Herzlich willkommen auf jurawelt.com

Zur neuen Webseite: jurawelt.com

Zum Forum: forum.jurawelt.com


Artikel 381
Ralf Hansen

Anwaltsklausuren in der Assessorausbildung

Eine Rezension zu:

Manfred Mürbe
Harald Geiger
Helmut Wenz

Die Anwaltsklausur in der Assessorprüfung

4. überarbeitete und aktualisierte Auflage,
München: C.H. Beck, 2000, 266 S., DM 39,00,-
ISBN 3-406-46498-X

http://www.beck.de

Bereits mit Erscheinen der ersten Auflage verursachte dieser herausragende Band großes Aufsehen. Inzwischen müssen alle Referendare Anwaltsklausuren schreiben, was nur zu begrüßen ist. Das Rüstzeug für den Anwaltsberuf wird hier ausgezeichnet vermittelt, in fast allen examensrelevanten Facetten. Das "Merkwürdige" an diesem Band ist: er stammt aus der Feder dreier hochqualifizierter Richter. Diskutiert man länger mit Richtern, die in der Referendarausbildung engagiert sind, kommt dabei oft heraus, daß die Rechtsanwaltschaft scheinbar kein gesteigertes Interesse an der Ausbildung des eigenen Nachwuchses erkennen läßt. Dies läßt keine überzeugenden Perspektiven für die geplante Abschaffung des erfolgreichen Modells "Referendariat" erkennen, das um weitere Elemente einer anwaltsorientierten Ausbildung problemlos erweitert werden könnte, ohne einem schwankenden Zeitgeist "aufzusitzen", der jenseits des Staates eine Freiheit verspricht, die gerade durch den Staat erst realisierbar wird. Die Autoren machen keinen Hehl daraus, daß sie - wie der Rezensent - der Abschaffung des Referendariats sehr skeptisch gegenüber stehen. Jeder Anwalt, der eine Sache vor dem Richter zu vertreten hat, sollte die Denkweise der "Richterbank" eingehend kennen, selbst wenn er später nur beratend tätig wird, denn auch diese Form der Rechtsberatung wird von richterlichen Entscheidungen erheblich beeinflußt.

Das Buch enthält Klausuren, die die Fallprobleme aus der Perspektive des Rechtsanwaltes angehen und zwar sowohl aus dem Zivilrecht, als auch aus dem Straf- und Verwaltungsrecht. Mehrere Aufgaben wurden erheblich überarbeitet, Fall 2 sogar ganz neu konzipiert. Es handelt sich bei diesem Buch nicht um die übliche Fallsammlung, die Aufgabenstellung und Lösung beeinhaltet, aber in dieser Form langsam aus der Mode kommt. Darüber hinaus schildern überaus lesenswerte Einführungen in jede Fallkonstellation die Probleme und Prüfungsrisiken jedes Klausurtyps. Der Rat, zunächst eine eigene Lösung zu versuchen, sollte befolgt werden. In den Fußnoten finden sich zahlreiche Hinweise zu typischen Fehlern.

Alle zwölf Fälle sind typische Anwaltsklausuren, die ohne nähere Kenntnis der auf die richterliche Entscheidungsfindung zugeschnittenen Relationsmethode nicht bearbeitbar sind, auch wenn die anwaltliche Form der Relationsmethode einige Besonderheiten aufweist. So ist zwar die Klägerstation sehr ähnlich (zugrundegelegt wird der Mandantenvortrag, der - wenn nicht schlüssig - dazu führen sollte, vom Prozeß abzuraten), jedoch ist die Beklagtenstation oftmals hypothetisch, da es um die Bewertung der Erheblichkeit oftmals noch nicht erhobener Einwände und Gegenrechte der anderen Seite geht, die es diskursiv vorwegzunehmen gilt, soweit dies möglich ist. Der Anwalt muß daher aus anwaltlicher Vorsorge selbst das bedenken, was nach der Gestaltung des Einzelfalles seitens des Gegners mit einiger Aussicht auf Erfolg vorgetragen werden könnte und suchen, diesem Einwand bereits im Vorfeld zu begegnen. Sprechen Hindernisse gegen das Durchbringen, stellt sich die Frage der Überwindbarkeit. Die Arbeitsmethode des Rechtsanwaltes im Zivilrecht greift weiter aus, als die des Richters, der den Sachverhalt von mindestens zwei Seiten - und damit bereits "gefiltert" - vorgetragen bekommt. Der zivilrechtlich tätige Rechtsanwalt muß den Fall zunächst einmal aufgrund des Mandantenvorbringens unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten analysieren. Die Methodik der Fragestellungen mit denen ein Rechtsanwalt an einen neuen Fall herangeht, wird in den Einführungen zu den Klausurtypen Schritt für Schritt entwickelt. Am Anfang der anwaltlichen Tätigkeit steht die "Übersetzungsarbeit": Der Anwalt muß das Begehren des Mandanten in rechtlich faßbare Kategorien übersetzen. Dazu sind oftmals nicht unerhebliche Tatsachenrecherchen notwendig, auf deren Basis sich oftmals erst formulieren läßt, mit welcher Strategie auf welchem Rechtsweg die Interessen durchsetzbar sind. Zentral ist auch hier die Beweisstation, in der zu bewerten ist, ob der Beweisantritt ausreichen dürfte, um den Prozeß aufgrund der "Mandantenstation" und des Beklagtenvortrags zu gewinnen oder wenigstens teilweise zu obsiegen. Entsprechendes gilt umgekehrt für einen Beklagtenvertreter.

