Herzlich willkommen auf jurawelt.com

Zur neuen Webseite: jurawelt.com

Zum Forum: forum.jurawelt.com


Artikel 268
Ralf Hansen

ZWISCHEN EUROPÄISCHER UNION, EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN UND NATIONALSTAAT

Eine Rezension zu:

Pechstein, Matthias / Koenig, Christian
Die Europäische Union
2. Auflage, Tübingen: Mohr (Siebeck) 1998


http://www.mohr.de


Der Vertrag vom Amsterdam ist, früher als erwartet, zum 01.05.1999 in Kraft getreten. Er hat das Vertragssystem von “Maastricht” nicht unerheblich umgestaltet, auch wenn er hinter den durch die Regierungskonferenzen geweckten Erwartungen zurückgeblieben ist. (S. Regierungskonferenz [1995] und [1996]). Dennoch wird man die Änderungen als Fortschritt werten müssen (s. auch “10 Argumente für Amsterdam” [1997]). Auch wenn der gegenwärtige Vertragszustand sicher als dauerhaftes “Provisorium” den Kernbestand des Vertragssystems ausmacht, ist die nächste Vertragskonferenz bereits im Blickfeld. Zum einen läuft der älteste der römischen Verträge, der Vertrag über die Gründung der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vom 15.04.1951 (Inkrafttreten: 23.07.1952) am 23.07.2002, 24.00 h aus. Es wird darüber verhandelt werden müssen, seine nicht obsoleten, nicht mit dem EGV gleichlaufenden Teile in den EGV zu inkorporieren, da eine Verlängerung wohl nicht in Erwägung gezogen wird, zumal eine vollständige, auch institutionelle Fusion bereits zum 01.07.1970 geplant war, aber seinerzeit gescheitert ist. Zum anderen führt die anstehende erste Phase der Osterweiterung zu einer notwendigen institutionellen Reform der Zusammensetzung von Europäischen Parlament und Europäischer Kommission (Agenda 2000 [1997), deren Lösung von der Vertragskonferenz bewußt verschoben worden ist, wie aus Art.2 “Protokoll über die Organe der im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union” deutlich hervorgeht (abgedruckt bei Pechstein/Koenig 1998, S. 330 f). Inzwischen wurde auf dem “Kölner Gipfel” beschlossen, diese Konferenz für Anfang 2000 einzuberufen. Sie wird Regelungsvorschläge hinsichtlich Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission, zur Stimmenwägung im Rat, einer Ausweitung der mit qualifizierter Mehrheit zu treffenden Abstimmungen im Rat, sowie weitere notwendige Vertragsänderungen im Hinblick auf die Organstruktur zu erarbeiten haben (Europäischer Rat, 03./04.06.1999, 1999, S.13). Dabei ist nicht zu vernachlässigen, daß über die mit diesen Ländern geschlossenen Europaabkommen bereits große Teile der europarechtlichen Rechtsmasse in diesen Ländern in Geltung gesetzt worden ist. Pechstein/Koenig geben über diese - inhaltlich sehr ähnlichen - Europaverträge eingehend Auskunft und verhehlen auch ihre rechtspolitischen Bedenken nicht. Keineswegs nämlich haben diese Abkommen etwa das europäische Wettbewerbsrecht völlig vereinheitlicht, obwohl dies ursprünglich beabsichtigt war. Der These einer Vorschaltung des Beitritts zunächst zum EWR ist zu wenig Beachtung geschenkt worden. Vielmehr wurden etwa im Beihilfebereich erhebliche Zugeständnisse gemacht (Pechstein/Koenig 1998, Rdnr. 471). Es ist aber fraglich, ob diese Zugeständnisse den Übergang aus einer “staatssozialistischen” Wirtschaftsstruktur in eine soziale Marktwirtschaft nicht eher erleichtern als erschweren, wie das Negativbeispiel der Sowjetunion zeigt. Die Europaverträge gewähren auch keinen Anspruch auf Beitritt, sondern nur auf einen “politischen Dialog” (Pechstein/Koenig, Rdnr. 468). Darüber hinaus wird sich allerdings das Problem des Demokratiedefizits in der EU (Lemke 1999) und das Problem der Schaffung eines positivierten Grundrechtskataloges (Preuß 1998) stellen. Auch diesbezüglich hat der Europäische Rat auf dem “Kölner Gipfel” beschlossen, daß es erforderlich ist, eine derartige Charta zu erstellen, die Freiheits- und Gleichheitsrechte, Verfahrensrechte nach dem Vorbild der EMRK und Bürgerrechte enthalten soll, die nur Unionsbürgern zustehen sollen (Europäischer Rat, Köln, 03./04.1999, S.39). Dabei sollen auch wirtschaftliche und soziale Rechte berüc

