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Artikel 177
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Ralf Hansen
European Law >light<
Rezension zu:
Rohde, Christian / Lorenzmeier, Stefan
EUROPARECHT - schnell erfaßt
2. Aufl., Heidelberg - Berlin, Springer, 1999
1. Die Beschäftigung mit Europarecht wird mit zunehmender Integrationdichte
immer unausweichlicher und ist längst nicht mehr auf Juristen beschränkt.
Der Markt der Europarechtsliteratur wird hingegen immer unübersichtlicher
- er "boomt". Ein Umstand den dieser Markt mit seiner Materie gemein hat.
Allgemein gilt Europarecht als schwierige Rechtsmaterie, zu der Zugang
zu finden, scheinbar nicht leicht fällt. Dem entsprechen Lehrwerke,
deren Lektüre beinahe jenen Spezialisten vorausetzen, den der Text
erst erschaffen will. Doch wird kein Spezialist als Spezialist geboren.
Ein auch zeitlich angemessener Zugang zum Europarecht setzt daher zunächst
die Konzentration auf Basis-Strukturen und deren einprägsame Vermittlung
voraus. Wer die Grundbausteine nicht beherrscht, wird in den luftigen Bereichen
europarechtlicher Spezialmaterien schnell den Boden unter den Füßen
verlieren. Doch nicht jeder Text ist für jeden Leser gleich geeignet.
Jeder Leser lernt als individualisierter Lerntyp anders. Genaugenommen
stellt aber nicht der Leser den Text her, sondern der Text den Leser. Den
Leser muß sich der Text erst "erobern". Angesichts der Fülle
europarechtlicher Lehrwerke scheint dem nunmehr in 2. Auflage erscheinenen
Titel dies gelungen zu sein.
2. Das Werk von Rohde/Lorenzmeier setzt - um dies deutlich zu sagen
- NICHTS voraus. Es will vielmehr vor allem jenen einen Zugang
verschaffen, die sich zum ersten Mal mit dieser komplexen Materie beschäftigen.
Es ist ein Buch für das "Erste Mal". Sein Anspruch ist radikale Komplexitätsreduktion.
Diese Meßlatte wird im Vorwort von Rohde zur ersten Auflage klar
vorgelegt: Europarecht - schnell erfaßt "verfolgt das Ziel, auf andere
als bisher übliche Weise in das Rechtsgebiet einzuführen. Strukturen,
Zusammenhänge und Eckpunkte komprimiert in entspannter und nicht ermüdender
Weise herüberzubringen und sich nicht in einzelnen juristischen Problemen
zu verlieren, das ist das Hauptanliegen dieses Buches". Grundsätzlich
spricht nichts dagegen, mit einer Veröffentlichung auch literarisches
Neuland zu betreten. Der hier vorgelegten Literaturgattung entsprechen
Tendenzen in der Herstellung juristischer Ausbildungsliteratur den leichtest
möglichen Weg der Wissensvermittlung zu gehen; von Haimo Schack spöttisch
auch als "jura light" bezeichnet.
3. Das Werk gliedert sich in sieben Abschnitte. Einer kurzweilig verfaßten
Einführung, die den mit der Materie nicht vertrauten Leser in direkter
Ansprache ("Sie") versucht an die Materie heranzuführen, an die sich
ein Abschnitt über die Strukturen europäischer Organisationen
anschließt. Im folgenden werden anschließend das Verhältnis
des Grundgesetzes zum Verfassungsrecht behandelt. Auch ein Kapitel über
die EMRK fehlt nicht. Überhaupt wird ein angemessener, weiter Begriff
des Europarechtes verwendet, der sich nicht auf das Recht der EU beschränkt,
sondern auch die europäische Menschenrechtsproblematik und den Rechtsschutz
vor dem EGMR in Straßburg einbezieht. Dies ist angesichts der künftigen
Relevanz des EGMR für die europäische Rechtsentwicklung nur zu
begrüßen. Relativ ausführlich werden die Grundlagen der
EG behandelt. Es folgen Kapitel über materielles Recht und Grundrechtsschutz
in der EG und eine knappe Übersicht über den Unionsvertrag. Jedes
Kapitel wird mit einem Klausurfall und sehr sinnvollen Wiederholungsfragen
abgeschlossen, damit der Leser eine gewisse Selbstkontrolle über sein
Wissensverständnis erhält. Ein Glossar zum Schluß, das
mit dem Sachregister verbunden ist, rundet den Komfort ab. Von Beginn an
versucht das Buch nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch die Grundlagen
für ein fallbezogenes Anwendungswissen zu legen. Das Buch läßt
sich daher auch als eine erste Klausurenschule zum Europarecht verstehen.
