Ralf Hansen
Wie arbeiten Zivilrichter?
Eine Rezension zu:
Kurt Schellhammer
Die Arbeitsmethode des Zivilrichters
Ein Leitfaden für Referendare
und junge Praktiker
mit Fällen und einer Musterakte
13. überarbeitete Auflage,
Heidelberg: C.F. Müller, 2000, 344 S., DM 54,00,-
ISBN 3-8114-2037-2
http://www.huethig.de
Die Arbeitsmethode des Zivilrichters zu erlernen, ist ein mühseliges Geschäft. Kurt Schellhammer, Präsident des LG Konstanz, gelingt es seit Jahr und Tag durch jetzt 13 Auflagen hindurch, diese Methodik auf einem hohen Niveau und in einem überaus lesenswerten, literarisch hochstehenden Stil zu vermitteln. Die Universitätsausbildung lehrt keine Arbeit am Sachverhalt, lediglich die Auslegung von Gesetzen. Schellhammer bedauert dies und weist auf diesen Umstand einige Male hin, denn die juristische Methodenlehre behandelt nur einen kleinen Ausschnitt aus der Prozeßarbeit (die Rechtsauslegung auf einen unstreitigen Fall), nicht aber die Analyse streitigen Vorbringens, das oftmals selbst erst der Auslegung bedarf, um das wirklich "Gemeinte" herauszufinden. Schellhammer formuliert es drastisch, aber treffend: "Die Rechtsanwendung ist nur die halbe Jurisprudenz" (S.6).
Das Denken in kontradiktorischen Positionen, überkommen aus dem römischen Formularprozeß, ist dem Studenten der Rechte ungewohnt und für Referendare nicht leicht zu erlernen. Der Fall - insoweit bereits "gefiltert" durch den Partei, bzw. den Anwaltsschriftsatz - muß vom Gericht als solcher erst festgestellt werden. Eine Exegese der gesamten Akte aus dem jeweiligen Verfahrensstadium heraus ist nötig, die durch das komplizierte Prozeßrecht der ZPO, Unklarheiten im Parteivortrag und den Streit über den Sachverhalt erheblich erschwert werden kann. Was die Parteien vortragen, entscheiden sie selbst und sei es zu ihren Lasten. Der Richter darf nie mehr zusprechen als beantragt wurde (weniger schon) und wird über keine Tatsache Beweis erheben, für die seitens der beweisbelasteten Partei kein Beweis angetreten worden ist. Das "Rückgrat" der Arbeitsmethode des Zivilrichters ist die sog. "Relationsmethode" (s. dazu auch, Berg/Zimmermann, Gutachten und Urteil, 17. Aufl, Heidelberg: C.F. Müller, 1998; Olivet, Juristische Arbeitstechnik für Referendare. Zivilrecht, Heidelberg: C.F. Müller, 1998). Sie dem Leser nahe zu bringen, ist maßgeblicher Gegenstand dieses seit Erscheinen herausragenden Buches.
Das Votum außen vor gelassen, beruht die Arbeitsmethode des Zivilrichters auf drei verschiedenen Arbeitsweisen: Der Erstellung eines Sachberichts (nach Vorbereitung durch einen Aktenauszug, den man auch Stoffsammlung nennt), eines Gutachtens und eines Entscheidungsentwurfes. Diese Technik liegt dem Prozeßrecht (nicht zuletzt aus historischen Gründen) bereits zugrunde, wie Schellhammer eingehend zeigt, denn nur die Parteien liefern den Sachverhalt, aus dem das Gericht sein Urteil gewinnen muß. Maßgeblich ist nur der Beweisantritt für streitiges Vorbringen, denn das Nichtbestreiten ist prozeßrechtlich ein Nichts, wie Schellhammer schreibt. Wer zu einem gegnerischen Vorbringen schweigt, stimmt zu. Ähnlich wirkungslos ist das schlichte Bestreiten. Nur wer substantiiert (unter Angabe der Tatbestandsmerkmale ausfüllenden Tatsachen) Tatsachenvortrag der Gegenseite bestreitet, hat letztlich Aussicht seinen Vortrag "durchzubringen". Immer wieder falsch angewendet wird das Bestreiten mit Nichtwissen, das nur für fremde Handlungen möglich ist, niemals aber für eigene. Schellhammers Ausführungen zeigen, daß § 138 ZPO letztlich die zentrale Norm des Zivilprozeßrechtes ist, an deren Beherrschung sich die Prozeßkunst zeigt.