Bisher ist das Werk von Pechstein/Koenig das Einzige seiner Art, das sich - weniger Lehrbuch als systematische Monographie - unter umfassender Auswertung der Rechtsprechung und Literatur - ausschließlich auf den EUV und die damit programmierte rechtliche Dimension der europäischen Integration konzentriert. Damit ist es auch ein Buch über und für die Zukunft der Europarechtswissenschaft, geschrieben von - dies geht aus dem Text deutlich hervor - überzeugten, aber kritischen Europäern, deren Position man politikwissenschaftlich dem “Realismus” zuordnen würde. Gegenüber der ersten Auflage von 1995 wurden erhebliche Umstrukturierungen und Reformulierungen (nicht nur vom Umfang her, der sich nicht unerheblich erhöht hat) vorgenommen, die nicht nur dem “Vertrag von Amsterdam”, sondern auch der Entwicklung des Rechts der EU geschuldet sind. Dem Übergangscharakter des Reflexionsstandes bei Abfassung des Manuskripts (Stand April 1998) wird durch die parallele Zitierweise viel genommen, die sowohl die je einschlägige Norm des Vertrags von Maastricht als auch der konsolidierten Fassung des EUV durch den Vertrag von Amsterdam nennt. Auch die neue Durchnummerierung des EGV mag, wie die Autoren meinen, ein “Schildbürgerstreich” sein - aber mit derartigen “Streichen” der Gesetzgeber muß die Rechtswissenschaft stets rechnen. Die Analyse bezieht den EGV nunmehr nur noch insoweit ein, als dies für das Verständnis der Unionsarchitektur mit all ihren Verzweigungen, einschließlich der intergouvernementalen Teile (GASP, ZBJI) notwendig erscheint (Rdnr. 23). Fallen gelassen wurden die Ausführungen über die Wirtschafts- und Währungsunion, die Sozialunion und die Unionsbürgerschaft (Kap. 7 - 9 der Vorauflage von 1995), die den Gesamtdarstellungen des Europarechts überantwortet wurden (s. etwa Koenig/Haratsch 1998). Dafür wurden in völlig neuen Kapiteln die Fragen einer Änderung der Mitgliedschaft, der Vertragsänderung und einer Verfassung für die EU umfassend thematisiert. Der EUV in der konsolidierten Fassung des Vertrages von “Amsterdam”, Auszüge aus dem EGV nebst Protokollen sind im Anhang ebenso abgedruckt, wie die nunmehr für das Studium älterer Rechtsakte obligatorische Übereinstimmungstabelle hinsichtlich der alten und neuen Numerierungen von EUV und EGV, die man insbesondere bei der Lektüre von EuGH - Entscheidungen zur Hand haben sollte.