Im ersten Fall geht es darum, eine zivilrechtliche Klageschrift anhand der Parteiangaben zu fertigen, die immer mehr enthalten, als rechtlich zu verwerten ist (insoweit sind die zivilrechtlichen Fallbearbeitungen eine ideale Ergänzung zu Pape/Pape/Radtke, Ausgewählte Assessorklausuren im Zivilrecht, 2. aktualisierte und erweiterte Aufl., München: C.H.Beck, 2000, JuS-Schriftenreihe, Bd.123). Und Überflüssiges ist in Schriftsätzen und anderswo nun mal falsch. Die Einführung erklärt dem Leser, wie man überhaupt einen solchen Schriftsatz angeht (näher: Michel/von der Seipen, Der Schriftsatz des Anwalts im Zivilprozeß, 4. Aufl., München: C.H. Beck, 2000). Es ist Aufgabe des Klägervertreters dafür Sorge zu tragen, daß alle anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale durch sie ausfüllende Tatsachen abgedeckt sind, soweit Beweisbelastung vorliegt und nicht vorsorgliche Beweisführung (entgegen der Beweislast) in Ausnahmefällen angezeigt ist. Hier drohen auch zahlreiche Haftungsrisiken für den Anwalt. Die genaue Kenntnis der Beweislastregeln macht in der Praxis wie im Examen die Qualität des Anwaltes aus. Dabei sind insbesondere auch Zweckmäßigkeitserwägungen nötig, zumal die angebotenen Beweise stets zu bewerten sind. Besprochen werden auch Probleme der Zulässigkeit. Guter Rat ist hier billig: Spricht nichts für einen besonderen Gerichtsstand, sollte der Bearbeiter beim allgemeinen Gerichtsstand bleiben, da dies die "Wahl" mit den geringsten Fehlermöglichkeiten ist. Auch zur Vorbringenstaktik finden sich interessante Hinweise, denn in den Grenzen der Wahrheitspflicht ist es oftmals angezeigt, nicht alles gleich im ersten Schriftsatz zu bringen. Problematisch sind stets Rechtsausführungen, denn der "Schuß" kann nach hinten "losgehen", indem man dem Gegner rechtlich die Augen öffnet. Tatsachenausführungen und Rechtsausführungen sollten aber vor allem in der Klausur nicht vermengt werden. Bei der Lösung ist zu beachten, daß Aspekte, die in der Klageschrift - es geht um eine Verkehrssache - nicht angesprochen worden sind, im Gutachten anzusprechen sind. Der Entwurf von Mandantenanschreiben ist Teil der Prüfungsanforderungen. Genau die gegenteilige Perspektive verfolgt Fall 2 anhand einer reizvollen Fallgestaltung, dem "Murnauer Antiquitätenhändlerfall", bei dem es um die Anfertigung einer Klageerwiderung geht, in deren Technik ebenso zuverlässig eingeführt wird. Auch hier wird die erfolgversprechende Herangehensweise schrittweise entwickelt, indem zunächst geprüft wird, ob eine erfolgversprechende (schlüssige) Klage vorliegt, dann gefragt wird, welche Tatsachen zur Abwehr benötigt werden, wie der Beweis geführt werden und mit welchem Prozeßziel vorgegangen werden soll. Die Ausführungen geben insbesondere auch Formulierungshilfen und weisen auf typische Formulierungsfehler hin, wie den immer wieder anzutreffenden, aber sinnlosen Satz, wonach sämtliche Behauptungen des Klägers bestritten werden, soweit sie nicht ausdrücklich zugestanden worden sind.