Jedenfalls werden eine Vielzahl von Schemata, Strukturbildern und Graphiken,
nebst einigen Karikaturen geboten, bei denen man sich allerdings manchmal
fragt, ob man nicht in der falschen Literaturgattung gelandet ist - dies
mag Geschmackssache sein, da es darauf inhaltlich nicht ankommt. Insgesamt
hat das Buch viel von den heißbergehrten "Skripten" und macht einer
bestimmten juristischen Literaturgattung sicher Konkurrenz. Diskutiert
wird ausschließlich die im Zentrum der Wissenschaft vom Europarecht
stehende Rechtsprechung des EuGH. Allerdings enthält das Buch kaum
Literaturhinweise. Sein Nutzen für die Anfertigung von Haus- und Seminarbeiten
ist damit sehr beschränkt. Es fragt sich, ob es nicht sinnvoll wäre,
ein Kapitel einzufügen, das zum einen die Arbeit mit der Rechtsprechung
auch methodisch erläutert (der EuGH orientiert sich formal an der
französischen Gerichtspraxis, was einen anderen Urteilsaufbau nach
sich zieht als etwa beim BGH), andererseits aber auch in die europarechtliche
Literatur einführt, deren Rezeption weitgehend aus einem immer noch
sehr nationalen Blickwinkel erfolgt. Immerhin wird an einer Stelle auf
die wichtige Fallsammlung von Hummer/Simma/Vedder, "Europarecht in Fällen"
(Neuauflage angekündigt für 1999), verwiesen. Mit dem abstrakten
Hinweis, es gäbe auch noch andere Fallsammlungen, dürfte ein
"Anfänger" allerdings wenig anfangen können.
4. Hinzu kommen kleinere inhaltliche "Schlenker", wie die Aussage, die
EU sei das politisch-intergouvernale Dach über der EU (S.96), gemeint
ist sicher die EG. Als Serviceleistung werden die Kernsätze des Textes
als Randbemerkung zusammengefaßt, was sicher eine Merkhilfe bietet.
Jedenfalls ist die optische Präsentation des Textes ganz vorzüglich.
Auch der Text selbst ist sehr flüssig und läßt sich schnell
rezipieren. Ganz ausgezeichnet ist beispielweise die Strukturierung des
schwierigen Art. 23 GG und die Erläuterung der Zusammenhänge
zwischen Völkerrecht, Europarecht und Grundgesetz, die in ihrer Einfachheit
eine hohe Eleganz der Darstellung bieten. Problematisch ist aber das Unterkapitel
über die Befugnisse des Europaparlaments (EP) und das Demokratiedefizit,
in dem ausgeführt wird, daß den Bürgern der Nationalstaaten
keinerlei Befugnisse hinsichtlich der Zusammensetzung des Europäischen
Rates zukommt, was formal betrachtet sicher zutrifft. Diese Aussage läßt
sich aber angesichts der Strukturen der repräsentativen Demokratie
in den Nationalstaaten Europas, über die jene Legitimität an
die EU vermittelt wird, so nicht halten, auch wenn dem EP lediglich parlamentarische
Kompetenzen in Bezug auf die Europäische Kommission, nicht auch auf
den Rat zukommt. Das Legitimitätsdefizit liegt eher darin, daß
es eine europäische Volkssouveränität (noch) nicht gibt
(den die britische Verfassungstradition in dieser Form ohnehin ablehnen
würde) und die Legitimität der Europäischen Union als "Staatenverbund"
nur eine derivative sein kann, da der EU staatsrechtlich keine Staatsqualität
zukommt, woran man rechtssoziologisch sicher Zweifel hegen kann. Es bleiben
auch Fragen offen bei der Feststellung, daß die Rechtsnatur der EU
(nicht der EG!) streitig ist. Darüber würde auch der "absolut
beginner" sicher u.U. gern mehr erfahren. Gut erklärt sind aber insbesondere
die Rechtsakte der EG, insbesondere Verordnung und Richtlinie, mit guten
Schemata zu den Beteiligungskompetenzen des EP bei der Rechtssetzung (Anhörung,
Zusammenarbeit, Mitwirkung). Der Vollzug des Gemeinschaftsrechtes wird
zu Recht knapp gehalten, da dessen Erläuterung intensive Vorkenntnisse
des deutschen Verwaltungs- und Verwaltungsprozeßrechts voraussetzt.