In einem eher “Allgemeinen Teil” behandeln die Autoren in den ersten drei Kapiteln der Neuauflage die Grundfragen des Rechts der EU. Von besonderer Bedeutung ist hier die Trennung zwischen EU-Recht und (supranationalem) Gemeinschaftsrecht, die in der (auch juristischen) Öffentlichkeit oftmals “durcheinandergemischt” werden. Die Autoren werden zu Recht nicht müde immer wieder darauf hinzuweisen, daß die EU keine supranationale Organisation ist und sich nach dem EUV auch der supranationalen Rechtsetzungsinstrumente (vor allem Verordnung und Richtlinie) nicht bedienen kann. Es stehen ihr ausschließlich völkerrechtliche Rechtsetzungsmittel zur Verfügung. Die EU hat einen rein intergouvernementalen Charakter aufgrund einer Vertragsgrundlage, die ausschließlich nach Grundsätzen des Völkerrechts zu beurteilen ist, so daß zwischen EU und EG scharf zu trennen ist. Die Autoren widerstehen der Versuchung vereinzelt gebliebener “Einheitsbetrachtungen”, die sich mit Sinn, Zweck und Systematik des EUV nicht vereinbaren lassen. Es macht den tieferen Sinn einer rechtsdogmatisch ansetzenden Analyse aus, sich rechtspolitischen Argumenten solange zu verschließen, wie sich im Text keine entsprechenden Anhaltspunkte finden lassen, frei nach der Methode: “De lege ferenda hätten wir es gerne soundso, was können wir de lege lata durch einen Randgang entlang der Grenzen der Auslegung, ggf. durch Analogie oder teleologische Reduktion schon jetzt, ggf. rechtsfortbildend verwirklichen”? Die hohe Komplexität des Europarechtssystems für die Bürger der EU stellt sich insoweit ausschließlich als politisches Problem, dem der Europäische Rat durch Förderung des Bewußtseins der kulturellen Zusammengehörigkeit wenigstens ansatzweise Rechnung tragen will, ohne daß dieses Konzept mehr als unscharfe Konturen erkennen läßt. Allerdings kann gerade die Europarechtswissenschaft aufgrund der engen strukturellen Koppelung zwischen Recht und Politik, politischer und soziologischer Analyse nicht entbehren. Zudem sind völkerrechtliche Verträge stets den Restriktionen ihrer politisch kontingenten Abfassungssituation unterworfen, wie insbesondere der “Vertrag von Amsterdam” zeigt (Pechstein/Koenig, Rdnr. 52). Die EU als rechtliche Struktur ist politisch dem Spannungsverhältnis von nationalen Interessen und der Einsicht in die Notwendigkeit politischer Integration sich gesellschaftlich, kulturell und wirtschaftlich vernetzender Gesellschaften geschuldet. Die Bezeichnung dieses Gebildes als “Staatenverbund” durch das BVerfG (BVerfG [1993]) trifft daher die Problematik recht genau. Die EU ist demgegenüber - wie oft fälschlich behauptet - nicht der entscheidende Schritt zu den “Vereinigten Staaten von Europa” - die auch politisch wieder in die Diskussion gebracht worden sind (Schäuble/Lamers 1999, S. 13 f) -, sondern nur der entscheidende Schritt zu einem Staatenverbund, der ein rechtliches Netzwerk verdichtet und schafft, das dieser Entwicklung langfristig den Boden bereiten könnte (s. auch Schäuble/Lamers, 1999, S. 15 ff), wenn die gesellschaftliche Entwicklung - die sich nicht mehr an Staatsgrenzen hält (Beck, 1997, S. 150 ff, 218 ff) - entsprechend konvergiert. Der Ansatz einer politischen Union, die um eine “Währungsunion” “herum montiert” worden ist, ist dazu zu wenig. Diese Integrationsstufe ist erst noch zu erreichen, auch wenn sich in Europa durchaus eine “postnationale Konstellation” abzeichnet (Habermas 1998).