Ein Urteil muß (ggf. nach Anberaumung eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung nach § 310 ZPO) in jedem Stadium ergehen, in dem ein Fall entscheidungsreif ist, § 300 Abs.1 ZPO, so daß es verboten ist, überflüssigen Beweis zu erheben. Die Entscheidungsreife im jeweiligen Prozeßstadium festzustellen, ist Gegenstand der Relationsmethode, die als Arbeitsmethode des Zivilrichters letztlich ohne Alternative ist, wie Schellhammer treffend ausführt (Rdnr. 48).
Hat der Richter den Sachverhalt geklärt, wird idealtypisch ein Gutachten erstellt (oft nur als Denkarbeit oder in Stichworten), dessen erste Station die Auslegungsstation ist. Sie findet statt, wenn die Parteien unklare Anträge stellen, die der Auslegung bedürfen. Die nächste Station ist die Zuständigkeitsstation. Eine unzulässige Klage wird durch Prozeßurteil, nie aber als unbegründet abgewiesen. Sodann ist zu prüfen, ob die Klage, den Tatsachenvortrag des Klägers als wahr unterstellt, schlüssig ist. Bei Verneinung ist die Klage entscheidungsreif und abzuweisen. Ist sie schlüssig, muß in der Beklagtenstation geprüft werden, ob der Vortrag des Beklagten gegen den Kläger erheblich (also ebenfalls schlüssig) ist. Weitere mögliche Stationen außen vor gelassen, steht im Zentrum der Relationsmethodik im Gutachten daher die von Schellhammer so genannte "doppelte Schlüssigkeitsprüfung". Schellhammer versucht, wenigstens seine eigene Methode zu beschreiben, da niemand genau weiß, wie deutsche Zivilrichter arbeiten. Er empfiehlt die Akte zunächst einmal (nach dem Ende des schriftlichen Vorverfahrens oder vor dem frühen ersten Termin) ganz durchzulesen und erst beim zweiten Durchgang einen Aktenauszug zu erstellen. Wie in der Praxis üblich, schreibt er als Richter keinen Sachbericht, ist für eine Erstellung durch den Referendar aber dankbar. Er schreibt auch kein Gutachten, sondern erstellt eine Lösungsskizze. Er verschweigt nicht, daß auch Neigungen und Gefühle eine Entscheidung zum Positiven oder Negativen beeinflussen können. Wer eine Akte ganz gelesen hat, hat immer schon eine Vorstellung von der Entscheidung - und sei sie vorläufig.
Der Aufbau des Werkes hält sich weitgehend an die Struktur einer Relation (den "Stationen") und klärt deren Voraussetzungen, die mit einer präzisen Analyse der Akte beginnt. Sehr treffend weist Schellhammer darauf hin, daß Fehler im Sachverhalt noch schwerer wiegen, als Rechtsfehler, da sie das Recht des Bürgers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs.1 GG vor Gericht beeinträchtigen und entsprechend mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können. Vor einer Unterbewertung der Sachverhaltsanalyse wird insbesondere der Referendar eingehend gewarnt, da ein Fall erst entschieden werden kann, wenn klar ist, was aufgrund welcher Tatsachensituation zu entscheiden ist. Tatsachen sind von Rechtsansichten strikt zu trennen. Um dies alles dem Leser klar zu machen, finden sich im Text zahlreiche Fälle, die nach der skizzierten Methode gelöst werden. Was für die Entscheidung unerheblich ist, gehört nicht einmal in den Aktenauszug - und unerheblicher Vortrag findet sich oftmals zuhauf in Akten. Ereignisse der Prozeßgeschichte sind immer nur erheblich, wenn sie die das Verfahren abschließende Entscheidung beeinflussen können. Die Rekonstruktionsperspektive wird damit von der Entscheidung vorgegeben, die dem Richter vorschwebt. Der Text gibt durchgängig Gelegenheit, den Stoff des Prozeßrechts anhand der Arbeit mit der geschilderten Methode zu repetieren. Zunächst aber lernt der Leser, wie man einen Aktenauszug erstellt: "Der Aktenauszug verdichtet die Akte zum Stenogramm, erfüllt seinen Zweck als Materialsammlung aber nur, wenn er vollständig