Ralf Hansen
Kurze Wege zum öffentlichen Baurecht
Rezension zu:
Muckel, Stefan
Öffentliches Baurecht
Reihe: Kernwissen
EuWi-Verlag, Trüngersheim/Frankfurt/Main, 1999
Frühlingstr.3
97291 Trüngersheim
http://www.institut-kirchenrecht.de
Das Öffentliche Baurecht, insbesondere auch das Bauplanungsrecht,
werden zunehmend prüfungsrelevanter. Zwar existieren ausgezeichnete,
umfassende Lehrwerke zu diesen Materien (etwa Brohm, Öffentliches
Baurecht, 2. Aufl., München, Beck: 1999; Finkelnburg/Ortloff, Öffentliches
Baurecht, Bd. I: Bauplanungsrecht, 5. Aufl., 1998, Bd. II: Bauordnungsrecht,
Nachbarschutz, Rechtsschutz, 4. Aufl., 1998; München: Beck, 1997;
Peine, Öffentliches Baurecht, Tübingen: Mohr, 3. Aufl., 1997;
Gubelt, Fälle zum Bau- und Bauordnungsrecht, 4. Aufl., München:
Beck, 1995, mit Nachtrag, 1999), deren Umfang aber den Pflichfachstudenten
zumindest bei der ersten Einarbeitung eher "abschrecken", weshalb meist
ein Rückgriff auf Behelfe von Repititorien erfolgt, die der Verfasser
der Rezension nicht beurteilen kann, geschweige denn will. Stefan Muckel,
als Nachfolger Wolfgang Rüfners, Ordinarius für Öffentliches
Recht, Direktor des Instituts für Kirchenrecht und rheinische Kirchenrechtsgeschichte
an der Universität zu Köln (interessante sehr belebte homepage
unter http://www.institut-kirchenrecht.de), hat nunmehr eine knappe und sehr preiswerte Darstellung
für die rasche Einarbeitung vorgelegt, die bewußt kein Lehrbuch
sein will (diese daher auch nicht ersetzen kann oder will), sondern sich
als Skript präsentiert und daher mit den genannten Skripten der Repititorien
"real" konkurrieren dürfte. Der Stoff wird folgerichtig auf das Wesentliche
beschränkt. Dies ist, um es vorab zu sagen, vollumfänglich gelungen.
Der systematischen Darstellung soll noch dieses Jahr ein fallbezogenes
Repititorium aus der Reihe "Fit im Recht" beim gleichen Verlag folgen,
das die effektive Lernkontrolle anhand von Fragen und Antworten nebst zusammenfassenden
Grapfiken und Schemata erlaubt. Die bisher vorgelegten Bände dieser
Reihe von Ellen Schlüchter zum Strafrecht und Strafprozeßrecht
lassen weitere interessante Bände dieser beiden Reihen erwarten.
In einer sehr übersichtlichen Einleitung wird zunächst das
öffentliche Baurecht vom privaten Baurecht abgegrenzt. Der "doppelsprurige"
Nachbarschutz ist in die Darstellung einbezogen. Bereits in der Einleitung
wirft der Verfasser die hochinteressante Frage auf, weshalb trotz Unterfallens
des privaten Nachbarschutzes unter die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
des Bundes landesrechtliche Regelungen des privaten Nachbarrechtes existieren.
Eine Frage, die jederzeit Gegenstand einer mündlichen Prüfung
in beiden Staatsexamen sein könnte. Die komplexe Frage ist nur in
Ansehung der Rechtsgeschichte fundiert lösbar. Im 19. Jahrhundert
- vor Inkrafttreten des BGB - war Privatrecht, wie heute noch in den USA,
Ländersache. Das EGBGB sah in Art. 55 vor, daß alle privatrechtlichen
Vorschriften der Länder außer Kraft traten, sofern nicht das
BGB oder das EGBGB ein anderes bestimmten. Dies war aufgrund Art. 121 und
124 EGBGB der Fall. Danach galten Teile des Preußischen Allgemeinen
Landrechts von 1794, des Code Civil und das forstliche Nachbargesetz für
die Rheinprovinz gemäß dem Preußischen Ausführungsgesetz
zum BGB von 1899 fort. An diese Stelle trat 1969 in NRW das NW Nachbarrechtsgesetz
unter Wahrung der inhaltlichen Grenzen der alten Regelungen. Unter diesen
Umständen ist privates Nachbarrecht auf landesrechtlicher Ebene weiter
verfassungskonform möglich, ohne gegen konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen
des Bundes zu verstoßen. Für andere Bundesländer ist diese
Entwicklung spezifisch nachzuvollziehen. Soweit Landesrecht in Rede steht,
wird NRW-Landesrecht herangezogen. Derartige lehrreiche Ausführungen
finden sich in diesem Buch zuhauf.