Eingehend beleuchtet wird insbesondere die “Unionsarchitektur”, deren Begriff “mithin letztlich nur eine Sammelbezeichnung für bestimmte, rechtlich unterschiedliche organisierte und aufeinander abgestimmte Formen der Kooperation der Unionsstaaten untereinander und mit den drei Europäischen Gemeinschaften ist” (Pechstein/Koenig 1998, Rdnr. 87). Die Autoren analysieren ausgehend von diesem Befund die EU vornehmlich als ein in völkerrechtlichen Rechtsformen eingebundenes Kooperations - und Koordinationsforum, das sich zur supranationalen Seite hin öffnet, da die Organe der supranationalen Organisation, also der EG, in Form der “Organleihe” für die EU “benutzt” werden. Die Frage der Rechtspersönlichkeit der EU ist in den letzten Jahren oft thematisiert worden. Entgegen zahlreichen anderen Auffassungen (die sich aber nicht durchsetzen konnten) halten Pechstein/Koenig an der h.M. fest, die davon ausgeht, daß eine solche Rechtspersönlichkeit schlicht nicht existiert (Pechstein/Koenig, Rdnrn. 69 ff). Von einer nachträglichen Praxis nach Art. 31 Abs.3 lit. b Wiener Vertragsrechtsübereinkommen, kann keine Rede sein, da bisher keine staatliche Handlung der Mitgliedsstaaten in diese Richtung interpretiert werden könnte. Wie die Autoren zu Recht annehmen, bedürfte die Erlangung eines solchen Status einer eindeutigen Vertragsänderung nach Art. 48 EUV. Hier kommt die von den Autoren ausführlich behandelte Problematik des “Beitritts zur EU” ins Spiel, die rechtlich nur als Beitritt zu den drei Gemeinschaften möglich ist und auf der Ebene der EU der Änderung eines völkerrechtlichen Vertrags bedarf, der von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muß (durch ein Zustimmungsgesetz, für das Art. 23 gegenüber Art. 24 und 59 Abs.2 GG lex specialis ist). Der “Beitritt” zur EU ist daher nichts anderes als die Aufnahme in einen völkerrechtlichen Vertragsverbund. Unter diesem Aspekt kommt der Vertragsänderung, die von den Autoren in einem eigenen Kapitel analysiert wird, eine wesentliche andere Funktion zu, als bei einem Beitritt nur zur EG, der aber isoliert nicht mehr möglich ist. Hinsichtlich der GASP und der ZBJI hat der “Beitritt” nur die Verpflichtung zur Kooperation zur Folge. Art. 49 EUV ist daher mit den Autoren so zu verstehen, daß eine Verpflichtung, sich an diesem “Verbund” zu beteiligen, nur im “Paket” erfolgen kann. Ein Beitritt nur zu den Europäischen Gemeinschaften ist nach Streichung der Art. 98 EGKSV, 237 EWGV und 205 EAGV nicht mehr möglich. Unter diesen Umständen bereitet der Vorrang des EUV vor dem EGV nicht unerhebliche Probleme, zumal eine ausdrückliche Bindungsklausel nach wie vor nicht existiert. Diese Problematik wird von Pechstein/Koenig in allen Facetten durchdiskutiert (Rdnrn. 100 ff). Sie begründen die Bindung mit ungeschriebenen Bindungen des Gemeinschaftsrechts und begründen dies vornehmlich aus Art 47 EUV, da aus Sinn und Zweck des Zusammenhangs von EU und Europäischen Gemeinschaften ein Bindungswille hervorgeht, der die Respektierung eines europäischen Kohärenzgebots impliziert und den Vorrang des EUV vor dem EGV statuiert, wie sich aus Art. 3 Abs.2 EUV ergibt. Die Frage würde aber erst dann praktisch, wenn sich die EG aus diesem Kohärenz-Zusammenhang herauslösen wollte. Über den EUV sind daher auch die Organe der Europäischen Gemeinschaften etwa an Art. 6 EUV gebunden. Art. 47 EUV unterliegt inzwischen der Justiziabilität des EuGH, Art. 46 lit. e EUV, so daß Streitfragen sich im Vertragsverletzungsverfahren klären ließen (dazu näher, Pechstein/Sander, Einführung in das EG-Prozeßrecht, Tübingen: Mohr, 1997). Der Inhalt des europarechtlichen Kohärenzgebots ist damit aber noch nicht geklärt. Pechstein/Koenig unternehmen hier eindrucksvolle dogmatische Bemühungen in Auseinanderse analysieren deren lebensweltliche Wirksamkeit und deren Grenzen. Die EU könnte also - dies ist eine praktische Auswirkung - nicht Mitglied der UNO werden. Der EG fehlt dazu die betreffende Ermächtigung im EGV. Die EU ist daher nichts anderes als eine intergouvernementale Kooperationsform von allerdings erheblicher politischer Tragweite, ein “Torso” der des weiteren Baues am gemeinsamen Haus Europa bedarf, um eine Formulierung eines verdienten Ehrenbürgers der Europäischen Union aufzunehmen (auch diese Konstruktion stößt aber zumindest auf gewisse rechtliche Schwierigkeiten).

Das in jeder Hinsicht zentrale Organ des EUV ist der “Europäische Rat”, entweder als Ministerrat oder in der Zusammensetzung der Regierungschefs. Seiner Darstellung ist ein eigenes Kapitel gewidmet, dem sich im “zweiten Teil” Ausführungen über die Funktion der Unionsrechtsakte im Hinblick auf ZBJI und GASP anschließen. In der GASP und der ZBJI vollzieht sich die Koordination primär über die Aufstellung “gemeinsamer Standpunkte”, “gemeinsamer Aktionen” und “gemeinsamer Maßnahmen”. Zum besseren Verständnis sind Originaldokumente in den Text aufgenommen wurden, die systematisch erläutert werden. Die rechtliche Einordnung der “gemeinsamen Standpunkte” ist durchaus umstritten. Manche billigen Ihnen nur eine politische Verbindlichkeit zu. Allerdings dürfte - wie die Autoren verdeutlichen - wenigstens über das Kohärenzgebot eine rechtliche Bindung der Mitgliedstaaten erzeugt werden. Eine Bindung der EG hingegen nur, wenn eine entsprechende Konkurrenz besteht. Beschlüsse über gemeinsame Maßnahmen können durchaus neue Rechtsnormen vorbereiten, wie sich am Beispiel der Art. 61 ff EGV zeigt, mit denen gemeinsame Maßnahmen vergemeinschaftet worden sind. GASP und ZBJI finden eingehende Darstellungen von monographischer Dichte, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann.