ist. Nur die Formulierung wird gekürzt, nicht der Inhalt" (Rdnr. 95). Nach jedem neuen Schriftsatz muß der Aktenauszug ergänzt werden, denn: "Der Aktenauszug ist keine nutzlose Schreibarbeit, sondern der handliche Ersatz für die unhandliche Akte und eine solide Grundlage für den Haupttermin (§ 278 Abs.1 ZPO). Er erspart es dem Richter, der gleichzeitig noch andere Fälle zu bearbeiten hat, die Akte immer wieder zu lesen oder hilflos in ihr herumzublättern" (Rdnr. 96). Was durch den Prozeßverlauf (Klageänderungen, Säumnisverfahren) überholt ist, wird gestrichen. Auch der Hinweis Schellhammers, sich eine Zeittafel zu erstellen, ist sicher beherzigenswert. Auf der Basis des Aktenauszuges wird der Tatbestand eines Entscheidungsentwurfes erstellt, aber auch der Sachbericht in der Relation, die manches gemeinsam haben, aber sich dadurch unterscheiden, daß der Sachbericht vollständig sein muß, der Tatbestand hingegen das Parteivorbringen nur knapp darstellen soll, wie § 313 Abs.2 ZPO regelt. Schellhammer rät Referendaren aus didaktischen Gründen, Sachberichte zu schreiben, um die Arbeit mit Akten zu üben. Der Sachbericht hat traditionell den Aufbau, daß erst das unstreitige Vorbringen des Klägers zu referieren ist, anschließend der Klageantrag genau zu verzeichnen ist, dem der Beklagtenantrag folgt, um sodann den streitigen Beklagtenvortrag darzustellen, an den sich die Wiedergabe des Ergebnisses der Beweisaufnahme anschließt. Rechtliche Bewertungen müssen unterblieben, da sie Gegenstand von Gutachten und Entscheidungsentwurf sind. Problematische Wertungen bezüglich eines streitigen oder nichtstreitigen Vorbringens gehören in das Gutachten. Die Ausführungen zeigen, wie zentral die Kenntnis des § 138 ZPO ist. Die Geister scheiden sich ein wenig an Sonderfällen, insbesondere an der Einordnung von Replik und Duplik (Triplik und Quadruplik, in der frühen Neuzeit öfters erwähnt, dürften gar keine praktische Funktion haben), wenn sie denn vorliegen und es sich nicht um eine irrtümliche Qualifizierung handelt. Da Replik und Duplik nur vorliegen, wenn eine Partei sich mit neuen Tatsachen gegen eine Einwendung oder Einrede des Gegners verteidigt, sind sie hinter dem Beklagtenvortrag einzuordnen. Zu referieren sind - ohne jede Wertung - auch Rechtsansichten der Parteien, die durch Formulierungen wie, "Der Kläger meint...", kenntlich zu machen sind. Prozeßgeschichte jenseits dieser Strukturen ist dort einzupassen, wo sie am besten verständlich ist. Sachstand steht im Indikativ, Streitstand im Konjunktiv. Zwischen beiden ist deutlich zu trennen.
Um sich die Voraussetzungen der richterlichen Methode im Zivilrecht anzueignen, ist in den Text eine Musterakte integriert, die mit der Klageerhebung in einer Verkehrsunfallsache beginnt und sowohl einen Aktenauszug, als auch einen Mustersachbericht enthält, an denen sich der Referendar orientieren kann, jedenfalls aber sieht, wie man es macht. Sehr eingehend wird die Gutachtenstechnik für die Klägerstation vermittelt. Überaus nützlich ist das Schema zum Aufbau eines Gutachtens zur Leistungsklage (Rdnr. 136). Das Gutachten gliedert sich in Antragsstation, Prozeßstation, Klägerstation, Beklagtenstation, Beweisstation und Entscheidungsstation. Hinsichtlich unklarer Klageanträge wird auf die richterliche Hinweispflicht des § 139 ZPO hingewiesen, dessen Grenze durch die Verletzung des Grundsatzes des "fair trial" durch den Richter markiert wird. In der Prozeßstation sind von Amts wegen grundsätzlich (soweit erforderlich) alle Prozeßvoraussetzungen zu prüfen, soweit sie nicht nur auf Rüge der Betroffenen zu prüfen sind. Bestimmte Einreden (§§§ 113, 269 Abs.4, 1027 a ZPO) werden erst geprüft, wenn sie im Prozeß erhoben werden.