Das Buch wird, von der Einleitung abgesehen, in drei Teile unterteilt:
Bauplanungsrecht, Bauordnungsrecht und Nachbarschutz durch öffentliches
Baurecht. Die Unterteilungen des Bauplanungsrechts erfolgen auf S.5 nach
einem ausgezeichneten graphischen Schema und machen die Grundstrukturen
sehr deutlich. Im Raumordnungsrecht ist zwischen Fachplanung und Gesamtplanung
ebenso zu unterscheiden, wie im Städtebaurecht zwischen allgemeinem
und besonderem Städtebaurecht. Diese strukturellen Differenzierungen
haben nicht nur propädeutische Funktionen, sondern haben auch Bedeutung
für die Möglichkeiten des gerichtlichen Rechtsschutzes betroffener
Bürger, der in den verschiedenen Bereichen völlig unterschiedlich
ausgestaltet ist und von einer geringen Intensität im Raumplanungsrecht
bis hin zu einer erhöhten Intensität im Bauplanungsrecht bis
zu einer hohen Intensität im Bauordnungsrecht reicht. Es wäre
sicher interessant anhand eines Phasenmodells beginnend mit der informellen
Planung, die Rechtsschutzmöglichkeiten des unmittelbar oder drittbetroffenen
Bürgers tabellarisch in einer Übersicht darzustellen. Problematisch
ist der Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne von Gemeinden,
denen die Planungshoheit zusteht. Da weder Rechtsnorm, noch Verwaltungakt
(mangels Außenwirkung), sind beim Flächennutzungsplan - bei
Vorliegen der sonstigen prozessualen Voraussetzungen - weder abstrakte
Normenkontrolle, noch Anfechtungsklage möglich. Diskutabel ist aber
die Möglichkeit einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO, wenn
ein konkretes Rechtsverhältnis gegeben ist. In Einzelfällen wird
dies bejaht, wenn sich, etwa nach § 35 Abs.1 Nr.3 BauGB, in Verbindung
mit einer baurechtlichen Rechtsnorm, ein derartiges Rechtsverhältnis
ergibt. Muckel schränkt die Rechtsschutzmöglichkeit dahingehend
ein, daß die mögliche Bebauung im Außenbereich dem Flächennutzungsplan
widersprechen muß. Dies ist sicher sachgerecht. Muckel entwickelt
seine Lösungen fast im Gutachtenstil und macht damit seine Erarbeitung
für die Fallbearbeitung unmittelbar fruchtbar. Literatur und Rechtsprechung
sind soweit nachgewiesen, daß eine grundlegende Einarbeitung durch
Vertiefung anhand der Nachweise möglich ist.
Wer diese Grundlagendifferenzierungen nicht nachvollzieht, wird in der
Fallbearbeitung in Probleme kommen. Sie enthalten die wesentlichen Weichenstellungen.
Das Bauplanungsrecht betrifft die Nutzung des Bodens. Das Bauordnungsrecht
behandelt die vom konkreten Grundstück, bzw. Objekt ausgehenden Gefahren.
Letzteres fällt in die landesrechtliche Gesetzgebungskompetenz, ist
aber in den Grundstrukturen aufgrund der Orientierung an einer Musterbauordnung
weitgehend vereinheitlicht. In der Fallbearbeitung verzahnen sich die Materien,
etwa bei einer Verpflichtungsklage auf Erlaß einer Baugenehmigung
als begünstigendem Verwaltungsakt, der aufgrund der Auflagen meist
auch stets belastenden Charakter hat. Eine diesbezügliche Klausurentypik
könnte die nächste Auflage abrunden. Das öffentliche Baurecht
ist mit den Kernmaterien des öffentlichen Rechts eng verzahnt und
weist - worauf Muckel sehr deutlich hinweist - enge Bezüge zum Verwaltungsprozeßrecht
(unter Einschluß der Drittschutzproblematik), zum Kommunalrecht und
zum Ordnungsbehördenrecht auf. Die bauplanungsrechtlichen Normen begrenzen
die aus Art. 14 Abs.1 S.1 GG folgende Baufreiheit in einem engmaschigen
Netz von Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Art. 14 Abs.1 S.2 GG. Mit
anderen Worten: sie konkretisieren das öffentliche Interesse gegenüber
dem Privatinteresse. Im Zentrum des Bauplanungsrechtes steht daher die
Planungshoheit der - grundrechtlich abgesicherten - Planungshoheit der
Gemeinden durch vom Rat nach kommunalrechtlichen Vorgaben zu verabschiedende
Bebauungspläne, die kommunale Satzungen sind. Prozessual ist daher
immer § 47 VwGO naheliegend. Die Bauleitplanung der Gemeinden differenziert
sich in Flächennutzungs- und Bebauungsplan. Nur ersterer bezieht sich
auf die ganze Gemeinde. Letzterer nur auf Teilflächen von Gemeinden.
In einem sehr ausdifferenzierten Prüfschema behandelt Muckel die formellen
und materiellen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans.