Das achte Kapitel, mit dem quasi ein “dritter Teil” eröffnet wird, behandelt das komplexe Beitrittsverfahren, dem insbesondere hinsichtlich der Osterweiterung erhebliche Bedeutung zukommt. Der praktische Ablauf wird zusammengefaßt dargestellt (Rdnr. 443). Maßgeblich für einen Beitritt ist die Erfüllung der Anforderungen des Art. 6 Abs.1 EUV, der ein Bekenntnis zu den Menschen- und Bürgerrechten, sowie zu Demokratie und Rechtsstaat voraussetzt. Aus Art. 6 Abs.2 EUV ergibt sich, daß insbesondere der Standard der EMRK gewahrt werden soll, der eine gemeinsame Grundlage der Rechtskulturen Europas darstellt. Abzustellen ist dabei auf die Verfassungswirklichkeit. Ergänzt werden diese Anforderungen durch Art.4 Abs.1 EGV, der die Beitrittskandidaten auf die Wirtschaftspolitik der EG und damit auf eine liberale Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festlegt. Als ungeschriebene, allgemeine Beitrittsvoraussetzung ist erforderlich, daß eine Tendenz zur volkswirtschaftlichen Konvergenz gegeben ist, die es ermöglicht, daß der Beitrittsstaat die Übernahme des kompletten EG-Rechts auch institutionell “verkraftet”. Die Autoren verhehlen aber auch nicht ihre Enttäuschung über die mageren Ergebnisse der Regierungskonferenz, die die Probleme der Osterweiterung nicht gemeistert hat (Rdnr. 457), weisen aber auch zutreffend darauf hin, daß eine Änderung der Besetzungsregeln an tiefsitzende Souveränitätsempfindungen der Mitgliedsstaaten rührt (Rdnr.458), so daß für die kommende Regierungskonferenz im Jahr 2000 heftige Dispute zu erwarten sind. So erschüttert die nationale Souveränität soziologisch betrachtet sein mag (Zürn 1998, 233 ff, 239 ff; Albrow 1998, 260 ff), so sehr ist sie politisch noch wirksam, gefangen in einer Dialektik zwischen Globalisierung und Renationalisierung deren staats- und völkerrechtliche Substrate reale Funktionen in einer “postnationalen Konstellation” Europas erfüllen. Allerdings wird gerade staatsrechtlich ignoriert, daß die außerjuristischen Grundkategorien, auf die juristische Kategorien sich stets noch beziehen, selbst wandelbar sind und auf die juristischen Kategorien im Spannungsverhältnis von Faktizität und Geltung einwirken. Diese Problematik gilt auch für den Europabegriff, wenn es darum geht zu differenzieren, wer zu Europa gehört und wer nicht, da Art. 49 Abs.1 von europäischen Staaten spricht. Legt man einen kulturistisch-historistischen Europabegriff zugrunde, muß man enge Grenzen ziehen und wie die Autoren einen Beitrittsantrag der Türkei bereits unter diesem Aspekt ablehnen, mit prekären Folgen für die Auslegung des Assoziierungsabkommens mit der E(W)G (Rdnrn. 442 f). Angesichts des mediteranen wirtschaftlichen und kulturellen Netzwerkes könnten sich diese Kategorien selbst verändern, zumal das ehemalige Konstantinopel (Byzanz) durchaus in Europa liegt. Wesentlich wichtiger dürfte sein, ob die materiellen Kriterien des Art. 6 Abs.1 EUV erfüllt sind, was in diesem Fall bis auf weiteres noch nicht zu sehen ist, wie insbesondere Menschenrechtsfragen nahelegen.

