend dem klassischen Aufbau von Lehrbüchern zum Europarecht. Allein auf eine vollständige Beschreibung der einzelnen Politiken der Gemeinschaft hat der Autor verzichtet, weil dies den gewählten Rahmen unweigerlich gesprengt hätte und, wie ganz richtig festgestellt wird, mit dem Wissen eines einzelnen Experten gar nicht zu bewältigen wäre. Die Darstellung ist durchgehend übersichtlich und dennoch sehr detailliert, stellenweise ergänzen sie Graphiken mit aktuellen Daten.

Der erste Teil beschreibt das institutionelle System der Union und der Gemeinschaften. Den ersten umfangreicheren Abschnitt bilden hier die Verfassungsprinzipien in § 4 dieses Teils. Hier werden zahlreiche Problemkomplexe von grundlegender Bedeutung besprochen, beginnend mit der Rechtsnatur von EU und EG, dem Verhältnis des Europarechts zum nationalen Recht mit den wichtigen Entscheidungen des deutschen BVerfG (Solange I, II, Maastricht) und den europarechtlichen Grundbegriffen des Vorrangs, der unmittelbaren Geltung und der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts. Sehr informativ ist der Abschnitt über die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung von nationalem Recht, wo verschiedene Entscheidungen des EuGH zitiert werden, in denen er den Inhalt dieser Methode präzisiert hat. Ein interessanter Nebenaspekt ist dabei für den deutschen Juristen, daß die grundlegende EuGH-Entscheidung zu diesem Thema gleichzeitig auch einen Ausschnitt der beinahe unendlichen Auseinandersetzungen um den Inhalt von § 611a BGB darstellt, einer Norm, die schon Studenten im Fach Arbeitsrecht eingehend die engen Verknüpfungen zwischen nationalem Recht und Sekundärrecht auf europäischer Ebene vor Augen führt. Es folgen die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Sozialstaatlichkeit, sehr ausführlich und informativ ist dabei die Darstellung der Grundrechte. Die anschließende Beschreibung der Organisationsstruktur berücksichtigt bereits die Änderungen, die sich nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Nizza ergeben werden. Sie ist sehr gut gelungen und enthält immer wieder interessante Einzelheiten über Verfahrensschritte und organisatorische Feinheiten, die in vielen Lehrbüchern fehlen.

Im folgenden werden die einzelnen Rechtsakte der EG beschrieben. Einen starken Akzent setzt der Autor auf die Haftung der Mitgliedsstaaten für die mangelhafte Umsetzung von Gemeinschaftsrecht. Die Grundsatzentscheidung in den verbundenen Rs. „Brasserie du pêcheur„ und „Factortame„ (NJW 1996, 1267 ff.) ordnet er von seiner Bedeutung her zu Recht in einer Reihe mit den ganz fundamentalen Urteilen zur unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts und zur Wirkung von Grundrechten im Europarecht ein. Die Vorgeschichte hatte im Fall der Elsässer Brasserie du pêcheur in der jahrelangen Weigerung der deutschen Regierung gewurzelt, das deutsche Reinheitsgebot für Produkte aus dem europäischen Ausland aufzuweichen. Letztlich entschied der EuGH, daß das Reinheitsgebot nicht angewendet werden dürfe (Slg. 1987, 1227). Die französische Brauerei versuche daraufhin, den entstandenen Schaden vom deutschen Staat ersetzt zu bekommen. Dem stand jedoch insbesondere entgegen, daß nach der deutschen staatshaftungsrechtlichen Rechtsprechung bisher jegliche Haftung für legislatives Unrecht strikt abgelehnt worden war. Dies hat der EuGH in der zitierten Entscheidung korrigiert. Das Effizienzgebot bei der Anwendung von Gemeinschaftsrecht, wonach dessen Wirksamkeit nicht „praktisch unmöglich„ gemacht oder „übermäßig erschwert„ werden dürfe, erfordere zwingend eine Haftung auch für legislatives Unrecht. Der BGH hat darauf reagiert (BGH NJW 1997, 123 ff.) und als Voraussetzung für eine Haftung das Vorliegen des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruchs angenommen. Wenn dieser vorliege, sei aber weiterhin § 839 BGB zu prüfen, wenn auch ggf. in gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung. Letztlich hat er aber der französischen Brauerei keinerlei Schadensersatzanspruch zugestanden, weil es an einem qualifizierten Rechtsverstoß des deutschen Gesetzgebers fehle. Der Verstoß gegen Europarecht sei nicht offenkundig und erheblich gewesen.

Der nächste Teil des Buches befaßt sich in sehr informativer Weise mit der Wirtschaftsverfassung. Es folgt die Darstellung des Binnenmarkts mit den Grundfreiheiten. Die Darstellung der Art. 28 ff. EG ist recht umfassend, die Formeln der Urteile „Dassonville„, Cassis de Dijon„ und „Keck„ werden an zahlreichen Beispielen erläutert, die durch sehr umfangreiche Rechtsprechungshinweise in den Fußnoten ergänzt werden. Die lange Zeit umstrittene Frage, ob die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit als reine Diskriminierungsverbote anzusehen sind oder auch Beschränkungsverbote wie die Warenverkehrsfreiheit und die Dienstleisungsfreiheit enthalten, sieht der Autor durch die Entscheidungen in den Fällen „Bosman„ und „Gebhard„ als im letzteren Sinne geklärt an. Dies dürfte der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum entsprechen, wenngleich die Rechtsprechung nach zwei Urteilen noch nicht zwingend als gefestigt angesehen werden muß.

Abgerundet wird das Buch durch das Wettbewerbsrecht und die beiden ergänzenden Säulen der EU, die den positiven Eindruck nur noch verstärken. Dieses Werk gehört zum Besten, was an Kurzlehrbüchern zum Europarecht auf dem Markt zu finden ist. Es mag wegen der vielen Detailinformationen, die es enthält, und wegen der stellenweise unkonventionellen Darstellung von Standardproblemen dem Anfänger mit einer gewissen Zurückhaltung empfohlen werden. Er sollte sich lieber mit einer kürzeren Darstellung einlesen. Bei der Vertiefung ist das Buch aber die reinste Lesefreude und muß unbedingt weiterempfohlen werden!

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