In allen Einzelheiten vorgestellt wird die Schlüssigkeitsprüfung in der Klägerstation. Das Vorbringen des Klägers besteht als geschlossener Sachverhalt aus allen unstreitigen Tatsachen und den bestrittenen Behauptungen des Klägers. Subsumiert werden nur Haupttatsachen, Indizien gehören in die Beweisstation. Schellhammer zeigt sehr klar, wie die im Studium erworbenen Kenntnisse für die gutachterliche Schlüssigkeitsprüfung in der Klägerstation fruchtbar gemacht werden können. Zu prüfen sind alle Anspruchsgrundlagen, die ernsthaft in Betracht kommen. Anhand des Verkehrsunfallrechtes macht er jedoch Ausnahmen deutlich, die dann eingreifen, wenn weitere Anspruchsgrundlagen dem Kläger nicht mehr gewähren können, als andere, etwa wenn §§ 7, 18 StVG eingreifen und der Kläger keine Forderungen auf Schmerzensgeld geltend macht oder sein geltend gemachter Schaden den Haftungsrahmen des StVG sprengt. In diesem Fall ist eine Prüfung des § 823 BGB entbehrlich, weil überflüssig. Verwertet werden muß auch ungünstiges Vorbringen. Diese Methodik wird an mehreren Fällen "durchgespielt", deren selbständige Lösung - dem Rat des Autors folgend - anzuraten ist. In der Beklagtenstation sind die in der Klägerstation geprüften (und bejahten!) Ansprüche bei den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen daraufhin zu prüfen, ob das Vorbringen des Beklagten gegen den Kläger erheblich ist, da dies zur Beweiserhebung zwingt, wenn entsprechender Beweis angetreten ist und keine Ausnahmen hinsichtlich der Notwendigkeit der Beweiserhebung eingreifen. Das Vorbringen des Beklagten besteht demnach aus allen unstreitigen Tatsachen und dem streitigen Vorbringen des Beklagten (insoweit ist Rdnr.195 etwas mißverständlich formuliert) gegen den Klägervortrag. Schellhammer spricht sehr treffend vom "neuralgischen Punkt" des Gutachtens, da sich hier entscheidet, ob der schlüssige Vortrag des Klägers auch nach dem Vorbringen des Beklagten noch begründet ist, ohne daß hier noch einmal alles auszuführen wäre, was in der Klägerstation bereits ausgeführt wurde. Nur auf die problematischen Punkte kommt es an. Der Beklagte kann mit Gegennormen bestreiten, Einwendungen und Einreden erheben. Sein Vortrag ist begründet, wenn der Beklagte wenigstens eine anspruchsbegründende Tatsache bestreitet oder ausreichend anspruchsfeindliche Tatsachen für eine Gegennorm behauptet, die den Anspruch ausschließt, zerstört oder hemmt (Rdnr.198). Auch hier ist ungünstiges Vorbringen zu Lasten des Beklagten zu verwerten. Dieses Instrumentarium wird dann an 10 Fällen eingeübt. Nur ganz kurz geht Schellhammer auf eine zweite Kläger- und Beklagtenstation ein, die, wenn scheinbar nötig, auf Analysefehlern des Bearbeiters beruht und mit Vorsicht zu handhaben ist. Es muß eine replicatio des Klägers gegen eine Einwendung des Beklagten vorliegen, die ihrerseits wieder schlüssig sein muß. Um zur Duplik zu gelangen, müssen gegen die Gegennormen aus der replicatio Gegennormen des Beklagten in einer Duplik vorgetragen werden, was noch seltener ist. Es ist aber sinnvoll, dies einmal ganz an einem passenden Beispiel durchzuspielen, um vor allem erkennen zu können, wann diese Konstellationen nicht vorliegen.