Das ergebnisoffene Projekt EU kann wie jedes Projekt scheitern, auch wenn dies gegenwärtig nicht absehbar ist. Unter diesen Umständen könnte sich das - wie die Autoren selbst auch bekennen - hoffentlich nur theoretische Problem stellen, die EU verlassen zu wollen. Ein Austrittsrecht ist nirgendwo vorgesehen, die Möglichkeit einer Vertragsaufhebung unter Zustimmung aller Mitgliedsstaaten aufgrund einstimmigen Beschlusses oder der Kündigung mehrerer Staaten schwer umstritten, aber nach dem BVerfG (“Maastricht”) als Ausfluß der nationalen Souveränität unter Bedingungen ihrer Negierung, wohl möglich. Demgegenüber ist ein einseitiges Kündigungsrecht durch Art. 51 EUV ausgeschlossen, es sei denn man würde Art. 62 der Wiener Vertragsrechtsübereinkunft, die schillernde naturrechtliche “clausula rebus sic stantibus” anwenden. Wer diese Tür öffnet, sollte sich gut überlegen, ob das Richtige getan wird, da “souveräner” Willkür damit Tür und Tor geöffnet wird. In jeden Falle - auch hier wirkt das Kohärenzgebot - müssen vorher alle gemeinschaftsrechtlichen Instrumentarien erschöpft sein, zumal hier - worauf die Autoren deutlich hinweisen - nach Art. 227 EGV hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten bestehen. Nach hier vertretener Auffassung ist Art. 62 des Wiener Vertragsübereinkommens selbst dann nicht auf die EG anwendbar, wenn die Währungsunion scheitern sollte, wenn eine Vertragsanpassung möglich sein würde, wofür jede Wahrscheinlichkeit - auch im Zusammenhang mit der sich weiter intensivierenden transatlantischen Kooperation - spricht. Es ist zu hoffen, daß Europa dieses Szenario erspart bleibt. Dem Austritt spiegelbildlich korrespondierend, ist aber auch ein Ausschluß nicht möglich, es sei denn, der betreffende Staat würde zustimmen und die Entscheidung käme nach Art. 48 Abs.2 EUV zustande, also einstimmig. Bei andauerndem vertragswidrigen Verhalten, bleiben die Pflichten aus dem Vertrag bestehen. Ein Ausschluß ist mit Pechstein/Koenig nur im Extremfall denkbar, wenn die Möglichkeit der Suspendierung der Mitgliedschaftsrechte (nicht -Pflichten) nach Art. 7 EUV versagt hat.

Die Aufnahme neuer Staaten, etwa im Vollzug der Osterweiterung, setzt eine Vertragsänderung des EUV voraus, der der nationalstaatlichen Ratifikation bedarf, so daß Art. 49 Abs.1 EUV berührt ist, der insoweit Art. 48 EUV vorgeht. Dies gilt aber auch im Falle einer materiellen Vertragsänderung, auf die die Autoren im vorletzten Kapitel zu sprechen kommen. Nach allgemeinem Völkerrecht ist jeder Vertrag formfrei änderbar, wie Pechstein/Koenig ausführlich darlegen und damit erneut eine zuverlässige “Wanderung” entlang den Schnittstellen von Europarecht und Völkerrecht “organisieren”. Wird dieses Verfahren (etwa bei der “Luxemburger Vereinbarung” von 1966) gewählt, ist aber Art. 48 Abs.1 EUV eindeutig verletzt, so daß zwischen völkerrechtlicher Zulässigkeit und europarechtlicher Wirksamkeit strikt zu differenzieren ist. Den “Herren” der Verträge soll es aufgrund der verbliebenen staatlichen Souveränität in Basisfragen möglich sein, als ultima ratio diesen Weg zu beschreiten, was nach hier vertretener Auffassung dahingehend einzuschränken ist, daß dies nur für einen Übergangszeitraum zu tolerieren ist, der einmünden muß in eine Wiederbeschreitung des europarechtlichen Verfahrensganges, es sei denn, Art. 48 Abs.1 EUV wird selbst verändert. Eine europäische “Ewigkeitsklausel” gibt es, wie Pechstein/Koenig nachdrücklich darlegen, nicht. Allerdings wäre eine solche Vereinbarung völkerrechtlich durchaus ebenso wirksam, wie der Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrages durch eine Regierung, die ihn innerstaatlich - aus welchen Gründen auch immer - nicht umsetzen kann (Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 1997, S. 242 f) und damit in die völkerrechtliche Vertragshaftung gerät. Hinsichtlich der unionsinternen Wirkung sind die Ebenen der supranationalen Auswirkungen, der intergouvernementalen und der innerstaatlichen Auswirkungen zu trennen. Es wird überzeugend nachgewiesen, daß Unionsrecht, das gegen Art. 48 Abs.1 EUV verstößt, gemeinschaftsintern außer Anwendung bleibt, zudem damit auch die nationalen Parlamente geschützt werden, die zumindest an informellen Änderungen nicht beteiligt werden. Die Prüfung der Gültigkeit des so gesetzten Völkervertragsrechts ist nach Art. 46 EUV der Jurisdiktion des EuGH entzogen, nicht aber die Einhaltung der Verfahrensvorschriften des Art. 48 Abs.1 EUV. Innerhalb der GASP und der ZBJI sind derartige Vertragsänderungen voll wirksam. Bezüglich der Mitgliedsstaaten entfalten diese Änderungen jedoch keine Wirksamkeit, soweit das Gemeinschaftsrecht betroffen ist, das gegenüber dem innerstaatlichen Recht grundsätzlich (Solange-Vorbehalt) Vorrang hat. Das Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 Abs.1 EUV wird nachfolgend von den Autoren umfassend dargestellt.