Fall 3 behandelt Probleme des einstweiligen Rechtsschutzes in Zivilsachen, dessen Konturen eingehend erläutert werden. Insbesondere legt die hier wie sonst ausgezeichnete Einführung dar, wie der Anwalt eine solche einstweilige Verfügungssache anzugehen hat. Auch die Kautelarjurisprudenz kommt nicht zu kurz, wie Fall 4 zeigt, der die Abfassung von AGB zum Gegenstand hat (s. jetzt zur Technik eingehend, Karl Oskar Schmittat, Einführung in die Vertragsgestaltung, München: C.H. Beck, 2000). Fall 5 behandelt den Entwurf eines zivilrechtlichen Vertrages, einer Anforderung, mit der jeder Anwalt konfrontiert werden kann, insbesondere in wirtschaftsrechtlichen Tätigkeitsbereichen.

Fall 6 leitet über zur ersten Strafsache (eine ideale Ergänzung bieten, Schmitz/Hüßtege, Strafrechtliche Musterklausuren für die Assessorprüfung, 4. Aufl., München: C.H.Beck, 2000). Die Einleitung behandelt zunächst einmal die Grundprobleme der anwaltschaftlichen Beratung in Strafsachen, die von der Beratung in Zivilsachen erheblich abweicht, da es immer um die Abwehr von Strafverfolgung geht. Im Kern geht es hier um die Beweissituation, insbesondere wenn eine Anklageschrift bereits vorliegt. Aber auch die Handlungsmöglichkeiten des Rechtsanwalts im Ermittlungsverfahren werden eingehend besprochen. Hier ist die Akteneinsicht das zentrale Mittel der anwaltlichen Erkenntnisgewinnung. Die Funktion von Beweisverboten wird klar vor Augen geführt. Maßgebliches Klausurziel ist ein angemessener anwaltlicher Rat (der auch die Grenzen des Berufsrechts einzuhalten hat). Bereits mit der eingehenden Lektüre der Einleitung ist hier schon viel gewonnen. Fall 7 behandelt das heikle Gebiet der Rechtsbehelfe in Strafsachen und die dort möglichen Fehler. Die Lektüre dieses Kapitels lohnt sich ganz unabhängig von der Sicht auf eine Anwaltsklausur, da diese Abgrenzungsprobleme überaus plastisch dargelegt werden.

Fall 8 leitet dann über in die Probleme des Verwaltungsprozesses aus anwaltlicher Sicht und schildert zunächst einmal die Grundprobleme des verwaltungsrechtlichen Verfahrens. Die Einführung gibt Gelegenheit Grundlagenwissen über den Verwaltungsprozeß zu rekapitulieren und die Klageschrift für eine Anfechtungsklage in einer Immissionsschutzsache zu formulieren. Fall 9 behandelt die sehr praxisrelevanten Probleme des einstweiligen Rechtsschutzes im Verwaltungsprozeß anhand einer Materie aus dem öffentlichen Baurecht, so daß auch eine Repetition zentraler verwaltungsrechtlicher Materien ermöglicht wird. Fall 10 behandelt Fragen der gemeindlichen Satzung, die für eine Kommune durch einen Rechtsanwalt zu entwerfen ist, wobei der Entwurf selbstredend eingehend zu begründen ist. Die Fälle 11 und 12 entstammen der erb- und familienrechtlichen Beratungspraxis. In Fall 11 ist ein Testamentsentwurf zu fertigen, der gegenüber den Mandanten eingehend rechtlich zu begründen ist. In Fall 12 kommt es - praxisnah in jeder Hinsicht - darauf an, eine nichteheliche Lebensgemeinschaft auf eine solide rechtliche Basis zu stellen, da das Paar in absehbarer Zeit keine Ehe anstrebt. Zu formulieren ist ein anwaltliches Gutachten für die Parteien.

Mit der Neuauflage setzen die Autoren die "Erfolgsstory" ihres Buches fort, an dessen Wert niemand zweifeln dürfte, der es gelesen hat. Es zu einem elementaren Bestandteil der Examensvorbereitung zu machen liegt nahe. Prinzipiell dürfte es sich inzwischen um "Pflichtlektüre" für Rechtsreferendare handeln, zumal derart qualifizierte Darlegungen zur Anwaltsklausur in Buchform überaus rar sind.


Impressum | Datenschutz