Erhebliche Probleme weist regelmäßig die Beweisstation auf, die von Schellhammer ganz vorzüglich dargestellt wird. Die entscheidende Weiche für die Beweisstation stellt die Beklagtenstation, aus der das Beweisthema folgt. Die Beklagtenstation klärt grundsätzlich auch die - oftmals prozeßentscheidende - Frage der Beweislast, da rechtlich nur die Partei bestreiten kann, die die Beweislast nicht trägt, so daß damit bereits geklärt ist, wer den Hauptbeweis führen muß, und wem ggf. der Gegenbeweis obliegt. Liegt erheblicher Beklagtenvortrag vor, ist über die erheblichen Fragen, soweit sie beweisbedürftig sind, Beweis zu erheben. Schellhammers Ausführungen reichen tief in Grundfragen des Beweisrechts hinein (nahezu alle Bereiche des Buches können anhand seines "Großwerkes", Zivilprozeß. Gesetz - Praxis - Fälle, 8. Aufl., Heidelberg: C.F. Müller, 1999, DM 148,-, vertieft werden) und machen die entscheidenden Grundregeln klar: "Im Zivilprozeß muß jede Partei ihre streitigen, erheblichen Behauptungen, für welche sie die Beweislast trägt, mit den Beweismitteln der ZPO und im Beweisverfahren der ZPO voll beweisen" (Rdnr. 235). Die Ausnahmen werden kurz referiert. Für die Ablehnung eines Beweisantrages dürfte § 244 Abs.3 StPO analog anwendbar sein (Rdnr. 241). Bei der Beweiswürdigung nach Ausschöpfung des Beweisbeschlusses kommt als weitere Zentralnorm der ZPO § 286 zur Anwendung. Schellhammer gibt sehr nützliche Hinweise zur Beweiswürdigung, die für ihn in erster Linie Auseinandersetzung mit eigenen Zweifeln ist. Behauptungen können nur bewiesen oder nicht bewiesen sein. Kommt es zu einer "non-liquet-Situation" entscheidet die Beweislast: Wer die unbewiesene Behauptung hätte beweisen müssen, aber nicht bewiesen hat, verliert den Prozeß (Rdnr. 252). Schellhammer warnt den Referendar eindringlich vor hohlen Phrasen: "Besser gar keine Begründung als leere Redensarten". Sehr überzeugend sind die Kriterien für die Bewertung von Zeugenaussagen (Rdnrn. 258 ff).
Das Buch enthält auch interessante Darlegungen zur Abfassung eines Entscheidungsentwurfes, der maßgeblichen Anforderung an eine zivilrechtliche Assessorklausur. Entscheidungen können im Zivilurteil im Verkündungstermin als Beschlüsse (Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschluß; ggf. auch kumulativ) oder Urteile (End-, Teil-, Vorbehalts-, Grund-, Anerkenntnis-, Zwischen- und "Schlußurteil") ergehen. Nur Urteile haben einen Tenor und stehen (meist als Endurteile) im Zentrum der Tätigkeit des Referendars. Ein falscher, weil unbestimmter Tenor (etwa die Formulierung: "Der Klage wird stattgegeben".) wird kaum verziehen, da er die Verschleuderung von Steuergeldern bedeuten würde, da er nicht vollstreckbar ist, denn der Gerichtsvollzieher kennt nur den Tenor, die Gründe interessieren ihn nicht. Vollstreckbare Ausfertigungen enthalten keine "Entscheidungsgründe".
Der Tenor umfaßt den Urteilsausspruch zur Hauptsache, die Kostenentscheidung und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit. Schellhammer gibt derart präzise Hinweise zur Tenorierung, daß es nahe liegt, seine Ausführungen zu einer persönlichen Tenorierungsdatenbank auszuarbeiten und weiter zu entwickeln. Es werden Tenorierungsvorschläge für Hauptsacheentscheidungen angeboten, die fast alle typischen Konstellationen umfassen. Ähnlich nützlich sind die Hinweise zur Kostengrundentscheidung, die nur bei Zwischen-, Grund- und Teilurteilen entbehrlich ist und anhand der Regelungen der §§ 91 ff ZPO eingehend erläutert wird, wobei auch Hinweise zur richtigen Streitwertberechnung gegeben werden. Gründlich dargelegt werden auch die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach §§ 708 - 713 ZPO. Allerdings vollstreckt der Gläubiger vor Rechtskraft wegen § 717 Abs.2 ZPO auf eigene Gefahr. Das Problem liegt aber regelmäßig in der Bestimmung - auch der Höhe - der Sicherheitsleistung.