Im letzten Kapitel fließen alle Argumentationsstränge zusammen, da es um die brandaktuelle Frage geht: “Braucht Europa eine Verfassung?” (aufgeworfen von Dieter Grimm 1995, S. 581 ff). Um die Antwort von Pechstein/Koenig vorwegzunehmen: Sie meinen Europa wäre noch nicht so weit, da es an allem fehlt, was einen Staat ausmacht. Eine Verfassungsgebung setzt nach der traditionellen Lehre von der Souveränität zur Statuierung einer Kompetenz-Kompetenz einen Nationalstaat voraus. Souveränitätsfragen lassen sich nicht einfach ausblenden. Ein gemeineuropäisches Volk gibt es nicht, darüber sollte Einigkeit bestehen. Die Autoren argumentieren voll auf der Linie des “Maastricht-Urteils“ des BVerfG und halten entgegen mancher Kritik am überkommenen Souveränitätsbegriff fest. Politikwissenschaftlich ist nicht mehr zweifelhaft, daß dieser Souveränitätsbegriff erschüttert ist, allein der Handlungsspielraum nationaler Regierungen insbesondere hinsichtlich der nationalen Steuerung der “volkswirtschaftlichen” Entwicklung ist im Angesicht der Globalisierung, der Pechstein/Koenig wenig Beachtung schenken, erheblich erschüttert. Zutreffend ist aber nichtsdestoweniger, daß in dieser Phase des ungewissen Übergangs vom Nationalstaat zu einer postnationalen Konstellation sich eine Verfassungsgrundlage für die EU nur in Ansätzen entwickelt hat. Tatsächlich enthalten sowohl EUV als auch EGV Elemente einer Verfassung, ohne eine Verfassung zu sein. Europawahlen finden nach weitgehend nationalen Kriterien statt. Ein wirklich europäisches Parteiensystem gibt es nicht, nur Parteizusammenschlüsse (s. Stoiber, M. 1998). Das Sprachenproblem hingegen wäre wohl ab der gegenwärtigen jungen Generation lösbar: Die Verständigung auf Englisch wird zum europäischen Standard, auch wenn man es dabei nicht bewenden lassen darf. Die Souveränitätsfrage kann nicht ausblendet werden, selbst wenn man dies staatsrechtlich vollziehen würde, wäre es politisch nicht umsetzbar und würde die politischen Systeme Europas nachhaltig delegitimieren. Mehr oder weniger hätte dann die europäische res publica zwei Verfassungen und zwei Verfassungsurkunden: den EUV und den EGV, beide sind fast nur Spezialisten zugänglich, ihre Vermittlung ist auf hochdifferenzierte Expertenkulturen angewiesen. Zerrieben zwischen der durchaus realen Utopie des europäischen Bundesstaates und einem rein völkerrechtlichen Staatenbund hat sich das europäische Politikprojekt “towards an ever closer Union” entwickelt, deren politisches Ziel weitere Integration ist, seit Maastricht vertraglich festgeschrieben. Pechstein/Koenig reden einem gesunden Realismus das Wort: Die Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Integration hat Vorrang vor einer Verfassung, die, wenn heute erlassen, noch von gesellschaftlicher Blutleere erfüllt würde. Die EU kann den Nationalstaat (noch?) nicht ersetzen, aber ein Komplementärstatut, um die Begriffsbildung von Pechstein/Koenig zu verwenden, ist möglich und wird auch politisch betrieben. Es könnte dazu verhelfen - insoweit geht der Rezensent über die Skepsis der Autoren hinaus -, eine europäische Identität auszubilden, die eine kulturelle Transzendenz zum Leben bringt, die in Europa bereits angelegt ist und durch einen europäischen Grundrechtskatalog für die EU Auftrieb erhalten könnte. Allerdings stellen sich hier zahlreiche Probleme, hinsichtlich der Europa- und völkerrechtlichen Einordnung eines solchen Kataloges, der auf EU-Ebene angesiedelt nur völkerrechtliche Wirkung hätte und der nationalstaatlichen Ratifikation bedürfen würde, was auf nationaler Ebene eine “Schutzrechtsverdoppelung” zur Folge haben würde. Der einzige sinnvolle Ort der Kodifikation ist unter diesen Umständen die EG, die der EMRK mangels Kompetenz nicht beitreten kann. sich an einem nationalen Volk orientiert, das sich meist selbst als Volk nicht kennt, sondern in regionale Identitäten zerfällt, wie die Tendenz zur Föderalisierung zeigt, dem durch das Konzept des Europas der “Regionen” begegnet werden soll. Das Kernproblem aber ist die Herausbildung einer gemeineuropäischen demokratischen Öffentlichkeit, die diese regionalen Differenzierungen politisch überwinden hilft. Die Problematik eines gesamteuropäischen demokratischen Europas ist keine juristische Frage, sie wird allein gesellschaftlich entschieden, so daß es auf politische Prozesse ankommt, die aber stets rechtlich umgesetzt werden müssen (umfassend: Münch, 1993). Unter diesen Bedingungen ist es wahrscheinlich hilfreicher, ein langsames “realistisches” Konzept zu verfolgen, als ein utopisches Projekt, das an seiner eigenen Realisierung zerfällt.