Selbstverständlich weist er dabei auf die landesrechtliche Öffnung
der bundesrechtlichen Regelungen des Rechts der Bebauungspläne in
§ 9 Abs.4 BauGB hin, wonach den Ländern durch Rechtsvorschrift
die Möglichkeit offen steht, auf Landesrecht beruhende Festsetzungen
in den Bebauungsplan aufzunehmen, etwa §§ 85, 86 BauO NW, die
ihrerseits §§ 214, 215 BauGB in Bezug nehmen. Rechtsschutz nach
§ 47 VwGO ist hier möglich und stets in Erwägung zu ziehen.
Im Endeffekt laufen derartige Klausuren regelmäßig auf die richterliche
Kontrolle von Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis hinaus,
die aufgrund der unterschiedlichen Kontrolldichte differenzeirt werden
müssen, wobei bei Inanspruchnahme von Rechtsschutz gegen Bebauungspläne
stets das neue Ergänzungsverfahren beachtet werden muß: Die
betroffene Gemeinde kann noch im Rechtsschutzverfahren grundsätzlich
einen korrigierten Bebauungsplan erlassen. Allerdings kann den Kläger
in solchen Fällen keine nachteilige Kostenfolge treffen. Ggf. muß
er aber erneut den Rechtsweg beschreiten, wenn er meint, durch den neuen
Bebauungsplan erneut in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein. Klare
Ausführungen widmet Muckel auch der Zulässigkeit des Vorhabens
im Rahmen eines qualifizierten Bebauuungsplanes, im unbeplanten Innenbereich
(und im Bereich der Geltung eines einfachen Bebauungsplanes), sowie im
Außenbereich, §§ 29 ff BauGB.
Das Bauordnungsrecht wird nur exemplarisch behandelt. Zuständig
sind die örtlichen Bauordnungsbehörden. Die Materie ist mit dem
Ordnungsbehördenrecht eng verzahnt. Angesichts der Examensrelevanz
wird die Problematik anhand der "klassischen" Abbruchverfügung verdeutlicht,
unter Hinweis aber etwa auch auf das Nutzungsverbot. Problematisch ist
hier insbesondere der Fall einer formell baurechtswidrigen Gebäudeerrichtung,
die materiell baurechtskonform ist. Bei einem formell und materiell rechtswidrig
errichteten Gebäude ("Schwarzbau") ist selbstverständlich eine
Abbruchverfügung nach pflichtgemäßem Ermessen, das bei
dringenden Gefahren auf Null schrumpfen kann, rechtmäßig. Bei
einem formell rechtswidrigen und materiell rechtskonformen Bau folgt Muckel
einer neueren Literaturmeinung, die die Rechtmäßigkeit einer
Abbruchverfügung mit Blick auf die Einschränkung der Genehmigungserfordernisse
verneint. In bestimmten Fällen kann aber nach seiner Meinung auch
bei einem formell und materiell rechtswidrigen Bau eine Abbruchverfügung
nicht ergehen, wenn im Einzelfall der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
verletzt wird. Das sehen manche Baubehörden und Verwaltungsgerichte
zwar noch anders, aber Muckel ist völlig zuzustimmen. Diese Auffassung
erleichtert auch im Hinblick auf mögliche Befreiungen eine angemessene
Flexibilität der Behörden unter Wahrung der Ermessensausübung.
In solchen Fällen kann daher - die anschließende behandelte
- Baugenehmigung nachträglich erteilt werden. Zu einem solchen Antrag
ist betroffenen Bauherrn dringend zu raten - das Risiko ist hoch.
Abschließend behandelt Muckel den - extrem praxisrelevanten -
öffentlichrechtlichen Nachbarschutz, der auch im Rahmen des Drittschutzes
relevant wird und sowohl aus einfachem Recht, dem nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis,
als auch unmittelbar aus den Grundrechten folgen kann. Die Doppelspurigkeit
von Privatrecht und Öffentlichem Recht beim Nachbarschutz wird intensiv
problematisiert. Muckel wählt den richtigen Ansatz und diskutiert
die Problematik vom Verwaltungsprozeßrecht her anhand der regelmäßig
einschlägigen Anfechtungsklage. Es lohnt, dieses Prüfschema in
die persönliche Checkliste zu übernehmen, da diese Problematik
auch in Rechtsreferendariat und Anwaltstätigkeit jederzeit aktuell
werden kann. Wie Muckel im Vorworrt betont, kann die Lektüre auch
durchaus in der Praxis noch lohnen. Abschließend wird noch die Problematik
des einstweiligen Rechtsschutzes verdeutlicht, der im Verwaltungsprozeßrecht
immer wichtiger wird und manches Hauptsacheverfahren obsolet macht. Es
ist Stefan Muckel auf 145 Seiten gelungen, diese komplexe Materie soweit
transparanent zu machen, daß der konzentrierte Leser, besser: "Durcharbeiter",
die Materie nach Lektüre auch unmittelbar anwenden kann. Mehr kann
kein juristisches Lehrwerk leisten. Leichter kann man das gern gemiedene
"Ö-recht" auch nicht begreifbar machen.
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