Die Ausführungen zum Zivilurteil führen in die Technik der Urteilsabfassung ein. Urteile bestehen aus Tatbestands- und Entscheidungsgründen. Der Tatbestand gliedert sich prinzipiell wie der Sachbericht, muß aber knapper gefaßt werden, immer schon mit dem Blick auf die Entscheidungsgründe. Für die Abfassung der Entscheidungsgründe sind die Normen der §§ 313 Abs.2, 286 Abs.1 ZPO maßgeblich, die aber die Entscheidungsgründe kaum näher konturieren. Am Anfang steht die Antwort des Richters auf die "Frage" des die Entscheidung Begehrenden: Klagen können unzulässig, zulässig, aber unbegründet, begründet oder nur teilweise begründet sein. Die Entscheidung muß nach den treffenden Ausführungen von Schellhammer, von der konkreten Rechtsfolge, die der Kläger begehrt, über die abstrakte Rechtsfolge und den abstrakten Tatbestand der Norm zum konkreten Lebenssachverhalt führen. Die Struktur folgt der gesetzlichen Systematik, die nach Anspruchsgrundlage, anspruchshindernden Einwendungen, anspruchsvernichtenden Einwendungen, anspruchshemmenden Einreden, anspruchserhaltenden Gegeneinwänden und Hilfsaufrechnung differenziert (Rdnr. 374). Beweise müssen nach § 286 ZPO gewürdigt werden. Ein Urteil darf keine immanenten Widersprüche in der Argumentation enthalten. Die Beweiswürdigung wird nach Beweisthemen gegliedert und zwar immer von der Beweislast her. Der Hauptbeweis (auch als Beweis des Gegenteils nach § 292 ZPO) muß alle vernünftigen Zweifeln des Gerichts zerstreuen: "Der Gegenbeweis glückt schon dann, wenn er auch nur einen einzigen Zweifel sät und die Überzeugung des Gerichts verhindert. Das Sprichwort hat recht: Beweislast ist halber Prozeßverlust, vorausgesetzt, das Gericht würdigt die Beweise vorsichtig und kritisch" (Rdnr. 376). Bei der Begründung darf das Gericht jede Frage offenlassen, auf die es letztlich nicht ankommt. Die vier Grundsituationen werden mit Formulierungsbeispielen durchgespielt. Schellhammer empfiehlt, kurze Sätze zu bilden und in Nebensätzen nur Nebengedanken unterzubringen. Substantivische Formulierungen sollten vermieden werden und entbehrliche juristische Fachbegriffe ebenfalls, da das Urteil sich nicht an einen juristischen Fachzirkel wendet (Rdnr. 381). Zitate sind grundsätzlich überflüssig, da ein Urteil keine wissenschaftliche Abhandlung ist, sollten bei schwerwiegenden Rechtsfragen aber wohl möglich sein.
Das letzte Drittel des Buches behandelt Sonderfälle, wie die Abänderungsklage, Arrest und einstweilige Verfügung, Fragen des Anscheinsbeweises, die Prozeßaufrechnung, Fragen der Berufung, der Erledigung der Hauptsache, des Verhältnisses von Haupt- und Hilfsantrag, des Indizienbeweises, der Feststellungsklage, des Prozeßvergleiches und selbstredend auch der Säumnis, der Streitgenossenschaft (mit der berühmten Formel von Adolf Baumbach für die gerechte Berechnung der Kostengrundentscheidung). Auch Fragen der Widerklage und der Präklusion werden unter methodischen Aspekten erörtert, wobei bei allen Problemkreisen Aufbauschemata zur Verfügung gestellt werden. Abgerundet werden diese Erörterungen durch Ausführungen zur Vollstreckungsabwehrklage und zur richtigen Abfassung von Beschlüssen, die vom Referendar ebenfalls verlangt werden kann.
Praktische Hinweise dienen dem Verhandlungsstil und der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie der Durchführung von Vergleichsverhandlungen. Das Buch schließt mit wertvollen Hinweisen zum Aktenvortrag, zur Klausur und zur Hausarbeit.
Auch dieses Werk von Kurt Schellhammer ist über Auflagen hinweg eine Meisterleistung, die aus der juristischen Ausbildungsliteratur nicht mehr wegzudenken ist. Generationen von Referendaren dürften dem Verfasser dankbar sein für Ausführungen, die man in dieser Form nicht überall findet, die aber helfen, die Stations- und Examensnote zu optimieren.
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