Das Werk von Pechstein/Koenig enthält für die Bewältigung der Zukunftsprobleme manch interessante Anregung, die dieses Werk für den europarechtlich interessierten Juristen unentbehrlich machen.


Nachweise

Agenda 2000 (1997), Die Erweiterung der Union - eine Herausforderung, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel, 15.07.1997, Dok., KOM (97), 2000 endg, Vol. II.

Albrow, Martin, Abschied vom Nationalstaat. Staat und Gesellschaft im globalen Zeitalter, Frankfurt/Main: Suhrkamp (Edition Zweite Moderne, hrsg. von Ulrich Beck)

Beck, Ulrich, Was ist Globalisierung?, Frankfurt/Main: Suhrkamp, Edition Zweite Moderne, hrsg. v. Ulrich Beck, 1997

BVerfG (1993), “Maastricht Urteil”, BVerfGE 89, 155 ff.

Grimm, Dieter (1995), Braucht Europa eine Verfassung?, JZ 1995, S. 581 ff = European Journal of International Law 1, November, 1995

Habermas, Jürgen (1998), Die postnationale Konstellation, in, ders., Die postnationale Konstellation, Ffm: Suhrkamp, S. 91 ff

Ders., Braucht Europa eine Verfassung. Eine Bemerkung zu Dieter Grimm, in, Die Einbeziehung des Anderen, Frankfurt/Main, 1997, S. 185 ff.

König/Rieger/Schmitt (1998), Europa der Bürger? Voraussetzungen, Alternativen, Konsequenzen, Einleitung zu, König/Rieger/Schmitt (Hg.), Europa der Bürger, Ffm/NYC: Campus, S. 11 ff.

Lemke, Christiane (1999), Europa als politischer Raum, in, KJ, 1999, S. 1 ff.

Pechstein/Sander (1997), Einführung in das EG-Prozeßrecht, Tübingen: Mohr (Siebeck).

Münch, R. (1993), Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1993

Preuß, Ulrich K., Für einen europäischen Grundrechtskatalog, KJ 1998, S. 1 ff.

Regierungskonferenz (1995), Bericht der Kommission an die Reflexionsgruppe, hrsg. vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, Mai 1995

Regierungskonferenz (1996), Stellungnahme der Kommission: Stärkung der Politischen Union und Vorbereitung der Erweiterung, hrsg. vom Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Februar 1996

Schäuble, W./Lamers, K. (1999), Überlegungen zur europäischen Politik - zum Fortgang des europäischen Einigungsprozesses, Arbeitspapier, Bonn, 03.05.1999 (http://www.kas.de).

Stoiber, M. (1998), Existiert die Chance für ein europäisches Parteiensystem?, in, König u.a. (1998), S. 245 ff.

“Zehn Argumente für Amsterdam” (1997), EU-Nachrichten Nr. 4 (Dokumentation), Bonn, hrsg. von der Vertretung der Europäischen Kommission in der Bundesrepublik Deutschland, vom 05.06.1997

Zürn, Michael (1998), Regieren jenseits des Nationalstaates. Globalisierung und Denationalisierung als Chance, Frankfurt/Main: Suhrkamp (Edition Zweite Moderne, hrsg. von Ulrich Beck)

Impressum | Datenschutz