Dies spielt aber beim Abschlußfall dann doch eine entscheidende Rolle,
so daß das vielleicht in der nächsten Auflage doch etwas vertieft
werden sollte. Als erste profunde Einführung sicher gelungen ist auch
das Kapitel über die Grundfreiheiten in der EG, die übrigens
auch für den EWR gelten (worauf die Verfasser auch an anderer Stelle
eingehen), wobei aber das Schema zur Warenverkehrsfreiheit der Art. 28
ff sicher vereinfacht ist. Wohlweislich haben die Autoren bereits die neue
Artikelzählung zur Grundlage gemacht, nachdem der "Vertrag von Amsterdam"
ein halbes Jahr früher als gemeinhin erwartet in Kraft getreten ist
(01.05.99). Sonstige Politiken werden, wohl mit Blick auf die Klausurrelevanz
im Grundstudien, nur angerissen. Vertieft wird sodann der Rechtsschutz
in der EG, dessen prozessuale Ausgestaltung bereits im Grundstudium relevant
werden kann. Abgeschlossen wird der darstellenden Teil mit den Grundlagen
der EU, insbesondere auch der GASP und der ZBJI. Dem schließen sich
knappe, aber nützliche Hinweise für Klausur und Hausarbeit an,
die sicher beherzigenswert sind, aber eigentlich nicht auf spezielle Erfordernisse
des Europarechts zugeschnitten sind. Ein etwas schwierigerer, aber stets
- auch examensrelevanter - Fall über die Rückforderung von EG-Beihilfen
nach § 48 VwVfG, dessen Strukturen insoweit durch Europrecht überlagert
werden (Probleme, die man lernen muß, da sie sich methodisch nicht
ohne weiteres erschließen) schließt den Band ab.
5. Ein Urteil über diesen Band muß sich am Adressatenkreis
orientieren. Es hängt auch davon ab, was der geneigte Leser will.
Das Buch ist nach Auffassung des Rezensenten geeignet für ein erstes
Eindringen in das Europarecht und eine rasche Wiederholung vor dem Examen
im Pflichtfach. Es eignet sich auch dazu, die Klausurtechnik im Europarecht
zu erlernen, wozu sich die angewandte "strukturalistische" Methode (in
der "Tradition" von Haft) bestens eignet. Wer mehr will, muß zu anderen
Werken greifen. Der Nutzen des Buches für ein Wahlfachstudium dürfte
hingegen geringer sein. Doch nicht jeder Student, will oder muß sich
- angesichts der Examensanforderungen - sehr intensiv mit Europarecht beschäftigen,
obwohl auch die Praxis dazu drängt, da ein Großteil der geltenden
Rechtsnormen europarechtlich veranlaßt ist, bis hin in "letzte" Spezialgebiete.
Man muß nicht Kassandra sein, um wenigstens zu ahnen, daß sich
dies in absehbarer Zeit ändern wird. Mit diesen Einschränkungen
ist das Buch vor allem für die erste Einarbeitung in dieses Rechtsgebiet
sicher empfehlenswert.
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